Weibull-Verteilung

stetige Wahrscheinlichkeitsverteilung über der Menge der positiven reellen Zahlen
(Weitergeleitet von Rosin-Rammler-Verteilung)

Die Weibull-Verteilung (nach Waloddi Weibull, 1951)[1] ist eine zweiparametrige Familie von stetigen Wahrscheinlichkeitsverteilungen über der Menge der positiven reellen Zahlen. Abhängig von ihren beiden Parametern ähnelt sie einer Normalverteilung oder asymmetrischen Verteilungen wie der Exponentialverteilung. Sie wird unter anderem zur statistischen Modellierung von Windgeschwindigkeiten oder zur Beschreibung der Lebensdauer und Ausfallhäufigkeit von elektronischen Bauelementen oder (spröden) Werkstoffen herangezogen. Wenn sie als Verteilung einer zufälligen Lebensdauer verwendet wird, berücksichtigt sie, anders als eine Exponentialverteilung, die Vorgeschichte eines Objekts, sie ist gedächtnisbehaftet und berücksichtigt die Alterung eines Bauelements nicht nur mit der Zeit, sondern in Abhängigkeit von seinem Einsatz. Sie lässt sich an steigende, konstante und fallende Ausfallraten technischer Systeme anpassen. Eine besondere Bedeutung hat die Weibull-Verteilung in der Ereigniszeitanalyse.

Weibull-Verteilung
Dichtefunktion
Dichtefunktion für verschiedene Formparameter
Verteilungsfunktion
Verteilungsfunktion für verschiedene Formparameter k
Parameter — Formparameter
— inverser Skalenparameter
Träger
Dichtefunktion
Verteilungsfunktion
Erwartungswert
Varianz

Definition Bearbeiten

Es gibt eine zweiparametrige und eine dreiparametrige Weibull-Verteilung. In vielen Anwendungen wird die zweiparametrige Weibull-Verteilung verwendet, die hier zunächst behandelt wird. Weiter unten gibt es einen Abschnitt zur dreiparametrigen Weibull-Verteilung.

Skalenparameter Bearbeiten

Der Skalenparameter ist  .

In manchen Anwendungen, insbesondere bei Zeitabhängigkeiten wird   durch seinen Kehrwert, die charakteristische Lebensdauer  , ersetzt.   ist bei Lebensdauer-Analysen jene Zeitspanne, nach der ca. 63,2 % der Einheiten ausgefallen sind.[2] Dieser Wert ist eine Kenngröße der Weibull-Verteilung.

 .

Wird kein Skalenparameter angegeben, so ist implizit   gemeint.

Formparameter Bearbeiten

Der Formparameter oder Weibull-Modul ist der Parameter  .

Alternativ werden gerne die Buchstaben   oder   verwendet.

In der Praxis typische Werte liegen im Bereich  .

Durch den Formparameter   lassen sich verschiedene speziellere Wahrscheinlichkeitsverteilungen realisieren:

Dichtefunktion, Verteilungsfunktion, Überlebensfunktion und Ausfallrate Bearbeiten

Gegeben sei eine Weibull-Verteilung[3] mit Parametern  .

Die Dichtefunktion ist

 

Die Verteilungsfunktion ist

 

Die Überlebensfunktion oder Zuverlässigkeitsfunktion, ist

 

Die Ausfallrate ist

 

Abweichende Parametrisierung Bearbeiten

Eine andere verbreitete Konvention ist die Parametrisierung durch  , d. h., die Weibull-Verteilung wird definiert als Verteilung mit den Parameter   und der Dichtefunktion

 

Diese Darstellung wird häufig in der statistischen Theorie und in Statistikprogrammen verwendet, da bei dieser Parametrisierung   ein Skalenparameter ist.

Eigenschaften Bearbeiten

Erwartungswert Bearbeiten

Der Erwartungswert der Weibull-Verteilung ist

 

mit der Gammafunktion  .

Varianz Bearbeiten

Die Varianz der Verteilung ist

 .

Schiefe Bearbeiten

Die Schiefe der Verteilung ist

 

mit dem Mittelwert   und der Standardabweichung  .

Entropie Bearbeiten

Die Entropie der Weibull-Verteilung (ausgedrückt in nats) beträgt

 

wobei   die Euler-Mascheroni-Konstante bezeichnet.

