Alexei Alexandrowitsch Gorinow

russischer Kommunalpolitiker

Alexei Alexandrowitsch Gorinow (russisch Алексей Александрович Го́ринов; * 26. Juni 1961 in Moskau) ist ein russischer Kommunalpolitiker, Abgeordneter vom Moskauer Bezirk Krasnoselskij. Am 8. Juli 2022 wurde Gorinow nach dem Gesetz gegen «Falschaussagen über das russische Militär» (Artikel 207.3 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation) für seine kritische Äußerung zum Krieg in der Ukraine zu sieben Jahren Haftstrafe verurteilt. Er war damit der erste, der auf der Grundlage dieses Artikels zu einer tatsächlichen Haftstrafe verurteilt wurde. Gorinow gilt als politischer Gefangener.[1]

Alexei Alexandrowitsch Gorinow, 2022

Biographie Bearbeiten

Gorinow absolvierte 1984 die Moskauer Hochschule für Geodäsie, Luftbildaufnahmen und Kartographie und 2004 die Moskauer Staatliche Juristische Akademie.

Von 1990 bis 1993 war er Bezirksabgeordneter im Moskauer Stadtbezirks Dzerzhinskij und seit 2017 im Stadtbezirk Krasnosselskij. Gorinow ist parteilos und Mitglied der Bewegung Solidarnost („Solidarität“), die ihn unterstützte.

Er war Generaldirektor bei der Aktiengesellschaft „Waynett Trading“.

Strafverfolgung für die Antikriegsaussage Bearbeiten

Ratssitzung der Abgeordneten Bearbeiten

Am 15. März 2022, kurz nach dem Beginn von Russlands Überfall auf die Ukraine, fand die 5. Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung im Moskauer Bezirk Krasnosselskij statt. Da wurde bei der Planung von Freizeit-, Sozial-, Bildungs-, Gesundheits- und Sportarbeit ein Malwettbewerb für Kinder besprochen.

Er forderte, auf einen Malwettbewerb für Kinder in seinem Wahlkreis zu verzichten, solange in der Ukraine „jeden Tag Kinder sterben“. Gorinow sagte aus, dass so ein Wettbewerb während des Krieges gegen die Ukraine wie ein „Fest während der Pest“ aussehen würde. Gorinow sprach in der Diskussion zudem von „Krieg“ – und nicht wie offiziell vom Kreml vorgegeben von einer „militärischen Spezialoperation“. Die Sitzung wurde gefilmt und auf der Videoplattform YouTube verbreitet. Gorinows Worte wurden somit vom Gericht als öffentlich verbreitet gewertet.[2]

Unterstützt wurde er von der Leiterin des Stadtbezirks, Elena Kotjonotschkina, die ebenfalls strafrechtlich verfolgt wurde; deswegen verließ sie Russland.

Wegen seiner Antikriegsaussage wurde gegen Gorinow ein Strafverfahren nach Artikel 207.3 des Strafgesetzbuches: „Verbreitung bewusst falscher Informationen über die Handlungen der russischen Streitkräfte unter erschwerenden Umständen“ eingeleitet.[3] Der Ermittlung zufolge wurde die Straftat durch vorherige Verabredung, unter Ausnutzung seiner offiziellen Position und aus Hass oder Feindschaft begangen. Der 60-Jährige habe aus „politischem Hass“ gehandelt, sagte Richterin Olesja Mendelejewa.[4]

Strafprozess Bearbeiten

Am 26. April 2022 wurde Gorinow festgenommen, seine Wohnung und das Bezirksabgeordnetenhaus wurden durchsucht. Die Ermittlungen dauerten fünf Tage – vom 26. April bis zum 1. Mai. Die erste Anhörung des Falls Gorinows fand am 1. Juni im Moskauer Bezirksgericht Meschtschanskij statt. Der Staatsanwalt beantragte eine sechsmonatige Verlängerung von Gorinows Haft. Gorinow teilte mit, dass er an Tuberkulose erkrankt sei und dass es in der Untersuchungshaftanstalt an angemessener medizinischer Versorgung fehle. Dennoch genehmigte die Richterin den Antrag auf Verlängerung.

Das Gerichtsverfahren sollte nicht öffentlich sein. Laut Staatsanwaltschaft könnten Zuschauer und Journalisten „psychologischen Druck“ auf Zeugen der Anklage ausüben.

Die Staatsanwaltschaft behauptete, Gorinow und Kotenochkina hätten sich verabredet, während der Sitzung das russische Militär zu „diskreditieren“.

