Benutzerin:Motmel/Deutsche Komponistinnen der Nachkriegszeit

Folgende (untenstehende) Komponistinnen haben gemeinsam, dass sie in dem wichtigen und renommierten Buch von Ulrich Dibelius Moderne Musik nach 1945 – laut Register – nicht enthalten sind. Auch nicht nach mehrmaliger Überarbeitung während dreißig Jahren durch den Autor.[1] Die beiden russischen Komponistinnen Galina Ustwolskaja und Sofia Gubaidulina sind dagegen enthalten wie auch Gloria Coates (USA) sowie Gracyna Bacewicz (Polen). Desgleichen die Rumäninnen Myriam Marbe und Adriana Hölszky. Es fehlen nicht Younghi Pagh-Paan (Südkorea), Olga Neuwirth (Österreich) und die Deutsche Isabel Mundry, letztere beide geboren n a c h 1960. Aber die englische Komponistin Imogen Holst fehlt, nicht jedoch ihr Vater Gustav Holst, über den die Tochter eine Biographie schrieb. Ausführlich behandelt Dibelius die New Yorker Performance-Künstlerinnen.[2]

Um die Sache zu illustrieren (zuzuspitzen), möchte ich folgende Passage Dibelius' zu den amerikanischen Performance-Musikerinnen (enthalten (5!): Pauline Oliveros, Laurie Anderson, Meredith Monk, Jana Haimson, Joan La Barbara) hier anführen: Dibelius gesteht diesen Musikerinnen ein „faszinierendes“ „spezielles Potential weiblicher Musikalität“ zu. Irritierend ist davon sein Schlusssatz folgender Passage:

„Ihre eigenste emanzipatorische Domäne haben darin aber die amerikanischen Performance-Künstlerinnen entdeckt. Vielleicht, weil diese vielfältig konzentrische Form der Selbstverwirklichung durch Singen, Spielen, Tanzen, Agieren am ehesten ein Äquivalent gegen lange gesellschaftliche und vor allem künstlerische Unterdrückung zu bieten scheint. Vielleicht aber auch, weil das umfassende Exponieren der eigenen Physis dem weiblichen Naturell am sinnfälligsten entspricht und zugleich jegliche Konkurrenz im vorhinein ausschließt.[3]

Der Schlusssatz allein steht in Ist-Form, davor ist die Möglichkeitsform ausgedrückt.

Die männlichen Komponisten-Namen in Dibelius' Buch sind, so der Eindruck, vollständig versammelt, darunter viele unbekannte. Als Normal-Musikerin kenne ich viele, aber Dibelius noch mehr. Und sogar solche, die mit nur einer Seitenzahl im Register erscheinen, sind im Text innerhalb eines Satzes oder Zusammenhanges definiert und haben ein Werkregister. Das fachliche Wissen des Autors ist bewundernswert, und wie er Übersicht in der schwierigen deutschen Geschichte schafft und dabei Europa und USA im Blick hat. Ja sogar Afrika, Indien. Warum aber fehlen die deutschen Frauen d e r Generation vollständig, die Dibelius seit der ersten Ausgabe seines Buches über die Moderne Musik von 1945-1965 behandelt? Es sind die Komponistinnen, deren schöpferische Lebenszeit vor und nach dem 2. Weltkrieg liegt, wobei Mahler-Werfel und Heller die zeitlichen "Rand"grenzen darstellen.

