Schweigen (Storm)

Novelle von Theodor Storm

Schweigen ist der Titel einer Novelle von Theodor Storm, die 1883 in der Deutschen Rundschau erstmals veröffentlicht wurde. Die erste Buchausgabe erfolgte im selben Jahr zusammen mit der Novelle Hans und Heinz Kirch.

In der Erzählung geht es um die Entwicklung eines jungen Mannes, dessen psychische Erkrankung zunächst tabuisiert und verschwiegen wird. Die dadurch ausgelösten Schuldgefühle gegenüber seiner jungen Frau führen ihn an den Rand des Suizids.

Die Novelle beginnt mit einem Gespräch zwischen der Forstjunkerin Frau von Schlitz und dem Hausarzt der Familie. Sie sorgt sich um den Gesundheitszustand ihres Sohnes Rudolph und ist unsicher, ob die erfolgte Heilung in einer psychiatrischen Anstalt andauern wird. Der Arzt empfiehlt ihr, den schwermütigen Mann rasch zu verheiraten, möglichst mit einem „heiteren und verständig(en)“ deutschen „Hausfrauchen“.[1]

Während des Gesprächs erinnert sie sich an Anna, die Tochter eines Landpfarrers, die sie vor einiger Zeit kennengelernt hat. In der Hoffnung, eine Ehe einzufädeln, besucht sie mit ihrem Sohn die Familie, die den beiden die Wohnung des Küsters überlässt. Schon bald geht es Rudolph besser, was nicht nur mit der Gegenwart der schönen Anna, sondern auch mit dem Einfluss des gutmütigen Pastors zusammenhängt. In dem Haushalt der gastfreundlichen Familie ist Rudolph beliebt und beeindruckt die Zuhörer mit seinem Klavierspiel. So spielt er bei einer Gelegenheit einige Nocturnes seines Lieblingskomponisten Frédéric Chopin und eine Klaviersonate von Joseph Haydn. Auch Bernhard, ein „hübscher Mann mit treuherzigen brauen Augen“, den Rudolph aus der gemeinsamen Zeit am Gymnasium kennt, interessiert sich für die Pastorentochter, kann sie aber nicht für sich gewinnen.[2]

Nachdem Anna ihm das Jawort gegeben hat, spricht Rudolph mit seiner Mutter, die ihn überzeugt, die psychische Krankheit vor seiner Verlobten zu verschweigen. Er selbst bleibt unsicher und glaubt, überstürzt gehandelt zu haben. Es sei nicht möglich, mit Anna zu sprechen, nachdem er sie absichtlich „betrogen“ habe.[3] Ein halbes Jahr später wird die Ehe geschlossen. Das junge Paar quartiert sich in das schön gelegene Forsthaus ein und verbringt glückliche Tage. Rudolph vertritt den kränkelnden Oberförster und übernimmt schließlich dessen Aufgaben. Zunächst ist sein adliger Dienstherr zufrieden, doch nach einiger Zeit vermutet er, der junge Mann sei mit der Aufgabe überfordert. An einer verlassenen Stelle im Wald belauscht der an sich zweifelnde Rudolph ein Gespräch des Grafen, das seine kritische Selbsteinschätzung bestätigt.

Rudolph leidet zunehmend daran, Anna seine Krankheit verschwiegen zu haben. Von Schuldgefühlen verfolgt grübelt er lange vor sich hin. Als er und seine Frau dem Summen der Insektenschwärme lauschen, ängstigt er sie mit der düsteren Geschichte von einer schwarzen Fliege, deren Stich tödlich sei. Er fühlt sich wie „in einem dunklen Kreis gefangen“,[4] befürchtet, die Erkrankung könne zurückkehren, achtet auf jedes Zeichen, das er als Bestätigung für den drohenden Rückfall deutet.[5] So beunruhigt ihn ein Zeitungsbericht über einen mit Tollwut infizierten Hufschmied, bei dem die Krankheit nach dreizehn Jahren jäh ausbrach. Die Frau des Mannes habe in ein verzerrtes Gesicht geblickt und mit ihrem Geschrei die Nachbarn alarmiert, die den Mann fesselten. Rudolph fragt seine Mutter, ob auch er von einem kranken Hund gebissen worden und Anna nun ewig an ihn gebunden sei. Es sei ein falsch gewesen, das unschuldige Mädchen zu betrügen. Er konsultiert den Facharzt, der ihn in der Klinik behandelt hat und ihn nun überzeugt, seiner Frau alles zu erzählen. Doch Rudolph findet keine Gelegenheit dazu.

Als die Belastungen unerträglich scheinen, entschließt er sich zum Suizid und hinterlässt seiner Frau einen Abschiedsbrief, in dem er ihr alles erzählt. Während sie schläft, schleicht er sich mit einer geladenen Büchse aus dem Haus. Er erreicht die verlassene Stelle im Wald, wo er die demütigenden Worte des Grafen gehört hat. Dort befindet sich ein Grenzstein, auf dem Runenzeilen erkennbar sind: „Bis hierher, niemals weiter.“[6] Da wird ihm bewusst, dass mit dem Abschiedsbrief „das furchtbare Schweigen“ beendet ist und sein Leben nun beginnen kann.[7] Nachdem Anna den Brief gelesen hat, eilt sie zu ihm und wird durch einen versehentlich ausgelösten Schuss leicht verletzt. Sie entlastet ihn vom Vorwurf der Schuld, indem sie das Schweigen mit seiner Liebe erklärt. Bald wird Rudolph zum Oberförster befördert. Der Graf erklärt seinem Schwiegervater, der junge Mann könne „doch mehr, als Chopin spielen“. Vergangenen Montag habe er dem glücklichen Paar „den ersten Jungen aus der Taufe gehoben.“[8]

Literatur

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  • Christoph Deupmann: Schweigen. In: Storm-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Metzler, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-476-02623-1, S. 228–229.
  • Karl Ernst Laage: Kommentar. In: Karl Ernst Laage, Dieter Lohmeier (Hrsg.): Theodor Storm. Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, S. 826–842.

Einzelnachweise

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  1. Theodor Storm: Schweigen. In: Karl Ernst Laage, Dieter Lohmeier (Hrsg.): Theodor Storm. Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, S. 133.
  2. Theodor Storm: Schweigen. In: Karl Ernst Laage, Dieter Lohmeier (Hrsg.): Theodor Storm. Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, S. 133.
  3. Theodor Storm: Schweigen. In: Karl Ernst Laage, Dieter Lohmeier (Hrsg.): Theodor Storm. Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, S. 145.
  4. Theodor Storm: Schweigen. In: Karl Ernst Laage, Dieter Lohmeier (Hrsg.): Theodor Storm. Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, S. 166.
  5. Christoph Deupmann: Schweigen. In: Storm-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Metzler, Stuttgart 2017, S. 228.
  6. Theodor Storm: Schweigen. In: Karl Ernst Laage, Dieter Lohmeier (Hrsg.): Theodor Storm. Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, S. 169.
  7. Theodor Storm: Schweigen. In: Karl Ernst Laage, Dieter Lohmeier (Hrsg.): Theodor Storm. Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, S. 190.
  8. Theodor Storm: Schweigen. In: Karl Ernst Laage, Dieter Lohmeier (Hrsg.): Theodor Storm. Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, S. 196–197.