Gemeinwirtschaft bezeichnet die Gesamtheit aller Wirtschaftsformen, die von Gemeinschaften betrieben werden und bei denen nicht das private Gewinnstreben, sondern das Wohl einer übergeordneten Gesamtheit (Gemeinwohl) im Vordergrund steht. Teilweise werden darunter auch alle Betriebe in öffentlicher Hand verstanden. Auch die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Österreich entstandenen gewerkschaftlichen und genossenschaftlichen Unternehmen werden als Gemeinwirtschaft verstanden. In den 1980er-Jahren kam es zum Zusammenbruch der Gemeinwirtschaft in Deutschland, nachdem zunächst das prominente Wohnungsbauunternehmen „Neue HeimatKonkurs machte und danach die meisten gemeinwirtschaftlichen Unternehmen verkauft wurden.[1]

Gemeinwirtschaftsunternehmen

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Weimarer Republik

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Die deutschen Gewerkschaften gründeten seit den 1920er-Jahren eine Reihe von Unternehmen in verschiedenen Branchen (z. B. die Bank der Deutschen Arbeit). Dies diente verschiedenen Zwecken, zum einen der Anlage des Gewerkschaftsvermögens, aber auch dazu, die Infrastruktur der Gewerkschaften als Vertriebskanal zu nutzen. Im Gegenzug konnten die Gewerkschaften ihren Mitgliedern auch vergünstigte Angebote zukommen lassen, was als Argument der Mitgliederwerbung diente. Vor allem aber stellten sich diese Unternehmen in den Dienst der Ideologie der Gemeinwirtschaft: Es sollte gezeigt werden, dass Unternehmen auch ohne Gewinnorientierung am Markt bestehen und Produkte und Dienstleistungen besser und billiger anbieten könnten.

Zeit des Nationalsozialismus

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Die Nationalsozialisten nahmen Gemeinwirtschaft, ähnlich wie den Begriff des Sozialismus, rhetorisch auf, zerstörten jedoch die bestehenden Formen von Gemeinwirtschaft. Genossenschaften wurden arisiert, jüdische Mitglieder ihrer Rechte beraubt. Gemeinwirtschaftliches Eigentum im Umfeld der Gewerkschaften wurde enteignet und verstaatlicht, die Gewerkschaften selbst wurden gleichgeschaltet. Die enteigneten Gewerkschaftsunternehmen wurden Teil von Naziorganisationen (z. B. Kraft durch Freude, Deutsche Arbeitsfront). Auch die Abschaffung der Betriebsräte und anderer Formen der Mitbestimmung zeigt die Gegnerschaft des NS gegenüber der Gemeinwirtschaftlichen Tradition, die auf demokratisches Prinzipien gründete. Doch statt einer Wirtschaftsdemokratie führte der NS das Führerprinzip auch in den Betrieben ein, der Unternehmer nannte sich Betriebsführer, die Belegschaft wurde zur Gefolgschaft.

Nachkriegszeit bis zur Wiedervereinigung

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Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten die Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland ihr Vermögen zurück und die Möglichkeit, sich wirtschaftlich zu betätigen. In der Folge entstanden die großen Unternehmen der Gemeinwirtschaft:

Diese entwickelten sich in den Jahren des Wirtschaftswunders und bis zum Ende der 1970er-Jahre entsprechend der allgemeinen Wirtschaft positiv. Dazu trugen vor allem zwei Faktoren bei: Zum einen genossen die Unternehmen der Gemeinwirtschaft einen guten Ruf. Sie wurden mit Attributen wie „preiswert“, „am kleinen Mann orientiert“ und „gemeinnützlich“ verbunden. Neben dem Eigentümer (den Gewerkschaften) war es vor allem das Bekenntnis zu Gemeinwirtschaft, das dieses Image bewirkte: In Hamburg waren viele gemeinwirtschaftliche Betriebe ansässig, darum wurde Hamburg als Stadt der Gemeinwirtschaft bezeichnet.[2]

Zum anderen diente der Gewerkschaftsapparat als Vertriebsschiene. Hunderttausende von Betriebsräten und Vertrauensleuten der Gewerkschaften stellten den Kontakt zu den potentiellen Kunden her. Kunden, die zwar nicht zu den kaufkraftstärksten gehörten, dafür aber den Gemeinwirtschaftsunternehmen in hohem Maße treu waren.

In den 1980er-Jahren kamen die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen in existenzbedrohliche Krisen. Der Skandal um die „Neue Heimat“ brachte die Gemeinwirtschaftsunternehmen bundesweit in die Schlagzeilen. Der Verkauf für den symbolischen Preis einer DM, um weitere Schäden von den Gewerkschaften abzuwehren, scheiterte. Weniger spektakulär, aber weitaus kostspieliger war der beinahe-Konkurs der BfG. Risikoreiche Kreditgeschäfte führten Mitte/Ende der 1980er-Jahre zu Abschreibungen in Milliardenhöhe. Durch einen Verkauf an die Aachen-Münchener Versicherung und später an Crédit Lyonnais konnte das Unternehmen gerettet werden. Jedoch musste der Kaufpreis des Crédit Lyonnais in Höhe von 1,5 Milliarden Euro zum Ausgleich der aufgelaufenen Verluste verwendet werden. Nicht überlebt hat die co op AG. 1989 wurde sie nach einem Vergleich mit den Gläubigerbanken zerschlagen und verkauft.

Die Gewerkschaften verabschiedeten sich daraufhin von der Idee der Gemeinwirtschaft.[3] Die verbleibenden Beteiligungen der Gewerkschaften wurden seither als reine Finanzinvestitionen betrachtet.

