Erwin Lesch

deutscher Sonder- und Heilpädagoge

Erwin Lesch (* 1. Juli 1893 in München; † 25. April 1974 ebenda) war ein deutscher Sonder-/Heilpädagoge.

Leben und Wirken

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Erwin Lesch war ab 1921 in München als Hilfsschullehrer tätig, zuletzt fast 30 Jahre als Schulleiter der Hilfsschule an der Kirchenstraße. Als erfahrener Hilfsschullehrer hatte er mehrere Unterrichtsbücher für die Hilfsschule herausgegeben. Lesch absolvierte unter der Leitung von Rupert Egenberger in den Jahren 1922/23 den ersten staatlichen einjährigen Heilpädagogischen Ausbildungslehrgang. Folgend wirkte er in seiner Funktion als Geschäftsführer der Gesellschaft für Heilpädagogik e. V. bei der Durchführung der Heilpädagogischen Kongresse 1924 und 1926 in München maßgebend mit, wie auch 1928 in Leipzig und 1930 in Köln. Er zeichnete auch für die Herausgabe der Kongressberichte verantwortlich.

In den Jahren von 1925 bis 1943 war Lesch als pädagogischer Mitarbeiter an der Beratungsstelle der Münchener Universitätsklinik sowie der Heckscherklinik tätig. Die damalige Chefärztin der Heckscherklinik, Maria Weber, soll dafür gesorgt haben, dass im Rahmen der sogenannten Aktion T4 der Nazis keine Patientenfragebögen ausgefüllt und alle Kinder als „bildungsfähig“ eingestuft wurden, was ihnen das Leben rettete.[1]

Nachdem Rupert Egenberger die Verantwortung für die Heilpädagogischen Ausbildungslehrgänge niedergelegt hatte, übernahm Lesch die Leitung dieser für die Jahre 1935/36 und 1941/42. Diesbezüglich „war er hauptsächlich zuständig für die Erbgesundheitslehre und die Rassenhygiene“.[2] Dem NSLB, Fachschaft V, gehörte er seit Anfang November 1933, dem NSRKB (Nationalsozialistischer Reichskriegerbund) seit 1934 an. Dieser wurde im Rahmen der Gleichschaltung des NS-Regimes Ende 1934 als SA-Reserve II der SA angegliedert. Zudem zeichnete er seit 1935 als Jugendhilfewalter in der NSV verantwortlich. Zum 1. Mai 1937 trat er in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 5.015.996),[3]

Lesch beschäftigte sich intensiv mit der Schülerauswahl für Hilfsschulen. Diesbezüglich entwickelte er ein spezielles Aufnahme-/Ausleseverfahren, das sog. „Münchener Sichtungsverfahren“, um bildungs- und schulunfähige Kinder zu erkennen und auszusondern. Ein interdisziplinäres Team von Psychiatern und Lehrern sollte die Kinder im Alter von sieben Jahren aussortieren.

Nach 1945 bekannte sich Lesch nicht zu seiner brauen Vergangenheit, leugnete buchstäblich „seine Mitgliedschaft in der SA und NSDAP“.[4] Er konnte erreichen, dass er als Mitläufer eingestuft wurde und wieder in Amt und Ehren eingesetzt wurde. Einige Förderschulen in Bayern hatten sich nach Erwin Lesch benannt. Der Münchner Pädagogikprofessor Ulrich Heimlich hatte bei seinen Forschungen Belege gefunden, dass der Münchner Hilfsschullehrer Erwin Lesch offenbar eng mit den Nationalsozialisten kooperierte. „Es gibt keine Belege, dass Erwin Lesch Täter in unmittelbarem Sinn war“, sagt Ulrich Heimlich. Aber jemand, der so intensiv die Politik der Nazis mitgetragen und öffentlich vertreten habe, könne nicht Schulnamensgeber sein.[5] Die betroffenen Schulen legten daraufhin den Namen des „Pionier der Sonderpädagogik“[6] ab: Erwin-Lesch-Schulen/Förderzentren in Unterhaching und Neumarkt in der Oberpfalz. Die Außenstellen des Förderzentrums Neuburg an der Donau (Aresing und Schrobenhausen) haben den Namen Leschs schon früher abgelegt.

