Decabromdiphenylether

chemische Verbindung
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Decabromdiphenylether (DecaBDE) ist ein Flammschutzmittel und gehört zur Gruppe der polybromierten Diphenylether.

Strukturformel
Strukturformel von Decabromdiphenylether
Allgemeines
Name Decabromdiphenylether
Andere Namen
  • DecaBDE
  • Deca-BDE
  • BDE-209
  • Bis(pentabromphenyl)ether
Summenformel C12Br10O
Kurzbeschreibung

weißer geruchloser Feststoff[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 1163-19-5
EG-Nummer 214-604-9
ECHA-InfoCard 100.013.277
PubChem 14410
ChemSpider 13764
Wikidata Q905868
Eigenschaften
Molare Masse 959,17 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

304–307 °C[1]

Siedepunkt

425 °C (Zersetzung)[1]

Dampfdruck

4,63·10−6 Pa (21 °C)[2]

Löslichkeit

nahezu unlöslich in Wasser (<0,1 mg·l−1 bei 20 °C)[1]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[1]
keine GHS-Piktogramme

H- und P-Sätze H: 413
P: 273[1]
Zulassungs­verfahren unter REACH

besonders besorgnis­erregend: persistent, bio­akkumulativ und toxisch (PBT), sehr persistent und sehr bio­akkumulativ (vPvB)[3]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Verwendung Bearbeiten

DecaBDE wird in elektrischen und elektronischen Geräten, in Fahrzeugen, in Polstermöbeln und in Kunststoffen in der Baubranche eingesetzt. Kunststofftypen, bei denen es zur Anwendung kommt sind HIPS, Polyethylen, Polypropylen, ungesättigte Polyester und Polybutylenterephthalat. Der jährliche Verbrauch wurde 2001 weltweit auf 56.100 Tonnen geschätzt, wovon rund 7.600 Tonnen von der europäischen Industrie verwendet wurden.[4] Die Herstellung der Chemikalie selbst findet nicht mehr in Europa statt. Trotz der Aufnahme in die Anlage A des Stockholmer Übereinkommens wird DecaBDE in China weiterhin produziert, wobei dies v. a. in den Provinzen Shandong und Jiangsu geschieht.[5][6]

Umweltrelevanz Bearbeiten

DecaBDE gelangt durch verschiedene Prozesse in die Umwelt und kommt in den Umweltkompartimenten wie Luft, Wasser, Boden und Flusssedimenten vor. Auch im Klärschlamm und im Hausstaub wird es gefunden.[7][8] Die Konzentrationen sind meist höher als diejenigen von anderen polybromierten Diphenylethern. In einer vom WWF durchgeführten Untersuchung wurde DecaBDE auch im Blut der Europaparlamentarier gefunden.[9] Eine 2004 abgeschlossene Risikobewertung im Rahmen der EU Altstoffverordnung 793/93/EEC fand jedoch kein Risiko für Mensch oder Umwelt. Einige Jahre später kamen jedoch wieder Diskussionen auf, da neue Untersuchungen gezeigt hatten, dass die Verbindung unter Einfluss von UV-Strahlung debromiert werden kann und somit auch die kürzlich verbotenen OctaBDE und PentaBDE gebildet werden können. Nach einer Überprüfung bis 2007 wurden die Ergebnisse der Risikobewertung im Amtsblatt der Europäischen Union vom 29. Mai 2008 veröffentlicht, was den letzten formalen Schritt im Risikobewertungsverfahren darstellte.[10]

Rechtliche Aspekte Bearbeiten

Im Elektroschrott wurde in 2003 und 2011 durchgeführten Studien durchschnittliche Konzentrationen von 510 ppm bzw. 390 ppm gefunden, was das verbreitete Vorkommen von DecaBDE in elektrischen Geräten bestätigte.[11][12]

