Ibn Bābawaih

schiitischer Gelehrter der Zwölfer-Schiiten; Verfasser des Man la yahduruh al-faqih
(Weitergeleitet von Shaykh Ṣadūq)

Abū Dschaʿfar Muhammad ibn ʿAlī Ibn Bābawaih (od. Ibn Bābūyih) al-Qummī (arabisch أبو جعفر محمد بن علي ابن بابويه القمي, DMG Abū Ǧaʿfar Muḥammad ibn ʿAlī ibn Bābawaih al-Qummī; geb. 918 in Ghom, gest. 991), auch Scheich Sadūq (الصدوق, DMG aṣ-Ṣadūq ‚der Wahrheitsliebende‘) genannt, war ein wichtiger imamitischer Hadith-Gelehrter der Zwölfer-Schia. Seine Hadith-Sammlung Man lā yaḥḍuruhu l-faqīh|b=Wer keinen Rechtsgelehrten in seiner Nähe hat}} gehört zu den kanonischen Vier Büchern der Zwölfer-Schia.

Muhammad Ibn Bābawaih war der Sohn des bekannten schiitischen Gelehrten Ali ibn Husain Ibn Bābawaih al-Qummī (gest. 939). Schon als junger Mann reiste er an verschiedene Orte, um Überlieferungen zu erfahren. Zu seinen ersten Stationen nach seinem Wegzug aus Ghom gehörten Rey, die Hauptstadt der Buyiden, Maschhad, Nischapur und wiederum Rey. Ende 353 (= 964 n. Chr.) verließ er Rey, um sich auf Haddsch zu begeben. Auf dem Rückweg von Mekka Anfang des folgenden Jahres zog er durch den Irak und hielt sich eine Zeitlang in Kufa und in Bagdad auf. In Bagdad hörte asch-Schaich al-Mufīd bei ihm Hadith. Über die Stadt Hamadan kehrte er nach Rey zurück.[1]

Eine zweite Reise, zu der im Jahre 978 aufbrach, führte ihn in den Osten. Er besuchte Maschhad, Balch, Samarkand und das Ferghanatal.[2] Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Rey. Dort wurde er auch begraben. Sein Grab befindet sich in der Nähe der Ruhestätte von Abdul Azim Hasani in der Stadt an einem Ort, der heute nach ihm Ibn Babawaih genannt wird.

Werke (Auswahl)

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Ibn Bābawaih verfasste ungefähr 300 Bücher und Abhandlungen. Zu seinen Werken gehören:

  • ʿUyūn Aḫbār ar-Riḍā, Sammlung von Nachrichten über den schiitischen Imam ʿAlī ibn Mūsā ar-Ridā; zahlreiche Druckausgaben, zuletzt Qum 1378 AHS (1999) 1. Band – Internet Archive, 2. Band – Internet Archive.
  • Man lā yaḥḍuruhu l-faqīh („Wer keinen Rechtsgelehrten in seiner Nähe hat“) ist eine schiitische Hadith-Sammlung, die 5920 Hadithe umfasst. In ihrem Anhang werden die Verbindungen des Verfassers zum Überlieferer aufgelistet.
  • ʿIlal aš-šarāʾiʿ wa-l-aḥkām wa-l-asbāb („Die Ausgangspunkte der Gesetze, der Regeln und der Ursachen“), eine systematische Abhandlung, die in einer großen Anzahl von Kapiteln die Zusammenhänge des Lebens, der Natur, der Geschichte und der Gelehrsamkeit behandelt.
  • al-Iʿtiqādāt („Die Glaubenslehren“), eine Bekenntnisschrift, in dem der Autor sein Verständnis der imamitischen Lehre zu verschiedenen Themen wie das Wesen Gottes, das Imamat, die Bestrafung der Sünder, Widersprüche im Hadith usw. darlegt.[3] Asaf Ali Asghar Fyzee übersetzte das Werk unter dem Titel A Shi'ite Creed 1942 ins Englische.[4] Ibn Bābawaihs Schüler asch-Schaich al-Mufīd verfasste zu dem Werk einen kritischen Kommentar mit dem Titel Taṣḥīḥ al-iʿtiqād („Berichtigung des Glaubens“).
  • Kamāl ad-dīn wa tamām an-niʿma („Die Vollkommenheit der Religion und die vollständige Gnade“).

Theologische Lehrauffassungen

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Ibn Bābawaihs Theologie, die sich im Gefolge der Großen Verborgenheit entwickelte, repräsentiert eine Zwischenstufe in der Entwicklung der imamitischen Lehre vom früheren extrem-schiitischen Denken zur späteren gemäßigten Synthese auf Grundlage der Ideen der Muʿtazila. Andererseits vertrat er die Ansicht, dass die Traditionen der Imame eine ausreichende Grundlage für Leben und Handeln darstellten und dass Offenbarung notwendig sei, um Wissen über Gott zu erlangen. Ibn Bābawaih forderte Taqīya als positive Pflicht bis zur Rückkehr des zwölften Imams und verbot öffentliche Disputationen, was wahrscheinlich auch Kalām einschloss.[5]

