Zentralna Rada

ehem. ukrainisches Parlament

Die Zentralna Rada (ukrainisch Центральна Рада; deutsch Zentralversammlung, Zentralrat) war das politische Entscheidungsorgan der revolutionären Ukraine und der Ukrainischen Volksrepublik von 1917 bis 1920.

Gebäude der Zentralna Rada in Kiew

Geschichte Bearbeiten

1917 Bearbeiten

 
Die Mitglieder des Generalsekretariats am 5. Juli 1917 (von links nach rechts). Stehend: P. Chrystjuk, M. Stasjuk, B. Martos. Sitzend: I. Steschenko, C. Baranowskyj, W. Wynnytschenko, S. Jefremow, S. Petljura

Am 17. März 1917 versammelten sich auf Initiative der Gesellschaft der Ukrainischen Fortschrittler (Towarystwo Ukrainskych Postupowziw)[1] in Kiew Repräsentanten politischer, kultureller und beruflicher Organisationen, um aus ihrer Mitte eine provisorische Regierung zu bilden, die an die Stelle der inzwischen abgeschafften zaristischen Regierungsbehörden treten sollte. Zum Vorsitzenden dieses ukrainischen Volksrats wurde am 20. März 1917 Mychajlo Hruschewskyj gewählt.[2][3][4][5]

Auf dem Gesamtukrainischen Nationalkongress vom 19. bis 21. April 1917 mit rund 900 Delegierten von politischen Parteien, Bauernorganisationen, ländlichen und städtischen Selbstverwaltungen, Militärorganisationen, Kultur- und Bildungseinrichtungen, kirchlichen Institutionen, sowie den ukrainischen Gouvernements wurden zunächst 115 Deputierte in die Zentralna Rada gewählt, der fortan höchsten nationalen Autorität.[6][7] Die Ukrainische Sozialdemokratische Arbeiterpartei[8] und die Ukrainische Partei der Sozialrevolutionäre hatten bestimmendes Gewicht in der Zentralrada.

Nach dem ersten Allukrainischen Bauern-Kongress (10.–16. Juni 1917)[9][10], dem Zweiten Allukrainischen Militär-Kongress (18.–23. Juni 1917),[11][12] sowie nach dem All-ukrainischen Arbeiter-Kongress (24.–27. Juli 1917)[13] wurde die Zentralrada um Repräsentanten dieser Kongresse erweitert. (Bis Ende Juli 1917 war die Gesamtzahl der Deputierten der Zentralrada auf 822 angewachsen).

In ihrem 1. Universal vom 23. Juni 1917[14][15] forderte die Zentralrada Autonomie für die Ukraine[16] innerhalb eines demokratischen und föderativ organisierten Russlands, Festlegung der Grenzen der Ukraine, sowie die Teilnahme an einer zukünftigen Friedenskonferenz.[2][17][18] Wenige Tage nach Verabschiedung des 1. Universals wurde auf Vorschlag der UPSR (Ukrajins’ka Partija Sotsialistiw-Rewljutsioneriw – Sozialrevolutionäre) zunächst ein „Komitee der Zentralrada“ (so genannte „Kleine Rada“) gebildet, bis am 28. Juni 1917 sämtliche legislative Entscheidungskompetenzen auf ein so genanntes 9-köpfiges Generalsekretariat – unter dem Vorsitz von Wolodymyr Wynnytschenko (USDRP) – übergingen. Die meisten Posten lagen in Händen der USDRP (mit dem Vorsitzenden insgesamt 4) und UPSR (2), 1 UPSF (Ukrainska Partiia Sotsialistiw-Federalistiw), 2 Unabhängige.[19][20][21]

Die Forderung nach Autonomie führte zum Konflikt mit der Provisorischen Regierung (Russlands), die die Auffassung vertrat, Generalsekretariat und Zentralrada seien ihr weiterhin untergeordnet. Man handelte einen Kompromiss aus: Die Provisorische Regierung (Russlands) erkannte das Generalsekretariat als oberstes Regierungsorgan der Ukraine an. Die Mitglieder des Generalsekretariats sollten aber von der Provisorischen Regierung (Russlands) – auf Empfehlung der Rada – ernannt werden. Das Generalsekretariat und die Zentralrada erkannten im Gegenzug die Provisorische Regierung (Russlands) an. Die Ukraine nahm Abstand von einer „einseitigen“ (unilateral) Autonomie. Diese Vereinbarung schlug sich im 2. Universal (16. Juli 1917) nieder.[15]

Ukrainische Volksrepublik Bearbeiten

Am 7. Novemberjul. / 20. November 1917greg. rief die Zentralna Rada mit ihrem 3. Universal die Ukrainische Volksrepublik als autonomen Staat innerhalb des föderativen neuen Russlands aus.[15] Am 12. Novemberjul. / 25. November 1917greg. organisierte sie Wahlen, bei denen die Bolschewiki 25 % und die anderen Parteien 75 % der Stimmen erhielten. Am 22. Januar 1918 erklärte sie die staatliche Unabhängigkeit der Ukrainischen Volksrepublik von Russland auf dem 4. Universal.[15]

Am 7. Februar 1918 wurde die Zentralna Rada aus Kiew vertrieben, nachdem die sowjetrussischen Roten Garden die Stadt erobert hatten. Am 4. März wurde sie durch deutsche Interventionstruppen wieder eingesetzt.

Am 29. April wurde die Zentralna Rada durch ein Hetmanat abgelöst. Nach dem 14. Dezember wurde sie wieder politisches Entscheidungsgremium der Ukrainischen Volksrepublik.

1919 bis 1920 Bearbeiten

Im Januar 1919 wurde die Zentralna Rada durch die Bolschewiki aus Kiew vertrieben und existierte in den noch nicht von der Sowjetukraine eroberten Gebieten bis 1920.

Bewertungen Bearbeiten

Die Zentralna Rada war das erste Selbstverwaltungsgremium für die Ukraine nach der Februarrevolution 1917. Es strebte nach einer größtmöglichen Autonomie der Ukraine von Russland. Die führenden Parteien waren anfangs gemäßigte Arbeiterparteien, die Bolschewiki waren kaum beteiligt.

Aus Sicht der Sowjetunion war es ein konterrevolutionäres Konstrukt bourgeoiser und semi-bourgeoiser nationalistischer ukrainischer Parteien, das nur von 1917 bis 1918 bestand.[22]

 
Zentralna Rada-Gebäude (Haus der Lehrer) mit Hruschewskyj-Denkmal und der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine

Heutiges Gebäude Bearbeiten

 
50-Hrywen-Schein, 2004

In dem Gebäude an der Wolodymyrska-Straße im Stadtzentrum von Kiew befindet sich heute das Pädagogische Museum (Педагогічний музей), daher ist das Haus auch als Haus der Lehrer bekannt.

Am 22. Januar 2009 eröffnete der Präsident der Ukraine Wiktor Juschtschenko im Gebäude das Museum der Ukrainischen Volksrepublik.[23]

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Society of Ukrainian Progressives in Encyclopedia of Ukraine (online) (University of Toronto)
  2. a b Internet Encyclopedia of Ukraine (University of Toronto): Central Rada
  3. Internet Encyclopedia of Ukraine (University of Toronto): Mykhailo Hrushevsky
  4. Frank Grelka: Die ukrainische Nationalbewegung unter deutscher Besatzungsherrschaft 1918 und 1941/42. Wiesbaden 2005, S. 56 f.
  5. Frank Golczewski: Deutsche und Ukrainer 1914 – 1939. Paderborn 2010, S. 163.
  6. Encyclopedia of Ukraine (University of Toronto): All-Ukrainian National Congress
  7. Frank Grelka: Die ukrainische Nationalbewegung unter deutscher Besatzungsherrschaft 1918 und 1941/42. Wiesbaden 2005, S. 57 f.
  8. Internet Encyclopedia of Ukraine (University of Toronto): Ukrainian Social Democratic Workers' party
  9. Internet Encyclopedia of Ukraine (University of Toronto): All-Ukrainian peasant congresses
  10. Internet Encyclopedia of Ukraine (University of Toronto): All-Ukrainian Council of Peasants' Deputies
  11. Internet Encyclopedia of Ukraine (University of Toronto): All-Ukrainian military congresses
  12. Internet Encyclopedia of Ukraine (University of Toronto): All-Ukrainian Council of Military Deputies
  13. Internet Encyclopedia of Ukraine (University of Toronto): All-Ukrainian workers' congresses
  14. Internet Encyclopedia of Ukraine (University of Toronto): Universals of the Central Rada
  15. a b c d Taras Hunczak (Hrsg.): The Ukraine, 1917–1921. A Study in Revolution. Harvard Univ. Press, Cambridge, Mass. 1977, ISBN 0674920090, S. 382ff.: Appendix: The Four Universals (vollständ. Texte/engl.)
  16. Internet Encyclopedia of Ukraine (University of Toronto): Autonomy
  17. Frank Grelka: Die ukrainische Nationalbewegung unter deutscher Besatzungsherrschaft 1918 und 1941/42. Wiesbaden 2005, S. 58.
  18. Encyclopedia of Ukraine (University of Toronto): All-Russian Constituent Assembly
  19. Internet Encyclopedia of Ukraine (University of Toronto): General Secretariat of the Central Rada
  20. Internet Encyclopedia of Ukraine (University of Toronto): Vynnychenko, Volodymyr
  21. Frank Grelka: Die ukrainische Nationalbewegung unter deutscher Besatzungsherrschaft 1918 und 1941/42. Wiesbaden 2005, S. 59.
  22. Soviet Encyclopedia: The Central Rada in a scope of the Soviet perspective
  23. Das Museum der Ukrainischen Volksrepublik (Memento vom 17. Mai 2014 im Webarchiv archive.today); zuletzt abgerufen am 17. Mai 2014.

Koordinaten: 50° 26′ 41,1″ N, 30° 30′ 48,6″ O