DecaBDE war zunächst auf der Liste der Inhaltsstoffe, die mit der Richtlinie 2002/95/EG zur „Beschränkung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten“ (RoHS) mit Wirkung ab 1. Juli 2006 verboten sein sollten, im Jahre 2005 erließ die Europäische Kommission per Entscheid jedoch eine Ausnahmeregelung für Polymer-Applikationen.[13] Dagegen haben das EU-Parlament und Dänemark beim europäischen Gerichtshof Klage eingelegt, da Verwendungsverbote in der RoHS-Richtlinie nur dann aufgehoben werden dürfen, wenn es keine Ersatzstoffe gibt oder die Ersatzstoffe noch schädlichere Wirkungen haben. Beides ist nach Ansicht von EU-Parlament und Dänemark nicht der Fall.[14] Der Europäische Gerichtshof gab am 1. April 2008 der Klage von EU-Parlament und Dänemark gegen die EU-Kommission statt und annullierte die von der Kommission 2005 eingesetzte Ausnahme von DecaBDE primär aus verfahrensrechtlichen Erwägungen. Zugleich setzte der Gerichtshof in einer seltenen Nebenentscheidung nur eine vergleichsweise kurze Übergangsfrist von 3 Monaten bis 30. Juni 2008 in Kraft, nach deren Ablauf das Inverkehrbringen von Elektrogeräten mit DecaBDE-Gehalt über dem zulässigen Grenzwert gegen die RoHS-Richtlinie verstieß.[15]

Dieses Urteil hatte sofortige Wirkung und musste von den meisten EU-Mitgliedstaaten nicht mehr in nationales Recht umgesetzt werden (entweder, weil bereits die Ausnahme niemals in nationales Recht aufgenommen wurde oder weil das jeweilige nationale Gesetz dynamisch auf die Richtlinie verweist). Die EU-Kommission akzeptierte in einer Pressemitteilung die Entscheidung und empfahl Herstellern, sich auf das Verbot vorzubereiten.

In den USA wird seit 2012 freiwillig auf die Verwendung von DecaBDE verzichtet. Für einige Anwendungen (z. B. Verkehrswesen, Militär) wurde die Frist um ein Jahr verlängert.

DecaBDE wurde einer zehnjährigen EU-Risikobewertung unterzogen, in deren Verlauf über 1100 Studien evaluiert wurden. Nachdem die Ergebnisse der Risikobewertung im Mai 2008 im EU-Amtsblatt veröffentlicht wurden,[10] durchlief DecaBDE den REACH-Registrierungsprozess. DecaBDE wurde Ende August 2010 im Rahmen der EU-Chemikalienverordnung REACH bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) registriert.

Der Britische Beirat für Gefahrenstoffe (UK Advisory Committee on Hazardous Substances – ACHS) präsentierte seine Schlussfolgerungen zu einer Bewertung der jüngsten Studien zu DecaBDE am 14. September 2010. Die Schlussfolgerungen des Beirates werden zu keinen sofortigen Änderungen des EU-regulatorischen Status von DecaBDE – inklusive seiner Klassifizierung und Kennzeichnung – führen. Das Britische Umweltministerium (DEFRA) und die britische Umweltagentur werden nun die Schlussfolgerungen des ACHS in ihre Konsultationen mit den anderen britischen zuständigen Behörden im Rahmen von REACH miteinbeziehen.

Decabromdiphenylether wurde mit Wirkung vom 19. Dezember 2012 in die SVHC-Liste (substances of very high concern, ‚besonders besorgniserregende Stoffe‘) aufgenommen.[3] Auf den 2. März 2019 hin werden Beschränkungen für die Produktion und das Inverkehrbringen in Kraft treten. Ausnahmen gelten für die Herstellung von Luftfahrzeugen sowie von Ersatzteilen von Luft- und Kraftfahrzeugen.[16]