Situation und Frage Bearbeiten

Deutsche Komponistinnen der Nachkriegszeit sind Frauen, die vom 2. und einige auch vom 1. Weltkrieg tangiert sind, indem sie diese leibhaftig während ihrer Entwicklungs- bzw. Schaffenszeit erlebten und nach deren Ende die Zeit des Neuanfangs mitmachten. Warum sind sie nicht in diesem Schlüsselwerk von Dibelius enthalten? Antwort:---- Bzw. Was bedeutet es, dass sie darin nicht enthalten sind? - Dass sie nicht bekannt sind? D.h.: mir schon. Aber, wenn ich was von ihnen hören will, muss ich sehr lange nach Tonaufnahmen suchen, denn im Konzert werde ich sie nicht treffen. Oder ich muss an den Rundfunk schreiben, wo (nach Eva Weissweiler Tonaufnahmen existieren (die aber nicht gespielt werden)[4] oder eruieren, ob in ihren Heimatstädten oder auf Komponistinnenfestivals ihrer gedacht wird. Das ist zeitaufwendig und teuer. Und trägt auch nicht zur allgemeinen Bekanntheit bei. Und wozu allgemeine Bekanntheit? Ach ja, damit auch Geld fließt, denn nach dem Alte-Musik-Menschen Reinhard Goebel ist nur DER ein Komponist, der „mit seiner Hände Arbeit“ sein Geld verdient. Wer also komponiert, aber nix verdient, verhungert ohne Komponistenehre. Hexen, die ehemals tausendfach verbrannt wurden, kriegen ja auch kein Denkmal. Hamm wir eigentlich inne Wikipedia schon eine Liste der verbrannten Hexen? Oder zumindest von unehrenhaften Komponistinnen?

Warum? Bearbeiten

Vielleicht kann man das Vergessen als banal bezeichnen? Vergessen wird nicht bestraft, geht wie von selbst, benötigt keinerlei Aktivität, tut nicht weh und gehört mit zum Normalsten im gesellschaftlichen Leben. Macht sogar gelegentlich glücklich. Konkurrenz? Nein, soweit oben sind sie ja noch gar nicht gewesen, als Dibelius sein Buch schrieb, obwohl – eigentlich schon, jedenfalls nicht niedriger als viele andere Genannte. Nun ist das ja, wie gesagt nicht strafbar: wo kämen wir hin, wenn man beim Bücherschreiben inklusionistisch vorgehen m ü s s t e? Oder nach Frauenquote. Zum Piepen. Man bräuchte eine Aufsichtsbehörde, woher aber sollte diese ihr Wissen nehmen? Abgesehen von anderen Schwierigkeiten:

Der deutsche Jugendwettbewerb "Jugend musiziert", eine prima Fördermaßnahme für Begabungen, hat seit Jahrzehnten eine breitangelegte Vorschlagsliste für Vortragsstücke aller Leistungs-, Alters- und Stilstufen im Programm. Darin befanden sich sogar drei Komponistinnennamen: Clara Schumann, Gracyna Bacewicz und Cecile Chaminade neben "hunderten" männlichen. 2020 nun wurde erstmals in die Listen geschrieben, dass auch Komponistinnen relevant wären und wurden als Auswahlkriterium für verschiedene Stilepochen vorgeschlagen. (Aber da kam Corona und erstmal Sense für den Bundeswettbewerb, nachdem Regional- und Landeswettbewerb noch stattgefunden hatten.)

Weil ich mich so freute, schrieb ich an den Deutschen Tonkünstlerkalender (Schott-Verlag), man möge doch bitte den Anhang über die Komponisten erweitern um Komponistinnendaten, damit man bei z. B. Programmgestaltung, Wettbewerb u. ä. darauf zurückgreifen könne. Die Antwort: das wäre schwierig, denn man wisse nicht (aus Platzgründen), welchen Mann man für eine Frau aus der Liste tun solle. Ich habe ihnen eine saubere Liste von Komponistinnen geschickt, die gnädig angenommen wurde mit der Bemerkung, die nächste Ausgabe des Tonkünstlerkalenders sei bereits fertig geplant.

Das war 2020.

