Empöriat (wissenschaftlich Indignizismus[1]) bezeichnet deutlich übersteigertes Engagement einer stetig wachsenden Gruppe von Internetbenutzern, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, bestehende Regelwerke in unterschiedlichen digitalen Entitäten zu überwachen und zu kontrollieren. Die Mittel, welche dabei angewendet werden sind unterschiedlich, sie reichen von der Festlegung sittlicher Normen, deren Auslegung und in Folge der Überwachung hin bis zu organisierten Gruppenbildungen. Die Werkzeuge, welche dazu eingesetzt werden sind abhängig von der technischen Plattform, auf der diese Form der Gesinnungsüberprüfung angewendet wird. Diese Form der Gesinnungsüberwachung ist jedoch nicht einheitlich, sondern es begegnen sich unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen religiösen, sittlichen und politischen Vorstellungen und Forderungen, die sich gegenseitig oftmals bekämpfen aber durchaus auch kurzfristige Koalitionen eingehen.

Die Entrüstungsbandbreite des Empöriats

Der Ursprung des Empörens, sich nämlich persönlich durch eine unwürdige, vom sittlichen Gefühl verurteilte Handlung in Form einer Entrüstung oder eines gerechten Unwillens betroffen zu fühlen, ist dem Empöriat völlig fremd. Indignifikatoren betrachten sich, wie es sich in Umfragen gezeigt hat, als liberal; gegenüber Beleidigungen unwürdiger und unsittlicher Art sind sie eher gefühllos. Im Gegenteil, es ist ihnen sogar eine Freude, wenn sich dadurch überhaupt die Möglichkeit ergibt, objektiv Empörung demonstrieren zu können. Ihre Empörung wird ausschließlich aus einem beliebig austauschbaren Regelwerk gespeist, welches sie selbst vertreten, ohne davon tatsächlich innerlich betroffen zu sein.

Voraussetzung für die Tätigkeit eines Fremdempörers ist die Kenntnis des Regelwerks und Fähigkeit, dieses auch anwenden zu können.

Empörer sind darin geübt, Entrüstung in vielfältiger Form beschreiben zu können. Wobei es sich nicht um eine eigene, innere Entrüstung handelt, sondern die Entrüstung, die andere an den Tag zu legen hätten, da sie ja Opfer zu sein haben, denn gegen sie wurde und wird die Grundlage ihres eigenen Seins in Frage gestellt, nämlich die Regel.

Der Empörer als soziologischer Betrachtungsgegenstand

Man findet unter den Empöriatoren hauptsächlich Personen, deren Haupttätigkeit darin besteht, vermeintlich ahndenswürdige Handlungen gegenüber anderen Personen zu suchen und anzeigen wo immer es eine Meldestelle dafür gibt. Eine Nichtreaktion oder die Nichtahndung wird dann in Folge als weiteres, empörungwürdiges Verhalten erkannt, welches dann wiederum zu einer weiteren, noch ausschweifenderen Empörung führt. Dieser Doppelempörungseffekt ist besonders dort zu finden, wo die Empörer nicht identisch sind mit dem Personenkreis, welche Sanktionen auszusprechen in der Lage ist.

Ein besonderes Merkmal dieser sogenannten Fremdempörer ist auch, dass sie ausschließlich durch Regelverletzungen von Mitgliedern fremder Empöriate entrüstet werden, Regelverfehlungen durch Mitglieder der eigenen Gruppe werden jedoch grundsätzlich als gerechtfertigte, nicht entrüstungswürdige Handlungen verteidigt, jedoch wird das in-Zweifel-stellen dieser Position in contrario wieder mit massiver Empörung beantwortet.

Das besondere am Empöriat ist, dass bislang die Proponenten dieser Erscheinung nicht als geschlossene Gruppen sondern eher als Einzelpersonen wahrgenommen werden, welche gemeinhin als "Raunzer", "Nörgler" und "Besserwisser" bekannt waren. Das Empöriat bezeichnet einerseits den organisierten Zusammenschluss dieser bislang als Einzelpersonen agierenden Gruppe aber auch die Gesamtheit aller Empörten.