Der Kreml bezeichnet den Angriff auf die Ukraine als „Militäreinsatz“ und diesen als Krieg zu bezeichnen ist nach Vorschriften von Roskomnadsor verboten. Zu Gorinows Schutz erklärte der Anwalt, dass die Vorschriften von Roskomnadsor nur für Medien gälten, und es gebe keine Gesetze, die die Einhaltung dieser Vorschrift für Privatpersonen vorschrieben.

Am 8. Juli 2022 verurteilte die Richterin des Meschtschanski-Gerichts, Olesja Mendelejewa, Gorinow zu einer siebenjährigen Haftstrafe, die er in einer allgemeinen Strafkolonie verbüßen muss.

Während der Verhandlung verurteilte Gorinow die russische Invasion in der Ukraine: Ich gehe davon aus, dass Russland im 20. Jahrhundert sein Limit an Kriegen ausgeschöpft hat. Aber unsere Gegenwart ist Butscha, Irpen, Gostomel. Sagen Ihnen diese Namen etwas? Ihnen, Staatsanwaltschaft! Informieren Sie sich und sagen Sie später nicht, Sie hätten nichts gewusst. Seit fünf Monaten führt Russland einen Krieg und bezeichnet diesen verlegen als eine „Sonderoperation“. Uns werden Sieg und Ruhm versprochen. Warum also fühlen so viele meiner Mitbürger Scham und Schuld? Warum hat unser Land so viele Feinde bekommen? Kann es sein, dass bei uns etwas falsch ist? Lass uns darüber sprechen. Das habe ich nämlich bei der Vorstandssitzung auch getan. Und ich wurde von der Mehrheit der Anwesenden unterstützt. Und nun stehe ich vor Gericht.

Bei der Verhandlung am 19. September 2022 wurde Gorinows Strafe um einen Monat gekürzt und damit wurde er zu 6 Jahren und 11 Monaten verurteilt. Diese Strafmilderung war auf die Umformulierung der Anklageschrift zurückzuführen – die Version, dass „eine Gruppe von Personen“ (nämlich Gorinow und Kotjonotschkina) „im Rahmen einer vorläufigen Verabredung“ gehandelt hat, wurde gestrichen.[5]

In seinem letzten Wort entschuldigte sich Gorinow beim ukrainischen Volk dafür, dass er es nicht geschafft hatte, diesen Krieg zu beenden. Er sagte, dass die Macht des Gerichts, pazifistische Ansichten zu verfolgen, eine „Schande für unser Land“ sei.

Ende November 2022 wurde Gorinow in die Strafkolonie Nr. 2 in Pokrow (Region Wladimir)[6] überstellt. Dort verbüßten der Bürgerrechtler Konstantin Kotow und der Politiker Alexei Nawalny ihre Strafe. Die Rechtsanwältin Maria Eismont war früher im Fall von Kotow involviert und besuchte die Kolonie Nr. 2 mehrmals. Sie ist der Meinung, dass in der Kolonie Pokrow alles getan wird, um politische Gefangene von ihren Verteidigungsanwälten zu isolieren.

Bewertungen des Urteils Bearbeiten

2022 hat die unabhängige Menschenrechtsorganisation Memorial (Internationale Gesellschaft für historische Aufklärung, Menschenrechte und soziale Fürsorge „Memorial“) Alexej Gorinow als politischen Gefangenen anerkannt.

Nach Aussage von Bruce Millar, dem Experten für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International, ist das Urteil „eine rechtswidrige Vergeltungsmaßnahme wegen der Äußerung seiner Ansichten“, und Gorinow habe „den Krieg von Wladimir Putin gegen die Ukraine bei seinem Namen genannt[7] – dies stellt jedoch keine international als Straftat anerkannte Handlung dar.“

Die Menschenrechtsaktivistin Marina Litwinowitsch hält das Urteil im Fall Gorinow[8] für einen Schauprozess. Es solle dazu dienen, Abgeordnete und andere Beamte einzuschüchtern, damit niemand anderes an der Macht wagen würde, sich gegen den Krieg auszusprechen.

