Der Steglitzer Kreisel, der der ersten Affäre des Berliner Filzes seinen Namen gab

Der Berliner Filz (auch Berliner Sumpf) ist der Oberbegriff für eine Reihe von Skandalen und Affären in West-Berlin, die vor allem auf dem Geflecht von Immobilienwirtschaft und öffentlicher Hand in der Inselstadt beruhten.[1] Die bekanntesten Fällen waren die Kreisel-Affäre, die Garski-Affäre und der Antes-Skandal. Er führte seit den 1970er Jahren immer wieder zu Rücktritten von Landespolitikern verschiedener Parteien. Nach 1990 wurde der Berliner Bankenskandal dem Berliner Filz zugerechnet, da er in die 1980er Jahre zurückreichte und zu einem großen Teil die gleichen Personen involviert waren.

Strukturen und Ursachen

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Im Vergleich zu Skandalen in anderen Städten und Regionen (z. B. der „Kölner Klüngel“ oder die bayerische „Amigo-Wirtschaft“) war nicht die Größe der Skandale das Besondere des sprichwörtlichen „Berliner Filz“, sondern die Massierung der Unzulänglichkeiten und der Zustand permanenter Unregelmäßigkeiten.[2] Wurden die Bauskandale von Politikern zunächst noch als Einzelfälle dargestellt, so sagte z. B. Eberhard Diepgen in den 1980er Jahren: „Man muß Strukturen zerschlagen“.[2]

Begünstigt wurde das Geflecht aus Spenden, Gefälligkeiten und Profit durch die besonderen Verhältnisse in der relativ isolierten Inselstadt West-Berlin, in der stets dieselben Personen aufeinandertrafen.[2] Die lange Herrschaft einer Partei tat ihr Übriges, dass sich Beziehungsgeflechte verfestigten.[2] In Fällen wie dem Steglitzer Kreisel trafen zudem privater Geschäftstüchtigkeit und provinzieller kommunaler Ehrgeiz aufeinander.[3]

Ein wichtiger Faktor für den Berliner Filz war die wirtschaftliche Situation der Halbstadt. Da die Wirtschaftskraft kontinuierlich zurückging und die Zahl der Privatbetriebe, besonders im produzierenden Gewerbe, immer geringer wurde, füllte die öffentliche Hand die entstandenen Lücken immer mehr aus.[2] So stellten die öffentlich Bediensteten 1980 bereits 26 Prozent der erwerbstätigen.[4] So ging es in den Skandalen und Affären regelmäßig um Mißbrauch und Verschwendung öffentlicher Mittel.[2]

Die West-Berliner Immobilienwirtschaft

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Als „Baulöwe“ und Teil der sogenannten West-Berliner „Baumafia“ galt Karsten Klingbeil, seine Klingbeil-Gruppe als Synonym für das profitable Abschreibungssystem in West-Berlin.[1]

Eine andere zentrale Figur war die Architektin und Bauunternehmerin Sigrid Kressmann-Zschach. Sie war zeitweise mit dem Kreuzberger Bezirksbürgermeister Willy Kressmann (SPD) verheiratet. Kressmann-Zschach wurde mit rund 300 Mitarbeitern zur erfolgreichsten Bauunternehmerin der Stadt und plante verschiedene Berliner Großprojekte wie den Steglitzer Kreisel sowie das Ku'Damm Karrée und war im gewinnträchtigen sozialen Wohnungsbau tonangebend.[5] Sowohl für den Steglitzer Kreisel, als auch für das Ku'Damm Karrée fanden sich keine oder kaum Mieter. Architektonisch gelten ihre Bauten als unbedeutend.[5]

Skandale unter SPD-Senaten

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Die Verflechtungen zwischen Bauwirtschaft einerseits und Senat bzw. Bezirksverwaltungen andererseits wurde zum Skandal, als Kressmann-Zschachs Bauträgergesellschaft Avalon GmbH & Co. KG 1974 Konkurs anmelden mußte und der Kreisel, dessen Baukosten von den veranschlagten 90 Millionen DM bereits auf 120 Millionen DM gestiegen waren, als Bauruine für 17 Millionen DM versteigert wurde.[6] Die Berliner Landesregierung haftete für eine leichtfertig ausgestellte Bürgschaft über 42 Millionen DM und 800 Kommanditisten verloren den Großteil ihrer 80-Millionen-Investition.[6] Kressmann-Zschach kassierte dessen ungeachtet 30 Millionen DM Architektenhonorar. Auch das Ku'Damm Karrée rechnete sich nicht. Der Berliner Senat erwarb es kurz nach seiner Fertigstellung 1974 für 22,7 Millionen DM für die Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege, um Leerstand zu vermeiden. Auch der Kreisel konnte nur dadurch vor Leerstand gerettet werden, dass es der Bezirk Steglitz für 4,6 Millionen DM im Jahr für seine Verwaltung mietete.[6] Das Abgeordnetenhaus von Berlin setzte einen Untersuchungsausschuss zu den Verwicklungen der Bau- und Finanzverwaltung in die Kreisel-Affäre ein. Dieser stellte eine fahrlässige Verletzung der Pflicht auf Seiten des Finanzsenators Heinz Striek (SPD) und des Bausenators Rolf Schwedler (SPD) fest. Weiterhin wurde der Chef der Oberfinanzdirektion Berlin, Klaus Arlt, der Kressmann-Zschach beruflich half und ihr auch privat nahestand, vom Amt suspendiert.