Bewegungen für Gemeinwirtschaft nach 1990

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Erst in den 2010er Jahren kamen angesichts der Wohnungsnot in vielen deutschen Städten Forderungen nach einer "Neuen Gemeinnützigkeit" auf, die rechtliche Rahmenbedingungen für gemeinnützige Wohnungswirtschaft aufstellen würde. Der Begriff Gemeinwirtschaft wurde jüngst aktualisiert durch die 2018 gegründete Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen. Sie forderte in einem im September 2021 erfolgreichen Volksentscheid die Vergesellschaftung der Bestände aller privaten Wohnungskonzerne, die in Berlin mehr als 3.000 Wohnungen halten. Sie fordert eine gemeinwirtschaftliche Verwaltung dieser Bestände und sieht Gemeinwirtschaft als "Lösung für die Berliner Wohnungskrise".[4] Mehr als eine Million Berliner stimmten im Volksentscheid für das Vorhaben.

Gemeinwirtschaftlicher Theorieansatz jüngerer Zeit

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Die US-Amerikanerin Elinor Ostrom, der 2009 als erster Frau der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen wurde, hat mit ihren Forschungsschwerpunkten die Diskussion um neue Formen der Gemeinwirtschaft wiedereröffnet. In ihrem grundlegenden Werk Governing the Commons (1990)[5] belegt sie, dass gemeinschaftlich genutzte Ressourcen (= Allmenden) bei lokaler Selbstorganisation und Beachtung bestimmter Organisationsprinzipien (insbesondere von Sanktionsprinzipien) sowohl der staatlichen Kontrolle als auch reinen Privatisierungen dauerhaft überlegen seien. Diese Erkenntnisse stehen im Widerspruch zur herrschenden Wirtschaftslehre, die es bislang unwidersprochen als sogenannte „Tragik der Allmende“ bezeichnete, wenn gemeinwirtschaftliche Nutzung historisch angeblich zwangsläufig zu Übernutzung und Raubbau geführt habe. In diesem Sinne hat der Naturschutzbund Deutschland 2010 ein Gutachten[6] von dem Forstexperten Wilhelm Bode anfertigen lassen, welches die Teilprivatisierung der NRW-Staatswälder in eine sogenannte Bürgerwald AG in Bürgerstreubesitz unter Festlegung der Produktionsform (Dauermischwald) und unter Schutz von Sperrminoritäten in Hand einer Landesnaturschutzstiftung anstrebt.

Forschungsinstitute

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Das Internationale Forschungs- und Informationszentrum für Gemeinwesen

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1947 gründete Edgar Milhaud in Genf das Internationale Forschungs- und Informationszentrum für Gemeinwesen (Centre international de recherches et d'information sur l'économie collective) (CIRIEC). 1957 wurde das Hauptquartier nach Lüttich verschoben. Nach dem Tod von Professor Milhaud im Jahre 1964 wurden Paul Lambert, 1977 Guy Quaden und seit 1990 Bernard Thiry Präsident des CIRIEC.

CIRIEC ist Herausgeber der Zeitschrift Annalen der Gemeinwirtschaft, die in deutscher, englischer und französischer Sprache erscheint. Alle zwei Jahre findet ein internationaler Kongress der Gemeinwirtschaft statt.

Akademie für Gemeinwirtschaft

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Die Akademie für Gemeinwirtschaft wurde 1948 in Hamburg gegründet. 1961 wurde sie in Akademie für Wirtschaft und Politik umbenannt, war von 1991 bis zum 31. März 2005 die selbstständige Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP) und ist heute der Fachbereich Sozialökonomie der Universität Hamburg.

Siehe auch

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Literatur

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  • Ludwig von Mises: Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus. Verlag Gustav Fischer. 1. Auflage Jena 1922 [1], 2. Auflage Jena 1932 [2].
  • Theo Thiemeyer: Zur Theorie der Gemeinwirtschaft in der Wirtschaftswissenschaft. In: Gewerkschaftliche Monatshefte. 3/1972. (online; PDF; 126 kB)
  • Rainer Weinert: Das Ende der Gemeinwirtschaft : Gewerkschaften und gemeinwirtschaftliche Unternehmen im Nachkriegsdeutschland. Campus-Verlag, Frankfurt am Main / New York 1994, ISBN 3-593-35086-6.
  • Axel Weipert (Hg.): Demokratisierung von Wirtschaft und Staat – Studien zum Verhältnis von Ökonomie, Staat und Demokratie vom 19. Jahrhundert bis heute. NoRa Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-86557-331-5.
  • Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen: Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft – Lösungen für die Berliner Wohnungskrise, 2. Auflage Berlin 2020. (online)
  • Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen: Wie Vergesellschaftung gelingt - zum Stand der Debatte, parthas verlag, 1. Auflage Berlin 2022.
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Einzelnachweise

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  1. Walter Euchner, Helga Grebing: Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland: Sozialismus – katholische Soziallehre – protestantische Sozialethik ; ein Handbuch. VS Verlag, 2005, S. 564.
  2. Armin Peter: Hamburg – Stadt der Gemeinwirtschaft. In: Miteinander geht es besser. Genossenschaftliche Traditionen und Perspektiven. Norderstedt 2011, ISBN 978-3-8423-4957-5, S. 58.
  3. Walter Euchner, Helga Grebing: Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland: Sozialismus – katholische Soziallehre – protestantische Sozialethik; ein Handbuch. VS Verlag, 2005, S. 564.
  4. Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen: Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft - Lösungen für die Berliner Wohnungskrise, 2. Auflage Berlin 2020. (online)
  5. Governing the Commons. The Evolution of Institutions for Collective Action. Cambridge University Press, Cambridge 1990, ISBN 0-521-40599-8.
  6. Wilhelm Bode: Das NRW-Bürgerwald Konzept. (PDF; 16,6 MB). NRW-NABU, Mai 2010.