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Ein Hilfsmittel aus der Analysis reeller Funktionen in einer reellen Veränderlichen Bearbeiten

Im Folgenden wird eine wichtige Technik der Variationsrechnung demonstriert, bei der eine notwendige Aussage für eine lokale Minimumstelle einer reellen Funktion mit nur einer reellen Veränderlichen in eine notwendige Aussage für eine lokale Minimumstelle eines Funktionals übertragen wird. Diese Aussage kann dann oftmals zum Aufstellen beschreibender Gleichungen für stationäre Funktionen eines Funktionals benutzt werden.

Sei ein Funktional   auf einem Funktionenraum   gegeben (  muss mind. ein topologischer Raum sein). Das Funktional habe an der Stelle   ein lokales Minimum.

Durch den folgenden einfachen Trick tritt an die Stelle des "schwierig handhabbaren" Funktionals   eine reelle Funktion  , die nur von einem reellen Parameter   abhängt "und entsprechend einfacher zu behandeln ist".

Mit einem   sei   eine beliebige stetig durch den reellen Parameter   parametrisierte Familie von Funktionen  . Dabei sei die Funktion   (d.h.,   für  ) gerade gleich der stationären Funktion  . Außerdem sei die durch die Gleichung

 

definierte Funktion   an der Stelle   differenzierbar.

Die stetige Funktion   nimmt dann an der Stelle   ein lokales Minimum an, da   ein lokales Minimum von   ist.

Aus der Analysis für reelle Funktionen in einer reellen Veränderlichen ist bekannt, dass dann   gilt. Auf das Funktional übertragen heißt das

 

Beim Aufstellen der gewünschten Gleichungen für stationäre Funktionen wird dann noch ausgenutzt, dass die vorstehende Gleichung für jede beliebige ("gutartige") Familie   mit   gelten muss.

Das soll im nächsten Abschnitt anhand der Euler-Gleichung demonstriert werden.

Beispiel: Euler-Lagrange-Gleichung Bearbeiten

Gegeben seien zwei Zeitpunkte   mit   und eine in allen Argumenten "genügend oft" stetig differenzierbare Funktion  .

Als Funktionenraum   wird die Menge aller mind. zweimal stetig differenzierbaren Funktionen   gewählt, die zum Anfangszeitpunkt   und zum Endzeitpunkt   die fest vorgegebenen Orte   bzw.   einnehmen:  ,  .

Mit der oben bereit gestellten Funktion   wird nun das Funktional   durch die Gleichung

 

definiert. Gesucht ist diejenige Funktion  , die das Funktional   minimiert.

Entsprechend der im vorhergehenden Abschnitt vorgestellten Technik untersuchen wir dazu alle differenzierbaren einparametrigen Familien  , die für   durch die stationäre Funktion   des Funktionals gehen (es gilt also  ). Genutzt wird die im letzten Abschnitt hergeleitete Gleichung

 

Hereinziehen der Differentation nach dem Parameter   in das Integral liefert mit der Kettenregel die Gleichung

 

 

Dabei stehen   für die Ableitungen nach dem zweiten bzw. dritten Argument und   für die partielle Ableitung nach dem Parameter  .

Es wird sich später als günstig erweisen, wenn im zweiten Integral statt   wie im ersten Integral   steht. Das erreicht man durch partielle Integration:

 

An den Stellen   und   gelten unabhängig von   die Bedingungen   und  . Ableiten der zwei Konstanten nach   liefert  . Deshalb verschwindet der Term   und man erhält nach Zusammenfassen der Integrale und Ausklammern von   die Gleichung

 

und mit   die Gleichung

 

Außer zum Anfangszeitpunkt und zum Endzeitpunkt unterliegt   keinen Einschränkungen. Damit sind die Zeitfunktionen   bis auf die Bedingungen   beliebige zweimal stetig differenzierbare Zeitfunktionen. Die letzte Gleichung kann also nur dann für alle zulässigen   erfüllt sein, wenn der Faktor   im gesamten Integrationsintervall gleich null ist (das wird in den Bemerkungen etwas detaillierter erläutert). Damit erhält man für die stationäre Funktion   die Euler-Lagrange-Gleichung

 

die für alle   erfüllt sein muss.

Bemerkungen Bearbeiten

 
Die Funktion   für   und  

Bei der Herleitung der Euler-Lagrange-Gleichung wurde benutzt, dass eine stetige Funktion  , die für alle mind. zweimal stetig differenzierbaren Funktionen   mit   bei Integration über

 

den Wert Null ergibt, identisch gleich null sein muss.

Das ist leicht einzusehen, wenn man berücksichtigt, dass es zum Beispiel mit

 

Eine zweimal stetig differenzierbare Funktion gibt, die in einer  -Umgebung eines willkürlich herausgegriffenen Zeitpunktes   positiv und ansonsten null ist. Gäbe es eine Stelle  , an der die Funktion   größer oder kleiner null wäre, so wäre sie aufgrund der Stetigkeit auch noch in einer ganzen Umgebung   dieser Stelle größer bzw. kleiner null. Mit der eben definierten Funktion   ist dann jedoch das Integral   im Widerspruch zur Voraussetzung an   ebenfalls größer bzw. kleiner null. Die Annahme, dass   an einer Stelle   ungleich null wäre, ist also falsch. Die Funktion   ist also wirklich identisch gleich null.

Ist der Funktionenraum   ein affiner Raum, so wird die Familie   in der Literatur oftmals als Summe   mit einer frei wählbaren Zeitfunktion   festgelegt, die der Bedingung   genügen muss. Die Ableitung   ist dann gerade die Gateaux-Ableitung   des Funktionals   an der Stelle   in Richtung  . Die hier vorgestellte Version erscheint dem Autor etwas günstiger, wenn die Funktionenmenge   kein affiner Raum mehr ist (wenn sie z.B. durch eine nichtlineare Nebenbedingung eingeschränkt ist; siehe z.B. Gaußsches Prinzip des kleinsten Zwanges). Sie ist ausführlicher in [1] dargestellt und lehnt sich an die Definition von Tangentialvektoren an Mannigfaltigkeiten an (siehe auch [2]).

Vor allem in Physikbüchern wird statt   oftmals kurz   geschrieben. Die Größe   wird dann als (erste) Variation des Funktionals   bezeichnet. Analoge Bezeichnungen werden auch für andere Variablen eingeführt, wie z.B.  .

Literatur Bearbeiten

  • [1] W. I. Smirnow, Lehrgang der höheren Mathematik, Teil (IV/1), 17. Auflage, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1990.
  • [2] H. Fischer und H. Kaul, Mathematik für Physiker, Band 3, 1. Auflage, Teubner Verlag, Wiesbaden 2003.