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Die Marcion-Priorität findet in der theologischen Diskussion seit dem 19. Jahrhundert zunehmend an Aufmerksamkeit.

Über ein nach den kanonischen Evangelientexten bzw. dem Lukas-Evangelium entstandenes „Marcion-Evangelium“ wird seit dem 19. Jahrhundert diskutiert. Markus Vinzent (2014)[1][2] hob die Bedeutung des marcionitischen Evangeliums hervor.

Matthias Klinghardt (2015) postulierte die Umkehrung der Textbeziehungen, mit „Mcn“ als vorkanonischem und vor allem vorlukanischem, von Markion rezipiertem Text, auf den sich alle kanonischen Evangelien beziehen. Damit läge für die Überlieferungsgeschichte der synoptischen Evangelien erstmals eine zusätzliche Quelle vor, „Mcn“ aus dem 2. Jahrhundert würde zur Primärquelle aller nachfolgenden kanonischen Evangelien.[3][4]

Rekonstruiertes „Marcion-Evangelium“ und das synoptische Problem Bearbeiten

 
Modell der Relation Marcion-Evangelium zu den Synoptikern nach Matthias Klinghardt (2015); blaue Pfeile: starke Abhängigkeit, graue Pfeile: schwächere Abhängigkeit.[5]

Sämtliche Informationen, die man über Marcion zusammentragen konnte, stammen ausschließlich aus Werken und Texten seiner Gegner.[6] Die Hauptzeugen gegen die vermeintliche Häresie Marcions sind nach Klinghardt[7] in der Reihenfolge ihrer Bedeutung Tertullian, Epiphanius und „Adamantius“. Ihre Aussagen stellten das tragfähigste Quellenmaterial dar, das, obwohl es keine vollständige Rekonstruktion des Evangeliums Marcions („Mcn“) zulasse, verlässliche Information zur Rekonstruktion liefere. Neben diesen drei Hauptquellen seien noch weitere patristische Quellen vorhanden, die allerdings nur einige wenige, nicht kontrollierbare und damit unsichere, nicht verwendbare Hinweise auf das „Mcn“ böten.[8][9] Somit seien die Aussagen hinsichtlich des Verhältnisses von Quelle und Rekonstruktion nur so zu verstehen, dass Tertullian, Epiphanius und „Adamantius“ etc. erklärten bzw. andeuteten, dass diese oder jene Textstellen in entsprechender Weise in „Markions Evangelium“ standen.

Über die zeitliche und entstehungsgeschichtliche Beziehung eines rekonstruierten „Marcion-Evangeliums“ zu den übrigen vier Evangelien bzw. dem Evangelium nach Lukas gibt es schon seit dem 19. Jahrhundert intensive Diskussionen. Sowohl Dieter T. Roth[10] als auch Matthias Klinghardt[11] legten im Jahr 2015 jeweils eine Rekonstruktion des marcionitischen Evangeliums vor. Obwohl beide damit unterschiedliche Zielsetzungen verfolgten und von unterschiedlichen methodischen Voraussetzungen ausgingen sowie unterschiedliche Kriterien bei der Erstellung der Rekonstruktion anwendeten, erstand im Ergebnis ein Versuch der Rekonstruktion des „Evangeliums nach Markion“.[12][13]

Klinghardts Ziel ging über die eigentliche Rekonstruktion hinaus; er versuchte durch die Rekonstruktion das synoptische Problem zu lösen sowie eine Antwort auf die Frage nach der Bearbeitungsrichtung zwischen dem Evangelium nach Lukas und dem rekonstruierten Marcion-Evangelium zu finden. Dazu bezog er Textkritik und Überlieferungsgeschichte aufeinander und entwickelte ein umfassendes überlieferungsgeschichtliches Modell. Die Rekonstruktion des marcionitischen Evangeliums („Mcn“) nahm hierbei eine Kontroll- und Beweisfunktion ein. Die Entscheidung zugunsten der „Marcion-Priorität“ war bei Klinghardt die Grundlage für alle weiteren Überlegungen.

Die These der „Marcion-Priorität“ hatte weitere Folgen. Denn wenn „Mcn“ die wichtigste Quelle des kanonischen Lukas war, stellte sich die Frage nach dem Verlauf der synoptischen Überlieferung völlig neu.[14] Da „Mcn“ vor dem Lukas-Evangelium entstand, somit älter sei und von diesem als seine Hauptquelle genutzt und redaktionell bearbeitet worden war, läge für die Überlieferungsgeschichte der synoptischen Evangelien erstmals eine zusätzliche Quelle vor. Sie stünde dann im Unterschied zu der aufgrund eines methodischen Postulats im Horizont der Zweiquellentheorie nur hypothetisch zu erschließenden Logienquelle Q. Damit würde das Marcion-Evangelium aus dem 2. Jahrhundert zur Primärquelle aller nachfolgenden kanonischen Evangelien; die „Markuspriorität“ würde durch „Marcionpriorität“ abgelöst, die Annahme einer Logienquelle erübrige sich.