Anwendungen Bearbeiten

Bei Systemen mit unterschiedlichen Ausfallursachen wie beispielsweise technischen Komponenten lassen sich diese mit drei Weibull-Verteilungen so abbilden, dass sich eine „Badewannen-Kurve“ ergibt.[4] Die Verteilungen decken dann diese drei Bereiche ab:[5]

  • Frühausfälle mit  , beispielsweise in der Einlaufphase („Kinderkrankheiten“).
  • Zufällige Ausfälle mit   in der Betriebsphase
  • Ermüdungs- und Verschleißausfälle am Ende der Produktlebensdauer mit  

In der mechanischen Verfahrenstechnik findet die Weibull-Verteilung Anwendung als eine spezielle Partikelgrößenverteilung. Hier wird sie allerdings als Rosin-Rammler-Verteilung oder Rosin-Rammler-Sperling-Bennet-Verteilung (kurz RRSB-Verteilung) bezeichnet.

Für   gehört die Verteilung zu den Verteilungen mit schweren Rändern, deren Dichte langsamer als exponentiell abfällt.

Weibullnetz Bearbeiten

 
Weibullnetz

Trägt man die Verteilung in der Form

 

in einem doppelt logarithmischen Diagramm auf, welches auch als Weibullnetz bezeichnet wird, ergibt sich eine Gerade, bei der man den Parameter   leicht als Steigung ablesen kann. Die charakteristische Lebensdauer   kann dann folgendermaßen bestimmt werden:

 .

Hierbei bezeichnet   den y-Achsenabschnitt.

Oft kommt es vor, dass trotz Beanspruchung erst nach einer anfänglichen Betriebszeit   Ausfälle eintreten (beispielsweise infolge des Verschleiß von Bremsbelägen). Dies kann in der Weibull-Verteilungsfunktion berücksichtigt werden. Sie hat dann folgendes Aussehen:

 

Trägt man die Funktion wieder auf, ergibt sich keine Gerade, sondern eine nach oben konvexe Kurve. Verschiebt man alle Punkte um den Wert  , so geht die Kurve in eine Gerade über.

Windgeschwindigkeit Bearbeiten

 
Windgeschwindigkeitshäufigkeiten.

Die Grafik zeigt beispielhaft eine Messreihe von Windgeschwindigkeiten (grün). Ein Gauß-Fit (blau) nähert sich den Zahlen nur ungenügend. Weder gibt es negative Windgeschwindigkeiten noch ist die Verteilung symmetrisch. Eine Weibull-Verteilung führt einen zweiten freien Parameter ein. Durch sie wird die Verteilung für große und kleine Windgeschwindigkeiten sehr gut approximiert, ebenso die Werte um das Maximum. Aus den Fitparametern   und   folgt ein Erwartungswert von 4,5 m/s, in guter Übereinstimmung mit dem Wert von 4,6 m/s bestimmt aus den Messwerten.

Dreiparametrige Weibull-Verteilung Bearbeiten

Es gibt eine dreiparametrige Weibull-Verteilung[6][7] die durch Erweiterung der zweiparametrigen Weibull-Verteilung mit einem zusätzlichen Verschiebungsparameter erfolgt, der aus statistischer Sicht ein Lageparameter ist.

Definition Bearbeiten

Eine Zufallsvariable   heißt dreiparametrig Weibull-verteilt mit dem zusätzlichen Lageparameter  , falls die Zufallsvariable   (zweiparametrig) Weibull-verteilt ist.

Eigenschaften Bearbeiten

  • Eine dreiparametrig Weibull-verteilte Zufallsvariable   mit den Parametern  ,   und dem Lageparameter   hat die Dichtefunktion
 
und die Verteilungsfunktion
 
  • Für jeden fixierten Parameter   bildet die zweiparametrige Familie der Dichtefunktionen   eine Lage-Skalen-Familie mit dem Lageparameter   und dem Skalenparamater  .
  • Wenn die Zufallsvariable   eine zweiparametrige Weibull-Verteilung mit den Parametern   und   hat, dann hat die Zufallsvariable   eine dreiparametrige Weibull-Verteilung mit den Parametern  ,   und  . Damit ergibt sich unmittelbar
 
und
 
Die dreiparametrig Weibull-verteilte Zufallsvariable   hat also einen um den Wert   verschobenen Erwartungswert im Vergleich zur zweiparametrig Weibull-verteilten Zufallsvariable  , aber dieselbe Varianz.