Lesch hatte nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur keine wirkliche fachliterarische Zäsur mit der braunen Vergangenheit vollzogen, wie Sieglind Ellger-Rüttgardt aufzeigte und folgendes Textbeispiel belegt.[7] 1943 schrieb der Hilfsschulrektor in der Zeitschrift Die Scholle einen Beitrag mit dem Titel „Welche Kinder gehören in die Hilfsschule?“: „Wenn wir zurückblicken auf die Hilfsschule von ehedem, da sie (vor 40 Jahren) noch einer Versammlung von Idioten glich, müssen wir bekennen: sie hat ihr Gesicht wesentlich verändert; aus der Schwachsinnigenschule von damals wurde in steter Aufwärtsentwicklung die Leistungshilfsschule mit Ertragswert im neuen Geiste, die Hilfsschule, die die 'ihr überwiesenen Kinder... zu wohl brauchbaren Gliedern der Volksgemeinschaft erzieht'“.[8] Acht Jahre später formulierte er zum gleichen Thema: „Aus der Schwachsinnigenschule von damals wurde in steter Aufwärtsentwicklung die Leistungsschule für Schwachbegabte und Lernbehinderte, die Hilfsschule, die die ihr überwiesenen, ihr anvertrauten, überantworteten Kinder zu noch brauchbaren Gliedern der menschlichen Gemeinschaft formt, bildet und erzieht“.[9]

Werke (Auswahl)

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  • Die Kenntnis der Farben bei Hilfsschulkindern und Kindern im vorschulpflichtigen Alter. In: Die Hilfsschule. 1930. (Sonderdruck)
  • Aus der Hilfsklasse. München 1936.
  • Übungsstoffe (Reihen) für die Hilfsschul-Unterstufe. München 1934.
  • Der Wort-Schreib-Schatz an einfachen großgeschriebenen Wörtern für die Arbeit in der Hilfsschul-Unterstufe zusammengestellt. München 1935.
  • Welche Kinder gehören in die Hilfsschule? In: Die Scholle. 1943, S. 264–268.
  • Am Tor zum Leben. München 1950.
  • Welche Kinder gehören in die Hilfsschule? In: Zeitschrift für Heilpädagogik. 1951, S. 14–17.
  • Wir lernen malen, schreiben und lesen. Fibel für Hilfsschulen. München 1956.
  • Fröhliche Lesestunde. Lesebuch für Sonderschulen. München 1959.

Literatur

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  • O. Speck: Erwin Lesch†. In: Zeitschrift für Heilpädagogik. 1974, S. 496–497.
  • S. L. Ellger-Rüttgardt: Geschichte der Sonderpädagogik. Eine Einführung. München/ Basel 2008.
  • U. Heimlich: Bayerische Sonderpädagogik in der Nazi-Zeit dargestellt am Beispiel des Münchener Erwin Lesch. In: Spuren. 2013, S. 37–42.
  • U. Heimlich: Erwin Lesch: Aktivist oder Mitläufer? In: Spuren. 2014, S. 44–46.
  • H. Fangerau, S. Topp, K. Schepker (Hrsg.): Kinder- und Jugendpsychiatrie im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit. Zur Geschichte ihrer Konsolidierung. Springer, Berlin 2017, ISBN 978-3-662-49805-7, S. 135.

Einzelnachweise

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  1. "Seismographen der Gesellschaft". In: sueddeutsche.de. 17. Mai 2010, abgerufen am 18. Juni 2024.
  2. Heimlich 2013, S. 37.
  3. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/25601232
  4. Heimlich 2014, S. 44.
  5. Iris Hilberth: Belasteter Namensgeber. In: Süddeutsche Zeitung. 13. August 2013.
  6. Speck 1974, S. 496.
  7. vgl. dazu Ellger-Rüttgardt 2008, S. 295.
  8. Lesch 1943, S. 268.
  9. Lesch 1951, S. 27.