Wie in der Kreisel-Affäre unterzeichnete der Berliner Senat 1978 für den Berliner Bauunternehmer Dietrich Garski eine Bankbürgschaft. Sie wurde 1980 fällig, als Garski zahlungsunfähig wurde. Die Bürgschaft belief sich auf insgesamt 112 Mio DM und diente der Finanzierung von Garskis Bauvorhaben in Saudi-Arabien. In einem Gespräch beim Regierenden Bürgermeister Dietrich Stobbe (SPD), an dem auch Finanzsenator Klaus Riebschläger (SPD) und Wolfgang Lüder (FDP) teilgenommen hatten, wurde die Bürgschaft noch wenige Monate vor der Insolvenz um 25,8 Mio DM erhöht. Anfang 1981 traten Riebschläger und Lüder in Folge der Garski-Affäre zurück. Pikanterweise wurde Riebschläger stattdessen Fraktionsvorsitzender und konnte somit den parlamentarischen Untersuchtungsausschuss kontrollieren, der seine eigenen Verstrickungen aufklären sollte.[7] Zudem wurde er wieder Vorstandsmitglied der senatseigenen Wohnungsbaukreditanstalt und geriet 1985 im Zusammenhang mit dem Antes-Skandal erneut in die Schlagzeilen. Stobbe legte sein Amt wenig später nieder, als das Berliner Abgeordnetenhaus seinen Vorschlägen zur Nachbesetzung in der Landesregierung die Zustimmung verweigerte.

Skandale unter CDU-Senaten

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Mit dem Niedergang der SPD in West-Berlin wurden die Beziehungen zwischen der Immobilienwirtschaft und der öffentlichen Hand neu geflochten und noch unübersichtlicher.[1]

Als 1975 der Spitzenkandidat der CDU und Präsident des Abgeordnetenhauses, Peter Lorenz, entführt wurde, fanden die Entführer in dessen Aktentasche des einen von Karsten Klingbeil ausgestellten, offensichtlich als Parteispende gedachten Scheck über 10000 DM.[1] Selbst in der lebensgefährlichen Situation der Entführung verweigerte Lorenz seinen Entführern gegenüber Auskünfte über die Zusammenhänge von Bauwirtschaft und Politik.[1] Bemerkenswert war, dass Klingbeil als Spender der SPD galt, nun aber anscheinend einen Machtwechsel erwartete.[1]

Auch der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen galt gleichermaßen als Akteur, wie als Gefangener des Berliner Filz’.[2]

Literatur

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  • Wilfried Rott: Die Insel. Eine Geschichte West-Berlins 1948–1990. C. H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-59133-4, S. 313–321
  • Mathew D. Rose: Eine ehrenwerte Gesellschaft. Die Bankgesellschaft Berlin. Transit Buchverlag, Berlin 2003, ISBN 3-887471792
  • Mathew D. Rose: Berlin, Hauptstadt von Filz und Korruption. Transit Buchverlag, Berlin 1999, ISBN 3-426269309
  • Mathew D. Rose: Warten auf die Sintflut. Über Cliquenwirtschaft, Selbstbedienung und die wuchernden Schulden der Öffentlichen Hand unter besonderer Berücksichtigung unserer Hauptstadt. Transit Buchverlag, Berlin 2004, ISBN 3-887471962
  • Michael Sontheimer, Jochen Vorfelder: Antes & Co: Geschichten aus dem Berliner Sumpf. Rotbuch, 1987 ISBN 3-880223246 [1]
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Einzelnachweise

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  1. a b c d e f Wilfried Rott: Die Insel. Eine Geschichte West-Berlins 1948–1990. München 2009, S. 313.
  2. a b c d e f g Wilfried Rott: Die Insel. Eine Geschichte West-Berlins 1948–1990. München 2009, S. 317.
  3. Wilfried Rott: Die Insel. Eine Geschichte West-Berlins 1948–1990. München 2009, S. 315.
  4. Wilfried Rott: Die Insel. Eine Geschichte West-Berlins 1948–1990. München 2009, S. 318.
  5. a b Wilfried Rott: Die Insel. Eine Geschichte West-Berlins 1948–1990. München 2009, S. 314.
  6. a b c Wilfried Rott: Die Insel. Eine Geschichte West-Berlins 1948–1990. München 2009, S. 316.
  7. Wilfried Rott: Die Insel. Eine Geschichte West-Berlins 1948–1990. München 2009, S. 340.