Geschichte

Die Grundlage des Empöriats ist der Widerstand gegen die vermeintlich Mächtigen welcher jedoch - ohne dass dieser Widerspruch einer Auflösung bedarf - immer das Ziel hat, selbst zu der Gruppe der Mächtigen zu gehören. Empörer haben einen starken Drang, Titel und Posten zu besetzen. Dies gibt ihnen die Möglichkeit, ihrer innerlichen Überzeugung, mehr recht als andere zu haben, auch nach außen hin Geltung zu verschaffen.

Das Empöriat findet man bereits in den frühen demokratischen Stadtentwicklungen im alten Griechenland. Die damaligen Protestformen waren denen von heute ähnlich, es wird gemeinhin von der Politik der Straße gesprochen. In späterer Zeit waren es vor allem intrigantische Gruppierungen auf europäischen Höfen des niederen Adels. Diese hatten mangels eigener Möglichkeiten einen Ausweg gesucht, ihre gesellschaftliche Stellung zu verbessern. Diese fanden sie vorrangig darin, die Vorschriften über sittlichen gesellschaftlichen Umgang zu formulieren und - wie es sich z.B. am französischen Hof gezeigt hat - sogar direkt zu überwachen.

In neuerer Geschichte wurde dieses Empöriat vor allem durch faschistoide politische Strömungen dazu benutzt, ein durchgängiges Spitzelwesen aufzubauen. Damit erfuhr die Position des individuellen Empörers, getragen durch rangniedere Parteikader, eine strukturierte Aufwertung, ohne dass damit auch eine gesellschaftliche Anerkennung verbunden war. In der DDR erfolgte es eher im Geheimen durch die inoffziellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatsicherheit. Dieses Spitzelsystem war schon auf Grund der hohen Anzahl und vor allem auch deshalb, weil diese sich untereinander nicht kannten, hocheffektiv.

In der neuesten Geschichte tritt das Phänomen des Empöriats vor allem in geschlossenen oder halbgeschlossenen Gruppen (Anstalten/Communities) im Internet auf. Es hat sich herausgestellt, das sich individuelles Empören auf längere Sicht als sehr ineffizient erwiesen hat. Die Folge waren organisierte Empöriate, welche auf unterschiedliche Art und Weise versuchten, Macht als Gruppe auszuüben.

Eingesetzte Mittel und Techniken am Beispiel Wikipedia

Ein wichtiges Element kollektiver Empörung ist das möglichst geheime Aufrufen zur Massenempörung, dies geschieht hauptsächlich im Zentralorgan des wikipedianischen Empöriats, dem RC-Chat. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass Regelverstöße, welche potentiell empörungswürdig sind, kaum Wirkung zeigen oder Sanktionen nach sich ziehen, wenn nicht in kurzer Abfolge mindestens drei Empörungsbestätigungen bei der Hauptempörungsmeldestelle einlangen, und somit ein Erfolg nicht garantiert ist. Die Wirkung und vor allem auch die eingeforderte Solidarität, sich unverzüglich dem Fremdempören zu widmen, wird in dieser halbgeschlossenen Gruppe durch latent-homoerotische Aktivitäten gegenseitig vertieft. So beginnt dort der Tag der Empörer mit dem gegenseitigen Austausch von Kaffee, Brötchen und - wenn vorhanden - Croissants, schlechte Laune wird durch die anderen Teilnehmer einfach weggeknuddelt, die jeweiligen Angebote werden mit liebevollen Emoticons beantwortet. Ankommende Großempörer unterbrechen den laufenden Betrieb und werden vorrangig begrüßt, Worte wie *freu* und *knuddel* weisen auf die unterschiedliche Rangordnung hin.

Niederlagen in vergeblichen Fremdempörungen werden ebenso liebevoll weggetröstet. Das schafft ein Klima der Vertrautheit, welches durch hohe Solidarität untereinander belohnt wird. Kritik an Fehlern von Empörmitgliedern sind jedoch absolut tabu, es löst im geringsten Fall ein hysterisches Kreischen aus, der Täter wird in einen Privat-Chat zitiert und gefragt, was er sich erlaubt, im strengsten Fall führt das zum Ausschluss aus dem Empöriat.