Gespiegelte Weibull-Verteilung Bearbeiten

Die Zufallsvariable   sei Weibull-verteilt. Dann hat die Zufallsvariable   eine gespiegelte Weibull-Verteilung (engl.: reverse-Weibull distribution).[8] Es gilt   und  . Wenn   die Verteilungsfunktion von   bezeichnet, dann hat die Variable   die Verteilungsfunktion

 ,

da

 

wobei das vorletzte Gleichheitszeichen gilt, da   eine stetige Zufallsvariable ist.

Die Familie der Verteilungsfunktionen

 

gespiegelter Weibull-Verteilungen tritt in der Extremwerttheorie als Verteilungstyp möglicherer Extremwertverteilungen bei der Untersuchung der Maxima unabhängig und identisch verteilter Zufallsvariablen auf.[8] Die zugehörigen Verteilungen werden als Extremwertverteilungen vom Typ III oder als Extremwertverteilungen vom Weibull-Typ bezeichnet. Irritierend kann sein, dass manche Autoren gespiegelte Weibull-Verteilungen als Weibull-Verteilungen bezeichnen.[9]

Beziehung zu anderen Verteilungen Bearbeiten

Beziehung zur Exponentialverteilung Bearbeiten

  • Man sieht, dass der Fall   die Exponentialverteilung   ergibt. Mit anderen Worten: Die Exponentialverteilung behandelt Probleme mit konstanter Ausfallrate  . Untersucht man jedoch Fragestellungen mit steigender ( ) oder fallender ( ) Ausfallrate, dann geht man von der Exponentialverteilung zur Weibull-Verteilung über.
  • Ist der Parameter  , dann wird ein System mit einer mit der Zeit ansteigenden Ausfallrate, also ein alterndes System, beschrieben.
  • Besitzt   eine Exponentialverteilung   mit Parameter  , dann besitzt die Zufallsvariable   eine Weibull-Verteilung  . Zum Beweis betrachte man die Verteilungsfunktion von  :
     .
    Das ist die Verteilungsfunktion einer Weibull-Verteilung.

Gestreckte Exponentialfunktion Bearbeiten

Die Funktion

 

wird als gestreckte Exponentialfunktion bezeichnet.

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Commons: Weibull-Verteilung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen Bearbeiten

  1. Waloddi Weibull: A statistical distribution function of wide applicability. In: Journal of Applied Mechanics. Band 18, Nr. 3, 1951, S. 293–297, doi:10.1115/1.4010337.
  2. Thomas Cloodt: Zuverlässigkeit und Lebensdauer. In: cloodt.de. Clodt Verlag, 2014, abgerufen am 28. Juni 2021.
  3. Ayse Kizilersu, Markus Kreer, Anthony W. Thomas: The Weibull distribution. In: Significance. 15. Jahrgang, Nr. 2, 2018, S. 10–11, doi:10.1111/j.1740-9713.2018.01123.x.
  4. Siehe auch: en:Exponentiated Weibull distribution
  5. Zuverlässigkeitssicherung bei Automobilherstellern und Lieferanten. 3. Auflage. VDA, Frankfurt a. M. 2000, ISSN 0943-9412, Abschnitt 2.4.3. (Qualitätsmanagement in der Automobilindustrie 3)
  6. Horst Rinne: Taschenbuch der Statistik. 4. Auflage. Harri Deutsch, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-8171-1827-4, 3.9.5 Weibull-Verteilung, S. 295–298.
  7. P. H. Müller (Hrsg.): Lexikon der Stochastik – Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik. 5. Auflage. Akademie-Verlag, Berlin 1991, ISBN 978-3-05-500608-1, Weibull-Verteilung, S. 493–494.
  8. a b Laurens de Haan, Ana Ferreira: Extrem Value Theory. An Introduction. Springer, New York 2006, ISBN 978-1-4419-2020-1, S. 10, doi:10.1007/0-387-34471-3.
  9. Paul Embrechts, Thomas Mikosch, Claudia Klüppelberg: Modelling extremal events (= Stochastic Modelling and Applied Probability. Band 33). Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York 1997, ISBN 3-540-60931-8, S. 152, 154, doi:10.1007/978-3-642-33483-2.