Sedlaczek Herbert Prof.Dr.-Ing. 05.01.1900 Scharley (Japan) TH Breslau 1936-1940 oProf. für Hüttenmaschinen- und Walzwerkskunde an der TH Aachen, 1955 oProf. für Bildsame Formgebung ebd. 1924 Dozent an der TH Breslau, 1940 HonProf. an der TH Berlin

Herbert Johannes Sedlaczek (*6. Januar 1900 in Scharley; † 7. Oktober 1958 in Nagoya) war Professor im Bereich der Metallurgie. Zeitweise wirkte er nach dem Zweiten Weltkrieg auch in der Maxhütte Unterwellenborn und als Abgeordneter im Deutschen Volksrat.

Wirken bis 1945

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Sedlaczek wurde als Sohn des praktischen Arztes Johann Sedlaczek und der Mutter Wanda geboren. Sein Vater starb bereits, als Sedlaczek erst anderthalb jahre alt war. Er wuchs am im schlesischen Scharley am Rande des Oberschlesischen Industriereviers auf. Nach dem Besuch der obligatorischen Volksschule von 1906 bis 1910 war er Schüler am humanistischen Johannesgymnasium in Breslau, an dem er 1918 das Abitur ablegte. Noch im Juni 1918 wurde er zum Wehrdienst verpflichtet, aus dem er im Februar 1919 entlassen wurde. Anschließend studierte er von 1919 bis 1922 an der TH Breslau Maschinenbau. Schon während des Studiums bekam er ab Oktober 1921 eine Anstellung als Hilfsassistent. Ab Februar 1922 wurde Sedlaczek etatmäßiger erster Asisstent bei Victor Tafel am Lehrstuhl für Hüttenmaschinen- und Walzwerkskunde. In dieser Zeit konnte er auch seine Doktorarbeit verwirklichen. Am 15. Februar 1924 wurde er bei Tafel zum Dr.-Ing. mit der Dissertation Beiträge zur Lösung der Breitungsfrage promoviert. Danach wirkte Sedlaczek im Wintersemester 1924/25 noch als Dozent mit der Vorlesung Maschinenelemente für Berg- und Hüttenleute Zum 1. April 1925 fand er zunächst bis 1927 eine Anstellung als Konstrukteur bei Schloemann AG in Düsseldorf. Anschließend war er bis 1929 als erster Betriebsassistent und Chefobermeister bei der Deutsche Edelstahlwerke AG in Bochum tätig, um danach bis Endes de Jahres 1936 als Oberingenieur tätig zu sein. 1929 bei den Guss-Stahlwerken in Hagen, ab 1930 bei den Edelstahlwerken Röchling-Buderus in Wetzlar. Für das Wintersemester 1936/37 bekam Sedlaczek einen am 3. August Ruf als Professor an die TH Aachen (1936/37–40) in der Nachfolge des emeritierten Hubert Hoff. Dort wirkte er mit Wirkung vom 1. Oktober 1936 bis zum 31. August 1940 als Ordinarius für Hüttenmaschinen- und Walzwerkskunde. Während dieser Professur trat Sedlaczek 1937 in die NSDAP ein und war von 1938 bis 1940 Delegierter beim Aufsichtsrat der EHW Thale. Anschließend wechselte Sedlaczek als ordentliches Vorstandsmitglied bis 1943 zu den EHW Köln. Danach war er von 1944 bis Kriegsende Vorstandvorsitzender Vereinigte Oberschlesische Hüttenwerke Gleiwitz, einem Konzern mit über 50.000 Beschäftigten. Aufgrund dieser exponierten, wirtschaftlichen Führungsposition wurde Sedlaczek in dieser Zeit auch zumWehrwirtschaftsführer ernannt. Auf der Flucht vor den sowjetischen Truppen blieb Sedlaczek im sächsischen Freiberg, dem Standort der berühmten Bergakademie, hängen.

