Hans Werner Lissmann

deutsch-britischer Zoologe

Hans Werner Lissmann (* 30. April 1909 in Nikolajew, Ukraine; † 21. April 1995 in Cambridge) war ein russisch-deutsch-britischer Zoologe. Er gilt als Entdecker der Elektrolokation als „sechster Sinn“, den verschiedene Fischarten aufweisen.

Leben und Tätigkeit Bearbeiten

Lissmann wuchs im zaristischen Russland als Sohn des deutschen Siedlerpaares Robert und Ebba Lissmann auf. Anlässlich des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs wurde die Familie nach Sibirien deportiert und dort interniert. 1919 siedelte die Familie nach Deutschland über, wo sie sich 1922 in Hamburg niederließ.

Ende der 1920er Jahre begann Lissmann an der Universität Hamburg Biologie zu studieren. Anschließend arbeitete er unter Jakob Johann von Uexküll am Hamburger Institut für Umweltforschung. Er promovierte 1932 mit einer Arbeit über siamesische Kampffische. 1933 wurde er mit einem Reisestipendium an die biologischen Forschungsstation der Ungarischen Akademie der Wissenschaften geschickt. Nachdem er dort mit den Forderungen, die die inzwischen zur Macht gelangten Nationalsozialisten an seine Arbeit stellten, kollidierte, ging er in die Emigration.

Es verschlug Lissmann zunächst nach Indien. Dort erhielt er ein Stipendium des Academic Assistance Council, das es ihm ermöglichte, nach Großbritannien zu gehen, und eine Stelle an der Forschungsabteilung des Zoologischen Instituts der Universität Cambridge unter James Gray anzutreten. Seine Forschungsschwerpunkte dort waren das Verhalten, die Bewegungsabläufe, die Sinnesorgane und Nervensysteme von Tieren.

Von den nationalsozialistischen Polizeiorganen wurde Lissmann nach seiner Emigration als Staatsfeind eingestuft: Im Frühjahr 1940 wurde er vom Reichssicherheitshauptamt auf die Sonderfahndungsliste G.B. gesetzt, ein Verzeichnis von Personen, die im Falle einer erfolgreichen Invasion und Besetzung der britischen Insel durch die Wehrmacht von den Besatzungstruppen nachfolgenden Sonderkommandos der SS in das Land einrücken sollten, mit besonderer Priorität ausfindig gemacht und verhaftet werden sollten.[1]

1947 wurde Lissmann als Assistant Director der Forschungsabteilung des Zoologischen Instituts von Cambridge ordentlich bestallt.

Lissmanns bekannteste wissenschaftliche Leistung erfolgte im Jahr 1950: Bei einem Besuch im Londoner Zoo war ihm 1949 aufgefallen, dass Fische der Art Großnilhecht (Gymnarchus niloticus) in der Lage waren, in gleichem Tempo und mit gleicher Geschicklichkeit, Wendigkeit und Zielklarheit rückwärts wie vorwärts zu schwimmen, ohne dabei mit Hindernissen, die hinter ihnen lagen, zu kollidieren. Dies ließ ihn argwöhnen, dass der Großnilhecht über einen dem Menschen fremden „sechsten“ Sinn verfügen müsse, den er – da er im nahen Zitteraalaquarium Ähnliches beobachtete – mit Elektrizität in Verbindung brachte. Nachdem ein Freund ihm ein Exemplar dieser Fischart zu seiner Hochzeit schenkte, erforschte Lissmann dieses eingehend in seinem Labor: Er setzte den Fisch in einen Tank und führte Elektroden in das Aquarium ein. Mit diesen gelang es ihm, ein diesem Fisch natureigenes elektrisches Feld – das für Menschen durch bloßes Berühren nicht bemerkbar ist – zu verstärken und dieses dann mit Hilfe eines Oszilloskop sichtbar zu machen. Er schlussfolgerte, dass dieses aus sich selbst fabrizierte elektrische Feld, mit dem der Großnilhecht sich beständig umgibt, ihn mit Informationen über seine Umgebung versorgt, an denen er sich instinktiv bei seinen Bewegungen orientiert.

