Stella Gaitano

südsudanesische Schriftstellerin

Stella Gaitano (arabisch إستيلا قايتانو, * November 1979 in Khartum, Sudan) ist eine südsudanesische Schriftstellerin und Aktivistin für Menschenrechte, die in der Hauptstadt Khartum des bis 2011 ungeteilten Sudan aufwuchs. Sie ist für ihre Werke bekannt, in denen es oft um die harten Lebensbedingungen von Menschen aus dem Süden des ehemaligen Sudan geht, die Diskriminierung und Militärdiktatur oder Krieg und Vertreibung ertragen mussten. Nach der Unabhängigkeit des Südsudans veröffentlichte sie auch Kurzgeschichten über das Leben in ihrem neuen Land.

Obwohl sie sich aufgrund ihrer Biografie beiden sudanesischen Staaten zugehörig fühlt, musste sie wegen ihrer Kritik an der Regierung des Südsudans 2015 das Land verlassen und nach Khartum zurückkehren. 2022 flüchtete sie mit Hilfe des Writers-in-Exile-Programms des deutschen PEN-Zentrums nach Deutschland.

Biografie Bearbeiten

Gaitano wurde in Khartum als Tochter von Eltern geboren, die aus dem Gebiet des heutigen Südsudan vertrieben wurden und nach Khartum gezogen waren. Sie erlernte als Kind zunächst die sudanesische Umgangssprache und die Muttersprache ihrer Eltern, Lotuko, die Sprache einer Ethnie im südlichen Sudan. Dabei lernte sie auch Geschichten aus der mündlichen Überlieferung ihres Umfelds kennen und begann erst im Alter von zehn Jahren, die im Sudan offiziell verwendete Schriftsprache Arabisch zu lesen und zu schreiben. Während ihres Studiums der Pharmazie an der Universität Khartum studierte sie später auf Englisch und Hocharabisch.[1][2]

Ihre literarischen Werke verfasst Gaitano auf Arabisch. In einem Artikel von 2015 des sudanesischen Journalisten Isma'il Kushkush für die New York Times sagte sie dazu: „Ich liebe sowohl die arabische Sprache als auch, in ihr zu schreiben. Es ist die sprachliche Form, in die ich meine persönlichen Geschichten und meine Kultur einfließen lassen möchte.“ Sie fügte hinzu: „Es war mir wichtig, dass die Nordsudanesen erkennen, dass es ein Leben, Werte und ein Volk gibt, das eine andere Kultur als die ihre hat und das Raum braucht, um anerkannt und respektiert zu werden.“ Als frühe Inspiration für ihr eigenes Schreiben nannte sie dabei den sudanesischen Schriftsteller At-Tayyib Salih sowie arabische Übersetzungen der Werke von Gabriel García Márquez und Isabel Allende.[3]

Durch die Gründung des Südsudans verlor Gaitano ihre ursprüngliche sudanesische Staatsbürgerschaft und zog 2012 nach Juba, der Hauptstadt des Südsudans. Sie arbeitete als Apothekerin und verfolgte gleichzeitig ihre literarische Laufbahn. Als dort die neueste Sammlung von Kurzgeschichten von Stella Gaitano veröffentlicht wurde, nannte sie ein südsudanesischer Kommentator „unsere Botschafterin in der arabischen Welt“.[3] Während ihres Aufenthalts in Juba engagierte sich Gaitano für mehrere humanitäre und Bildungsprojekte.[4]

Im Jahr 2015 musste Gaitano nach Khartum zurückkehren, nachdem sie wegen ihrer Kritik an der südsudanesischen Regierung wegen Misswirtschaft, Korruption und ihrer Politik im südsudanesischen Bürgerkrieg schikaniert und angegriffen worden war. Als sie sich für die Menschenreichte in Darfur gegenüber der Regierung in Khartum engagierte, wurden sie und ihre Kinder erneut bedroht und tätlich angegriffen.[5]

