Stolperstein Dr. Hermann Bach

Hermann Bach (* 22. März 1875 in Lemberg; † 7. Januar 1944 im Sammellager Große Hamburger Straße, Berlin) war ein österreichisch-deutscher Chemiker.[1]

Familie und Ausbildung Bearbeiten

Hermann Bach wurde als erstes Kind des Landwirts Israel David Bach und seiner Frau Helena Bach, geborene Parnes, geboren. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie und besuchte in Lemberg ein humanistisches Gymnasium, auf dem er auch die Matura ablegte. Danach studierte er in Würzburg und Breslau Chemie. 1901 promovierte er an der Universität Breslau mit dem Prädikat „magna cum laude“ zum Dr. phil. mit einer Arbeit, die den Titel trug Über Condesationsreactionen des Aldehydcollidins mit substituierten aro­matischen Aldehyden – ein Beitrag zur Kenntnis des Phenyl-α-Picolylalkins.[2] 1907 konvertierte Bach, Sohn jüdischer Eltern, zum evangelischen Glauben. Am 29. Mai 1914 heiratete Hermann Bach die evangelische Margareta Toni Agnes Völker in Berlin-Charlottenburg. Sie wurden Eltern von drei Töchtern.

Biografie Bearbeiten

 
Emschergenossenschaft 1927

Nach der Promotion schlossen sich verschiedene Stellungen in Breslau als Assistent an der Universität, in der Zuckerindustrie, in Mannheim im städtischen Untersuchungsamt an. Am 1. November 1907 begann seine jahrelange Arbeit in Essen an der Ruhr bei der Emschergenossenschaft, die 1904 gegründet worden war. Sie sollte in einem eng besiedelten Gebiet hygienische Verhältnisse der Wasserregulierung und der Wasserversorgung sicherstellen. Dort arbeitete er in einem eigenen Labor der Emschergenossenschaft unter Dr. Spillner bis zum 1. Weltkrieg. Bach kämpfte als österreichischer Staatsbürger in der k.u.k. Armee als Oberleutnant, später als Rittmeister. Nach Kriegsende wurde Bach am 1. April 1919 als Oberchemiker Chef der chemischen Abteilung. 1922 ließ sich Bach einbürgern.

Zwischen 1922 und 1933 erhielt Hermann Bach 15 Patente.[3], die sich auf die Qualität der Abwasserbeseitung der Emschergenossenschaft auswirkten. Die Emschergenossenschaft konnte die Patente umsonst anwenden, während die Rechte bei Hermann Bach verblieben. Besondere Bedeutung hatte das Verfahren zur biologischen Reinigung von phenolhaltigen Abwässern von 1924. Trinkwasser konnte durch Phenole ungenießbar werden, Fischzucht wurde geschädigt und das biologische Gleichgewicht gestört.[4] Das Verfahren zum „Emscher-Filter“ reichte er am 2. Dezember 1925 beim United States Patent Office ein: Process of biological purification of waste liquors from gas works, ammonia-recovery plants, tar factories and similar industries Serial. Am 4. Februar 1930 wurde das Patent 1,745,397.65 erteilt. Hermann Bach sah sich als Teil einer Wissenschafts-Community. Deshalb gründete er im „Verein Deutscher Chemiker“ die „Fachgruppe für Wasserchemie“. Im Verein war er Herausgeber der Fachzeitschrift Vom Wasser, für die er auch jährlich Artikel schrieb.[5]

Die gesellschaftliche Dimension der Abwasserreinigung (1930) Bearbeiten

„Die Abwasserreinigung ist eben Sache des öffentlichen Anstandes und für den Abwassererzeuger Sache der Selbstachtung und der Rücksichtnahme auf die berechtigten wirtschaftlichen, hygienischen und ästhetischen Belange der Mitbürger, und zwar auch dann, wenn keine behördlichen Auflagen oder Schadenersatzansprüche von Unterliegern zu befürchten sind. Sie sind auch eine Angelegenheit des Naturschutzes. Jede andere Einstellung ist unrichtig. Es gibt im allgemeinen genommen keine „produktive” Abwasserreinigung, wie es keine produktive Gesichtswäsche und Haarpflege gibt. Was im Zuge der Abwasserreinigung örtlich etwa produktiv sein kann, ist zwar gern mitzunehmen, darüber darf die Hauptaufgabe nicht aus den Augen verloren, die Ziele nicht verschoben werden. Je gedrängter die Bevölkerung, je massiger die Industrie, desto mehr tritt die Frage der Erzielung etwaiger bescheidener Gewinne aus Abwasserreinigungsprodukten gegen die Belange des öffentlichen Wohles zurück.[6]

Verfolgung und Tod Bearbeiten

Mit der Machtübertragung an die NSDAP machte sich für die Familie Bach die antisemitische Politik der Diktatur bemerkbar. Im Rahmen der Gleichschaltung verlor Hermann Bach seinen Posten als Herausgeber der Fachzeitschrift „Vom Wasser“. Seine Töchter wurden 1934 wegen ihrer „nicht-arischen“ Abstammung der evangelischen Maria-Wächtler-Schule in Essen verwiesen.[7]

Obwohl Hermann Bach einen gültigen Arbeitsvertrag bis zum Erreichen des Ruhestandes hatte, wurde er in der Phase der Judenausgrenzung und Verfolgung unter Berufung auf § 4 Abs. 2 der 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 zum 31. Dezember 1935 in den Ruhestand versetzt. Als Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg wurden ihm die vollen ruhestandsfähigen Gehälter bis zum Erreichen des 65. Lebensjahres gewährt.[8] Die Dienstwohnung in Essen musste verlassen werden. Die Familie zog 1936 nach Berlin, um weiterer Stigmatisierung zu entgehen.[5] Zum Schutz der Töchter trennte das Ehepaar sich, um die Töchter zu schützen. Mutter und Töchter lebten in Berlin-Schmargendorf, Hermann Bach lebte zuerst in Schöneberg, dann in Berin-Wilmersdorf.

Die zunehmende Entrechtung der Juden, der gewalttätige Judenhaß in der Reichspogromnacht am 9./10. November 1938 ließ Hermann Bach, Pläne einer Auswanderung vorantreiben. Durch zwei US-Patente, die er an amerikanische Firmen (International Filter, Infilco Incorporated) verkaufte, versuchte er, sich eine finanzielle Grundlage in den USA zu schaffen. Die Patentierung erfolgte erst 1941 und 1943. Eine Anfrage nach Abfindung seiner Ruhestandgehälter wurde von Seiten der NS-Behörden negativ beschieden.[9] Durch diese Entscheidung wurde die Auswanderung immer schwieriger, erst recht nach Kriegsbeginn. Mit dem 23. Oktober 1941 war eine Auswanderung verboten.

Ab dem 18. Oktober 1941 verließen Deportationszüge Berlin. Hermann Bach war davon noch nicht unmittelbar bedroht. Er lebte in einer „privilegierten Mischehe“ im Nazi-Jargon, d.h. seine Frau war „arischer Abstammung“, seine drei Kinder wurden nicht-jüdisch erzogen.[10] Am 26. September 1941 wurde Hermann Bach, 66 Jahre alt, auf seine Fähigkeit zum Arbeitsdienst gemustert. Die Arbeitsstelle kennt man nicht. Im Rahmen der Fabrik-Aktion am 27. Februar 1943 wurde auch Hermann Bach verhaftet und in das Sammellager Rosenstraße 2-4 gebracht. Dort sollte der „Rassestatus“ der Inhaftierten geklärt werden. Margareta Bach konnte die benötigten Ehepapiere vorlegen und Hermann Bach konnte nach einigen Tagen in sein Zimmer in der Gieselerstraße zurückkehren. Am 18. Dezember 1943 ordnete das RSHA die Deportation der jüdischen Ehepartner aus „aufgelösten“„priviligierten Mischehen“ an. Obgleich Hermann Bachs Ehe Bestand hatte, wurde er am 7. Januar 1944 verhaftet und in das Sammellager Große Hamburger Straße gebracht. Hermann Bach starb am 7. Januar in nationalsozialistischer Haft unter ungeklärten Umständen. Obwohl evangelisch, bestand die Gestapo auf einer Beerdigung auf dem jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee. Dort wurde er am 12. Januar 1944 beigesetzt.[11] Seine schwerkranke Ehefrau starb am 2. April 1944, die drei Töchter konnten nach Kriegsende in die USA auswandern.

Nachleben Bearbeiten

Nachdem Dr. Hermann Bach nach 1945 fast vergessen war, ergaben sich 2000 mit den Arbeiten von Peter W. Landé neue Anstöße zur Wiederentdeckung seines Lebens. Landé hatte eine Liste des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg mit 453 NS-Opfern transkribiert: Jews who died in Berlin – Berlins invisible Holocaust victims. 2002 auch bei JewishGen – The Global Home for Jewish Genealogy abrufbar, übernahm 2004 das Bundesarchiv in seinem Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945 seinen Namen.[12] Die Emschergenossenschaft Lippeverband (EGLV) beschloß 2017 seine Geschichte aufarbeiten zu lassen. Damit kam die Bedeutung und das Schaffen von Dr. Hermann Bach wieder in den Blick. Auch Stolpersteine wurden für Dr. Hermann Bach verlegt.[13][14][15]

Werke Bearbeiten

  • Hermann Bach: Die Abwasserreinigung: Einführung zum Verständnis der Kläranlagen für städtische und gewerbliche Abwässer. München, Berlin 1934.
  • Hermann Bach: Die Abwasserreinigung: Einführung zum Verständnis der Kläranlagen für städtische und gewerbliche Abwässer. De Gruyter Oldenbourg, Berlin, München, Boston 2019, 2. Auflage. Reprint 2019.

Patente Bearbeiten

1922-1935 Bearbeiten

  • Patent DE387273C: Verfahren und Vorrichtungen zum Geruchlosmachen der aus Schlammfaul- oder ähnlichen Räumen der Abwasserreinigung aufsteigenden stinkenden Gase. Veröffentlicht am 22. Dezember 1923, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent DE399802C: Verfahren zur biologischen Reinigung heißer, organisch verschmutzter Abwässer. Veröffentlicht am 29. Juli 1924, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent DE407986C: Einrichtung zur Reinigung von Abwässern in einem mit Absetzgerinne versehenen Behälter. Veröffentlicht am 8. Januar 1925, Erfinder: Hermann Bach, Franz Fries.
  • Patent DE408812C: Verfahren und Vorrichtung zur Umwandlung von Schwefelverbindungen enthaltendem Abwasserklärschlamm in ein wertvolles Düngemittel. Veröffentlicht am 25. Januar 1925, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent DE412555C: Vorrichtung zur Belüftung, insbesondere für Abwasserreinigung. Veröffentlicht am 24. April 1925, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent DE421160C: Verfahren zur weiteren Zersetzung (Vergärung, Ausfaulung) von bereits gefaulten, keine nennenswerte Reduktion der organischen Stoffe mehr aufweisendem Abwasserschlamm. Veröffentlicht am 6. November 1925, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent DE426422C: Verfahren zur biologischen Reinigung von phenolhaltigen Abwässern. Veröffentlicht am 6. März 1926, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent DE426765C: Verfahren zur biologischen Reinigung von verschmutzten, sauren oder zur Säuerung neigenden Abwässern, z. B. von Brauereien, Brennereien, Preßhefefabriken u. dgl.. Veröffentlicht am 17. März 1926, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent DE440974C: Einrichtung zur Verdünnung von Abwässern. Veröffentlicht am 17. Februar 1927, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent DE455871C: Verfahren und Vorrichtung zur Schaumbeseitigung. Veröffentlicht am 11. Februar 1928, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent US1745397A: Process of biological purification of waste liquors from gas works, ammonia-recovery plants, tar factories and similar industries. Veröffentlicht am 4. Februar 1930, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent DE522786C: Vorrichtung zum Ausfaulen von Abwasserschlamm. Veröffentlicht am 28. April 1931, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent DE569003C: Verfahren zur Entkeimung und Reinigung von Wasser für Trink- und Brauchzwecke durch Hochchlorung. Veröffentlicht am 27. Januar 1933, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent DE569753C: Verfahren zur Entgiftung von Leuchtgas. Veröffentlicht am 27. Februar 1933, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent DE572901C: Verfahren zur Herstellung eines Düngemittels aus Torf und Abwasserklärschlamm. Veröffentlicht am 24. März 1933, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent DE614247C: Verfahren zur Bindung freier Kohlensäure in Trink- und Brauchwässern. Veröffentlicht am 5. Juni 1935, Erfinder: Hermann Bach.

1941-1943 Bearbeiten

  • Patent US2263451A: Sewage Treatment. Veröffentlicht am 18. November 1941, Anmelder: International Filter, Erfinder: Hermann Bach.
  • Patent US2315577A: Treatment of Sludge. Veröffentlicht am 6. April 1943, Anmelder: Infilco Incorporated, Erfinder: Hermann Bach.

Literatur Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Martina Gorlas: Wo ist Dr. Hermann Bach? Das Schicksal des Oberchemikers der Emschergenossenschaft in der NS-Zeit. Emschergenossenschaft, 2021, S. 147, abgerufen am 7. Januar 2024.
  2. Martina Gorlas: Wo ist Dr. Hermann Bach? Das Schicksal des Oberchemikers der Emschergenossenschaft in der NS-Zeit. Emschergenossenschaft, 2021, S. 148, abgerufen am 7. Januar 2024.
  3. Martina Gorlas: Wo ist Dr. Hermann Bach? Das Schicksal des Oberchemikers der Emschergenossenschaft in der NS-Zeit. Emschergenossenschaft, 2021, S. 152-154, abgerufen am 7. Januar 2024.
  4. Martina Gorlas: Wo ist Dr. Hermann Bach? Das Schicksal des Oberchemikers der Emschergenossenschaft in der NS-Zeit. Emschergenossenschaft, 2021, S. 154-157, abgerufen am 7. Januar 2024.
  5. a b Stolperstein „Dr. Hermann Bach“. Historisches Portal Essen, 2024, abgerufen am 8. Januar 2024.
  6. Martina Gorlas: Wo ist Dr. Hermann Bach? Das Schicksal des Oberchemikers der Emschergenossenschaft in der NS-Zeit. Emschergenossenschaft, 2021, S. 160, abgerufen am 7. Januar 2024.
  7. Martina Gorlas: Wo ist Dr. Hermann Bach? Das Schicksal des Oberchemikers der Emschergenossenschaft in der NS-Zeit. Emschergenossenschaft, 2021, S. 167-169, abgerufen am 7. Januar 2024.
  8. Martina Gorlas: Wo ist Dr. Hermann Bach? Das Schicksal des Oberchemikers der Emschergenossenschaft in der NS-Zeit. Emschergenossenschaft, 2021, S. 177-179, abgerufen am 7. Januar 2024.
  9. Martina Gorlas: Wo ist Dr. Hermann Bach? Das Schicksal des Oberchemikers der Emschergenossenschaft in der NS-Zeit. Emschergenossenschaft, 2021, S. 183-185, abgerufen am 7. Januar 2024.
  10. Martina Gorlas: Wo ist Dr. Hermann Bach? Das Schicksal des Oberchemikers der Emschergenossenschaft in der NS-Zeit. Emschergenossenschaft, 2021, S. 188, abgerufen am 7. Januar 2024.
  11. Martina Gorlas: Wo ist Dr. Hermann Bach? Das Schicksal des Oberchemikers der Emschergenossenschaft in der NS-Zeit. Emschergenossenschaft, 2021, S. 216, abgerufen am 7. Januar 2024.
  12. Martina Gorlas: Wo ist Dr. Hermann Bach? Das Schicksal des Oberchemikers der Emschergenossenschaft in der NS-Zeit. Emschergenossenschaft, 2021, S. 220, abgerufen am 7. Januar 2024.
  13. Vor 80 Jahren in Berlin von der Gestapo ermordet: Erinnerung an den innovativen Chemiker Hermann Bach. In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 10. Januar 2024]).
  14. Stolperstein für Dr. Hermann Bach. In: eglv. 20. Oktober 2022, abgerufen am 10. Januar 2024 (deutsch).
  15. Stolperstein für den Chemiker Dr. Hermann Bach. In: Gladbeck - NGZ - Neue Gladbecker Zeitung. 20. Oktober 2022, abgerufen am 10. Januar 2024.