Zudem wurde Decabromdiphenylether 2017 in die Anlage A des Stockholmer Übereinkommens aufgenommen.[17] Dadurch ist in den Mitgliedsstaaten seit 2018 die Herstellung und Verwendung von DecaBDE bis auf einige spezifische Anwendungen verboten.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c d e f Eintrag zu Decabromdiphenylether in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 8. Februar 2017. (JavaScript erforderlich)
  2. European Union Risk Assessment Report Bis(pentabromophenyl) ether (PDF; 9,6 MB). Final Report, 2002.
  3. a b Eintrag in der SVHC-Liste der Europäischen Chemikalienagentur, abgerufen am 17. Juli 2014.
  4. Bromine Science and Environmental Forum (2003): Major Brominated Flame Retardants Volume Estimates – Total Market Demand By Region in 2001 (Memento vom 2. April 2015 im Internet Archive) (MS Word; 87 kB).
  5. Yuan Chen, Jinhui Li, Quanyin Tan: Trends of production, consumption and environmental emissions of Decabromodiphenyl ether in mainland China. In: Environmental Pollution. Band 260, Mai 2020, S. 114022, doi:10.1016/j.envpol.2020.114022.
  6. Xiaomei Zhen, Yanfang Li, Jianhui Tang, Xinming Wang, Lin Liu: Decabromodiphenyl Ether versus Decabromodiphenyl Ethane: Source, Fate, and Influencing Factors in a Coastal Sea Nearing Source Region. In: Environmental Science & Technology. Mai 2021, doi:10.1021/acs.est.0c08528.
  7. Kuch B., Körner W., Hagenmaier H. (2001): Monitoring von bromierten Flammschutzmitteln in Fliessgewässern, Abwässern und Klärschlämmen in Baden-Württemberg (Memento vom 22. Juni 2006 im Internet Archive). Umwelt und Gesundheit, Universität Tübingen.
  8. Uhl M., Hohenblum P., Scharf S., Trimbacher C. (2004): Hausstaub – Ein Indikator für Innenraumbelastung (PDF; 2,7 MB). Umweltbundesamt, Wien.
  9. WWF Detox Campaign (2004): Bad Blood? A Survey of Chemicals in the Blood of European Ministers
  10. a b Amtsblatt der Europäischen Union: Mitteilung der Kommission über die Ergebnisse der Risikobewertung für Chlordifluormethan, Bis(pentabromphenyl)ether und Methenamin sowie über die Risikobegrenzungsstrategie für Methenamin
  11. Leo S. Morf, Josef Tremp, Rolf Gloor, Yvonne Huber, Markus Stengele, Markus Zennegg: Brominated Flame Retardants in Waste Electrical and Electronic Equipment: Substance Flows in a Recycling Plant. In: Environmental Science & Technology. 39 (22), 2005, S. 8691–8699, doi:10.1021/es051170k.
  12. Ruedi Taverna, Rolf Gloor, Urs Maier, Markus Zennegg, Renato Figi, Edy Birchler: Stoffflüsse im Schweizer Elektronikschrott. Metalle, Nichtmetalle, Flammschutzmittel und polychlorierte Biphenyle in elektrischen und elektronischen Kleingeräten. Bundesamt für Umwelt, Bern 2017. Umwelt-Zustand Nr. 1717: 164 S.
  13. EU-Kommissionsentscheidung zur Ausnahmegenehmigung für DecaBDE.
  14. Umweltbundesamt (2007): Bromierte Flammschutzmittel in Elektro- und Elektronikgeräten: Das Flammschutzmittel Decabromdiphenylether (DecaBDE) ist durch umweltverträglichere Alternativen ersetzbar. (Memento vom 26. Juni 2013 im Internet Archive) (PDF; 55 kB).
  15. Urteil des EuGH (Große Kammer), 1. April 2008.
  16. Verordnung (EU) 2017/227 der Kommission vom 9. Februar 2017 zur Änderung von Anhang XVII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) betreffend Bis(pentabromphenyl)ether.
  17. SC-8/10: Listing of decabromodiphenyl ether (commercial mixture, c-decaBDE), S. 63–64, Stockholmer Übereinkommen, Mai 2017.