Im Jahr 2022 erhielt Gaitano ein Stipendium des PEN International Writers-in-Exile-Programms und lebt seither in Kamen.[6][7] Am 11. September desselben Jahres nahm sie am Internationalen Literaturfestival Berlin teil und sprach gemeinsam mit der Schriftstellerin Sabah Sanhouri aus Khartum auf einer Podiumsdiskussion über zeitgenössische sudanesische Literatur.[8]

Werke und Rezeption Bearbeiten

Withered Flowers (dt. Verwelkte Blumen), Gaitanos erste ins Englische übersetzte Sammlung von Kurzgeschichten, erzählt von Menschen, die durch Konflikte im Süden des Sudan, in Darfur und in den Nuba-Bergen vertrieben wurden und gezwungen waren, in Lagern in den Außenbezirken von Khartum zu leben. Sie schrieb diese Geschichten bereits zwischen 1998 und 2002, als sie noch Studentin war. Dabei benutzte sie verschiedene literarischer Formen wie Hyperrealismus, Fantasy oder Volksmärchen. Die erste Erzählung in diesem Werk, A Lake the Size of a Papaya Fruit (dt. Ein See von der Größe einer Papaya Frucht), wurde im Sudan mit dem Ali El-Mek-Literaturpreis ausgezeichnet. Laut der Literaturkritikerin Marcia Lynx Qualey „zeichnet sich dieses frühe Werk durch lebhafte Wortspiele, unerschütterliches Mitgefühl und eine profunde Erzählkunst aus.“[9]

Zehn Jahre nach Withered Flowers veröffentlichte Gitano ihre zweite Sammlung The Return (dt. Die Rückkehr).[10] Diese Erzählungen handeln von Familien, die aus dem Norden in den Südsudan übersiedeln. Gaitano beschrieb die Erwartungen und große Hoffnungen ihrer Figuren und ihre noch größeren Enttäuschungen. Im Jahr 2016 erschien ihre Geschichte „Testimony of a Sudanese Writer“ (dt. Zeugnis eines sudanesischen Schriftstellers) in der Frühjahrsausgabe des englischen Literaturmagazins Banipal mit dem Titel Sudanese Literature Today.[11]

Für eine Ausstellung des sudanesischen Malers Ibrahim el-Salahi im Museum of Modern Art in New York City im Jahr 2019 wurde Gaitano eingeladen, el-Salahis Zeichnungen aus seinem Prison Notebook, entstanden nach seiner Inhaftierung 1975, als Inspiration für eine Erzählung zu nutzen. Daraus entstand ihre Geschichte „The Rally of the Sixth of April“ (dt. Die Rally des 6. April) über einen fiktiven sudanesischen Fotografen, der die sudanesische Revolution 2018/19 dokumentiert.[12][13]

Im Jahr 2020 gewann ihr zwei Jahre zuvor im arabischen Original erschienener Roman Edo’s Souls als erster südsudanesischer Roman den English PEN Writers Translates Award und wurde daraufhin auf Englisch veröffentlicht.[14] Die Geschichte spielt zwischen dem südlichen Sudan und Khartum und umfasst mehrere Generationen ab den 1960er Jahren. Laut einer Rezension des Literaturmagazins ArabLit „beginnt der Roman in einem ländlichen Kontext, in einem kleinen verarmten Dorf voller Geheimnisse, Rituale und Aberglauben, und endet in einer überfüllten Stadt mit all ihren Komplikationen.“[15][16]

Auf Deutsch erschienen Gaitanos Erzählungen erstmals 2017 in einer Anthologie mit Werken von Exil-Schriftstellern. 2024 veröffentlichte der Berliner Edition Orient Verlag ihre Erzählungen unter dem Titel Endlose Tage am Point Zero in deutscher Übersetzung aus dem Arabischen durch Günther Orth.