Intermezzo in der Sowjetischen Besatzungszone und DDR

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In Freiberg ließ sich Sedlaczek zunächst am Eisenhütteninstitut der damaligen Technischen Hochschule nieder, welches ab 1946 Ernst Diepschlag leitete. Sehr bald knüpfte er Kontakte zum ehemaligen Flick-Handelsvertreter und nunmehrigem Vizepräsidenten der Landesverwaltung Sachsen, dem CDU-Mitglied Gerhard Rohner. Diesem unterbreitete er alsbald Pläne zur Ingangsetzung kleinerer Industriebetriebe. In der Folge erhielt Sedlaczek in Freiberg alsbald ein eigenes Büro für die Konstruktion und den Bau von Industrieanlagen. Der örtliche Sonderausschuss der antifaschistischen Parteien rehabilitierte ihn im April 1946, so dass Sedlaczek in der Folge auch intensiv mit sowjetischen Wirtschaftsstellen zusammenarbeitete. Am 13. Juli 1948 wurde der Metallurgiefachmann auf Geheiß der SMAD von Freiberg zur Maxhütte nach Unterwellenborn geholt, um dort zunächst als technischer Berater zu wirken. Die Maxhütte war nach einer kurzen, defizitären Phase als SAG-Betrieb der einzige Hüttenbetrieb in der gesamten sowjetischen Besatzungszone, der allein unter Verwaltung der Deutschen Wirtschaftskommission stand und damit sämtliche Erzeugnisse an die Industrie der SBZ liefern konnte. In der Vergangenheit hatte es enorme personelle Umbesetzungen gegeben, die teileise sogar in einem frühen Schauprozeß mündeten. Alles in allem arbeitete die Maxhütte im Sommer 1948 jedoch in keinster Weise zur Zufriedenheit der DWK, was die Entscheidung für Sedlaczek begründen mag, zumal er einer der wenigen Hüttenfachleute auf SBZ-Gebiet. Das der Direktor des Freiberger Hütteninstituts Diepschlag zudem auch ein Gutachten zur Maxhütte verfaßte und geistiger Vater des Metallurgie-Programms in der SBZ war, wird für Sedlaczek nicht zum Nachteil gewesen sein. Die Entscheidung für den ehemaligen Wehrwirtschaftsführer geschah jedenfalls ohne Rücksprache mit dem Werk und wurde mehr oder weniger angeordnet. Daraufhin verfaßten der aktuelle Werkleiter, der Personalleiter, der Betriebsratsvorsitzende und der Betriebsgruppensekretär ein Protestschreiben an den thüringischen SED-Landesvorstand in dem sie gegen die Verfahrensweise der Personalentscheidung kritisierten, aber auch auf die politische Vergangenheit Sedlaczeks hinwiesen, der perspektivisch als Technischer Direktor vorgesehen war. Die Kritik wurde jedoch von den führenden Köpfen der DWK ignoriert und Sedlaczek konnte sich in der Folge in der Maxhütte etablieren. Schon im Dezember 1948 wurde Sedlaczeks Arbeit per Beschluß der DWK mit einem BMW aus Eisenacher Produktion prämiert. Die Roheisenerzeugung hatte sich in der Maxhütte erheblich gesteigert und betrug im Folgejahr schon 96 % der Leistung des Kriegsjahres 1943. Vor Seddlaczeks Arbeitsantritt lag die Leistung bei lediglich 67 %. Zu Beginn des Jahres 1949 erhielt der Hüttenfachmann quasi Absolution von höchster Stelle. Auf der Ersten Parteikonferenz der SED vom 25. bis 28. Januar 1949 erwähnte Walter Ulbricht in seinem Referat im Abschnitt Ein Wort an die technische Intelligenz Herbert Sedlaczek besonders.