Durch weitere Experimente konnte Lissmann dann auch den praktischen Nachweis erbringen, dass der Großnilhecht sein elektrisches Feld zur räumlichen Orientierung benutzt: Wenn er zwei Enden eines U-förmigen Stückes leitfähigen Kupferdraht ins Wasser in der Nähe des Fisches hielt, floh der Fisch. Wenn er hingegen das gleiche mit nichtleitfähigem Draht versuchte, kam es zu keiner Reaktion des Fisches. Nachdem er die Reaktionen des Fisches aufzeichnete und diese im Tank mit Elektroden wiedergab, war die Folge, dass der Fisch die von den Elektroden ausgesandten Signale angriff. Er reagierte also auf die elektronischen Reize in gleicher Weise, wie ein Kampffisch auf einen in sein Aquarium eingelassenen Spiegel reagiert, indem er sein eigenes Spiegelbild angreift. Damit war erwiesen, dass der Großnilhecht über einen von den fünf dem Menschen eigenen Sinnen abweichenden sechsten Sinn, die Fähigkeit elektrische Felder zu generieren und Störungen in ihnen wahrzunehmen, verfügt. Die praktische Anwendung dieser Fähigkeit bestand darin, wie Lissmann darlegte, Objekte – wie Hindernisse – sowie andere Fische (als Beute bzw. als zu vermeidende Feinde) aufgrund der Wahrnehmung ihrer Leitfähigkeit ausfindig zu machen und zu unterscheiden und entsprechend auf sie zu reagieren (so können Beutetiere aufgrund der ihnen als Organismen eigenen Leitfähigkeit identifiziert werden, während zu vermeidende Steine etc. als tote Objekte keine Leitfähigkeit besitzen und so als Hindernis erkannt werden).

1954 wurde Lissmann als Fellow in die Royal Society gewählt.[2]

1955 wurde Lissmann zum Dozenten (Lecturer) und 1966 zum Professor (Reader) für experimentelle Zoologie der Universität Cambridge ernannt. 1969 wurde ihm schließlich die Leitung der Unterabteilung für Tierisches Verhalten des Zoologischen Instituts übertragen, wobei er den Rang eines Direktors erhielt. 1977 ging er in den Ruhestand.

Familie Bearbeiten

Lissmann war seit 1949 mit Corinne Foster-Barham verheiratet, mit der er einen Sohn hatte.

Schriften Bearbeiten

  • Die Umwelt des Kampffisches (Betta splendens Regan), 1932.
  • "Körperhaltung und Bewegungsform eines Myriopoden im Zusammenhang mit seiner Autotomie", in: Zeitschrift für vergleichende Physiologie 21 (1935), S. 751–766.
  • “Continuous Electrical Signals from the Tail of a Fish, Gymnarchus Niloticus Cuv”, in: Nature, Bd. 167, Nr. 4240 (1951), S. 201–202.
  • "The Mechanism of Object Location in Gymnarchus Niloticus and Similiar Fish", in: Journal of Experimental Biology, Jg. 35 (1958), S. 451–486. (zusammen mit Ken E. Machin)
  • “The Mode of Operation of the Electric Receptors in Gymnarchus Niloticus.”, in: Journal of Experimental Biology 37, Nr. 4 (1960), S. 801–811.
  • "Electric Location by Fishes," in: Scientific American, Bd. 208, S. 50–59, März 1963.
  • "James Gray. 14 October 1891-14 Dezember 197", in: Biographical Memoirs of Fellows of the Royal Society, Jg. 24 (1978), S. 54–70.

Literatur Bearbeiten

  • Alexander R. McNeill: “Hans Werner Lissmann, 30 April 1909—21 April 1995.”, in: Biographical Memoirs of Fellows of the Royal Society 42 (1996), S. 234–45.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Eintrag zu Lissmann auf der Sonderfahndungsliste G.B. (Wiedergabe auf Website des Imperial War Museums in London)
  2. Rosemary Lowe-McConnell: OBITUARY: Hans Lissmann. 15. Juni 1995; (englisch).