Die Marcionpriorität impliziert zugleich ein Modell der Spätdatierung der neutestamentlichen Evangelien ins 2. Jahrhundert – eine These, die auf David Trobisch zurückgeht, der 1996[15] in der in Heidelberg angenommenen Habilitationsschrift die Auffassung bzw. These einer frühen, einheitlichen Endredaktion des neutestamentlichen Kanons im 2. Jahrhundert vertrat.[16]

Siehe auch Bearbeiten

Anmerkungen Bearbeiten

  1. Markus Vinzent: Marcion and the Dating of the Synoptic Gospels. Studia Patristica Supplements 2, Peeters, Leuven 2014, ISBN 9042930276, S. 277 f.
  2. Paul A. Himes, Baptist College of Ministry (WI, USA) A Journal of Biblical Textual Criticism, 2015, Buchbesprechung Markus Vinzent: Marcion and the Dating of the Synoptic Gospels. Studia Patristica Supplement 2, Peeters, Louven 2014, S. 287–294; 274 (PDF; 101 KB, 5 Seiten auf jbtc.org)
  3. Matthias Klinghardt: Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien. Untersuchung – Rekonstruktion – Übersetzung – Varianten. 2 Bände. Francke, Tübingen 2015, ISBN 978-3-7720-8549-9, S. 22, S. 175 f., S. 191.
  4. siehe auch markionitisches Evangelium
  5. Matthias Klinghardt: Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien. Untersuchung – Rekonstruktion – Übersetzung – Varianten. 2 Bände. Francke Verlag, Tübingen 2015, S. 191.
  6. Ulrich Schmid: Marcion und sein Apostolos. Rekonstruktion und historische Einordnung der marcionitischen Paulusbriefausgabe. Arbeiten zur neutestamentlichen Textforschung Band 25, De Gruyter, Berlin 1995, ISBN 978-3-11-088934-5, S. 6.
  7. Matthias Klinghardt: Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien. Untersuchung – Rekonstruktion – Übersetzung – Varianten. 2 Bände. Francke, Tübingen 2015, ISBN 978-3-7720-8549-9, S. 41–55.
  8. So beispielsweise Irenäus von Lyon, Isidor von Pelusium, Justin der Märtyrer, Ephräm der Syrer, Filastrius von Brescia, Rufinus von Aquileia und Origenes.
  9. Matthias Klinghardt: Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien. Untersuchung – Rekonstruktion – Übersetzung – Varianten. 2 Bände. Francke, Tübingen 2015, ISBN 978-3-7720-8549-9, S. 55.
  10. Dieter T. Roth: The Text of Marcion’s Gospel. New Testament Tools, Studies and Documents, Band 49, Brill, Leiden/Boston 2015.
  11. Matthias Klinghardt: Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien. Untersuchung – Rekonstruktion – Übersetzung – Varianten. 2 Bände. Francke, Tübingen 2015, ISBN 978-3-7720-8549-9.
  12. Daniel Dalke: Vergleich der Rekonstruktionen des Mcn von Roth und Klinghardt – Ergebnisse. Veröffentlicht am 11. Juni 2018 auf Eastern Non-Interpolations. Digital Humanities und Neues Testament in Sachsen enipolatio.hypotheses.org
  13. Mogens Müller, Heike Omerzu: Gospel Interpretation and the Q-Hypothesis. Bloomsbury Publishing, London/New York/Sydney/Delhi 2018, ISBN 978-0-567-67004-5.
  14. Matthias Klinghardt: Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien. Untersuchung – Rekonstruktion – Übersetzung – Varianten. 2 Bände. Francke, Tübingen 2015, ISBN 978-3-7720-8549-9, S. 191, 183.
  15. David Trobisch: Die Endredaktion des Neuen Testamentes: eine Untersuchung zur Entstehung der christlichen Bibel. Universitäts-Verlag, Freiburg, Schweiz; Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996, zugl.: Heidelberg, Univ., Habil.-Schr., 1994, ISBN 3-525-53933-9 (Vandenhoeck & Ruprecht), ISBN 3-7278-1075-0 (Univ.-Verl.) (= Novum testamentum et orbis antiquus 31).
  16. Jan Heilmann, Matthias Klinghardt (Hrsg.): Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert. (TANZ 61), Narr Francke Attempto, Tübingen 2018, S. 9.