Debra Milke

US-amerikanische Todeskandidatin und Opfer eines Justizirrtums

Debra Jean „Debbie“ Milke (* 10. März 1964 als Debra Sadeik in Berlin[1]) ist eine US-Amerikanerin, die 23 Jahre unschuldig in der Todeszelle war. Sie wurde im Oktober 1990 wegen Anstiftung zum Mord an ihrem Sohn zum Tode verurteilt. Es kamen immer mehr Zweifel an ihrer Schuld auf; im September 2013 kam Milke frei, im Dezember 2014 wurde die Mordanklage aufgehoben.

Milke wurde als Tochter eines US-Soldaten und einer Deutschen im Berliner Ortsteil Lichterfelde geboren und zog 1965 mit ihrer Familie nach Arizona in die Vereinigten Staaten.[1] Dort heiratete sie 1984 Mark Milke, 1985 kam Sohn Christopher auf die Welt. Die Ehe wurde nach drei Jahren geschieden.

Verurteilung

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Am 2. Dezember 1989 fuhren Debra Milkes Mitbewohner James Lynn Styers[2] sowie dessen High-School-Freund Roger Mark Scott[3] mit dem vierjährigen Christopher in die Wüste, wo er erschossen wurde. Nach seiner Verhaftung behauptete Scott, Milke habe ihn und Styers mit dem Mord beauftragt, um an die Lebensversicherung in Höhe von 5.000 US-Dollar zu kommen.[4] Diese Lebensversicherung war aber lediglich Teil eines Sozialversicherungspakets, das allen Angestellten in Milkes Firma zustand, und wurde nicht von ihr gezielt abgeschlossen.

Im Anschluss wurde Debra Milke durch den Mord-Ermittler Armando Saldate verhört, von dem polizeiintern bekannt war, dass er die Rechte von Verdächtigen missachtet und bereits unter Eid gelogen hatte.[5] Im Prozess sagte Saldate aus, Milke habe ihm die Anstiftung zum Mord gestanden. Sie habe ihre Tat damit begründet, dass der Sohn nicht werden solle wie sein Vater. Allerdings wurde Milke nicht über ihre Rechte (Miranda Rights) aufgeklärt und ein Geständnis von Milke nie unterschrieben; es gab kein Protokoll des Verhörs, keinen Zeugen und keine Video- und/oder Tonaufnahme. Am 12. Oktober 1990 wurde Milke wegen Mordes, Verschwörung zum Mord, Kindesmissbrauch und Entführung schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt.

In den folgenden Jahren wurden immer mehr Zweifel an ihrer Schuld laut. So wurde beim Mittäter Roger Scott, der Milke belastet hatte, Schizophrenie festgestellt. Auch Armando Saldates Verhörmethoden kamen ans Licht und ließen Zweifel an Milkes Geständnis aufkommen. Obwohl Milke nur die US-Staatsbürgerschaft besitzt, setzten sich viele Prominente aus Deutschland für sie ein.[6]

Der Termin für Milkes Hinrichtung wurde auf Januar 1998 festgelegt. Ein Arzt hatte bereits ihre Venen für den Zugang der Giftinjektion überprüft und auch ein Pfarrer hatte sie schon als seelischer Beistand besucht, bevor Milkes Anwälte die Hinrichtung noch verhindern konnten.[7]

Wiederaufnahme

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Nach mehreren Anläufen der Verteidigung wurde am 14. März 2013 das strittige Urteil schließlich vom für Arizona zuständigen Appellationsgericht, einer mit drei Richtern besetzten Kammer des United States Court of Appeals for the Ninth Circuit in San Francisco, aufgehoben und die Freilassung von Milke binnen 90 Tagen angeordnet. Gegen diesen Beschluss legte der Generalstaatsanwalt von Arizona, Tom Horne, Berufung ein, weshalb Milke vorläufig weiter in Haft bleiben musste.[8] Diese Berufung wurde am 6. Mai 2013 verworfen.[9]

Am 8. Juli 2013 ordnete das Bundesbezirksgericht schließlich an, den Prozess wieder aufzurollen oder Milke aus der Haft zu entlassen. Wenige Stunden nach dieser Entscheidung erhob das Arizona Attorney General’s Office erneut Anklage gegen Milke. Die Staatsanwaltschaft erwartete im bevorstehenden Prozess eine erneute Aussage von Armando Saldate, diesmal unter Eid.[10][11]

Am 5. September 2013 wurde Milke gegen eine Kaution von 250.000 Dollar (190.000 Euro) freigelassen. Im Gerichtsbeschluss heißt es: „Das Gericht war bisher nicht in der Lage, die Glaubwürdigkeit von Saldate gegen die Glaubwürdigkeit der Angeklagten zu beurteilen und somit zu entscheiden, ob sie Saldate die Tat gestanden hat oder nicht.“ Die Richterin merkte in ihrer Begründung an, dass es so gut wie keine Beweise gegen Milke gebe.[12]

Vorerst wohnte Milke in einer von Unterstützern bereitgestellten Wohnung. Sie musste eine elektronische Fußfessel tragen und durfte zwischen 21 Uhr und 6 Uhr das Haus nicht verlassen.[13] Der Prozess sollte nicht vor Januar 2015 beginnen.[14] Im Dezember 2013 entschied ein Gericht, dass der Hauptbelastungszeuge Saldate auf seinen Antrag hin nicht aussagen muss. Milkes Anwältin kündigte daraufhin an, eine Einstellung des Verfahrens zu beantragen.[15] Ein Gericht in Phoenix entschied am 18. April 2014, dass der Hauptbelastungszeuge gegen Milke doch aussagen muss.[16]

