Die Kommunalwahlen in Estland 1934 fanden am 7. und 8. Januar 1934 für die Räte der Landgemeinden (vallad) und am 15. und 16. Januar 1934 für die Räte der Städte (linnad) und Großdörfer (alevikud) statt.

Wahlsystem

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Die Mitglieder der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften wurden auf fünf Jahre gewählt.

Das Wahlsystem war kompliziert ausgestaltet, um den Wählern ein Höchstmaß demokratischer Mitsprache einzuräumen. Es war eine Mischung aus Parteien- und Personenwahlen, bei denen der Auswahl von Personen der Vorrang eingeräumt wurde. Die Wähler konnten durch ihre Stimmen Personen auf den Parteilisten nach vorne bringen.

Beteiligung des rechtspopulistischen „Bunds der Freiheitskämpfer“

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Die Kommunalwahlen 1934 standen besonders unter dem Eindruck der erstarkten rechtspopulistischen Bewegung des „Estnischen Bunds der Freiheitskämpfer(Eesti Vabadussõjalaste Liit – EVL). Ihre Anhänger wurden im Volksmund Vapsid genannt.

Die Bewegung wandte sich gegen die instabile estnische Demokratie der Zwischenkriegszeit, war stark antiparlamentarisch und antikommunistisch orientiert und agierte außerparlamentarisch. Erst im Oktober 1933 registrierte sich der Bund als politische Partei. Die Kommunalwahlen 1934 waren die einzigen Wahlen, an der Bund jemals teilgenommen hat. Vor allem in den Stadträten konnten die Vapsid große Erfolge verzeichnen, insbesondere in der Hauptstadt Tallinn.

Insgesamt zeigte sich bei den Kommunalwahlen 1934 ein starken Stadt-Land-Gefälle: Die Vapsid gewannen 174 der 507 Sitze in den Stadträten (34,32 Prozent), 44 der 268 Sitze in den Räten der Großdörfer (16,42 Prozent) und 698 der 6847 Sitze in den Räten der Landgemeinden (10,19 %), insgesamt also 7622 Sitze von 916 (12,02 Prozent).

Wahlergebnisse in den Landgemeinden

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In den Landgemeinden (vallad) lebten am Wahltag insgesamt 812.092 Personen. Davon waren 495.902 wahlberechtigt. Insgesamt gaben 319.004 Personen ihre Stimme ab. Die Wahlbeteiligung lag bei 64,3 Prozent. Insgesamt waren 6.847 Sitze in den Landgemeinderäten zu vergeben.

Davon errangen die meisten kommunalen Mandate der Bund der Landwirte (Põllumeeste Kogud) (1.933 Sitze, 28,2 Prozent), gefolgt von den (Ühinenud Põllumeeste ja Väikemaapidajate Kogud)Vereinigten Bauern- und Kleinbauernverbände (1.691 Sitze, 24,7 Prozent), dem Estnischen Bund der Freiheitskämpfer (698 Sitze, 10,2 Prozent), der Estnischen Sozialistische Arbeiterpartei (Eesti Sotsialistlik Tööliste Partei) mit 283 Sitzen (4,1 Prozent) und der Nationalen Zentrumspartei (Rahvuslik Keskerakond) (64 Sitze, 0,9 Prozent).

Wahlergebnisse in den Großdörfern

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In den siebzehn Großdörfern (alevikud) der Republik Estland lebten am Wahltag 27.976 Menschen. Davon waren 18.955 wahlberechtigt. 15.792 Personen gingen dort zur Wahl. Die Wahlbeteiligung betrug 78 Prozent. Insgesamt waren 268 Mandate zu vergeben.

Davon erhielt der Estnische Bund der Freiheitskämpfer 44 Sitze (16,4 Prozent).

Wahlergebnisse in den Städten

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Bei der Wahl zu den Stadträten erhielten die Vapsid relativ mehr Stimmen als in den ländlichen Gebieten:

51,7 Prozent in Tallinn, 49,2 Prozent in Tartu, 45 Prozent in Narva, 40 Prozent in Viljandi, 36,7 Prozent in Nõmme, 30 Prozent in Võru und Valga, 26,7 Prozent in Tapa und 23,3 Prozent in Rakvere. Keinen Sitz errangen sie im Stadtrat von Türi.

Putsch vom März 1934

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Am 12. März 1934 riss der estnische Staats- und Regierungschef Konstantin Päts mit Hilfe des estnischen Militärs in einem unblutigen Staatsstreich die Macht an sich. Er wollte damit einem als wahrscheinlich angesehenen Sieg der Vapsid bei den für 1934 geplanten Wahlen zum Staatsoberhaupt und zur 6. Legislaturperiode des Parlaments (Riigikogu) zuvorkommen. Päts nutzte dabei vordergründig die weitgehenden Vollmachten, die ihm nach der am 24. Januar 1934 in Kraft getretenen semipräsidentielle Verfassung zustanden, um dem Putsch einen legalen Anstrich zu verleihen.

Die Regierung verhängte über das Land den Ausnahmezustand („Verteidigungszustand“) für sechs Monate. Sie ließ etwa vierhundert politische Gegner verhaften, zum allergrößten Teil Mitglieder des „Estnischen Bunds der Freiheitskämpfer“. Politische Treffen und Demonstrationen wurden verboten. Die kommunalen Mandate des „Estnischen Bunds der Freiheitskämpfer“ wurden annulliert. Die Wahlen auf nationaler Ebene wurden durch einen Erlass von Ministerpräsident Päts vom 19. März 1934 „bis zum Ende des Ausnahmezustands“ verschoben.

Die Befugnisse der Mitglieder der kommunalen Selbstverwaltungsorgane, die auf der Grundlage der Listen des Estnischen Bunds der Freiheitskämpfer gewählt worden waren, wurden am 19. März 1934 auf der Grundlage von § 3 des Gesetzes zum Schutz der Verfassung (RT 1934, 25, 185) außer Kraft gesetzt. Insgesamt verloren damit 916 Mitglieder der kommunalen Vertretungen ihre Mandat.

Die übrigen gewählten Mitglieder der kommunalen Selbstverwaltungsorgane blieben bis zum Beginn der Amtszeit der 1939 gewählten Räte am 1. Dezember 1939 im Amt.

Literatur

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