„Ich erinnere mich, daß vor einigen Monaten einige Betriebsfunktionäre, in Unterwellenborn sich dagegen wandten, daß der Professor Sedlaczek, der früher Nazi war, in dem Betrieb als Spezialist eingestellt wird. Der Professor wurde trotz dieser Einwendungen eingestellt. Das war richtig. Einer unserer Instrukteure berichtet nun, wie er den Professor Sedlaczek, Professor Diebschlag und den Walzwerkchef Ingenieur Grünn traf, wie sie darüber diskutierten, mit welchen Mitteln sie die Hennecke-Woche unterstützen könnten. Unser Genosse berichtet außerdem, daß Professor Sedlaczek 42 Stunden hintereinander im Werk tätig war, um gemeinsam mit den Arbeitern eine Störung zu beseitigen. Heute kann man sagen, daß Professor Sedlaczek ein Hennecke-Aktivist ist denn er hat durch eine Verbesserung an der Blockwalze eine wesentliche Voraussetzung geschaffen für die Leistungssteigerung. Und solche Spezialisten gibt es bei uns in der Zone viele. Ist es nicht an der Zeit, daß manche Funktionäre der Arbeiterbewegung ihr falsches Verhältnis zur technischen Intelligenz korrigieren, und zwar offen vor der Belegschaft? Und wenn Genossen darauf hinweisen, daß die SED dafür ist, daß die technische Intelligenz besser versorgt wird, so sagen wir: Jawohl, jeder nach seiner Leistung!“

Walter Ulbricht: Neues Deutschland vom 27. Januar 1949 S. 4

Auch durch die Aktion Max braucht Wasser die zonenweit zu einem großen FDJ-Jugendobjekt ausgerufen wurde, stand Sedlaczek oft im Rampenlicht.


Berater Maxhütte (1948), TD Maxhütte (1949–50), Westflucht (1950), freier Ingenieur, Aachen (1951–55), Professor u. Instituts-Ltr. TH Aachen (1955–58) P: NSDAP (1937–44), SED, FDGB (1946–50) E: Wehrwirtschaftsführer (1940er), Nationalpreisträger (1949), Kulturbund zur Erneuerung Deutschlands (Okt. 49–), Mitgl. des 2. Dt. Volksrates (provisorische Volkskammer) 01.10.1936 - 31.08.1940 war er Ordinarius für Hüttenmaschinen- und Walzwerkskunde an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Seit 1940 war er Honorarprofessor an der TH Berlin, seit 18.10.1955 Ordinarius für Bildsame(...) Formgebung an der TH Aachen. Er erbaute in dieser Zeit das neue Institut für Bildsame Formgebung. Sein Hauptarbeitsgebiet war die "Hydrodynamische Theorie des Walzvorganges". Als Goldkartellbruder der Landsmannschaft Pomerania Halle-Aachen nahm er 1953 das Band der Landsmannschaft Teutonia Bonn auf.

Als technischer Direktor der Maxhütte im thüringischen Unterwellenborn wurde er 1949 Träger des Nationalpreises der DDR II. Klasse für Wissenschaft und Technik.

1951 floh er aber aus der Sowjetzone aus Angst vor Deportation nach Russland.

Prof. Dr.-Ing. Herbert Sedlaczek war verheiratet mit Erica Schweitzer *21.02.1907 und starb infolge eines Herzinfarkts völlig unerwartet am 07.10.1958 in Nagoya/Japan. Er hinterließ die drei Töchter Elinor, Brigitte und Marlies sowie den Sohn Walter. Nachruf s. lb. Landsmannschaft Pomerania Halle-Aachen (PN Nr. 24, Mai 1959)

