Oxybutynin

pharmazeutischer Wirkstoff gegen Harninkontinenz

Oxybutynin ist ein Anticholinergikum, das eingesetzt wird bei Harninkontinenz und überaktiver Blase; bei kindlichem Bettnässen gehört es zu den erweiterten Optionen.

Strukturformel
Strukturformel von Oxybutynin
Strukturformel ohne Angabe der Stereochemie
Allgemeines
Freiname Oxybutynin
Andere Namen
  • (RS)-4-Diethylaminobut-2-inyl-2-cyclohexyl-2-hydroxy-2-phenylethanoat (IUPAC)
  • (±)-4-Diethylaminobut-2-inyl-2-cyclohexyl-2-hydroxy-2-phenylethanoat
Summenformel
  • C22H31NO3 (Oxybutynin)
  • C22H31NO3·HCl (Oxybutynin-Hydrochlorid)
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
EG-Nummer (Listennummer) 630-332-7
ECHA-InfoCard 100.158.590
PubChem 4634
ChemSpider 4473
DrugBank DB01062
Wikidata Q1060922
Arzneistoffangaben
ATC-Code

G04BD04

Wirkstoffklasse

Anticholinergika, Spasmolytika

Eigenschaften
Molare Masse
  • 357,49 g·mol−1 (Oxybutynin)
  • 393,95 g·mol−1 (Oxybutynin-Hydrochlorid)
Schmelzpunkt

129–130 °C[1]

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[2]

Achtung

H- und P-Sätze H: 302
P: 280​‐​305+351+338[2]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Es wirkt krampflösend auf die glatte Blasenmuskulatur (M. detrusor), indem es den muskarinischen Acetylcholinrezeptor kompetitiv an den Subtypen M1, M2 und M3 antagonisiert. Weiterhin hat es als Calciumantagonist einen direkten spasmolytischen Effekt auf die glatte Blasenmuskulatur sowie eine geringe lokalanästhetische Komponente. Die weitaus häufigste Darreichungsform erfolgt als Tablette, aber auf dem deutschen Markt ist auch ein Pflaster (Handelsname Kentera) und ein Instillationsset im Handel.

Als Anticholinergikum hat es auch einen Effekt auf übermäßige Schweißproduktion.[3][4][5]

Stereochemie Bearbeiten

Oxybutynin enthält ein Stereozentrum. Im Handel wird es als Racemat [1:1-Gemisch aus (R)-Oxybutynin und (S)-Oxybutynin] vertrieben. Der anticholinerge Effekt beruht hauptsächlich auf dem (R)-Enantiomer.[6][7] Demgegenüber sind der Calciumantagonismus und der lokalanästhetische Effekt nicht stereospezifisch.

Enantiomere von Oxybutynin
 
(R)-Oxybutynin
 
(S)-Oxybutynin

Klinische Effekte Bearbeiten

In zwei klinischen Studien, an denen Patienten mit überaktiver Blase teilnahmen, senkten transdermale Oxybutynin-Pflaster mit einer Freisetzung von 3,9 mg/Tag die Inkontinenz-Episoden und steigerten die durchschnittliche Harnentleerung signifikant stärker als Placebo. Es bestand kein Unterschied zwischen transdermal verabreichtem Oxybutynin und retardierter peroraler Tolterodin-Gabe.

Nebenwirkungen Bearbeiten

Typische anticholinerge Nebenwirkungen sind Mundtrockenheit, Verstopfung, Sehstörungen, Müdigkeit und Schwindel.[8] Anticholinergika können auch ein Delirium verursachen.[9] Dies ist dosisabhängig und kann einen mitunter schweren Verlauf nehmen. Die anticholinergen Nebenwirkungen sind eine häufige Ursache für das Absetzen der Medikation.

Dem aktiven Metaboliten N-Desethyloxybutynin wird ein großer Beitrag an den unerwünschten Wirkungen zugeschrieben.[10] Sein Plasmaspiegel steigt besonders stark an nach der Verabreichung einer schnellfreisetzenden peroralen Dosis (z. B. Tablette).[11] Um dem entgegenzuwirken wurden transdermale Pflaster (Kentera®), Retardtabletten (Lyrinel OROS® in der Schweiz) und transdermale Gele (Gelnique® in den USA) entwickelt. Damit kann auch die Applikationshäufigkeit von zweimal auf einmal täglich reduziert werden. Das transdermale Pflaster umgeht zusätzlich noch den First-Pass-Effekt, so dass die verabreichte Dosis reduziert werden kann.[12] Bei einer Überlaufinkontinenz aufgrund von Diabetes oder neurologischer Erkrankungen, wie z. B. Multiple Sklerose oder Rückenmarksverletzungen, kann Oxybutynin die Überlaufinkontinenz noch verschlechtern, da ursächlich ein Schaden der Blasenkontraktion zugrunde liegt.