Beobachtungen haben gezeigt, dass es drei Ereignisse gibt, welche ein eingeschlafenes Empöriatszentralorgan innerhalb von Sekunden in einen Bienenschwarm verwandelt:

Weitere Aktionsbereiche des Empöriats

Eine weitere Möglichkeit, empörungsarme Zeiten zu überwinden, besteht darin, bestimmte Hauptempörungssammelstellen aufzusuchen um dort nach Reizworten zu suchen, denen man seinen regelgerechten Missmut entgegenschleudern kann. Diese Reizwörter können inhaltliche Beiträge sein oder auch nur die Anwesenheit bestimmter Personen, welches die Chance in sich birgt, durch eine geschickte Provokation einen Regelverstoß zu erzeugen. Wenn alles nicht hilft, kann man eine weitere Ebene einschalten, welche als Müllkippe für Fremdempörungen eingesetzt werden kann, nämlich den Antrag stellen, alle Beobachter dieser Entsorgungsstelle davon zu überzeugen, dass man endlich nach langem Suchen die Ursache aller Empörungen gefunden hätte.

Da sich aber auf diesen Ebenen meistens Personen befinden, welche die Regelwerke und auch deren Auslegungen hervorragend kennen und auch in der Lage sind, diese Regeln peinlich genau zu beachten und sich nur selten einen Fehler in der Auslegung erlauben, führt dies oft dazu, dass dann genau das eintritt, was der Empörer nicht möchte: nämlich dass er selbst zum Opfer wird. Ab diesem Moment wird aus dem hauptberuflichen Fremdempörer jemand, der sich selbst nur noch teilweise im Griff hat. Er ist dann nämlich plötzlich tatsächlich empört und der Meinung - und davon ist er dann auch innerlich überzeugt -, dass nur die brutalstmögliche Formulierung die Chance bietet, dem Kontrahenten Einhalt zu gebieten, um ihn zutiefst in seinem Inneren zu erschüttern.

Damit ist dann die Falle, die von den noch Minuten zuvor gelangweilten Berufsempörern für andere aufgestellt wurde, zugefallen. Nur sitzt der Fallensteller selbst darin.

Erweiterte Techniken gegenüber Neulingen

Zusätzliche Möglichkeiten, Mitempörer zu finden, ist das Stellen von scheinbar harmlosen Fragen im Was-ich-immer-schon-über-Wikipedia-wissen-wollte-Gremium. Oder - um sich nicht alleine aus dem Fenster lehnen zu müssen (vor allem gegenüber Neulingen) - das 2:1-Demokratieschwert der sogenannten Dritten Meinung. Diese beiden Seiten dienen dazu, Neulingen das Gefühl zu vermitteln, sie könnten sogar recht haben. Allerdings erfüllt dies nur den Zweck, eine Situation zu erzeugen, die in kürzester Zeit dafür sorgt, dass dieser Neuling endgültig als nichtwissender Trottel dasteht und dann das wichtigste tut, was Berufsfremdempörer von Anfang an überhaupt angestrebt haben, nämlich den Regelverstoß. Dieser wird dann innerhalb von Sekunden durch einen rasch hinzugezogenen weiteren Berufsempörer gemeldet, der betroffene Empörer hält sich vorerst zurück - denn er ist ja noch empört und deshalb außerstande, eine Meldung zu erstellen - er wird dann aber in Folge noch vor dem Setzen des Erledigt-Bausteins kundtun, wie tief es ihn doch empört hat und wie undankbar dieser Neuling trotz freundlicher Ansprache doch gewesen wäre.

Präventives Empören

Eine andere, höchst effiziente Möglichkeit besteht darin, Regelverstöße bereits dann zu entdecken - und auch unverzüglich zu ahnden -, wenn so ein Verstoß noch gar nicht stattgefunden hat. Die Regel:ungeeigneter Benutzername wurde extra dafür erfunden, noch vor dem Eintreten einer empörenswürdigen Handlung durch einen Neuankömmling bereits seiner eigenen Empörung lauthals Luft zu verschaffen. Aus diesem Grund sitzen einige Berufsempörer immer vor der Seite der Neuanmeldungen, um ja nichts zu versäumen.

Opferthesen

Auch wird von einigen allseits bekannten Berufsempörern die Möglichkeit genutzt, sich als nichtangemeldete Benutzer in Lösch- oder sonstigen Diskussionen einzubringen. Die Hoffnung, damit auf einen Halbneuling zu treffen, der sich im Ton vergreift - in der irrigen Meinung, er hätte es mit einem Nichts zu tun -, diese Hoffnung führt oftmals zum Erfolg. Die Zentralempörmeldestelle wird dann natürlich angemeldet aufgesucht und sofort mit der Forderung nach einer Sperre wegen unbotmässigen Verhaltens gegen einen nichtangemeldeten Besucher verknüpft.

