Unter Kollusion (von lat. colludere = gemeinsam spielen, zusammenspielen) versteht man in der Sozialpsychiatrie und Sozialpsychologie ein sich selbst weitgehend uneingestandenes, wenig reflektiertes, oft unbewusstes Einvernehmen, was sich als nur oberflächlich abgestimmtes Zusammenspiel zweier oder mehrerer Personen darstellt, und sich für Dritte häufig nachteilig auswirkt. Dieses Verhalten kann sich auf lange Sicht auch als nachteilig für die aktiv Beteiligten auswirken, da es sich mehr und mehr als falsches Spiel erweist. Es verletzt gesellschaftliche Regeln und beruht vielfach auf fragwürdig erscheinenden Machtpositionen. Es ist z. Tl. bestimmt durch unbewusste psychische Motive bzw. Konflikte, z. Tl. auch durch bewusst abgesprochene, aber heimlich vereinbarte Vorteile oder durch äußerlich übereinstimmende Interessen, die sich in der Folge als widersprüchlich erweisen. Es wird daher auch als Durchstecherei bezeichnet.[1][2][3][4]

Gestörtes Beziehungsmuster Bearbeiten

Hinsichtlich einer Zweierbeziehung hat Jürg Willi den Begriff Kollusion für Fälle geprägt, in denen die neurotischen Dispositionen beider Partner wie Schlüssel und Schloss zusammenpassen.[2] In diesen Fällen sind bestimmte zentrale Konflikte aus früheren seelischen Entwicklungsphasen beide Partner in ihrer Persönlichkeit nicht verarbeitet. Beide Seiten leben nun entgegengesetzte, sich zunächst aber ergänzende „Lösungsvarianten“ dieser inneren Konflikte aus. Die Partner spielen unbewusst füreinander oft klischeehafte und stereotype, wechselseitig komplementäre Ergänzungsrollen zur Aufrechterhaltung der Beziehung aus. Bei Paaren, bei denen z. B. eine narzisstische Störung im Vordergrund steht, findet sich oft eine Konstellation, in der einer der Partner bewundert werden will und der andere ihn gern bewundert und idealisiert, indem er seinen eigenen nicht gelebten Narzissmus an den anderen delegiert (im Sinne einer interpersonalen Abwehr), während gleichzeitig ein Stück von dessen grandiosem Abglanz auch auf ihn als Partner fällt. Im Zusammenleben kommt es in dem kollusiven Arrangement im Laufe der Zeit häufig zur zunehmenden Polarisierung mit der Folge, dass die gelebten Extrempositionen für einen oder beide Partner immer belastender werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der eine Partner immer unselbständiger, der andere immer selbständiger und dominanter wird.

Psychologie und Soziologie Bearbeiten

Das Konzept der Kollusion ist nicht nur auf die Familien- und Paartherapie beschränkt. Versteht man Familie als kleinste gesellschaftliche Einheit, so leuchtet ein, dass auch in größeren sozialen Verbänden und Gruppen ähnliche Strategien anzutreffen sind. Das Kollusionskonzept ist daher auch als Strategie im Bereich der Ideologiekritik verständlich. Auch die Bedeutung von rechtlicher Kollusion steht daher in engem Zusammenhang mit der psychologischen. Stavros Mentzos hat den Begriff der (interpersonalen) Kollusion daher auf institutionelle Abwehr ausgedehnt und hierfür den Begriff des psychosozialen Arrangements geprägt.[3][5] Die schillernde Bedeutung der Kollusion ergibt sich aus unterschiedlichen Normen im privaten und öffentlichen Bereich. Ein bestimmtes Milieu erfordert eine bestimmte Einstellung oder Bereitstellung. Da sich Kollusion schwerpunktmäßig im einzelpsychologischen Raum bemerkbar macht, kann man sie evtl. als Geheimbund auf privater Ebene auffassen, der zu einer gespaltenen Persönlichkeit führt oder die Kollusion als unversiegbare Quelle von Intrigen in der Öffentlichkeit ansehen.[6]

Beurteilung Bearbeiten

Es stellt sich die Frage, ob Kollusion hinreichend gegen Täuschung und bewusste Manipulation abzugrenzen ist. Als unbewusster Mechanismus ist er den beteiligten Personen meist nicht in seiner vollen Zielrichtung auffällig. Nur ein Außenstehender erkennt in der Regel die versteckte Zweckhaftigkeit einer Kollusion. Hier ist auch auf die allgemeine biologische Verbreitung ähnlicher Mechanismen hinzuweisen, siehe auch Mimikry, Anpassungsfähigkeit.

Literatur Bearbeiten

Anmerkungen Bearbeiten

  1. In dem Schauspiel Le balcon von Jean Genet kommt die Kollusion und ihre schillernde Widersprüchlichkeit spielerisch zum Ausdruck und damit die Gegensätzlichkeit der Darsteller in einer imaginären Handlung. Das deutlich erkennbare „falsche Spiel“ auf der Bühne, in dem herausragende gesellschaftliche Positionen wie die des Bischofs, des Richters und des Generals als Szenen in einem Luxusbordell dargestellt werden, kontrastiert mit der Erschütterung dieser deutlich erkennbar fiktiven Ordnung durch die in der Stadt tobende Revolution und erfährt durch diese Bedrohung eine quasi realistische Bedeutung. Die Frage nach der inneren Widersprüchlichkeit der äußeren Ordnung verbindet sich mit den in unserer Phantasie vorhandenen unausgesprochenen Vorstellungen. Indem Phantasien und Realität in einer Verstörtheit verschmelzen, wird der persönliche Standpunkt als Ort der Zuflucht deutlich.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Ronald D. Laing: Das Selbst und die Anderen. 3. Auflage, Rowohlt Taschenbuchverlag Reinbek bei Hamburg, Dez. 1977, ISBN 3-499-17105-8; S.  63, 66, 84-98, 130 zu Stw. „Kollusion“; Originalausgabe Self and Others 1961 Tavistock, London.
  2. a b Jürg Willi: Die Zweierbeziehung. Spannungsursachen / Störungsmuster / Klärungsprozesse / Lösungsmodelle – Analyse des unbewußten Zusammenspiels in Partnerwahl und Paarkonflikt: Das Kollusionskonzept. 1975, 1999 Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 31988, S. 115-119, 190, 174, 216 u. a. m.
  3. a b Stavros Mentzos: Interpersonale und institutionalisierte Abwehr. 1976, 1989 Suhrkamp, Frankfurt/Main.
  4. Uwe Henrik Peters: Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. Urban & Schwarzenberg, München 31984; S. 304 zu Wb.-Lemma: „Kollusion“.
  5. Stavros Mentzos: Neurotische Konfliktverarbeitung. Einführung in die psychoanalytische Neurosenlehre unter Berücksichtigung neuerer Perspektiven. © 1982 Kindler, Fischer-Taschenbuch, Frankfurt 1992, ISBN 3-596-42239-6; S. 256 ff. zu Stw. „Delegation, psychosoziales Arrangement“.
  6. Carl Gustav Jung: Definitionen. In: Gesammelte Werke. Walter-Verlag, Düsseldorf 1995, Paperback, Sonderausgabe, Band 6, Psychologische Typen, ISBN 3-530-40081-5, S. 496 f., § 800 zu Stw. „Hausengel - Gassenteufel“.

Siehe auch Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Kategorie:Psychiatrie Kategorie:Soziale Arbeit Kategorie:Sozialpsychologie Kategorie:Psychoanalyse Kategorie:Handlung und Verhalten