Werke in Übersetzung
  • Withered Flowers, Erzählungen, (2004), Englisch von Anthony Calderbank
  • The Return, Erzählungen, Rafiki Publishing, Juba (2014), Englisch von Asha Musa El-Said
  • Die Menschen im Südsudan zwischen Flucht und Vertreibung. In: Luisa Donnerberg u. Ulrich Schreiber (Hrsg.) Refugees Worldwide. Literarische Reportagen. Berlin: Wagenbach 2017
  • Egeno, Auszug aus Edo's Souls, gelesen von Stella Gaitano. In: Weiter Schreiben. – (W) Ortwechseln: Literarische Begegnungen mit Exil-Autor*innen. (Audiobuch). München: der Hörverlag
  • Edo’s Souls. Roman (2023). Englisch von Sawad Hussain, Sawtry: Dedalus Ltd., ISBN 978 1 915568 13 7.
  • Endlose Tage am Point Zero. Erzählungen (2024). Berlin: Edition Orient, ISBN 978-3-945506-32-5.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Olivia Snaje: Sudanese history & culture are woven together in Stella Gaitano's novel, 'Edo's Souls'. In: The Africa Report.com. 21. April 2023, abgerufen am 8. Juli 2023 (englisch).
  2. Stella Gaitano. internationales literaturfestival berlin, 2022, abgerufen am 15. März 2024 (amerikanisches Englisch).
  3. a b Isma’il Kushkush: Telling South Sudan’s Tales in a Language Not Its Own. In: The New York Times. 25. Dezember 2015, archiviert vom Original; abgerufen am 15. März 2024 (englisch).
  4. Stella Gaitano. In: https://inspire.gallery. Inspire Project, hosted by Peace Research Institute in Oslo (PRIO), abgerufen am 16. März 2024 (englisch).
  5. Stella Gaitano. In: PEN-ZENTRUM. Abgerufen am 15. April 2024 (deutsch).
  6. Lesung unterm Schirm – mit Stella Gaitano. In: PEN-ZENTRUM. 2. Juli 2023, abgerufen am 15. März 2024 (deutsch).
  7. Kämpfen? Lesen! Amnesty International, abgerufen am 15. April 2024.
  8. Contemporary Arabic Literature – Writing the Two Sudans. Sabah Sanhouri: Paradise / Stella Gaitano: The Return. Abgerufen am 15. März 2024 (amerikanisches Englisch).
  9. Marcia Lynx Qualey: Kurzgeschichten "Withered Flowers" von Stella Gitano: Kartographie einer verborgenen Welt - Qantara.de. 24. Juni 2020, archiviert vom Original; abgerufen am 15. März 2024.
  10. Stella Gaitano: The return: short stories; translated by Asha El-Said. Rafiki for Printing & Publishing, 2018, OCLC 1229999547 (englisch).
  11. Banipal (UK) Magazine of Modern Arab Literature - Back Issues - Banipal 55. Abgerufen am 15. März 2024.
  12. The Rally of the Sixth of April | Magazine | MoMA. In: The Museum of Modern Art. Abgerufen am 19. Juni 2020 (englisch).
  13. Marcia Lynx Qualey: Stella Gaitano, Ibrahim El-Salahi's Prison Notebook, and Sudanese Uprisings. In: arablit.org. 6. November 2019, abgerufen am 19. Juni 2020 (englisch).
  14. Angeline Peterson: Stella Gaitano Eddo's Souls is First South Sudanese Novel to Win PEN Translates Award. In: brittlepaper.com. 15. Juni 2020, abgerufen am 18. August 2022 (englisch).
  15. Lemya Shammat: 'Eddo's Souls': A Novel of Motherhood and Fragmentation in Sudan and South Sudan. In: ArabLit & ArabLit Quarterly. 17. Juni 2020, abgerufen am 20. Juni 2020 (englisch).
  16. Marcia Lynx Qualey: Sudanese literature: Stella Gaitano's debut novel "Edo's Souls" plunges deep into Sudanese history | Qantara.de. In: qantara.de. 15. Januar 2024, abgerufen am 17. Januar 2024 (englisch).