Spoonerismus

Rhetorischer Begriff

Als Spoonerismus [ˌspuːnəˈrɪsmʊs] bezeichnet man eine Vertauschung von worteinleitenden Phonemen oder Morphemen, wodurch sich neue, häufig komische Bedeutungen von Wörtern, Ausdrücken oder Sätzen ergeben. Es kann sich dabei um Anagramme oder phonetische Anagramme handeln. Die Vertauschung kann in parodistischer Absicht als Wortspiel oder unabsichtlich als Versprecher erfolgen. Im Deutschen gibt es keine direkte Übersetzung. Ein Schüttelreim besteht aus zwei Versen, die Spoonerismen enthalten. Im Französischen wird seit dem 16. Jahrhundert der Begriff „contrepèterie“ verwendet.

Karikatur von William Spooner in einer Ausgabe von Vanity Fair aus dem Jahre 1898

Ein literarisches Beispiel für einen Spoonerismus ist Die Blusen des Böhmen (Robert Gernhardt) statt Die Blumen des Bösen (Charles Baudelaire). Hier werden allerdings keine worteinleitenden, sondern wortinterne Laute vertauscht.

Geschichte Bearbeiten

Benannt ist der Spoonerismus nach William Spooner (1844–1930), Dekan und Rektor am New College in Oxford.[1][2][3] Jedoch gehen vermutlich nur wenige Spoonerismen auf William A. Spooner selbst zurück. Das Umschichten von Sätzen nach diesem Muster war bei Spooners Studenten in Oxford beliebt. Der Begriff „spoonerism“ ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts gebräuchlich und wurde in den 1920er Jahren ins Oxford English Dictionary aufgenommen.[4][5] In Deutschland wird er seit den 1930er Jahren verwendet.[6]

Ein Beispiel im Englischen ist: „The Lord is a shoving leopard.“ (anstelle von: „The Lord is a loving shepherd.“)[7] Er ähnelt dem Malapropismus, bei dem ganze Wörter innerhalb einer Phrase oder eines Spruchs ausgetauscht werden. Der Spoonerismus ist auch als „Marrowsky“ bekannt[8], angeblich nach einem polnischen Grafen benannt, der dieselbe sprachliche Angewohnheit gehabt haben soll.[9][10]

Literaturwissenschaftler sind sich über eine exakte Definition des Spoonerismus uneins. Manche legen Wert auf die unfreiwillige Komik und lehnen einen elaboriert geschaffenen Wortwitz als Spoonerismus ab. Andere beschränken den Spoonerismus auf den Austausch der Anfangssilbe (meist ein oder zwei Buchstaben) zweier oder mehrerer Worte, erlauben jedoch keine Wortumstellung innerhalb des Satzes (wie „Ich leg Dir ein Nest ins Ei“ – statt „ein Ei ins Nest“). Konsens ist, dass der Spoonerismus kein Wortspiel allein ist, sondern die neu arrangierten Worte einen neuen Sinn ergeben müssen, im besten Fall und um der Komik willen einen völlig anderen, wie etwa statt „Das hast du geschickt eingefädelt“: „gefickt eingeschädelt“; „Schluckspecht“ vs. „spuck schlecht“ oder aus „der stumme Denker“ wird „der dumme Stänker“. Ein Leser kritisierte 1944 einen Artikel der New York Times über Spoonerismen, weil der dort erwähnte Ausdruck “nins and peedles” (statt “needles and pins”) zwar komisch klinge, aber es weder „nins“, noch „peedles“ im Englischen gebe. Es sei also kein Spoonerismus.[11]

2007 wurden auf der 4. internationalen Konferenz Fun with Algorithms: FUN 2007 im italienischen Castiglioncello automatische Rechenverfahren (Computeralgorithmen) vorgestellt, mit denen sich Spoonerismen erstellen lassen.[12]