Klinische Pharmakologie Bearbeiten

Oxybutynin wird als Hydrochlorid – Oxybutyninhydrochlorid – arzneilich eingesetzt und hat einen direkten spasmolytischen Effekt auf die glatte Muskulatur, es wirkt anticholinerg, indem es die Acetylcholin-Wirkung an der glatten Muskulatur hemmt.

Maximale Plasmakonzentrationen werden nach ca. 1 Stunde erreicht und die Plasmahalbwertszeit liegt bei 2–5 Stunden.[13][14][15] Die große interindividuelle Streuung der Blutwerte und die geringe Urinkonzentration deuten darauf hin, dass die Elimination hauptsächlich über die Leber erfolgt.[14]

Kontraindikationen Bearbeiten

Oxybutyninhydrochlorid ist kontraindiziert bei unbehandeltem Engwinkelglaukom, da Anticholinergika die Krankheit verschlimmern. Weiter Kontraindikationen sind Darmverschluss (auch unvollständig), Hiatushernie, Refluxösophagitis, Darmlähmung, Megakolon, Blasenentleerungsstörungen u. a. Weiterhin darf es nicht verwendet werden bei obstruktiver Uropathie.

Weblinks Bearbeiten

Commons: Oxybutynin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. The Merck Index: An Encyclopedia of Chemicals, Drugs, and Biologicals, 14. Auflage (Merck & Co., Inc.), Whitehouse Station, NJ, USA, 2006; S. 1199, ISBN 978-0-911910-00-1.
  2. a b Ark Pharm: Oxybutynin, abgerufen am 11. Oktober 2018.
  3. Tupker RA, Harmsze AM, Deneer VH: Oxybutynin therapy for generalized hyperhidrosis. In: Arch Dermatol. 142. Jahrgang, Nr. 8, 2006, S. 1065–1066, doi:10.1001/archderm.142.8.1065, PMID 16924061.
  4. Mijnhout GS, Kloosterman H, Simsek S, Strack van Schijndel RJ, Netelenbos JC.: Oxybutynin: dry days for patients with hyperhidrosis. In: Neth J Med. 64. Jahrgang, Nr. 9, 2006, S. 326–328, PMID 17057269.
  5. Schollhammer M, Misery L.: Treatment of hyperhidrosis with oxybutynin. In: Arch Dermatol. 143. Jahrgang, Nr. 4, 2007, S. 544–545, doi:10.1001/archderm.143.4.544, PMID 17438194.
  6. Kachur JF, et al. R and S enantiomers of oxybutynin: pharmacological effects in guinea pig bladder and intestine, Journal of Pharmacology and Experimental Therapeutics, 247, S. 867–872, 1988; PMID 2849672.
  7. Noronha-Blob L, Kachur JF. Enantiomers of oxybutynin: in vitro pharmacological characterization at M1, M2 and M3 muscarinic receptors and in vivo effects on urinary bladder contraction, mydriasis and salivary secretion in guinea pigs, Journal of Pharmacology and Experimental Therapeutics, 256, S. 562–567, 1991; PMID 1993995.
  8. Mehta D (Ed.) 2006. British National Formulary 51. Pharmaceutical Press. ISBN 0-85369-668-3.
  9. Andreasen NC, Black DW, "Introductory Textbook of Psychiatry." American Psychiatric Publishing Inc. 2006.
  10. Allen B. Reitz, Suneel K. Gupta, Yifang Huang, Michael H. Parker, Richard R. Ryan: The preparation and human muscarinic receptor profiling of oxybutynin and N-desethyloxybutynin enantiomers. In: Med Chem. 3. Jahrgang, Nr. 6, 2007, S. 543–545, doi:10.2174/157340607782360353, PMID 18045203.
  11. Zobrist RH, et al. Pharmacokinetics of the R- and S-Enantiomers of Oxybutynin and N-Desethyloxybutynin Following Oral and Transdermal Administration of the Racemate in Healthy Volunteers, Pharmaceutical Research, 18, S. 1029–1034, 2001; PMID 11496941.
  12. Oki T, et al. Advantages for Transdermal over Oral Oxybutynin to Treat Overactive Bladder: Muscarinic Receptor Binding, Plasma Drug Concentration, and Salivary Secretion, Journal of Pharmacology and Experimental Therapeutics, 316, S. 1137–1145, 2006; PMID 16282521.
  13. drugs.com: Oxybutynin. Abgerufen am 30. August 2012.
  14. a b J. Douchamps, F. Derenne, A. Stockis, D. Gangji, M. Juvent, A. Herchuelz: The pharmacokinetics of oxybutynin in man. In: European Journal of Clinical Pharmacology. Band 35, Nummer 5, 1988, S. 515–520, PMID 3234461.
  15. americareoncall.com: Oxybutynin@1@2Vorlage:Toter Link/americareoncall.com (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2019. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.. Abgerufen am 30. August 2012.