Im Dezember 2014 ordnete ein Berufungsgericht an, die Mordanklage fallenzulassen, da nach der Verfassung der Vereinigten Staaten niemand zweimal wegen desselben Vergehens vor Gericht gestellt werden dürfe.[17] Am 18. März 2015 lehnte der Oberste Gerichtshof in Arizona eine weitere Anhörung ab, was einer Einstellung des Verfahrens gleichkam.[18]

Nach der Freilassung

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Nach ihrer endgültigen Freilassung lebte sie im US-Bundesstaat Arizona und arbeitete in einer Rechtsanwaltskanzlei. Sie kündigte an, nach Deutschland zu ziehen.[19] Im September 2015 besuchte sie für einige Wochen ihre Geburtsstadt Berlin.[20] James Lynn Styers und Roger Mark Scott befinden sich weiterhin in der Todeszelle.

Debra Milke reichte eine Zivilklage gegen die verantwortlichen US-Behörden in Arizona ein, um Schadensersatz für die mehr als 23 Jahre zu erhalten, die sie unschuldig im Gefängnis verbrachte. Diese wurde im Oktober 2020 von Richterin Roselyn O. Silver abgewiesen. Als Begründung wurde angeführt, dass Milke wiederholt relevante Dokumente für den Fall vernichtet und dadurch den Beweisfindungsprozess vorsätzlich behindert habe. Weiterhin wurde ihr vorgeworfen, den Kontakt zu einem Journalisten, der ein Buch über ihren Fall geschrieben hatte, verheimlicht zu haben. Sie soll diesem etwa 7000 teils vertrauliche Dokumente zugespielt haben.[21] Milke legte Berufung ein, diese wurde vom Gericht jedoch abgewiesen.[22]

Literatur

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  • Jana Bommersbach: Ein geraubtes Leben: 23 Jahre unschuldig in der Todeszelle – Der Fall Debra Milke. Aus dem Englischen von Jochen Schwarzer, Jochen Wollermann und Ulrike Becker. Droemer HC, München 2016.
  • Gary L. Stuart: Anatomy of a Confession: The Debra Milke Case. American Bar Association, Chicago 2016.

Einzelnachweise

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  1. a b Chronologie einer fragwürdigen Verurteilung (Memento vom 2. Januar 2017 im Internet Archive) abgerufen am 1. November 2020.
  2. James Lynn Styers Eintrag in der Datenbank von murderpedia.org (englisch, abgerufen am 3. April 2015).
  3. Roger Marc Scott Eintrag in der Datenbank von murderpedia.org (englisch, abgerufen am 3. April 2015).
  4. Aus der Todeszelle auf dem Weg in die Freiheit (Memento vom 10. März 2016 im Internet Archive) abgerufen am 1. November 2020.
  5. Bastian Obermayer und Nicolas Richter: Geschichte eines beispiellosen Justiz-Skandals. In: SZ.de (Süddeutsche Zeitung). 24. März 2013, abgerufen am 14. April 2013.
  6. Antje Passenheim: Giftspritze und Henkersmahlzeit standen bereit. In: Welt.de. 17. März 2013, abgerufen am 14. April 2013.
  7. Antje Windmann, Hendrik Ternieden: Fall Debbie Milke: Freiheit muss warten. Spiegel Online, 9. Juli 2013.
  8. Deutsche Todeskandidatin bleibt (vorerst) im Knast. In: Bild.de. 12. April 2013, abgerufen am 14. April 2013.
  9. Respondent’s petition for rehearing and rehearing en banc is denied. 6. Mai 2013, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 9. Mai 2013.@1@2Vorlage:Toter Link/debmi.me (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  10. Michael Kiefer: Debra Milke to be retried in Peoria killing of 4-year-old son. In: azcentral.com. 8. Juli 2013, abgerufen am 9. Juli 2013.
  11. Staatsanwaltschaft will Debra Milke hinrichten. In: SZ.de (Süddeutsche Zeitung). 9. Juli 2013, abgerufen am 9. Juli 2013.
  12. Herbert Bauernebel: Nach 22 Jahren aus der Todeszelle. In: Bild.de. Abgerufen am 7. September 2013.
  13. Nach Freilassung: Debra Milke staunt über iPads und iPhones. Spiegel Online, 9. September 2013.
  14. Bericht: Möglicher Prozess gegen Debra Milke frühestens 2015. Berliner Zeitung, 24. September 2013.
  15. Debra Milke kann auf endgültige Freilassung hoffen. Spiegel Online, 19. Dezember 2013.
  16. Noch immer droht die Todesstrafe. Der Tagesspiegel, 18. April 2014.
  17. US-Gericht hebt Mordanklage auf. In: n-tv.de, 12. Dezember 2014, abgerufen am 12. Dezember 2014.
  18. Debra Milke kommt endgültig frei. Süddeutsche.de, 18. März 2015.
  19. Debbie Milke spricht über die Jahre im Todestrakt. Spiegel.de, 4. April 2015.
  20. Debra Milke in Deutschland: „Ich bin zurück an meinem Ausgangspunkt“. In: Stern.de, 2. September 2015.
  21. Daniel A. Rosen: Federal Judge Dismisses Arizona Woman’s Wrongful Conviction Suit. In: Prison Legal News. 1. März 2021, S. 38, abgerufen am 29. Januar 2024 (englisch).
  22. Milke v. City of Phoenix, No. 20-17210. In: Casetext. 27. Januar 2021, abgerufen am 29. Januar 2024 (englisch).