Betahistin ist ein Arzneistoff, der in der Behandlung von Schwindelzuständen, insbesondere von Morbus Menière und Hydrops cochleae eingesetzt wird, obwohl ein Wirkungsnachweis bei diesen Krankheiten durch eine kontrollierte Studie bislang nicht erbracht werden konnte. Er wirkt als H3-Antihistaminikum, das gleichzeitig als Agonist am H1-Rezeptor wirksam ist.[3]

Strukturformel
Strukturformel von Betahistin
Allgemeines
Freiname Betahistin
Andere Namen
  • 2-Pyridinethanmethylamin
  • N-Methyl-2-(2-pyridyl)ethylamin
Summenformel C8H12N2
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 5638-76-6
EG-Nummer 227-086-4
ECHA-InfoCard 100.024.625
PubChem 2366
ChemSpider 2276
DrugBank DB06698
Wikidata Q368995
Arzneistoffangaben
ATC-Code

N07CA01

Wirkstoffklasse
Eigenschaften
Molare Masse 136,19 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Dichte

0,98 g·cm−3[1]

Schmelzpunkt

113–114 °C (bei 40 hPa)[1]

pKS-Wert

3,5; 9,7[2]

Löslichkeit

Dimesilat: sehr leicht in Wasser; leicht in Ethanol, sehr schwer in 2-Propanol[2]

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[1]

Achtung

H- und P-Sätze H: 315​‐​319​‐​335
P: 261​‐​305+351+338[1]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Klinische Angaben Bearbeiten

Anwendungsgebiete (Indikationen) Bearbeiten

Betahistin wird bei Störungen des Vestibularapparates wie den Symptomen der Menière’schen Krankheit angewendet, dazu zählen u. a. Schwindel, Ohrgeräusche, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Höreinschränkungen.

Dosierung, Art und Dauer der Anwendung Bearbeiten

Dreimal täglich 8 mg bis dreimal täglich 16 mg über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten.[4] In der Praxis ist eine Dosierung von dreimal täglich 6–12 mg üblich.[5] Diese Angaben beziehen sich auf das gebräuchliche Salz des Wirkstoffs Betahistindimesilat. Um Magenunverträglichkeiten zu vermeiden, empfiehlt sich die Einnahme nach dem Essen.[6]

Gegenanzeigen (Kontraindikationen) Bearbeiten

Phäochromozytom, Magen- und Darmgeschwüre, Asthma bronchiale, Überempfindlichkeit gegen Betahistin, Schwangerschaft.[7]

Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten Bearbeiten

Antihistaminika verringern die Wirksamkeit von Betahistin.[5]

Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit Bearbeiten

Die Einnahme von Betahistin ist während der Schwangerschaft und Stillzeit kontraindiziert.

Unerwünschte Wirkungen (Nebenwirkungen) Bearbeiten

Häufigkeit nicht bekannt:

  • Flüchtiger Hautausschlag mit Hautrötung und Quaddelbildung
  • Kopfschmerzen, Benommenheit
  • Herzklopfen
  • Magen-Darm-Unverträglichkeiten
  • Hitzegefühl
  • Gewichtszunahme

Pharmakologische Eigenschaften Bearbeiten

Wirkungsmechanismus (Pharmakodynamik) Bearbeiten

Betahistin greift unter anderem an den Histamin H1-Rezeptoren des Innenohrs an und wirkt dort gefäßerweiternd. Zudem wird die Erregung von Nervenzellen der Gleichgewichtskerne gehemmt, was zusammen mit der verbesserten Durchblutung als positiver Effekt auf oben genannte Symptome behauptet wurde.[7]

Bioverfügbarkeit und Metabolismus Bearbeiten

Die Resorption von Betahistin erfolgt rasch und vollständig. Betahistin ist nicht im Blut nachweisbar, jedoch sein inaktiver Metabolit 2-Pyridylessigsäure. Dessen maximale Plasmaspiegel werden nach ca. einer halben Stunde erreicht, nach 24 Stunden ist die Substanz vollständig über den Urin ausgeschieden.[5]

Toxikologie Bearbeiten

Folgende Angaben zum LD50-Wert (akute Toxizität) sind bekannt:
Betahistindimesilat

  • Ratte: 3030 mg/kg KG oral, 604 mg/kg KG i.v.[2]

Betahistindihydrochlorid

  • Ratte: 3000 mg/kg KG oral, 505 mg/kg KG i.v.
  • Hund: 129 mg/kg KG i.v.