Dieselben Personen lieben es geradezu, Opfer zu sein. Sie wissen, dass ihre Benutzerseite regelmässig von solchen, böswillig gemachten Besuchern unter Hinterlassung verschiedener Unflätigkeiten verschönert wird. Die Chance, Opfer zu sein, ist für diesen Personenkreis Grund genug, ihre Benutzerseite offen zu lassen. Sie sehen es als Beweis ihrer eigenen Bedeutsamkeit an.

Das Verhalten der Exekutivebene zu den Empörern

Grundsätzlich sind Sanktionen im Falle von Regelverstößen gutzuheißen, da dies dem öffentlichen Ansehen der Wikipedia schaden könnte. Ob dies auch für Bereiche zutrifft, welche dem öffentlichen Bereich entzogen sind - und alles, was nicht unmittelbar die Enzyklopädie betrifft, ist dem öffentlichen Bereich entzogen - das ist diskussionswürdig. Wer in der Lage und gewillt ist, auf Seiten zuzugreifen, welche ausschließlich der internen Kommunikation und der Streitkultur dienen, hat sich bereits vom unmittelbaren Projektziel entfernt. Trotzdem werden auf solchen Seiten dieselben Maßstäbe des öffentlichen Regelwerks angewendet.

Der Grund, warum auf dieser Seite bestimmte Aussagen sanktioniert werden, ist, weil sich Administratoren die Möglichkeit des „Durchregierens“ nicht aus der Hand nehmen lassen wollen. Man stelle sich vor: ein Ort, in dem Administratoren nichts zu sagen haben und das Volk sich seine Dispute selbst regelt. Im Gegenzug schaffen sie sich aber Räume, in denen einfache Benutzer nichts sagen dürfen, welche aber ebenfalls dem Empöriat als Meldestelle zur Verfügung stehen. Kommentiert werden darf allerdings nur das und das auch nur in einer Form, was die Knöpfe nicht in Frage stellt. Die Einmischung des Empöriats als Diskussionskontinuum ist dort nicht erwünscht, außer Äußerungen huldvoller Art zur Bestätigung des eigenen kollektiv-administrativen Handelns.

Ursachen

Die Ursache dieser schon fast zwanghaften Fremdempörung ist vordergründig mit dem Dunning-Kruger-Effekt zu erklären. Berufsempörer sind der Meinung, dass nur sie selbst die Kompetenz besitzen, zu erkennen, was für ein Projekt wie Wikipedia richtig ist. Es fehlt einfach die Kompetenz zu erkennen, dass man zu inkompetent dafür ist, seine eigene Inkompetenz zu erkennen. Auch wurde vielfach festgestellt, dass das Dilbert-Prinzip als Versuch scheiterte, aus einer bestehenden Gruppe von Empöristen bestimmte Personen nach oben wegzuloben. Die Hoffnung, damit zumindest nach außen hin nicht nur Empöristen, sondern sogar Exekutivempöristen stellen zu können, hat sich nicht erfüllt.

Das wurde aber als Inkompetenz der wählenden Massen richtigerweise erkannt und erweitert die Erkenntnisse, die sich aus dem Dunnig-Kruger-Effekt ergeben.

Siehe auch

Literatur

  • Strawson, Peter, Freiheit und Übelnehmen, in: Potthast, Ulrich, Seminar Freies Handeln und Determinismus, Frankfurt/Main 1978 (orig. 1962) ISBN 3-518-07857-7 - englisches Original online unter [1]
  • Tugendhat, Ernst, Vorlesungen über Ethik, Frankfurt/Main 1993 ISBN 3-518-28700-1
  • Wehr, Thomas & Bräutigam, Michael: Physiologische Erregung und Kognitionen in der Emotionsgenese und -differenzierung, Psychologie 127 (1999), 55-57 ISSN 1430-1148

Einzelnachweise

  1. http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Indignation?hl=indignation Laut Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1905 ist Indignation die „Entrüstung, gerechter Unwille über eine unwürdige, vom sittlichen Gefühl verurteilte Handlung.