Herbert Sedlaczek kam nach dem letzten Kriege zu uns als AH der ehemaligen Kameradschaft "Wartburg". Die in Aachen ansässigen Pommern, vor allem aber die Aktivitas, beklagen zutiefst den Heimgang unseres Herbert Sedlaczek. Trotz stärkster beruflicher Anforderungen als Lehrer und Forscher an der TH Aachen und umfangreicher Verpflichtungen in wissen schaftlichen und wirtschaftlichen Gremien war er stets zur Stelle, wenn die Aktivitas Rat und Tat brauchte. Nicht vergessen sei seine hochherzige Spende aus dem Autorenhonorar eines seiner wissenschaftlichen Bücher, für den Fond des Pommernheims. Das Wirken unseres Bundesbruders über die Grenzen der engeren und weiteren Heimat hinaus und die Teilnahme der japanischen Stahlindustrie wurden besonders hervorge hoben. Welch eine Tragik, daß Professor Sedlaczek die Fertigstellung seines Institutes nicht mehr erleben konnte, dem er in den letzten Jahren seine ganze Arbeit hatte und von dessen Einsatz und Wirken die Hochschule und die Industrie so viel erhofften! Zu dieser Feier waren die Landsmannschaft Pomerania mit fast allen Aktiven, die Turnerschaft Rheno-Borussia mit mehreren Aktiven und die VACC Aachen durch Vbr. Dr. Geitz und Dörpholz vertreten. Dem Gebot der Hochschule entsprechend wurden keine Farben getragen. Die Urne unseres Bbr. Sedlaczek wurde in aller Stille im engsten Familienkreise beigesetzt. Die Techn. Hochschule Aachen veranstaltete am 18.11.1958 in ihrer Aula eine Trauerfeier zu Ehren der drei innerhalb des letzten Vierteljahres verstorbenen Professoren, bei der die Verdienste dieser von mehreren Professoren eingehend gewürdigt wurden.

C. Dörpholz Hoher japanischer Orden für AH Sedlaczek ein Jahr nach seinem Tode (PN Nr. 26, Ostern 1960)

Durch die Verleihung des Ordens vom Heiligen Schatz ehrte der Kaiser von Japan den vor Jahresfrist in Japan verstorbenen ordentlichen Professor für bildsame Formgebung, Dr. Ing. Herbert Sedlaczek. Der japanische Botschafter in Bonn, Exzellenz Takeuchi Ryuji, überreichte den mit Brillanten besetzten Halsorden am Montag in Anwesenheit von Rektor Professor Dr. Winterhager und Prorektor Prof. Dr. Opitz der Witwe des verstorbenen Professors, Frau Sedlaczek. "Es ist mir eine hohe Ehre, den Angehörigen von Professor Sedlaczek den diesem für seine Verdienste um Japan verliehenen Orden vom Heiligen Schatz überreichen zu können", sagte Exzellenz Takeuchi Ryuji in seiner Ansprache. Zwei Monate sei der Verstorbene in Japan gewesen, um die Stahlindustrie und zwei bedeutende Hüttenwerke zu beraten. Mitten aus seiner Arbeit habe ihn der Tod abgerufen. Die Ordensverleihung solle zeigen, wie man die Arbeit von Professor Dr. Sedlaczek schätze. Der Rektor der TH, Professor Dr. Winterhager, der den Botschafter zu Beginn der Feierstunde begrüßt und dabei auch an die in Japan und Deutschland gehaltenen Trauerfeiern für Professor Sedlaczek erinnert hatte, dankte im Anschluß an die Überreichung des Ordens Exzellenz Takeuchi Ryuji und sagte, ein Widerschein des Glanzes und der hohen Ehre falle auch auf die Aachener Hochschule zurück, an der Professor Sedlaczek so lange und fruchtbar gearbeitet habe. (Aus einer Aachener Zeitung, 6.10.59) Am 60. Geburtstag von H. Sedlaczek, den er am 6. Jan. 1960 hätte begehen können, legte die Aktivitas als Ausdruck ihres steten Dankes einen Kranz an seinem Grab nieder.