Nochmal Ia: was vergisst man? (Oder ist es was anderes als Vergessen?) Z. B. schützt ein Einkaufzettel, den man sich vorher schriftlich macht, vor Vergessen, damit man alles zusammen hat, was wichtig ist, was man braucht. Hätte Dibelius das getan, wären die Komponistinnen dann auch vergessen worden? Also, bei Vergessen passiert ja eigentlich nix. Es ist normal. Niemand ist da, dem was fehlt, wie etwa beim Einkauf. Weder im Konzert, noch im Radio, noch in den Notensammlungen. (Doch: mir) Kurz: uns fehlt nix, wenn die Komponistinnen fehlen. Weil wir keine kennen, wenn/weil sie fehlen.

Nochmal 1b: Was anderes als Vergessen: man kann auch verschweigen. Das ist natürlich wesentlich aktiver als vergessen. Man kann eigentlich nur absichtlich verschweigen. Wissentlich verschweigen. Wer von weiblicher Physis spricht beim Musizieren der Frauen, der tut das Musizieren von der geistigen Ebene in eine physische Ebene projezieren. Sowas kann man verschweigen.

Nochmal II: Was war damals grundsätzlich los?

Deutschland vor dem 2. Weltkrieg Bearbeiten

 
Schönberg dirigiert. Diese Karikatur von 1913 (siehe Skandalkonzert) war 1945 Geschichte. Aber Schönberg gehörte nach dem 2. Weltkrieg zu den Vorbildern.

Der Ungar Bela Bartok hatte nie Serielles im Sinn, sein Mikrokosmos (Bartók) erklärt (liebt) die Musik, spürt z. B. den Melodien der Balkan-Bauern mit ihren „asymmetrischen“ Rhythmen/Taktarten nach. Das ist mehr als „Pdagogik“.

Stuckenschmidt, Suhrkamp (1951)/1981, S. 164f:

  • Weimar: 50. Deutsches Tonkünstlerfest 1920. 5 Orchesterstücke Op. 16 von Arnold Schönberg, erste Symphonie von Eduard Erdmann, Streichquartett op. 1 von Hermann Scherchen. (→ Berliner Gruppe Wichtiges Ereignis). Gründung der Zeitschrift Melos. Der Allgemeine Deutsche Musikverein in Weimar, gegründet dort von Liszt u. a. 1861, wird Juli 1937 aufgelöst (Nat.soz.).

1923 in Weimar, Nationaltheater Strwinskys „Geschichte vom Soldaten“ bei der internationlen Bauhausfestwoche. Berlin: Zentrum der Weltmusik (S.171). Busoni in Berlin. Große Ausstrahlung. 1921 erstmals Donaueschinger Musiktage.

Die junge Generation (geb. 1920-er Jahre) waren z. B. Hans Werner Henze und Karlheinz Stockhausen. Sie und "die Alten" mussten sich nach dem Krieg (neu) erfinden. Das erste Zwölftonstück hatte Arnold Schönberg 1921 geschrieben. Maria war 1922 20 Jahre alt, als sie ihre Dienste in den Umkreis ihres Vaters stellte bis zu seinem Tod 1942. Noch 3 Jahre Krieg.

Nach dem Krieg herrschte ein Konkurrenzdruck unter den Komponisten, vielleicht ein weiterer Grund, auf die deutschen Komponistinnen gar nicht erst einzugehen. Und von Konkurrenz spricht Dibelius ja in Verbindung mit den fünf amerikanischen Performance-Künstlerinnen, die er in seinem Buch bespricht, deren „umfassende(s) Exponieren der eigenen Physis dem weiblichen Naturell am sinnfälligsten entspricht und zugleich jegliche Konkurrenz im vorhinein ausschließt“. Warum spricht er von "Konkurrenz"?

Deutschland nach dem Krieg Bearbeiten

1952, als Ethel Schwirten ihren Artikel über Maria Kruse schrieb, war in den Konzertsälen (die noch bestanden) nicht viel der sogenannten Modernen Musik zu hören, die Dibelius so intensiv beschreibt. Schwirten zeigt sich zu diesem Thema ziemlich informiert, wenn sie über Kruse schreibt: „“.[5] Als Biographin Eleonora Duses ist sie für die Lebenszeit Maria Kruses prädestiniert, die Lebenszeiten beider überschneiden sich. Immerhin gewinnt Maria Kruse, über die man sonst nichts weiß dabei an Bedeutung, denn Schwirten kannte sie persönlich.[6]

Andere Situation Bearbeiten

Wer eine Komponistin kennt, Ihre Musik, wie verhält er sich dazu? Von den anfangs genannten Komponistinnen ist mir kein einziges Stück bekannt! das soll sich ändern. Mich interessieren (außer Maria Kruse) insbesondere Eva Schorr und Ruth Schonthal und Ilse Fromm-Michaels. Frage: Kennt jemand ein Musikstück einer Komponistin, das ihm bereits ans Herz gewachsen ist? Zum Beispiel:

Musikstücke von Komponistinnen, die ans Herz wachsen können Bearbeiten

  • Lieder von Josefine Lang und
  • Fanny Mendelssohn.
  • Lieder ohne Worte von Fanny.
  • 4. Sinfonie von Gloria Coates
  • Lili Boulanger, alles von ihr.
  • Cembalokonzert von Wilhelmine von Bayreuth.
  • Oper Argenore von derselben.

(Liste wird weitergeführt)

Tja, und dann das traurige Gesicht von der Maria. Wie klingt ihre Musik? Bin neugierig.

Wenn man also etwas kennt, was einem ans Herz gewachsen ist, möchte man nicht, dass es verschwindet. Z. B. dass jemand sagt, das ist ja gar nicht von ihr komponiert.

Das gibts ja auch, aber komisch, ein anderer, wenns komponiert, is es weg. Weil man es schon identifiziert hat mit der Komponistin. Das ist vielleicht komisch! Was würden die Beethoven-Liebhaber sagen, wenn man ihnen die Eroika wegnähme, weil sie ein anderer komponiert hat????

Naja, genauso weh tuts, wenn jemand fragt (nur weil er nichts weiß, also nicht aus zwingendem Grund, auch nicht aus Neugierde, sondern allein um... ja was eigentlich?) "hat die eigentlich jemals eine öffentliche Aufführung gehabt?" (Ourgmich) "jemals", dat is nich neutral. Aber nirgends ein Aufschrei wie bei Beethoven in meiner Vorstellung.

Literatur Bearbeiten

  • Brunhilde Sonntag und Renate Matthei (Hrsg.): Annäherung I – an sieben Komponistinnen. Interviews und Selbstdarstellungen. Furore-Edition 802, Kassel [1986], 3-9801326-3-3.
  • Brunhilde Sonntag und Renate Matthei (Hrsg,): Annäherung II – an sieben Komponistinnen. Interviews und Selbstdarstellungen. Furore-Edition 805, Kassel [1987], 3-9801326-4-1.
  • Email Verkehr mit Schott-Verlags-Sekretärin
  • Wikipedia-Biographien der Komponistinnen
  • 1945 Erstaufführung der drei Hindemith-Klaviersonaten in Bad Homburg durch eine Frau.
  • Neue Zeitschrift für Musik Band 169, Schott’s Söhne, Mainz 2006, S. 60. (Kommentar Dibelius)

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Ulrich Dibelius: Vorwort S. 13 f. Moderne Musik nach 1945 Piper München, Zürich 1998, ISBN 3-492-04037-3. Hier ein Kommentar aus der Neuen Zeitschrift für Musik, Bd. 169, 2006 zu seinem Buch: geschrieben „mit einer Sprachkraft, die ihresgleichen sucht“.
  2. Dibelius, S. 508–510, davon 1 Seite Fotos.
  3. Dibelius 1998, S. 509.
  4. Eva Weissweiler: in:
  5. Siehe Artikel
  6. Das ist aus dem Artikel zu entnehmen.