Keine nachweisliche Wirkung bei Krankheiten des Innenohrs Bearbeiten

Menière’sche Krankheit Bearbeiten

2001 veröffentlichte die Cochrane Collaboration, eine internationale Organisation zur Untersuchung von medizinischen Therapien, eine Systematische Übersichtsarbeit (Metastudie) zur Wirkung von Betahistin bei Menière’scher Krankheit. Für den Zeitraum 1962–1999 gab es zu dieser Frage nur sechs randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 162 Patienten. Die Analyse dieser Arbeiten ergab, dass es keine hinreichenden Daten gab, um beurteilen zu können, ob Betahistin überhaupt einen Effekt auf die Menière-Krankheit hat.[8] 2016 wurde in der bisher größten placebokontrollierten Doppelblindstudie an 221 nachgewiesen, dass weder die bisherige Höchstdosis von 48 mg/d noch 144 mg/d der Gabe von Placebo überlegen ist,[9] womit die Unwirksamkeit zumindest bis zum Dreifachen der bisher zugelassenen Höchstdosis erwiesen ist.

Hydrops Cochleae Bearbeiten

Im Falle von Hydrops Cochleae (auch Endolymphatischer Hydrops), als vorhergehendem und begleitendem Symptom der Menière’schen Krankheit, ist die Lage ähnlich. Nachdem in den letzten Jahren durch Magnetresonanztomographie (MRT) auch beim Menschen die Ausdehnung der mit Endolymphe gefüllten Gefäße im Innenohr quantitativ messbar wurde, zeigte eine Studie mit sechs Patienten bei keinem einen Effekt von Betahistin[10] und eine Fallstudie einer Patientin über zwei Jahre zwar ein Ende der Schwindelanfälle, jedoch eine Verschlechterung von Hydrops und Hörvermögen auf beiden Ohren.[11]

Handelsnamen Bearbeiten

Aequamen (D), Betaserc (A, CH), Betavert (D), Vasomotal (D), zahlreiche Generika

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c d Datenblatt Betahistin bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 13. März 2011 (PDF).Vorlage:Sigma-Aldrich/Name nicht angegeben
  2. a b c Eintrag zu Betahistin. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 27. Juni 2019.
  3. Mutschler, Ernst: Mutschler Arzneimittelwirkungen. Pharmakologie, klinische Pharmakologie, Toxikologie. 10. Auflage. Stuttgart. 2013.
  4. Claes,J.: A Review of Medical Treatment for Ménières Desease. In: Acta Oto-Laryngologica 120, Nr. 8, 2000, doi:10.1080/000164800750044461, S. 34–39
  5. a b c Fachinformationenen Aequamen®
  6. Fachinformationenen Vasomotal®
  7. a b Betahistin In: HagerRom 2006, Springer Medizin Verlag
  8. A. L. James, M. J. Burton: Betahistine for Menière’s disease or syndrome. In: The Cochrane database of systematic reviews. Nummer 1, 2001, S. CD001873, doi:10.1002/14651858.CD001873, PMID 11279734 (Review).
  9. C. Adrion, C. S. Fischer, J. Wagner, R. Gürkov, U. Mansmann, M. Strupp: Efficacy and safety of betahistine treatment in patients with Meniere’s disease: primary results of a long term, multicentre, double blind, randomised, placebo controlled, dose defining trial (BEMED trial). In: BMJ (Clinical research ed.). Band 352, 2016, S. h6816. PMID 26797774, PMC 4721211 (freier Volltext).
  10. R. Gürkov, W. Flatz, D. Keeser, M. Strupp, B. Ertl-Wagner, E. Krause: Effect of standard-dose Betahistine on endolymphatic hydrops: an MRI pilot study. In: European archives of oto-rhino-laryngology : official journal of the European Federation of Oto-Rhino-Laryngological Societies (EUFOS) : affiliated with the German Society for Oto-Rhino-Laryngology – Head and Neck Surgery. Band 270, Nummer 4, März 2013, S. 1231–1235, doi:10.1007/s00405-012-2087-3, PMID 22760844.
  11. C. Jerin, E. Krause, B. Ertl-Wagner, R. Gürkov: Longitudinal assessment of endolymphatic hydrops with contrast-enhanced magnetic resonance imaging of the labyrinth. In: Otology & neurotology : official publication of the American Otological Society, American Neurotology Society [and] European Academy of Otology and Neurotology. Band 35, Nummer 5, Juni 2014, S. 880–883, doi:10.1097/MAO.0000000000000393, PMID 24770407.