Publikationen: 1.) Sedlaczek, Herbert: Das Walzen von Edelstählen. Düsseldorf, Stahleisen-Verlag, 1954. 2.) Sedlaczek, Prof. Dr.-Ing. Herbert: Walzwerke, Sammlung Göschen, Band 580/580a, Walter de Gruyter, Berlin, 1958

http://www.teubo.de/history/0989.htm

 Auf einer Sitzung des Präsidialrates lernte Sedlaczek den Romanisten Victor

Klemperer kennen. In dessen bekannten Tagebüchern wird er charakterisiert als „Mann von genau 50 Jahren, Typ eines blonden Polen“.22 Auf einer gemeinsamen Autofahrt von Potsdam nach Halle, zu der Klemperer eingeladen wurde, machten sich beide näher bekannt. Der Eintrag zu Sedlaczek war positiv: „Hüttendirektor, der ,rote Direktorʻ. Sozial. Überzeugt, daß die großen Werke nur nach dem Wirtschaftsprincip des Marxismus florieren können.“ Aus den weiteren Aufzeichnungen geht hervor, dass Rias Berlin über den markanten Fall eines Wehrwirtschaftsführers als technischem Leiter der Maxhütte im Sommer 1950 berichtet hatte. In seiner letzten Aufzeichnung über Sedlaczek stellte Klemperer im November 1950 lapidar fest, dass sich der „Präsidialrat“ nach Westen abgesetzt habe.23 Obgleich hier nicht der Ort ist, um die Kontroll- und Staatsschutzarbeit in der frühen DDR im Detail nachzuzeichnen, zeigte die Aufdeckung des Falls Sedlaczek in beachtenswerter Weise, welch weite Kreise die Flucht einer so wichtigen Führungspersönlichkeit ziehen konnte. Am Montag den 23. Oktober 1950 versäumte der Maxhüttendirektor eine Besprechung in der HA Metallurgie des Berliner Ministeriums für Industrie und fehlte auch am Vormittag darauf bei einer Sitzung im Magdeburger Krupp-Gruson Werk. Werkleiter Steinwand informierte am Dienstagnachmittag die Staatssicherheit in Saalfeld. Am Mittwoch 25. Oktober erhielt Ulbricht eine Meldung zu Sedlaczek von der ZS-Abteilung Wirtschaftspolitik, die wiederum vom Personalleiter Adolf Buchholz der DWK-Hauptabteilung Metallurgie informiert worden war.24 Gewissheit über die Westflucht verschaffte ein Bericht der Weimarer Dienststelle desMfS. Laut Aussage eines operativen Mitarbeiters sei Sedlaczek am fraglichen Montag gesehen worden, wie er an der Sperre des amerikanischen Sektors beim Anhalter Bahnhof in Berlin seine beiden Töchter mit Koffern und Gitarre in Empfang nahm.25 Gegen Ende der Woche, am Freitag 27. Oktober, sandte Werkleiter Steinwand ein fünfseitiges Schreiben an Ulbricht, in dem er über die Vorgeschichte des Falls und den Stand der bisherigen Ermittlungen berichtete sowie ein Stimmungsbild über die technische Intelligenz des Werkes zeichnete. Am 31. Oktober erging die Anweisung des ZK-Politbüros an den designierten Minister für Staatssicherheit Zaisser, binnen drei Tagen eine Presseerklärung vorzubereiten, die zur „Flucht“, wie die Westmigration genannt wurde, Stellung bezog.26 An der Verifikation der Westflucht und sodann an der Aufklärung ihrer Begleitumstände beteiligten sich die beiden entscheidenden „Organe der staatlichen Sicherheit“, die ZPKK und das MfS. Ulbricht und andere Protagonisten der Parteispitze waren in den Vorgang frühzeitig eingeschaltet, was seine Brisanz unterstrich. Von SED-Seite suchte man der Skandalisierung rasch entgegen zu steuern. Denn die Reaktion der westlichen Presse ließ nicht lange auf sich warten: „Sedlaczek ist tot – der Max lebt! Paradepferd der ostzonalen Industrie setzte sich nach dem Westen ab.