eine lächelnde junge Frau mit lockigen Haaren
Tosia Altman

Tosia Altman (hebräisch טוסיה אלטמן; geb. 24. August 1919-26. Mai 1943) war eine jüdische Widerstandskämpferin während der deutschen Besetzung Polens. Als führendes Mitglied der Hashomer Hatzair und der Jüdischen Kampforganisation (ŻOB) beteiligte sie sich am jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto und starb in der Hand der Gestapo.1

Kindheit und Jugend

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Tosia wurde am 24. August 1919 als Tochter von Anka und Gustaw Altman in Lipno, Polen, nahe der Stadt Włocławek geboren. Ihr Vater, ein Uhrmacher, besaß ein Juweliergeschäft in Włocławek und die Familie war relativ wohlhabend. Obwohl ihr Vater in einem chassidischen Haushalt aufgewachsen war, vertraten Altmans Eltern eine liberale Auslegung des jüdischen Glaubens und ermutigten Altman, Polnisch und Hebräisch zu lernen.[5]: 21

Beeinflusst von den allgemein zionistischen Überzeugungen ihres Vaters besuchte Altman ein hebräischsprachiges Gymnasium und trat im Alter von elf Jahren der jüdischen Jugendbewegung Hashomer Hatzair bei. Sie wurde als Vertreterin des örtlichen Hashomer Hatzair-Zweigs gewählt und nahm als Mitglied der zentralen Führung 1935 an der Vierten Weltkonferenz teil. Vom Wunsch beseelt, nach Israel auszuwandern, schloss sie sich 1938 einem Ausbildungskibbuz in Częstochowa an, wurde aber bald darauf von Hashomer Hatzair in die zentrale Leitung der Jugendbildung in Warschau berufen.

Zweiter Weltkrieg

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Kuriertätigkeit

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Nach dem Einmarsch Nazi-Deutschlands in Polen im September 1939 forderten die zionistischen Jugendbewegungen ihre Mitglieder auf, nach Osten zu fliehen, um den Deutschen zu entgehen. Mit Adam Rand, einem Freund von Hashomer Hatzair, lief Altman zu Fuß bis nach Riwne. Als die Sowjetunion dort einmarschierte, wurden Altman und die Führung der Jugendbewegung nach Vilnius evakuiert, das bis Juni 1940 unter polnischer, anschließend unter litauischer Kontrolle stand.[1] Altman schloss sich dem Hauptquartier von Hashomer Hatzair in Vilnius an und unterstütze bei der Organisation von Versuchen, Mitglieder der Jugendbewegung illegal nach Palästina zu schicken, die allerdings häufig erfolglos blieben.[5]: 54-56

Die Jugendbewegungen waren besorgt um ihre Freunde und Verwandten, die unter der Nazi-Besatzung gefangen waren. Da die meisten Führer geflohen waren, konnten sich die verbleibenden Mitglieder der Jugendbewegungen kaum organisieren. So beschlossen sie, einen Teil der Führung in das Gebiet des Generalgouvernements im besetzten Polen zurückzuschicken. Altman war als inspirierende Anführerin und gute Organisatorin bekannt[5]: 54-56 Durch ihr blondes Haar und ihr fließendes Polnisch konnte sie als Nichtjüdin durchgehen. Als Kurierin gab sie sich als polnische Nichtjüdin aus und riskierte ihr Leben, um Ghettos aufzusuchen, zunächst um den Unterricht im Untergrund zu organisieren und später, um vor der bevorstehenden Massenvernichtung der Juden zu warnen.Die meisten Kuriere der Jugendbewegung waren Frauen, da jüdische Männer an ihrer Beschneidung zu erkennen waren.[9]

Nach zwei gescheiterten Versuchen, die sowjetische und die deutsche Grenze zu überqueren, besuchte sie im Dezember 1939 ihre Familie in Włocławek und kehrte nach Warschau zurück – die erste Führerin der Jugendbewegung, der dies gelang.[10]: 115 Altman reiste häufig nach Galizien und Tschenstochau, trotz der Beschränkungen für jüdische Bahnreisende, wo sie versuchte, heimlichen Unterricht und sogar Kibbuzim zu organisieren. Sie schickte Postkarten an die Führer der Jugendbewegung in Wien, Vilna und der Schweiz, in denen sie das Leiden der Juden unter dem Nazi-Regime beschrieb. Nach der Abriegelung des Warschauer Ghettos, in dem ihre eigene Familie gefangen war, reiste Altman mit falschen Papieren weiter, obwohl es ein Kapitalverbrechen war, außerhalb des Ghettos erwischt zu werden. Sie schickte Lebensmittelpakete für ihre Familie und Freunde ins Warschauer Ghetto.[5]: 89

 
Jüdische Menschen des Warschauer Ghettos werden zwangsweise per Zug deportiert

Am 24. Dezember 1941 gelang es Altman und Chaika Grossman, in das Wilnaer Ghetto zurückzukehren, wo sie sich mit Abba Kovner und der Führung der Vereinigten Partisanenorganisation trafen. Obwohl Altman die schrecklichen Zustände im Warschauer Ghetto schilderte, drängte die zionistischen Führer dennoch, das Ghetto zu evakuieren, da das Wilnaer Ghetto durch eine Reihe von Massakern in Ponary systematisch entvölkert wurde. Kovner war damit nicht einverstanden, denn er fürchtete, es gäbe einen systematischen Plan zur Ausrottung aller Juden unter der Kontrolle der Nazis. Die Jugendbewegungen beschlossen, die Nachricht von den Massentötungen zu verbreiten und die in den Ghettos lebenden polnischen Juden zum gewaltsamen Widerstand zu ermutigen.[lower-alpha 3] Auf ihrer Rückreise nach Warschau besuchte Altman mehrere ostpolnische Ghettos, darunter Hrodna, um diese Botschaft weiterzugeben.

Nach der Gründung der ŻOB im Warschauer Ghetto wurde Altman als Verbindungsperson zur Heimatarmee ernannt. Sie schmuggelte Waffen und Sprengstoff in das Ghetto und gründete eine Abteilung der ŻOB im Krakauer Ghetto. Während des Aufstandes im Warschauer Ghetto fungierte sie als Kurier zwischen den Bunkern. Sie suchte Schutz im Kommandobunker in der Miła-Straße 18 und war eine von sechs Personen, die entkamen, als die Deutschen ihn entdeckten. Trotz ihrer Verwundungen am Bein und am Kopf konnte Altman durch die Kanalisation aus dem Ghetto fliehen. Zwei Wochen später wurde sie gefangen genommen, als die Fabrik, in der sie Schutz suchte, Feuer fing. Mit schweren Verbrennungen wurde sie der Gestapo übergeben und starb zwei Tage später.

Waffenschmuggel

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Nach ihrer Rückkehr nach Warschau stellte Altman fest, dass die Juden nicht bereit waren zu akzeptieren, dass sie vernichtet werden sollten, selbst als Berichte über ein Vernichtungslager in Chełmno eintrafen. Anfang 1942 arbeitete sie mit anderen linken Gruppen zusammen, um eine Selbstverteidigungsorganisation zu gründen. Aber ihre Bemühungen blieben erfolglos, da sie keine Waffen beschaffen konnten.

Im Juli, während der Großaktion Warschau und nach der Gründung der Jüdischen Kampforganisation (ŻOB), wurde Altman aufgrund ihres arischen Aussehens und ihrer polnischen Sprachkenntnisse zur Verbindungsperson zur Heimatarmee und zur Armia Ludowa ernannt. Obwohl diese polnischen Widerstandsorganisationen jede nennenswerte Hilfe verweigerten, half Altman beim Schmuggeln von Granaten und Sprengstoff. Da sie auf der arischen Seite der Stadt lebte, konnte sie auch Juden bei der Flucht aus dem Ghetto und bei der Suche nach Verstecken helfen.[5]:152-167

In einem Brief an Adam Rand, der sich damals in Wien aufhielt, schrieb sie im April 1942: "Die Juden sterben vor meinen Augen, und ich bin machtlos zu helfen. Hast Du jemals versucht, eine Mauer mit Deinem Kopf zu zerschlagen?"[10]:115

 
Captured Hehalutz fighters during the Warsaw Ghetto Uprising

Im September wurde die Großaktion schließlich eingestellt, so dass weniger als 70.000 Juden im Warschauer Ghetto verblieben. Das war noch ein Fünftel der ursprünglichen Bevölkerung. Die Führung von Hashomer Hatzair wurde durch Verhaftungen der Gestapo geschädigt und eines ihrer Sprengstofflager flog auf.

Zusammen mit Arie Wilner, einem weiteren Hashomer Hatzair-Aktivisten, versuchte Altman, die polnischen Widerstandsgruppen davon zu überzeugen, sich zu bewaffnen. Sie setzte ihre Besuche in anderen Ghettos fort, diesmal aber, um den bewaffneten Widerstand zu organisieren.

Sie war maßgeblich an der Gründung einer Ortsgruppe der ŻOB im Krakauer Ghetto beteiligt. Im Oktober erkannte die Heimatarmee den ŻOB an und begann im Dezember mit der Lieferung von Waffen[13]:123-124

Aufstand im Warschauer Ghetto und Tod

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Im Januar 1943, während der nächsten Deportationswelle, leisteten die Warschauer Juden vereinzelten bewaffneten Widerstand[13]:127

Die ŻOB infiltrierte die zur Deportation zusammengetriebenen Juden und startete einen Überraschungsangriff auf die Deutschen. Die meisten wurden getötet, aber ihrem Anführer, Mordechai Anielewicz, gelang die Flucht. Während der Aktion kehrte Altman mit einer anderen Schmugglerin, Tema Schneiderman, in das Ghetto zurück, um mit der ŻOB zu kämpfen. Beide wurden festgenommen und zum Umschlagplatz gebracht, um nach Treblinka deportiert zu werden, aber Altman wurde von einem jüdischen Ghettopolizisten, der für Hashomer Hatzair handelte, befreit[5]:170-171

Der Widerstand war teilweise erfolgreich: Die Deutschen konnten nur 5.000 Juden deportieren und nicht 8.000, was sie vorgehabt hatten. Nach dem Scharmützel im Januar begann die Heimatarmee, die ŻOB ernsthaft zu unterstützen. Die verbliebenen Juden trainierten und bauten Bunker, um sich auf die endgültige Liquidierung vorzubereiten. Altman und Wilner konnten einige Waffen auf dem Schwarzmarkt kaufen. Wilner wurde im März verhaftet, verriet den Widerstand aber selbst unter der Folter nicht. Aus Angst, dass die Deutschen sie aufgespürt hatten, kehrte Altman ins Ghetto zurück und wurde durch Yitzhak Zuckerman als Verbindungsmann zum polnischen Widerstand ersetzt.

 
Warsaw Ghetto in flames during the uprising

Am 18. April umstellten die deutschen Truppen das Ghetto, um seine Liquidierung vorzubereiten. Altman, die immer noch als Nachrichtenübermittler fungierte, berichtete Zuckerman per Telefon von den ersten Erfolgen des Widerstands. Am 21. April, als die Deutschen begannen, das Ghetto niederzubrennen, flüchtete Anielewicz in einen Bunker in der Mila-Straße 18; Altman wurde Kurierin zwischen dem Kommandobunker und einem anderen Bunker, in dem die Verwundeten untergebracht waren. Sie rettete auch einige Kämpfer aus den Bränden. Zu diesem Zeitpunkt beschlossen die Kämpfer, einen Fluchtversuch über die Kanalisation zu unternehmen. Als die Deutschen am 8. Mai den Bunker in der Mila-Straße entdeckten, füllten sie ihn mit Gas, um die Bewohner zum Verlassen zu zwingen. Anielewicz und viele andere Widerstandskämpfer begingen Selbstmord. Altman, obwohl verwundet, war einer von den sechs, denen die Flucht gelang, und wurde von Zivia Lubetkin und Marek Edelman gefunden, die sie auf die „arische“ Seite schmuggelten.

Altman versteckte sich mit anderen jüdischen Kämpferinnen und Kämpfern in einer Zelluloidfabrik. Am 24. Mai brach dort ein Feuer aus. Mit schweren Verbrennungen wurde Altman ins Freie gezwungen, wo die Polizei sie gefangen nahm und der Gestapo übergab.[10]:115-116 Zwei Tage später starb sie an ihren schweren Verletzungen.[5]:187-192

Vermächtnis

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Postum wurde Tosia Altman für ihre Verdienste im Untergrundkampf während der Besatzung am 1. April 1948 auf Beschluss des Präsidenten der Volksrepublik Polen mit dem Silbernen Kreuz des Militärischen Ordens der Virtuti Militari ausgezeichnet.[2]

Sie wurde von der amerikanischen Schauspielerin Leelee Sobieski in dem Fernsehfilm Uprising (2001) verkörpert.

Einzelnachweise

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  1. Alfred Erich Senn: Lithuania 1940: Revolution from Above. Rodopi, 2007, ISBN 978-90-420-2225-6, S. 50, 73 (englisch, google.com).
  2. Elżbieta Zawacka: Słownik biograficzny kobiet odznaczonych Orderem Wojennym Virtuti Militari. T. I (A–G). Toruń, 2004, S. 52 (polnisch).