De tribus impostoribus

blasphemisches Traktat von 1688, Erstdruck Wien 1753

De tribus impostoribus (deutsch: „Über die drei Betrüger“) ist ein von Mythen umranktes religionskritisches Werk. Die Sprengkraft dieses legendären Werkes liegt in seinem konzisen Titel De Tribus Impostoribus: Die drei abrahamitischen Religionsstifter Moses, Jesus und Mohammed werden als Betrüger dargestellt.[1] Das seit dem Mittelalter erwähnte Werk ist nicht mehr erhalten oder hat nie existiert. Ein unter ähnlichem Titel veröffentlichtes lateinisches Werk wurde im 18. Jahrhundert gedruckt (De imposturis religionum), genauso wie ein anonymes französischsprachiges Pamphlet (Traité des trois imposteurs: Moïse, Jésus-Christ, Mahomet oder L’Esprit de Spinoza).

Verschollenes Werk: De tribus impostoribus

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Johann Joachim Müller: De imposturis religionum, 1598 (recte 1688), in Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Manuskript cod. 10450

Die erste Erwähnung findet sich 1239 in einem Brief Papst Gregors IX., in dem er Kaiser Friedrich II. ein solches Werk zuschreibt. Laut Tommaso Campanella erschien die erste Ausgabe 1538, und auch andere Zeugen erklärten, das Buch schon vor 1598 gelesen zu haben (und natürlich wollen sie dieses gotteslästerliche Werk verbrannt haben). Allerdings finden sich in keiner Quelle Inhaltsangaben oder Zitate, und trotz intensiver Suche wurde nie ein Manuskript gefunden.

Der angebliche Text wurde möglicherweise angeregt durch Maimonides, der in seinem Brief in den Jemen Jesus, Paulus und Mohammed als drei Betrüger bezeichnet. Im Hintergrund stehen dabei Theorien islamischer Freidenker des 9. und 10. Jahrhunderts. Dazu zählt das Buch der siebten Erreichung (Kitâb as-sijâsa oder Kitâb al-balâg as-sâbi), das angeblich aus dem Umkreis der Qarmaten stammte. Erstmals erwähnt wurde dieses Werk kurz nach 983. Darin wurden die Gebote von Judentum, Christentum und Islam für aufgehoben erklärt sowie die Grundlagen aller drei Offenbarungsreligionen gleichermaßen angezweifelt: Es gebe weder Sünde noch ein Leben nach dem Tod.

Verfasser

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Als Autoren des bzw. eines Traktats De tribus impostoribus wurden seit dem Mittelalter viele Menschen verdächtigt. Zu den Bekanntesten gehören: Kaiser Friedrich II. oder sein Kanzler Petrus de Vinea, Abu Tahir Al-Djannabi (907–944), der Herrscher des Qarmaten-Staates in Bahrain, Simon de Tournai (c. 1130–1201), Guillaume Postel, Jan Nachtegal, Averroes, Petrus Pomponatius, Pietro Aretino, Michael Servet, Gerolamo Cardano, Niccolò Machiavelli, François Rabelais, Erasmus von Rotterdam, John Milton, Matthias Knutzen, Angelus Merula, Giordano Bruno, Tommaso Campanella, Giovanni Boccaccio, Paul Henri Thiry d’Holbach, Sa'd ibn Mansur ibn Kammuna, Uriel da Costa, Baruch Spinoza.

Lateinisches Manuskript: De imposturis religionum

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1716 wurde ein Text unter dem Titel De imposturis religionum bekannt, als bei der Versteigerung der Bibliothek des Greifswalder Theologen Johann Friedrich Mayer ein solches Manuskript für den Prinzen Eugen von Savoyen erworben wurde. Aus dessen Besitz ging das Manuskript (sog. Wiener Handschrift) in den Besitz der Hofbibliothek Wien (heute Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Nr. 10450) über[2]. Die erste, 1753 beim Wiener Drucker Straube gedruckte Ausgabe De imposturis religionum trägt das fiktive Erscheinungsjahr 1598. Der Text behandelt aber nicht alle drei Religionen, sondern nur das Christentum; daher hat man in der Forschung lange angenommen, dass der anonyme Autor sein Buch nicht fertigstellen konnte. „Der Traktat war einer der verbreitetsten Texte der radikalen Untergrundliteratur.“[3] Zahlreiche Freidenker der Aufklärung ließen sich durch ihn inspirieren. Im Jahre 1761 erstellte Johann Christian Edelmann (1698–1767) eine kommentierte deutsche Übersetzung.

Verfasser

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Als Autor des tatsächlich gedruckten Buchs De tribus impostoribus soll nach Wolfgang Gericke der Genfer Bürger Jacques Gruet in Frage kommen. Darauf ließe die Polemik gegen Calvin schließen. Mit dessen Billigung wurde Gruet 1547 in Genf hingerichtet. Der Philosophiehistoriker Friedrich Niewöhner kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Verfasser des Buches, auch wenn er sich nicht genau identifizieren lässt, um einen Marranen der zweiten oder dritten Generation handeln müsse.

Nach nun entdeckten Indizien schrieb den Text im Jahr 1688 der Hamburger Jurist Johannes Joachim Müller (1661[4]–1733), Enkel des bekannten Hamburger Theologen Johannes Müller (1598–1672), der seinerseits in seinem Werk Atheismus devictus einen Druck von Nachtigal 1610 erwähnt. Auch Winfried Schröder gibt Belege für die Urheberschaft Johannes Joachim Müllers.[5]

Französisches Pamphlet: Traité des trois imposteurs

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Der anonyme französischsprachige, religionskritische Traité des trois imposteurs: Moïse, Jésus-Christ, Mahomet (deutsch: „Traktat über die drei Betrüger: Moses, Jesus Christus, Mohammed“) oder L’Esprit de Spinoza (deutsch: „Der Geist Spinozas“) ist ein Schlüsseldokument der materialistisch-atheistischen Radikalaufklärung. Auch dieses Werk gibt sich als eine Übersetzung des legendären mittelalterlichen Werkes aus. Es hat mit der lateinischen De tribus impostoribus-Version nur den Titel gemein.[6] Der Erstdruck des französischen Werkes erschien 1719 unter dem doppelten Titel La Vie et L’Esprit de Mr. Benoit (sic!) de Spinosa (sic!)[7] in Den Haag.[8] Dieses blasphemische Pamphlet wird nach dem aktuellen Forschungsstand (2015) auf den Zeitraum zwischen 1677 und 1700 datiert:[9] Zur Bedeutung des Textes schreibt Schröder: „Philosophiegeschichtlich bedeutsam ist vor allem der Einfluß des Traité auf den seit der Mitte des 18. Jahrhunderts sich formierenden französischen Materialismus. Der Traité liest sich geradezu wie die straffe Skizze des breit ausgeführten Systemè de la nature Holbachs.“[10]

Verfasser

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Silvia Berti sieht im niederländischen Juristen Jan Vroese (1672–1725) den Autor des Werkes,[11]; Raoul Vaneigem nennt in seiner Werkausgabe[12] als möglichen Autor den französischen Hugenotten-Flüchtling Jean Rousset de Missy; für Winfried Schröder[13], Miguel Benítez[14], Bertram Eugene Schwarzbach und Andrew W. Fairbairn[15] hingegen bleibt die Frage nach der Verfasserschaft völlig offen.

Literatur

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  • Gerhard Bartsch (Hrsg.): De tribus impostoribus Anno MDIIC. (Moses, Jesus, Mohammed). = Von den drei Betrügern 1598. Zweisprachige Ausgabe, (Latein, Deutsch). Übersetzt von Rolf Walther. Akademie-Verlag, Berlin (Ost) 1960.
  • Wolfgang Gericke: Das Buch „De Tribus Impostoribus“ (= Quellen. Ausgewählte Texte aus der Geschichte der christlichen Kirche. NF Heft 2, ZDB-ID 527551-9). Evangelische Verlagsanstalt, Berlin (Ost) 1982.
  • Wolfgang Gericke: Die handschriftliche Überlieferung des Buches Von den Drei Betrügern (de tribus impostoribus). In: Studien zum Buch- und Bibliothekswesen. 6, 1988, ISSN 0323-8911, S. 5–28.
  • Patrick Marcolini: Le „De Tribus impostoribus“ et les origines arabes de l’athéisme philosophique européen. In: Les Cahiers de l’ATP. Oktober 2003, (PDF; 78 kB).
  • Louis Massignon: La Légende „De Tribus Impostoribus“ et ses Origines Islamiques. In: Revue de l'histoire des religions. Bd. 82, 1920, ISSN 0035-1423, S. 74–78, JSTOR:23663280.
  • Fritz Mauthner: Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande. Band 1. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart u. a. 1920, S. 306–331.
  • Georges Minois: Le Traité des trois imposteurs. Histoire d’un livre blasphématoire qui n’existait pas. Editions Albin Michel, Paris 2009, ISBN 978-2-226-18312-5.
  • Martin Mulsow: Die drei Ringe. Toleranz und clandestine Gelehrsamkeit bei Mathurin Veyssière La Croze (1661–1739) (= Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung. 16). Niemeyer, Tübingen 2001, ISBN 3-484-81016-5.
  • Friedrich Niewöhner: Veritas sive Varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrügern (= Bibliothek der Aufklärung. 5). Schneider, Heidelberg 1988, ISBN 3-7953-0761-9 (Zugleich: Berlin, Freie Universität, Habilitations-Schrift, 1983).
  • Jacob Presser: Das Buch „De Tribus Impostoribus“. (Von den drei Betrügern). H. J. Paris, Amsterdam 1926, (Zugleich: Amsterdam, Universität, Dissertation, 1926).
  • Eugenio di Rienzo: Il „Liber De tribus impostoribus“ nel XVI secolo. In: Eugenio di Rienzo: La morte del Carnevale. Religione e impostura nella Francia del Cinquecento (= Historia. 2). Bulzoni, Rom 1989, ISBN 88-7119-043-2, S. 99–141.
  • Anonymus (Johann Joachim Müller): De imposturis religionum. (De tribus impostoribus). Dokumente. = Von den Betrügereyen der Religionen (= Philosophische Clandestina der deutschen Aufklärung. Abt. 1: Texte und Dokumente. Bd. 6). Kritisch herausgegeben und kommentiert von Winfried Schröder. Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999, ISBN 3-7728-1931-1.
  • Winfried Schröder (1992): Anonymus: Traktat über die drei Betrüger / Traité des trois imposteurs (L'esprit de Mr. Benoit de Spinosa) (Französisch – Deutsch). Meiner: Hamburg.
  • Winfried Schröder: Ursprünge des Atheismus. Untersuchungen zur Metaphysik- und Religionskritik im 17. und 18. Jahrhundert (= Quaestiones. 11). 2., mit einem neuen Nachwort versehene und bibliographisch aktualisierte Auflage. Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2012, ISBN 978-3-7728-2608-5, Anhang, § 7, (Zugleich: Berlin, Freie Universität, Habilitations-Schrift, 1996).
  • Raoul Vaneigem: La résistance au christianisme. Les hérésies des origines au XVIIIe siècle. Fayard, Paris 1993, ISBN 2-213-03040-5 (Kap. 48; engl. Übersetzung).
  • Heiner Jestrabek (Hrsg.): Frühe deutsche Religionskritik. Matthias Knutzens Flugschriften. Von den 3 Betrügern Moses, Jesus, Mohammed. Reimarus-Fragmente. Reutlingen 2014, S. 97–125, ISBN 978-3-922589-55-6.
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Einzelnachweise

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  1. „Tout est dans le titre, povocation suprême, blasphème absolu, défi frontal aux trois grandes religions monothéistes.“ Georges Minois: Le Traité des trois imposteurs. Histoire d’un livre blasphématoire qui n’existait pas. 2009, S. 7.
  2. De imposturis religionum (breve compendium) (deutsch: (Kurzes Kompendium) Über die Betrügereien der Religionen), Ausgabe: Friedrich W. Genthe (Hrsg.): De impostvra religionvm breve compendium sev liber de tribus impostoribus. Nach zwei Mss. mit Historisch-Litterarischer Einleitung. Friedrich Fleischer, Leipzig 1833, (Digitalisat. Österreichische Nationalbibliothek Wien, cod. 10450 = Eug. Q.54.
  3. Friedrich Niewöhner: De tribus impostoribus. In: Franco Volpi (Hrsg.): Großes Werklexikon der Philosophie. Band 2: L–Z, Anonyma und Sammlungen. Kröner, Stuttgart 1999, ISBN 3-520-82901-0, Sp. 1632 f., hier Sp. 1633.
  4. Ursula Winter: Die europäischen Handschriften der Bibliothek Diez. Teil 3, Abschlussband: Die Manuscripta Dieziana C (= Die Handschriften-Verzeichnisse der Deutschen Staatsbibliothek zu Berlin. NF 1, 3). Harrassowitz, Wiesbaden 1994, ISBN 3-447-03430-0, S. 73.
  5. Schröder, Winfried: Ursprünge des Atheismus Untersuchungen zur Metaphysik- und Religionskritik des 17. und 18. Jahrhunderts. 2., mit einem neuen Nachwort versehene und bibliographisch aktualisierte Auflage. frommann-holzboog, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-7728-2608-5, S. 427.
  6. Winfried Schröder (1992): Einleitung, S. XV: „von dem lateinischen Traktat völlig unabhängige Abhandlung ... holt ... thematisch erheblich weiter aus.“
  7. Spinosa (sic!) mit s geschrieben, siehe: La vie et l’esprit de Mr. Benoit de Spinosa, 1917
  8. Silvia Berti: L’Esprit de Spinosa: ses origines et sa première édition dans leur contexte spinozien. In: Heterodoxy, Spinozism and free thougt in early-eighteenth-century Europe: Studies on the Traité des Trois Imposteurs. ISBN 978-90-481-4741-0, S. 3–52, S. 6; books.google.de
  9. Winfried Schröder: Ursprünge des Atheismus. Untersuchungen zur Metaphysik- und Religionskritik im 17. und 18. Jahrhundert (= Quaestiones, 11). 2. Auflage. Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2012, ISBN 978-3-7728-2608-5 (Anhang, § 7, S. 452–464)
  10. Winfried Schröder (1992): Einleitung, S. XLII, ohne Anmerkungen.
  11. Silvia Berti: L’Esprit de Spinosa: ses origines et sa première édition dans leur contexte spinozien. In: Heterodoxy, Spinozism and free thougt in early-eighteenth-century Europe: Studies on the Traité des Trois Imposteurs. ISBN 978-90-481-4741-0, S. 3–52, books.google.de/books
  12. Raoul Vaneigem (Verfasser des Vorwortes und Herausgeber): L’Art de ne croire en rien suivi de Livre des trois imposteurs, Seiten 125–233, Payot & Rivages 2002, ISBN 978-2-7436-1002-9
  13. Winfried Schröder: Ursprünge des Atheismus. Untersuchungen zur Metaphysik- und Religionskritik im 17. und 18. Jahrhundert (= Quaestiones, 11). 2. Auflage. Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2012, ISBN 978-3-7728-2608-5 (Anhang, § 8, S. 463).
  14. S. V
  15. Bertram Eugene Schwarzbach, Andrew W. Fairbairn: Structure of our Traité des trois imposteurs, in: Heterodoxy, Spinozism and free thougt in early-eighteenth-century Europe: Studies on the Traité des Trois Imposteurs, S. 75–130, ISBN 978-90-481-4741-0: Seite VII