“27 In polemischer Form nahm der Autor der Neuen Zeitung aufs Korn, dass ehemalige Nationalsozialisten in der technischen und wissenschaftlichen Leitung der Maxhütte wieder Oberwasser gewonnen hätten und die Flucht Sedlaczeks ein Ergebnis der anhaltenden Bespitzelung und seiner Furcht vor einem Schauprozess gewesen sei. Damit trat er der inzwischen publizierten Haltung der „Presse der Ostzone“ entgegen, die Sedlaczeks Flucht als einen Betrug an den werktätigen Massen bezeichnete. Die Einschätzung der „Neuen Zeitung“ deckte sich weitgehend mit der Erklärung Sedlaczek zu seinen Fluchtmotiven. Ein an seine Sekretärin Hilbig gerichtetes Schreiben wurde von der Staatssicherheit konfisziert und zirkulierte im Kreis der Parteikontrolleure. 28 Darin sprach Sedlaczek von einer „Verzweiflungstat“, zu der ihn gewisse „Herren“ getrieben hätten, und einem Verdruss, der sich vor allem in den vorangegangenen Wochen angesammelt habe. Zudem befürchtete er, das gleiche Schicksal wie sein Freund Trost zu erleiden, der als Direktor des Walzwerkes Hettstedt im Mansfelder Revier, einem Betriebsteil der SAG Marten, verhaftet worden war. Einerseits fügten sich Sedlaczeks Äußerungen in das Klima der Angst ein, das die verschiedenen Verhaftungen im Bereich der Metallurgie, z.B. in der Maxhütte von Babo und Peters, sowie die Prozesswelle des Sommers 1950 erzeugt hatten. Andererseits existierte neben den angedeuteten schwelenden Konflikten mit der Betriebs-parteileitung eine andauernde Auseinandersetzung mit dem stellvertretenden Leiter HA Metallurgie Heinrich Kraemer, auf die Werkleiter Steinwand Ulbricht besonders hinwies. Der promovierte Ingenieur im DDR-Industrieministerium wurde von der führenden Ingenieuren der Stahlwerke, allen voran Kurt Säuberlich und Wolfgang Küntscher, nicht hoch geschätzt. Nach der Flucht Sedlaczeks führte die ZPKK in Zusammenarbeit mit der thüringischen LPKK umgehend eine erneute Überprüfung der Maxhütte durch.29 Die erstellte Werkscharakteristik setzte in der Zeit vor 1933 an und postulierte, dass die Hütte von einem „Gelben Werkverein“ dominiert gewesen sei, der im Stahlhelm und der SA aufging. Einige exponierte Spezialisten und Fachleute arbeiteten noch heute als Meister und Obermeister im Betrieb, besonders im Walzwerk, dem Hauptbetätigungsfeld Sedlaczeks. Die ZPKK konstruierte politische Kontinuitätslinien, die weiterhin den kommunistischen Zielen entgegenstünden. Der befragte Betriebsgruppensekretär Götzl gab an, dass rund ein Zehntel der Belegschaft frühere Mitglieder der NSDAP seien: 486 Arbeiter sowie 159 Techniker und Angestellte. Ideologisch stünden, so Götzl weiter, zwei Drittel der Belegschaft auf Seiten der SED, während der Rest „passiv, rückständig, feindlich“ sei. Zur Abrundung des Bildes stellte die LPKK eine Palette vermeintlicher Sabotagefälle des Jahres 1950 zusammen. Sedlaczeks Flucht wurde als Ausdruck einer negativ überzeichneten Betriebskultur beschrieben. Das Konstrukt konnte gleichzeitig für eine Exkulpierung der führenden SED-Kader hinsichtlich feststellbarer Mängel und Missstände, z.B. in der Planerfüllung, dienen. Die aktuelle Kritik der Parteikontrolleure richtete sich im ersten Schritt auf die BPO. Bemängelt wurde, dass der Betriebsparteileitung zu wenige Arbeiter aus der Produktion und zu viele Führungskräfte angehörten, z.B. der Werkleiter, der BGLSekretär, der Kulturdirektor und der Personalleiter. Damit wurde de facto die verkappte Funktion der Parteileitung als Leitungsgremium des Werks in Frage gestellt.30 Daneben mahnte der LPKK-Bericht eine rationellere Arbeitsweise an, die u.a. durch die Verschriftlichung von Vorschlägen oder die spezifische Aufgabenzuteilung an Sekretariatsmitglieder zu verwirklichen sei. Die Sekretariatsarbeit dürfe sich nicht in Reden erschöpfen. Diese Form der Kritik, die eine Art Professionalisierung der Parteiarbeit anmahnte, kehrte ständig wieder und fußte in der Vorstellung, dass eine effiziente Leitung die Hauptvoraussetzung für eine Optimierung der Produktion darstelle. Quelle der Erkenntnis waren ausgedehnte Befragungen der leitenden Kräfte der Betriebsparteileitung, um die werksinternen Kommunikationsmuster zu rekonstruieren. Im zweiten Schritt stand die technische Intelligenz im Visier der Parteikontrolle. Die leitenden Ingenieure leisteten in den Tagen nach Sedlaczeks Flucht Treueschwüre zum DDR-Sozialismus. In besonders eindrucksvoller Form tat sich der Ingenieur Niemann, Leiter der Wärmestelle, hervor, der es als „höchstes Mass der Verwerflichkeit“ bezeichnete, dass der Geflohene „bei seiner neuen Tätigkeit im Dienst der von den Monopolkapitalisten versklavten westdeutschen Industrie in irgend einer Form mithelfen wird, Kriegswerkzeuge herzustellen, die im Kriegsfalle der Vernichtung der von ihm im Stich gelassenen deutschen Menschen, ihrer Heimat und ihrer friedlichen Wirtschaft bestimmt sind.“31 Die Abschrift dieses Bekenntnisses eines der „fortschrittlichsten Intelligenzler“ übersandte Werkleiter Steinwand an Ulbricht zum Beleg, dass die Arbeit im Werk ohne Störung weitergehe.32 Die Stellungnahmen anderer leitender Ingenieure, z.B. Hochofenchef Karl-Heinz Zieger oder Stahlwerkschef Karl Jacobsen, fielen weniger euphorisch aus, verurteilten aber ebenfalls den Vertrauensbruch gegenüber der DDR-Regierung.33 Ein maßvolleres Urteil gab Walzwerkschef Herbert Grünn ab, der Sedlaczek seit 25 Jahren aus Breslauer Studientagen kannte und als seinen Lehrer bezeichnete: „Ich bin jedoch der Ansicht, daß Professor Sedlaczek in seinem Zukunftsstreben die weise Beschränkung vermissen ließ, die man von einem Manne seines geistigen Formats erwarten muß.“34 Gleichwohl warf er ihm vor, er habe sein Ziel, das Walzwerk im im Fünfjahrplan durch eine Breitbandstraße auszubauen, preisgegeben. Damit habe er „einen Verrat an der eigenen Sache begangen“. Wie seine Ingenieurkollegen endete er mit dem Bekenntnis, am Aufbau weiterzuarbeiten zu wollen. Eine Anmerkung fehlte in den Stellungnahmen der technischen Führungskräfte indes: die Kritik an Sedlaczeks Tätigkeit als technischer Direktor, wie sie die Parteiaktivisten, z.B. Betriebsgruppensekretär Götzl oder Personalleiter Markowitsch, vorbrachten. Diese Funktionäre boten eine Revision der Parteiarbeit im bekannten Rahmen an, spielten aber den erlittenen Personalverlust herunter. Da Männer wie Sedlaczek angesichts des Fachkräftemangels der frühen DDR aber keineswegs einfach zu ersetzen waren, wirkten sich die Lehren aus diesem Fall auf die Staats- und Parteipolitik gegenüber der technischen Intelligenz aus, wie Abschnitt 3 dieses Kapitels zeigen wird.