Bezüglich des Tauhīd erklärt er, dass Gott einer (wāḥid) und absolut einzigartig (aḥad) ist und ihm nichts gleich kommt. Gott ist nach ihm präexistent (qadīm), war immer schon und wird immer sein; er ist der Hörende und Sehende, der Wissende (ʿalīm) und Weise (ḥakīm), der Lebende (ḥaiy) und Beständige (qaiyūm), der Mächtige (ʿazīz) und Heilige (quddūs), der Mächtige (qādir) und Selbstgenügsame (ġanī). Er kann weder als Substanz (ǧauhar), Körper (ǧism), Form (ṣūra) oder Akzidens beschrieben werden. Er steht außerhalb der beiden Begrenzungen von Entleerung (ibṭāl) und Verähnlichung (tašbīh).[6] Im Kitāb al-Tauḥīd unterscheidet Ibn Bābawaih zwischen den Attributen Gottes, die ewig sind (hörend, wissend, weise, mächtig usw.), und denen der Tat, die in der Zeit eingetreten sind (erschaffend, handelnd, wollend usw.).[7]

Der Koran ist nach Ibn Bābawaih die Rede Gottes, Seine Eingebung (waḥy) und Herabsendung (tanzīl), Sein Wort (qaul) und Buch (kitāb). Falschheit kann weder von vorne noch von hinten in ihn eindringen.[8] Der Koran, den Gott Seinem Propheten Muhammad offenbart hat, ist nach Ibn Bābawaih auch derselbe wie der zwischen den beiden Buchdeckeln (daffatain) und das, was sich in den Händen der Menschen befindet, und hat keinen größeren Umfang als dieses Buch. Wer den Schiiten die Lehre zuschreibe, dass der Koran mehr als das umfasse, sei ein Lügner. Allerdings war Ibn Bābawaih der Auffassung, dass die Suren 93 und 94 sowie 105 und 106 jeweils eine Sure bildeten.[9]

Nach Ibn Bābawaih besteht die Welt aus Körpern und ihren zeitlichen Akzidentien. Atome spielen bei ihm keine Rolle. Die imamitische Lehre vom Badāʾ bedeutet für ihn nicht, dass Gott seine Meinung geändert hat oder dass ihm neue Ideen gekommen sind. Vielmehr bedeutet es die Aufhebung eines göttlichen Befehls durch einen anderen oder dass Gott das Leben und die Nahrung eines Menschen entsprechend seinen Taten vermehrt oder verringert.[7]

Ibn Bābawaih war ein Verfechter des Konzepts der ʿIsma. So meinte er, dass die Propheten und Imame von Beginn ihrer Laufbahn an vor Befleckung und großen und kleineren Sünden geschützt und in Intellekt und Wissen vollkommen waren. Glauben definierte er als Bekenntnis mit der Zunge, Für-glaubwürdig-halten im Herzen und Handeln mit den Gliedern. Der Glauben nimmt seiner Auffassung nach durch Taten zu und durch Unterlassung ab. Der schwere Sünder ist kein Gläubiger mehr, aber bleibt ein Muslim. Die Schau Gottes am Tag des Jüngsten Gerichts ist seiner Auffassung nach rein geistig und erfolgt nicht mit den Augen.[7]

Literatur

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  • A.A.A. Fyzee: Ibn Bābawaih(i). In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Band III, S. 726b.–727a (Erstveröffentlichung des betreffenden Faszikel 1968).
  • Martin McDermott: Ebn Bābawayh. In: Encyclopædia Iranica. Band VIII, S. 2–4. Veröffentlicht 1997 Online-Version.
  • Moojan Momen: An Introduction to Shi'i Islam: The History and Doctrines of Twelver Shi'ism. Yale University Press, New Haven, 1985. S. 313 f.
  • A. Pākatčī: Ebn-e Bābūya. In: Dāʾirat-i maʿārif-i buzurg-i islāmī. Markaz-i Dāʾirat al-Maʿārif-i Buzurg-i Islāmī, Band III: Ibn Azraq Ibn Smn. Teheran, 1990, S. 62–66 (Digitalisat).
  • Mohammad Serdani: Der verborgene Imam. Eine Untersuchung der chiliastischen Gedanken im schiitischen Islam nach Ibn Bābūya (gest. 991): Kamāl al-dī wa-tamā al-niʿma. Inaugural-Dissertation Universität Bochum 1979.
  • Fuat Sezgin: Geschichte des arabischen Schrifttums. Band 1: Qurʾānwissenschaften, Ḥadīṯ, Geschichte, Fiqh, Dogmatik, Mystik bis ca. 430 H. Brill, Leiden 1967. S. 544–549.
  • George Warner: The Words of the Imams. Al-Shaykh al-Ṣadūq and the Development of Twelver Shīʿī Hadith Literature. I.B. Tauris, London u.a. 2022.
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  1. Pākatčī: Ebn-e Bābūya. 1990, S. 63a.
  2. Pākatčī: Ebn-e Bābūya. 1990, S. 63b–64a.
  3. Warner: The Words of the Imams. Al-Shaykh al-Ṣadūq and the Development of Twelver Shīʿī Hadith Literature. 2022, S. 23.
  4. Digitalisat.
  5. McDermott: Ebn Bābawayh. 1997, S. 2b.
  6. Ibn Bābawaih: al-Iʿtiqādāt. Ed. ʿIṣām ʿAbd as-Saiyid. Mahr, Ghom 1413h (= 1992/93 n. Chr.). S. 21f. Digitalisat – Engl. Übers. Fyzee S. 25f.
  7. a b c McDermott: Ebn Bābawayh. 1997, S. 3a.
  8. Ibn Bābawaih: al-Iʿtiqādāt. Ed. ʿIṣām ʿAbd as-Saiyid. Mahr, Ghom 1413h (= 1992/93 n. Chr.). S. 83. – Engl. Übers. Fyzee S. 84.
  9. Ibn Bābawaih: al-Iʿtiqādāt. Ed. ʿIṣām ʿAbd as-Saiyid. Mahr, Ghom 1413h (= 1992/93 n. Chr.). S. 84. – Engl. Übers. Fyzee S. 85.