Gorinow selbst ist der Meinung, dass die vom Gericht festgelegte Strafe in keinem Verhältnis zu dem Schaden steht, den Russland der Ukraine zugefügt hat: Sieben Jahre Gefängnis – ist das viel oder wenig? […] Es ist unvorstellbar lang. Aber bedenken Sie, wie viele Menschen vom Krieg in der Ukraine betroffen sind. Jeder von ihnen verlor Jahre eines normalen, friedlichen Lebens. Einige verloren ihr Leben. Führen Sie die Multiplikation durch und versuchen Sie, das kosmische Ausmaß der Ereignisse zu erfassen, über die wir sprechen. Dies ist das Ausmaß der Verantwortung, das auf jedem einzelnen von uns ruht – einschließlich mir selbst. Und das Mindeste, was ich tun kann, ist, die Dinge beim richtigen Namen zu nennen.[9]

Verschlechterung von Gorinows Gesundheitszustand Bearbeiten

Vor seiner Inhaftierung befand sich Alexei Gorinow in einem schlechten Gesundheitszustand. Er hatte sich vor einigen Jahren einer Lungenoperation unterzogen, bevor er in Untersuchungshaft genommen wurde. Aufgrund der Haftbedingungen und der Tatsache, dass er keine angemessene medizinische Versorgung erhalten konnte, verschlechterte sich Gorinows Gesundheitszustand und er wurde am 9. Dezember 2022 krank. Nach einem zweitägigen Aufenthalt in der medizinischen Einrichtung erholte sich Gorinow nicht. Er litt weiterhin an hohem Fieber und Kurzatmigkeit. Nach einem öffentlichen Aufschrei willigten die Gefängnisbehörden ein, Gorinow in das Krankenhaus der Strafkolonie 3 in der Region Wladimir zu verlegen, berichtete die Online-Ausgabe von Radio Liberty. Die Strafkolonie ist berüchtigt für Folterungen. Hierhin wurde der Politiker Alexei Nawalny im April 2021 zur Behandlung verlegt.

Familie Bearbeiten

Alexei Gorinow ist verheiratet und hat einen Sohn.

Internationale Anerkennung Bearbeiten

Gorinow erhielt im November 2022 den Magnitsky-Preis. Er wird seit 2015 an öffentliche Persönlichkeiten verliehen, die einen Beitrag zum Kampf für die Menschenrechte geleistet haben.

Anfang Januar 2023 unterzeichneten 34 Mitglieder des Europäischen Parlaments ein Unterstützungsschreiben für Alexei Gorinow und bekundeten ihre Solidarität mit dem Abgeordneten in seinem „Wunsch nach einem freien und friedlichen Russland“.

Am 20. und 21. Januar fanden in mehr als 20 Ländern Aktionen[10] zur Unterstützung der politischen Gefangenen in Russland statt, bei denen Alexei Gorinow hervorgehoben wurde.

Im Februar 2023 forderten die Vereinten Nationen als Reaktion auf eine Beschwerde von Menschenrechtsaktivisten die sofortige Freilassung von Alexei Gorinow und verlangten von den russischen Behörden eine unabhängige Ermittlung.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Menschenrechtszentrum Memorial zählt 1000 politische Gefangene in Russland seit 2009 Website des Menschenrechtszentrums Memorial .
  2. Sieben Jahre Straflager – weil er »Krieg« sagte Artikel in Spiegel vom 8. Juli 2022.
  3. Haftstrafen für „Fake News“ über Armee Artikel in Tagesschau vom 4. März 2022
  4. Erste Haftstrafe wegen Kritik am Ukraine-Krieg Artikel in Tagesschau vom 8. Juli 2022
  5. Der russische Beamte Alexei Gorinov, der wegen Kritik am Ukraine-Krieg inhaftiert ist, hält eine letzte bewegende Redeg Artikel in Mein Stuttgart vom 20. September 2022
  6. Nawalny nennt sie „freundliche Konzentrationslager“: Russlands Strafkolonien Artikel in der Berliner Zeitung vom 21. Mai 2022
  7. RUSSLAND: SIEBEN JAHRE HAFT FÜR KOMMUNALPOLITIKER WEGEN KRITIK AM UKRAINEKRIEG Artikel auf der Website von Amnesty International vom 8. Juli 2022
  8. Wer vergessen wird, stirbt leise auf seinem Bett Artikel im "Russland Verstehen'-Projekt vom 28. Januar 2023
  9. Der russische Beamte Alexei Gorinov, der wegen Kritik am Ukraine-Krieg inhaftiert ist, hält eine letzte bewegende Rede Übersetzung der Rede Gorinows im Gericht. Artikel in Mein Stuttgart vom 24. April 2023
  10. „Russland muss verlieren“: Berliner Russen protestieren für ein Leben ohne Putin Artikel in Berliner Zeitung vom 23. Januar 2023