Die Urbane Praxis bezeichnet eine post- und transdisziplinäre Bewegung. Durch Aneignung ungenutzter oder untergenutzter Flächen und Räume, und deren künstlerischer und ortsspezifischer Aktivierung, stösst sie prozesshafte Alternativen zur gängigen Stadtentwicklung an.[1] Sie führt künstlerisch-urbane Praktiken in die aktuellen gesellschaftspolitischen Fragestellungen wirksam ein.[2] Das aktive Mitwirken der Zivilgesellschaft an Stadtentwicklungsprozessen definiert die Handlung der „Urbanen Praxis als Commoning“.[3] Die Sammelbewegung der Urbanen Praxis speist sich grundlegend aus drei Richtungen: der künstlerischen und kuratorischen, der urbanistisch-planenden und gestalterisch-bauenden, und der soziokulturellen und aktivistischen Praxis.[4]

Bezogen auf den Umgang mit Raum und sozialen Kontexten bezeichnet Urbane Praxis eine Sammelbewegung mit einem nicht-disziplinären Ansatz, in der künstlerische, architektonische, planerische, gestalterische, soziokulturelle und aktivistische Methoden zusammenwirken. Historische Bezugspunkte des Begriffs sind die Überlegungen zu urbanen Praktiken des Soziologen Henri Lefebvre[5] sowie der Beschreibung der Figur des urbanen Praktikers durch die Künstlerin und Architektin Barbara Holub[6]. 2013-15 wurde die Gastprofessur von Markus Bader / raumlaborberlin an der Universität Kassel von „Temporäre Intervention im öffentlichen Raum" in „Urbane Praxis“ umbenannt. Der Begriff Urbane Praxis etablierte sich insbesondere in Berlin verstärkt im Diskurs um die öffentliche Mitgestaltung von Stadtplanungsprozessen seit der Gründung der AG Urbane Praxis im Rat für die Künste[7] und der daraus entstandenen Initiative Urbane Praxis 2020.

Definition

Bearbeiten

Bewegungsgeschichte

Bearbeiten

In den letzten Jahren hat sich eine Vielfalt von Architektur-Netzwerken herausgebildet, die sich nicht auf einen definitiven Nenner reduzieren lassen. Nur eines haben sie offenkundig gemeinsam: ihre Situation, die sich jenseits definitiver Planbarkeit und Kontrolle entfaltet. Unsicherheiten innerhalb der ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bewirken eine ständig sich verändernde Auftragslage. Herkömmliche Steuerungsmechanismen werden obsolet. Diese Situation stellt die Frage nach Architektur neu – nicht unbedingt in den Produktionsprozessen selber, denn die werden noch von alten Modi des Bauens und Planens durchdrungen. Eher geht es um Aufgabe und Funktion zukünftiger Architektur. Daraus folgt: Will sich Architektur wirklich neu positionieren, heißt es Abschied nehmen von Diskussionen, die sich auf das Formale beschränken. Ziel einer neuen Position von Architektur wäre dann Darstellung und gleichzeitige Gestaltung jenes Prozesses, der sich bereits in den Praktiken des Alltäglichen vollzieht, jedoch noch nicht in die Modi institutioneller Funktionen eingegangen ist.[8]

Urbane Praxis e.V.

Bearbeiten

Der im Jahr 2022 gegründete gemeinnützige Urbane Praxis e.V.[9] vernetzt und unterstützt Urbane Praktiker in Berlin und darüber hinaus. Der Verein speichert und vermittelt Wissen über urbane Transformationen mit künstlerischer Qualität, setzt sich mit aktuellen Themen der Stadt auseinander, macht diese greifbar und streitbar.

Die Netzwerkstelle, getragen von Urbane Praxis e.V., vernetzt zivilgesellschaftliche Akteure der Urbanen Praxis, Verwaltung und Politik, bietet intermediäre Kommunikation, Repräsentation und Ansprechbarkeit. Sie entwickelt Diskursformate, Handlungsstrategien und Policy-Vorschläge zusammen mit weiteren stadtpolitischen Akteure.

Berliner Projektfonds Urbane Praxis

Bearbeiten

Der Berliner Projektfonds Urbane Praxis[10], gefördert von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa und getragen von der Stiftung für kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung, fördert seit 2021 künstlerische Projekte in öffentlich zugänglichen Räumen mit insgesamt 1,2 Mio. