Turingery
Die Turingery (auch genannt: Turingismus oder Turing's Method) war eine vom britischen Kryptoanalytiker Alan Turing im Juli 1942 in der Forschungsabteilung von Bletchley Park (B.P.)[1] ersonnene und nach ihm benannte kryptanalytische Methode zum Bruch der von der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg zur Verschlüsselung ihrer hochgeheimen strategischen Funkfernschreibverbindungen eingesetzten Lorenz-Schlüsselmaschine (Eigenbezeichnung: Schlüsselzusatz 40; kurz: SZ 40; englischer Deckname Tunny;[2] deutsch „Thunfisch“).
Vorgeschichte
BearbeitenNach geglücktem ersten Einbruch in zwei von den Briten am 30. August 1941 abgefangene deutsche Funksprüche von der Funkfernschreibstrecke von Athen nach Wien durch den britischen Kryptoanalytiker John Tiltman[3] und anschließender Aufklärung der grundlegenden Funktionsweise der deutschen Rotor-Schlüsselmaschine durch den britischen Codebreaker Bill Tutte ging es darum, weiter Tunny-Nachrichten mit anderen Schlüsseln brechen zu können. Dazu war es erforderlich, die von den Deutschen schlüsselabhängig gewählte Einstellung der insgesamt 501 (= 43 + 47 + 51 + 53 + 59 + 37 + 61 + 41 + 31 + 29 + 26 + 23) frei einstellbaren Nocken (englisch cams) zu erschließen. Dieser wichtige Schritt wurde als wheel breaking (deutsch „Walzenbrechen“) bezeichnet.
Methode
BearbeitenAm 1. Juli 1942 übernahm die Testery unter der Leitung von Ralph Tester diese Aufgabe und führte sie bis zum Kriegsende in Europa erfolgreich fort. Dazu verwendete sie zunächst die von Turing entwickelte Methode. Diese basiert auf der Differenzbildung zweier abgefangener Funksprüche, die als depth verdächtigt wurden. Damit sind zwei Geheimtexte gemeint, die mit demselben, oder zumindest „fast“ gleichem, möglicherweise leicht „phasenverschobenem“, Schlüssel verschlüsselt worden waren.[4] (Der deutsche Fachbegriff für diesen Fall ist „Klartext-Klartext-Kompromittierung“.) Ein wichtiges Indiz dafür erkannten die Briten in dem von den Deutschen zu dieser Zeit noch allzu sorglos gewähltem zwölfstelligen indicator (Spruchschlüssel), wie beispielsweise HQIBPEXEZMUG, der die Anfangsstellungen der zwölf wheels („Räder“, wie es die Deutschen nannten) spezifizierte.
Durch Differenzbildung zweier abgefangener und phasenrichtig justierter depths konnten die Briten den Schlüssel erschließen und anschließend dessen Charakteristiken untersuchen. Dabei benutzten sie, so wie Turing es vorgeschlagen hatte, statistische Methoden, die die Schwäche der verwendeten mechanischen „pseudo-zufälligen“ Rotation der fünf Spring-Räder der deutschen Maschine ausnutze.
“Turingery introduced the principle that the key differenced at one, now called ΔΚ, could yield information unobtainable from ordinary key. This Δ principle was to be the fundamental basis of nearly all statistical methods of wheel-breaking and setting.”
„Die Turingery führte das Prinzip ein, dass eine Schlüsseldifferenz, nun genannt ΔΚ, Informationen erbringen konnte, die von einem gewöhnlichen Schlüssel nicht abgeleitet werden konnten. Dieses Δ-Prinzip wurde die grundlegende Basis für nahezu alle statistische Methoden zum Walzenbrechen und zur Stellung[sermittlung der Walzen].“[5]
Literatur
Bearbeiten- James A. Reeds, Whitfield Diffie, J. V. Field: Breaking Teleprinter Ciphers at Bletchley Park: An edition of I. J. Good, D. Michie and G. Timms: General Report on Tunny with Emphasis on Statistical Methods (1945). Wiley-IEEE Press, 2015, ISBN 978-0-470-46589-9.
- Donald Michie: Colossus and the Breaking of the Wartime "Fish" Codes. Cryptologia, 26:1, S. 22, 2002. doi:10.1080/0161-110291890740. DOC; 220 kB.
Weblinks
Bearbeiten- Jack Copeland: Colossus: Breaking the German ‘Tunny’ Code at Bletchley Park. The Rutherford Journal (englisch). Abgerufen am 9. Januar 2017.
- Lorenz SZ-40/42 im Crypto Museum (englisch). Abgerufen am 9. Januar 2017.
- General Report on Tunny (GRT) im AlanTuring.net (englisch). Abgerufen am 9. Januar 2017.
- Teil des General Report on Tunny (GRT) formatiert von Tony Sale, 2001. PDF; 430 kB (englisch). Abgerufen am 9. Januar 2017.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Gordon Welchman: The Hut Six Story – Breaking the Enigma Codes. Allen Lane, London 1982; Cleobury Mortimer M&M, Baldwin Shropshire 2000, ISBN 0-947712-34-8, S. 11.
- ↑ Donald Michie: Colossus and the Breaking of the Wartime „Fish“ Codes. In: Cryptologia. Band 26, Nr. 1, 2002, S. 17–58, doi:10.1080/0161-110291890740 (archive.org).
- ↑ Friedrich L. Bauer: Entzifferte Geheimnisse. Methoden und Maximen der Kryptologie. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage. Springer, Berlin u. a. 2000, S. 388.
- ↑ James A. Reeds, Whitfield Diffie, J. V. Field: Breaking Teleprinter Ciphers at Bletchley Park: An edition of I. J. Good, D. Michie and G. Timms: General Report on Tunny with Emphasis on Statistical Methods (1945). Wiley-IEEE Press, 2015, S. 396 (englisch). ISBN 978-0-470-46589-9.
- ↑ James A. Reeds, Whitfield Diffie, J. V. Field: Breaking Teleprinter Ciphers at Bletchley Park: An edition of I. J. Good, D. Michie and G. Timms: General Report on Tunny with Emphasis on Statistical Methods (1945). Wiley-IEEE Press, 2015, S. 330 (englisch). ISBN 978-0-470-46589-9.