Verwendung in der Popkultur und den Medien Bearbeiten

In den 1990er-Jahren waren die Sketche „Kentucky schreit ficken“ aus der Fernsehsendung RTL Samstag Nacht populär. Der Titel spielt auf die US-Restaurantkette Kentucky Fried Chicken an. Der Humor dieser Sketche bestand häufig aus derben Spoonerismen.[13] Eine Variante des Scherztyps ist die SWR3-Comedy Tuten Gag.[14] Auch die britische Komikergruppe Monty Python arbeitete in ihren Sketchen mit Spoonerismen, ging aber häufig zu eigenen Wortschöpfungen über („Ring Kichard the Thrid“, „My dingkome for a shroe!“).[15] Der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner bezeichnete im Bundestag den CDU-Abgeordneten Jürgen Todenhöfer als „Hodentöter“.[16] Der österreichische Künstler Hermes Phettberg nannte seine Late Night Show im ORF Phettbergs Nette Leit Show. Die „Mahnwachen“ der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ wurden vom Kritikerforum „Sonnenstaatland“ wiederholt als „Wahnmachen“ bezeichnet, um die „Verwirrtheit“ der Demonstranten herauszustellen.[17] Das Süddeutsche Zeitung Magazin bebildert von Lesern eingesandte Spoonerismen in seiner Rubrik Gemischtes Doppel.[18][19] Verschiedene Namen von Bands, Künstlern und Musikalben verwenden Spoonerismen, darunter Punk in Drublic, Buckcherry, Com Truise oder Ritt Momney. Für bitteschön und dankeschön hat sich mancherorts schittebön und schankedön verbreitet.

„Contrepèterie“ im Französischen Bearbeiten

Der französische Schriftsteller Étienne Tabourot prägte für Wortspiele mit Lautvertauschungen, die unter anderem bei François Rabelais verwendet werden, in seinem Werk Bigarrures 1572 den Begriff „contrepèterie“.[20] Das Verb ,péter‘ bedeutet unter anderem ,furzen‘, sodass ,contrepéter‘ wörtlich als ,gegenfurzen‘ verstanden werden kann.[21]

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Names make news In: Time, 29. Oktober 1928. Abgerufen am 20. September 2008  (englisch).
  2. Spoonerism Message Lost in Translation In: Toledo Blade, 3. November 1980  (englisch).
  3. History of spoomerism in: Reader’s Digest Magazin, 1995 (englisch).
  4. „Every Schoolboy Knows“, The Times, Dec 8, 1921, S. 7
  5. Time. Time Incorporated, Oktober 1928 (google.de [abgerufen am 20. März 2021]).
  6. Guy Kendall: A Headmaster Remembers. V. Gollancz Limited, 1933 (google.de [abgerufen am 20. März 2021]).
  7. Übersetzung: „Der Herr ist ein schubsender Leopard“ anstelle von „Der Herr ist ein liebender Hirte.“ David Weeks, Jamie James: Exzentriker. Über das Vergnügen, anders zu sein. Hamburg 1998, S. 66, ISBN 978-3-499-60549-9
  8. Marrowsky im Merriam Webster Dictionary
  9. Chambers Dictionary. 1993, ISBN 0-550-10255-8.
  10. Jeff Aronson: When I use a word … Medical Greek. In: British Medical Journal. 14. März 1998 PMC 1112774 (freier Volltext) (englisch).
  11. The New York Times. 3. Oktober 1944, Leserbrief von Frank W. Noxon vom 23. September 1944.
  12. Hans Joachim Böckenhauer, Juraj Hromkovič, Richard Královič, Tobias Mömke, Departement Informatik der ETH Zürich; und Kathleen Steinhöfel, Fachbereich Informatik, King’s College London: Efficient Algorithms for the Spoonerism Problem. In: Fun with algorithms: 4th international conference. FUN 2007, Castiglioncello, Springer-Verlag, 2007, ISBN 978-3-540-72913-6, S. 78–92, diva-portal.org (PDF; 336 kB).
  13. Der Affe fällt nicht weit vom Stamm – Malapropismen in Literatur und Alltag
  14. Tuten Gag. auf der Internet-Seite swr3.de.
  15. Richard Nordquist: spoonerism. grammar.about.com, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 14. April 2014; abgerufen am 18. November 2013.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/grammar.about.com
  16. Günther Scholz: Herbert Wehner. Econ, 1986, ISBN 978-3-430-18035-1, S. 131 (google.de [abgerufen am 24. März 2021]).
  17. Reichsbürger bei der Wahnmache Hamburg auf der Internet-Seite sonnenstaatland.de.
  18. SZ Magazin. Abgerufen am 20. März 2021.
  19. Süddeutsche Zeitung Magazin mbH: Gemischtes Doppel: Spielwörter für Wortspieler. Süddeutsche Zeitung, 2013, ISBN 978-3-86497-144-0 (google.de [abgerufen am 20. März 2021]).
  20. Étienne Tabourot: Bigarrures et Touches: Avec Les Apophtegmes Dv Sievr Gavlard Et Les Escraignes Dijonnoises. Berthelin, 1620 (google.de [abgerufen am 20. März 2021]).
  21. Karl Bertau: Untersuchungen: Einleitung, Untersuchungen zum Begleitbrief und zu den Kapiteln 1 bis 34 des Textes und Wörterverzeichnis mit Exkursen. Walter de Gruyter, 2011, ISBN 978-3-11-088369-5, S. 651 (google.de [abgerufen am 20. März 2021]).