Fatigue

medizinische Bezeichnung für Müdigkeit

Die Bezeichnung Fatigue ([faˈtiːɡ], englisch/französisch; „Müdigkeit, Ermüdung, Abgespanntheit, Erschöpfung“), selten auch Fatigue-Syndrom, wurde 2000 von Gregory Curt definiert als „signifikante Müdigkeit, erschöpfte Kraftreserven oder erhöhtes Ruhebedürfnis, disproportional zu allen kürzlich vorangegangenen Anstrengungen“.[1][2]

Fatigue ist ein Symptomenkomplex, der verschiedene chronische Erkrankungen begleitet. Die ICD-10- und ICD-10-GM-Codierung richtet sich deshalb nach der Grunderkrankung. Wenn aber die Grunderkrankung nicht mehr vorhanden ist, ist der Diagnoseschlüssel Unwohlsein und Ermüdung (R53) anzuwenden, sofern nicht die Diagnosekriterien für das Chronische Erschöpfungssyndrom (G93.3) erfüllt sind.[3]

Bezeichnung Bearbeiten

Während medizinische Standardwörterbücher den Ausdruck Fatigue entweder gar nicht verzeichnen oder lediglich mit „Erschöpfung“ übersetzen, wird der Begriff Fatigue in Deutschland oftmals als Bezeichnung für ein krebsbedingtes Syndrom genutzt. Das Wort wird von diesen deutschen Medizinern vorrangig bei der Behandlung von Krebspatienten in der Onkologie und der Palliativmedizin gebraucht. In der englischsprachigen Fachliteratur ist für diese spezielle Ursache hingegen der Ausdruck Cancer-Fatigue üblich.

Im Gegensatz dazu wird Fatigue von anderen Ärzten zur Bezeichnung einer allgemeinen Erschöpfungssymptomatik als Folge schwerer chronischer Herz- und Lungenerkrankungen oder bei chronischen Krankheiten wie Sarkoidose, Rheuma, Vaskulitis, multipler Sklerose, Muskeldystrophien, AIDS, Lupus erythematodes, Morbus Crohn, Sjögren-Syndrom, Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew), Psoriasis (Schuppenflechte)[4], Psoriasisarthritis[5], Ehlers-Danlos-Syndrom[6] und pulmonaler Hypertonie verwendet. Auch die Fibromyalgie kann in einer schweren Form mit Fatigue verbunden sein. Ebenfalls kann Fatigue nach einem Schlaganfall auftreten.

Davon abzugrenzen ist das auch als chronisches Fatigue-Syndrom (englisch: chronic fatigue syndrome; veraltet auch „Neurasthenie[7]) bezeichnete Chronische Erschöpfungssyndrom (G93.3). Diese ist eine eigenständige Erkrankung mit dem Leitsymptom schnelle Ermüdbarkeit und weiteren immunologischen und neurologischen Veränderungen. Eine Fatigue kann aber in ein Chronisches Erschöpfungssyndrom übergehen, wenn die Grunderkrankung nicht mehr vorhanden ist.[2]

Unter Fatigue fällt weiterhin nicht das Burn-out-Syndrom (Z73.0).

Fatigue bei Frauen Bearbeiten

Eine Studie der Universität Iowa zeigte einen Zusammenhang zwischen Schmerzen und Fatigue auf, der erklären könnte, warum mehr Frauen als Männer unter chronischen Schmerzerkrankungen leiden. In dem Experiment mit Mäusen fand man heraus, dass männliche Tiere durch ein Zusammenspiel von Testosteron und dem Protein ASIC3 eher vor Muskelschmerzen und Fatigue geschützt sind.[8]

Fatigue und Krebs Bearbeiten

Fatigue bei Krebskranken (Definition) Bearbeiten

„Fatigue bei Krebskranken ist ein subjektives Gefühl unüblicher Müdigkeit, das sich auswirkt auf den Körper, die Gefühle und die mentalen Funktionen, das mehrere Wochen andauert und sich durch Ruhe und Schlaf nur unvollständig oder gar nicht beheben lässt.“[9]

Pathogenese bei Krebs Bearbeiten

Die Pathogenese der Fatigue bei Krebs ist bislang nicht eindeutig geklärt. Überwiegend wird von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen, an der bei Krebskranken auch psychologische Faktoren, Blutbildveränderungen und Ernährungseinflüsse beteiligt sind. Bei ihnen wird die Fatigue durch die Erkrankung selbst oder im Zusammenhang mit einer Chemotherapie oder Bestrahlung ausgelöst. Sie hält meist Wochen bis Monate über den Behandlungszeitraum hinaus an und beeinträchtigt die Lebensqualität oft erheblich. Typische Merkmale sind eine anhaltende Schwäche und Abgeschlagenheit trotz ausreichender Schlafphasen, eine Überforderung bereits bei geringen Belastungen und eine deutliche Aktivitätsabnahme im privaten und beruflichen Umfeld.

Therapie bei Krebs Bearbeiten

Therapeutisch wird in der Onkologie in erster Linie zu einem Ausgleich einer evtl. bestehenden Blutarmut (Anämie) gegebenenfalls auch durch Bluttransfusionen und zu einem vorsichtig dosierten körperlichen Ausdauertraining geraten. Auch Yoga und andere Bewegungstherapien können einen positiven Effekt bei Fatigue haben.[10][11]

Fatigue bei Virusinfektionen Bearbeiten

Als nicht dauerhaft chronische Folge, jedoch bisweilen als Langzeitfolge, tritt Fatigue auch bei manchen Virusinfektionen gelegentlich auf. Das Augenmerk darauf lenkten einige COVID-19-Patienten, darunter hauptsächlich Senioren, Frauen und Übergewichtige, zumeist mit mehreren COVID-19-Symptomen erkrankt, weniger abhängig von der Schwere der Erkrankung, bei welchen einzelne COVID-Symptome monatelang anhielten, vor allem Müdigkeit und Erschöpfung, also Merkmale von Fatigue. Nach ersten Berichten wurde das als Corona-Fatigue bezeichnet,[12] nach weiteren Untersuchungen als häufigstes Symptom von Long COVID kategorisierten Krankheitsverläufen mit teils extrem langsamer Genesung.[13]

Seafarer Fatigue Bearbeiten

Seafarer Fatigue beschreibt die Ermüdung und Übermüdung von Seeleuten. Es handelt sich um eine Krankheit, bei der es sich nicht um eine eigenständige einzelne Diagnose handelt, sondern um einen Komplex von Symptomen als Reaktion auf Belastungen aus der Arbeits- und Lebensumgebung auf einem Schiff.

Leitlinien Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Agnes Glaus: Fatigue – die unübliche Müdigkeit. In: Eberhard Aulbert, Friedemann Nauck, Lukas Radbruch (Hrsg.): Lehrbuch der Palliativmedizin. Mit einem Geleitwort von Heinz Pichlmaier. 3., aktualisierte Auflage. Schattauer, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-7945-2666-6, S. 398–409.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Gregory A. Curt et al.: Impact of cancer-related fatigue on the lives of patients: new findings from the Fatigue Coalition. In: Oncologist. Nr. 5, 2000, S. 356–360.
  2. a b C. Scheibenbogen, H.-D. Volk, P. Grabowski, K. Wittke, C. Giannini, B. Hoffmeister, L. Hanitsch, Institut für Medizinische Immunologie und Immundefekte, Charité Berlin: Chronisches Fatigue-Syndrom. Heutige Vorstellung zur Pathogenese, Diagnostik und Therapie (Memento des Originals vom 31. Juli 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.fatigatio.de, tägl. prax. 55, 56 7–574 (2014), Hans Marseille Verlag, München, abgerufen am 17. Juli 2016. (Anmerkung: Der Artikel behandelt die neurologische Krankheit chronisches Fatigue-Syndrom. Fatigue wird in diesem Artikel nur zur Abgrenzung definiert und beschrieben.)
  3. ICD10-GM (Memento vom 14. Juli 2016 im Internet Archive). Abgerufen am 18. August 2016.
  4. I. M. Skoie, I. Dalen, T. Ternowitz, G. Jonsson, I. Kvivik: Fatigue in psoriasis: a controlled study. In: The British Journal of Dermatology. Band 177, Nr. 2, August 2017, ISSN 1365-2133, S. 505–512, doi:10.1111/bjd.15375, PMID 28182255.
  5. Fatigue abhängig von Krankheitsaktivität bei Psoriasis-Arthritis • DGP. In: DeutschesGesundheitsPortal. 21. Juli 2022, abgerufen am 15. September 2022 (deutsch).
  6. ehlers-danlos.com
  7. Michael Schäfer: Zur Geschichte des Neurastheniekonzeptes und seiner modernen Varianten Chronique-Fatigue-Syndrom, Fibromyalgie sowie multiplen chemische Sensitivität. In: Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie. Band 0, 2002, S. 572–580.
  8. L. A. Burnes, S. J. Kolker, J. F. Danielson, R. Y. Walder, K. A. Sluka: Enhanced muscle fatigue occurs in male but not female ASIC3-/- mice. PMID 18305024
  9. Agnes Glaus: Das Konzept Fatigue in der Onkologie: Definitionen, Hintergründe. In: J. Weis, H. Batsch (Hrsg.): Fatigue bei Tumorpatienten – eine neue Herausforderung für Therapie und Rehabilitation. Karger, Basel 2000, S. 108–120.
  10. Shiraz I. Mishra, Roberta W. Scherer, Paula M. Geigle, Debra R. Berlanstein, Ozlem Topaloglu, Carolyn C. Gotay, Claire Snyder: Exercise interventions on health-related quality of life for cancer survivors. In: The Cochrane Database of Systematic Reviews. Band 2012, Nr. 8, 15. August 2012, ISSN 1469-493X, S. CD007566, doi:10.1002/14651858.CD007566.pub2, PMID 22895961, PMC 7387117 (freier Volltext).
  11. Shiraz I. Mishra, Roberta W. Scherer, Claire Snyder, Paula M. Geigle, Debra R. Berlanstein, Ozlem Topaloglu: Exercise interventions on health-related quality of life for people with cancer during active treatment. In: The Cochrane Database of Systematic Reviews. Band 2012, Nr. 8, 15. August 2012, ISSN 1469-493X, S. CD008465, doi:10.1002/14651858.CD008465.pub2, PMID 22895974, PMC 7389071 (freier Volltext).
  12. Zeit online/Wissen, 23. Juli 2020: „Mancher, der COVID-19 hatte, ist noch Monate lang total kaputt. Selbst nach milder Krankheit bleibt eine bleierne Erschöpfung. Was steckt dahinter und geht es vorüber?“
  13. NZZ vom 8. November 2020 "Schwere Langzeitfolgen von Covid-19 kommen vor, sind aber selten " von Nicola von Lutterotti