Ulnare Hemimelie

seltene angeborene Fehlbildung mit Fehlen (Aplasie) oder Unterentwicklung (Hypoplasie) der Ulna (Elle) mit Verkürzung des Unterarmes und Fehlstellung der Hand
Klassifikation nach ICD-10
Q71.5 Longitudinaler Reduktionsdefekt der Ulna
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Die Ulnare Hemimelie ist eine seltene angeborene Fehlbildung mit Fehlen (Aplasie) oder Unterentwicklung (Hypoplasie) der Ulna (Elle) mit Verkürzung des Unterarmes und Fehlstellung der Hand.[1][2]

Bei dieser ulnaren Hemimelie liegt meist eine spitzwinklige Ankylose im Ellbogengelenk vor, häufig mit weiteren Fehlbildungen der Nieren oder Lippen-Kiefer-Gaumenspalte verknüpft.[1]

Synonyme sind: Ulnare Klumphand; Kongenitale longitudinale Ulnadefizienz; Ulnare longitudinale Meromelie; Oligodaktylie-Syndrom Hertwig-Weyers/Grebe-Weyers; Weyers-Oligodaktylie-Syndrom; Ulnare Ektromelie

Die Namensbezeichnungen beziehen sich auf die Erstbeschreibung aus dem Jahre 1943 durch Hans Grebe[3] und auf den Hamburger Pädiater Helmut Weyers.[4]

Verbreitung Bearbeiten

Die Erkrankung tritt meist sporadisch auf. Die Häufigkeit wird auf 1 zu 25.000–100.000 geschätzt, sie ist etwa 10 mal seltener als die Radiale Hemimelie.[5] Das männliche Geschlecht ist im Verhältnis 3:2 häufiger betroffen.[6][2][7][8] Die Vererbung erfolgt zumindest teilweise autosomal-rezessiv.[1]

Es besteht eine Assoziation mit anderen Skelettdysplasien wie Syndaktylie, sie kann auch im Rahmen folgender Syndrome auftreten:[7][6]

Ursache Bearbeiten

Als Ursache wird eine Störung während der 4. bis 7. Woche der Embryonalentwicklung angenommen in Form einer Unterbrechung im Hedgehog-Signalweg (sonic hedgehog), der für die Entwicklung der ulnarseitigen Unterarmstrukturen verantwortlich ist.[2]

Durch Cyclophosphamid und Busulfan können Ulnardefekte verursacht werden. Im Gegensatz zur fast 5 mal häufigeren Radialen Hemimelie besteht kein Zusammenhang mit Thalidomid.[6]

Einteilung Bearbeiten

Folgende Klassifikation nach L. G. Bayne ist gebräuchlich:[9]

  • Typ I: Ulnahypoplasie: leichte ulnare Deviation, Hypoplasie des ulnaren

Fingers bis zur fingerlosen Hand

  • Typ II: Partielle Ulnaaplasie: stabiler Ellbogen, deutliche ulnare Deviation,

Anlage vorhanden, Radiuskopf kann luxiert sein

  • Typ III: Totale Ulnaaplasie: keine ulnare Anlage, Radius nicht verbogen, keine ulnare Deviation, Ellbogen instabil, Radiuskopf luxiert
  • Typ IV: Radiohumerale Synostose: ulnare Anlage ist vorhanden, Radius verbogen, ulnare Deviation

Klinische Erscheinungen Bearbeiten

Klinische Kriterien sind:[2][1][7][5]

  • Manifestation bei Geburt
  • häufigste Form ist die Teilaplasie mit Fehlen des distales Drittels (etwa 66 %), seltener sind vollständige Aplasie und Hypoplasie
  • beidseitig in 22 bis 60 %,[8] die rechte Seite häufiger betroffen
  • mitunter ist eine bindegewebige Anlage der Ulna erhalten, die die Fehlstellung der Handwurzel durch Zug verstärken kann
  • meist ist das Ellbogengelenk verändert, spitzwinklige Ankylose, ventrales Pterygium sind möglich
  • an der Hand können die drei ulnaren Finger fehlen, der Daumen verändert sein. Der Zeigefinger ist fast immer normal, der Daumen angelegt. Die Hand neigt sich zur ulnaren Seite, Syndaktylien sind häufig
  • Musculus flexor carpi ulnaris und Musculus extensor carpi ulnaris fehlen meist

Hinzu können weiter Mamillenabstand, Nierenfehlbildung, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Hypoplasie des Unterkiefers und Fibulaaplasie kommen.[1]

Diagnose Bearbeiten

Die Diagnose ergibt sich aus den klinischen Befunden und den Ergebnissen der Röntgenuntersuchung.[7][2][5] Bereits vorgeburtlich ist mittels Feinultraschall eine Erfassung der Fehlbildung möglich.

Differentialdiagnostik Bearbeiten

Abzugrenzen sind:[2][1][7]

Therapie Bearbeiten

Die Behandlung erfolgt in der Regel konservativ. Nur selten sind operative Korrekturen erforderlich.[5][7][2]

Literatur Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c d e f Bernfried Leiber (Begründer): Die klinischen Syndrome. Syndrome, Sequenzen und Symptomenkomplexe. Hrsg.: G. Burg, J. Kunze, D. Pongratz, P. G. Scheurlen, A. Schinzel, J. Spranger. 7., völlig neu bearb. Auflage. Band 2: Symptome. Urban & Schwarzenberg, München u. a. 1990, ISBN 3-541-01727-9.
  2. a b c d e f g Hemimelie, ulnare. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten).
  3. H. Grebe: Erbpathologische Arbeitsgemeinschaft. In: Der Erbarzt, 1943, Band 11, S. 152–155.
  4. H. Weyers: Das Oligodaktyliesyndrom des Menschen und seine Parallelmutation bei der Hausmaus. In: Ann Paediat, 1957, Band 189, S. 351–370.
  5. a b c d F. Hefti: Kinderorthopädie in der Praxis. Springer 1998, S. 489, ISBN 3-540-61480-X.
  6. a b c Adrian E. Flatt: The care of congenital hand anomalies. 2. Aufl., 1994, ISBN 0-942219-35-X.
  7. a b c d e f Radiopaedia
  8. a b A. K. Martini: Angeborene Fehlbildungen. In: A. K. Martini (Hrsg.): Ellenbogen, Unterarm, Hand. 1. Auflage. 2003; doi:10.1055/b-001-2156, Thieme Vlg (PDF)
  9. L. G. Bayne: Ulnar club hand (Ulnar deficiencies). In: D. P. Green (Hrsg.): Operative hand surgery. Band 1. 2. Auflage. 1982, S. 245–57
  10. Pseudarthrose der Ulna, kongenitale. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten).
  11. Robinow-Syndrom, autosomal-rezessives. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten).