Saalkirche (Ingelheim)

Kirchengebäude in Ingelheim

Die vorromanische evangelische Saalkirche ist die zweit- oder drittälteste Kirche in Ingelheim am Rhein.

Die Saalkirche von Osten
Blick zum Chor

Der Name der Kirche beruht nicht auf der Tatsache, dass es sich um eine Kirche vom Typ Saalkirche handelt, sondern beruht vielmehr auf dem Standort der Kirche im „Saal“ genannten Gebiet des Stadtteils Nieder-Ingelheim, in dem früher die Ingelheimer Kaiserpfalz zu finden war.

Architektur

Bearbeiten
 
Grundriss (vor 1861)

Die Kirche ist ein einschiffiger Bau in der Form eines lateinischen Kreuzes. Die Apsis wird im Norden und Süden flankiert von zwei schmalen Türmen. Der heutige Hauptturm entstand erst 1861. Die Kirche ist heute außen zweifarbig verputzt. Mit rotem Putz wird hierbei Baumasse aus ottonischer Zeit besonders hervorgehoben.

Durch die vergleichsweise hoch über dem Boden ansetzenden Rundbogenfenster, sowie die insgesamt leicht gedrungene Bauweise, vermittelt der Bau einen trutzigen Eindruck und deutet damit bereits die aufkommende romanische Bauweise an.

 
Kämpfer

Bemerkenswert ist die Darstellung eines von einem Löwen geschlagenen Lammes am Kämpfer an der Südseite der Apsis.

Auffallend im Inneren sind die monumentalen Vierungsbögen. die die Vierung deutlich von Langhaus, Querhaus und Apsis absetzen.

Die drei Fenster der Apsis wurden 1963 durch Heinz Hindorf geschaffen. Sie zeigen von links nach rechts: Mose mit den Gesetzestafeln, Christus als Auferstandenen sowie Johannes den Täufer.

Geschichte

Bearbeiten

Die Ingelheimer Kaiserpfalz verfügte zwar über eine kleine Palastkapelle unter dem Patrozinium des heiligen Petrus, geistliches Zentrum war jedoch – zumal für hohe Feiertage oder die Synode von 948 – die nahegelegene Remigiuskirche.

Für lange Zeit wurde die heutige Kirche als identisch mit der zur Kaiserpfalz gehörenden Kapelle St. Peter betrachtet. Durch Funde von Pingsdorfer Keramik im Fußboden konnten Sage/Wengenroth-Weimann/Ament jedoch nachweisen, dass der heutige Bau nach 900, also unter ottonischer Herrschaft, entstanden sein muss.

Neueren Forschungen zufolge war der eigentliche Grund für den Bau einer repräsentativen Kirche im Gebiet der Kaiserpfalz die Ausprägung der so genannten Festkrönungen im 10. Jahrhundert. Für diese Veranstaltung wurden zwei Sakralbauten benötigt, woraus sich die Notwendigkeit eines Neubaus zwingend ergab.

Ihre heutige Form erhielt die Kirche in der Mitte des 12. Jahrhunderts unter Barbarossa.[1]

Die Kaiserpfalz hatte den Zenit ihrer politischen Bedeutung bereits lange überschritten, als Karl IV. am 14. Januar 1345 im Saal das Karlsmünster genannte Augustiner-Chorherrenstift gründete, dessen Teil die Kirche fortan war. Diese Tatsache bewahrte sie zunächst davor, das Schicksal der umliegenden Gebäude zu teilen und als Steinbruch für die 1402 beginnende Besiedlung des Saals zu dienen. Im Zuge der Reformation wurde jedoch 1576 das Stift aufgehoben und die Kirche als Gottesdienstraum aufgegeben. In einem Bericht von Nicolaus Lindenmayr aus dem Jahre 1638 heißt es, dass die Kirche während des Dreißigjährigen Kriegs von schwedischen Truppenteilen bis auf den Chor und die Mauern des Querschiffs eingestürzt sei.[2]

Nach dem Ende des Pfälzischen Erbfolgekrieges wurde 1705 der reformierten Gemeinde die Saalkirche als Gottesdienstraum zugewiesen, die sie ab 1707 wieder nutzte. Dem sich bis 1792 hinziehenden Wiederaufbau war jedoch kein Glück beschieden. Bereits 1794 wurde die Kirche von französischen Revolutionstruppen beschlagnahmt und diente als Pferdestall, Hospital und Gefängnis. Erst 1803 konnte erneut mit der Renovierung begonnen werden und am 26. August 1804 fand der erste Gottesdienst nach den Wirren der Revolution statt.

Die vollständige Rekonstruktion der Kirche in ihren historischen Maßen – insbesondere die Wiedererrichtung des Langhauses – wurde erst 1965 vollbracht.

Während der COVID-19-Pandemie wurden seit März 2020 mehrere ZDF-Fernsehgottesdienste aus der Kirche übertragen.[3] Im Fernsehgottesdienst am 29. März 2020 predigte Volker Jung[4], im Gottesdienst am 12. April 2020 (Ostersonntag) Annette Kurschus[5], im Gottesdienst am 26. April 2020 Wolfgang Huber[6] und im Gottesdienst am 3. Mai 2020 Heinrich Bedford-Strohm.[7]

In der Saalkirche befinden sich drei Orgeln:

  • In der Vierung steht ein kleines Orgelpositiv mit mechanischer Schleiflade, erbaut von der Werkstatt Förster & Nicolaus Orgelbau.
  • Im rechten Querhaus befindet sich eine historische Orgel, die bis 2008 auf der Westempore stand, nunmehr in das Querhaus umgesetzt wurde, wo das Instrument ursprünglich errichtet worden war.
  • Auf der Westempore wurde Platz für eine neue Hauptorgel geschaffen, die Ende 2013 eingeweiht wurde.

Dreymann-Orgel

Bearbeiten
 
Prospekt der Dreymann-Orgel

Die Orgel im rechten Querhaus wurde 1853 von Bernhard Dreymann (Mainz) geschaffen. Umbauten erfolgten 1969 durch Kemper und 1985 durch Förster & Nicolaus. Der Spieltisch befindet sich unterhalb der Prospektpfeifen in der Mitte des Gehäusesockels, so dass der Organist dem Gottesdienstraum den Rücken zuwendet.

I Hauptwerk C–g3
1. Bourdon 16′
2. Principal 08′
3. Gedeckt 08′
4. Gamba 08′
5. Oktav 04′
6. Gedeckt 04′
7. Quint 223
8. Oktav 02′
9. Mixtur III
Tremulant
II Nebenwerk C–g3
10. Flöte 8′
11. Salicional 8′
12. Principal 4′
13. Waldflöte 2′
14. Mixtur III
15. Oboe (ab fis0) 8′
Pedal C–f1
16. Subbass 16′
17. Principalbass 08′
18. Octavbass 04′
19. Hintersatz IV
20. Posaune 16′

Skinner-Orgel

Bearbeiten
 
Skinner-Orgel im Gehäuse von Klais

2008 erwarb die Gemeinde eine gebrauchte Orgel von der First Presbyterian Church aus Passaic (New Jersey), USA – mit Ausnahme des Orgelgehäuses und der Prospektpfeifen, welche unter Denkmalschutz standen und in der Kirche verbleiben mussten. Dieses Instrument war im Jahr 1930 von Ernest Martin Skinner erbaut worden; im Jahre 1952 erweiterte die Nachfolgefirma Aeolian-Skinner das Instrument um das bereits im Jahre 1930 vorgesehene Echowerk.

Das klanglich weitgehend unveränderte Instrument wurde von der Orgelbaufirma Johannes Klais (Bonn) umfassend restauriert und im Jahre 2013 in einem neuen Gehäuse und mit einer neuen Spielanlage auf der Westempore der Saalkirche aufgestellt; das Echowerk wurde als Chororgel im Südquerhaus unter der Empore der Dreymann-Orgel aufgestellt; außerdem wurde die Orgel nach dem Vorbild anderer Skinner-Orgeln mit originalem Pfeifenwerk der Firma Skinner erweitert. Die Orgel verfügt heute über 51 Register bzw. 82 Ranks (Pfeifenreihen und Auszüge) mit insgesamt 3967 Pfeifen auf vier Manualwerken und Pedal. Die 16′, 8′ und 4′ Register von Choir, Swell und Solo Organ sind für die Superoktav-Koppeln bis c5 ausgebaut. Aus drei Pfeifenreihen der Solo Organ werden fünf Register erzeugt, welche als Orchestral an jedes andere Manual gekoppelt werden können (floating). Das Gesamtgewicht der Orgelanlage beträgt etwa 20 Tonnen.[8]

I Choir Organ C–c4
01. Gamba 16′
02. Diapason 08′
03. Concert Flute 08′
Gamba (Ext Nr. 1) 08′
04. Dulciana 08′
05. Unda Maris 08′
06. Flute d’Amore 04′
Gambetta (Ext Nr. 1) 04′
07. Nazard 223
08. Piccolo 02′
09. Tierce 135
10. Larigot 113
11. Corno di Bassetto 08′
Tremolo
II Great Organ C–c4
12. Diapason 16′
13. Bourdon 16′
14. First Diapason 08′
15. Second Diapason 08′
Third Diapason (Ext Nr. 12) 08′
16. Principal Flute* 08′
17. Erzähler* 08′
18. Erzähler Celeste* 08′
19. Octave 04′
20. Harmonic Flute* 04′
21. Fifteenth* 02′
22. Grave Mixture II 223
23. Chorus Mixture IV* 02′
24. Tromba* 08′
III Swell Organ C–c4
25. Bourdon 16′
26. Diapason 08′
27. Rohrflöte 08′
28. Flauto dolce 08′
29. Flute Celeste 08′
30. Salicional 08′
31. Voix Celeste 08′
32. Echo Viole 08′
33. Viole Celeste 08′
34. Octave 04′
35. Flute triangulaire 04′
36. Flautino 02′
37. Mixture III 02′
38. Waldhorn 16′
39. Trumpet 08′
40. Oboe 08′
41. Vox humana 08′
42. Clairon 04′
Tremolo
IV Solo Organ C–c4
43. Gamba 08′
44. Gamba celeste 08′
45. Flauto Mirabilis 08′
Orchestral Flute (Ext Nr. 45) 04′
Fagotto (Ext Nr. 48) 16′
46. French Horn 08′
47. English Horn 08′
48. Orchestral Oboe 08′
49. Tuba Mirabilis 08′
Tremolo


Orchestral (floating) C–c4
Flauto Mirabilis (= Nr. 45) 08′
Orchestral Flute (Ext Nr. 45) 04′
Fagotto (Ext Nr. 48) 16′
Orchestral Oboe (= Nr. 48) 08′
Tuba Mirabilis (= Nr. 49) 08′
Pedalwerk C–g1
Gravissima (ak. aus Nr. 50) 64′
50. Contra Bourdon 32′
Resultant (ak. aus Nr. 51) 32′
51. Diapason 16′
Diapason (= Nr. 12) 16′
Bourdon (= Nr. 13) 16′
Gamba (= Nr. 1) 16′
Echo Lieblich (= Nr. 25) 16′
Octave (Ext Nr. 51) 08′
Third Diapason (Ext Nr. 12) 08′
Gedeckt (Ext Nr. 50) 08′
Still Gedeckt (= Nr. 28) 08′
Cello (Ext Nr. 1) 08′
Flute (= Nr. 45) 08′
Super Octave (Ext Nr. 50) 04′
Diapason (Ext Nr. 12) 04′
Flute (Ext Nr. 45) 04′
Bombarde (Ext. Nr. 52) 32′
52. Trombone 16′
Waldhorn (= Nr. 38) 16′
Fagotto (Ext Nr. 48) 16′
Tuba mirabilis (= Nr. 49) 08′
Tromba (Ext Nr. 52) 08′
Orchestral Oboe (= Nr. 48) 08′
Oboe Clairon (Ext Nr. 48) 04′

Die mit * gekennzeichneten Register des Great stehen in einem eigenen Schweller

  • Koppeln
    • für Choir, Great, Swell und Solo gibt es jeweils 16′, Unison off und 4′, sowie für Pedal 4′
    • Pedalkoppeln: Choir, Great, Swell, Solo als 8′ und 4′
    • Greatkoppeln: Choir, Swell, Solo als 16′, 8′ und 4′
    • Choirkoppeln: Swell, Solo als 16′, 8′ und 4′
    • Swellkoppeln: Choir, Solo als 16′, 8′ und 4′
    • Solokoppeln: Choir, Great, Swell als 16′, 8′ und 4′
    • Sonderkoppeln: Choir/Great (I/II) 513′, Pedal/Solo (P/IV), French Manual Transfer (I/II); Orchestral an I, II, III
  • Effektregister: Celesta (Choir), Harp (Choir), Chimes (Solo)

Die Maße der Saalkirche

Bearbeiten
  • Innenlänge ohne Apsis: 32 m
  • Breite des Mittelschiffs: 12,5 m
  • Breite der Querhäuser: 8,1 m
  • Innere Breite: 28,7 m

Kirchenmusiker

Bearbeiten

Siehe auch: Geschichte der Stadt Ingelheim

Literatur

Bearbeiten
  • Christian Rauch: Die Kunstdenkmäler im Volksstaat Hessen – Kreis Bingen. Hessischer Staatsverlag, Darmstadt, 1934
  • Karl Heinz Henn: Die Geschichte der Saalkirche zu Ingelheim am Rhein. Evangelische Saalkirchengemeinde (Hrsg.), Ingelheim 2004
Bearbeiten
Commons: Saalkirche Ingelheim – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Walter Hotz: Pfalzen und Burgen der Stauferzeit. Geschichte und Gestalt. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1981, ISBN 3-534-08663-5, S. 42.
  2. Ernst Emmerling: Aufsätze über Ingelheim und den Ingelheimer Grund, Ingelheim 1967
  3. ZDF-Fernsehgottesdienst aus der Ingelheimer Saalkirche. In: allgemeine-zeitung.de. 29. März 2020, abgerufen am 26. Februar 2024.
  4. Nur Mut. In: zdf.de. Abgerufen am 13. Februar 2024.
  5. https://www.evangelisch-in-westfalen.de/aktuelles/detailansicht/news/naehe-die-mehr-ist-als-anfassen/?L=0&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=072f9c63a09414a8691c9edb360c07b3
  6. @1@2Vorlage:Toter Link/www.zdf.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Februar 2024. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  7. @1@2Vorlage:Toter Link/www.zdf.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Februar 2024. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  8. Informationen zur Skinner-Orgel (gesehen am 10. Juni 2018)

Koordinaten: 49° 58′ 39,9″ N, 8° 4′ 20,4″ O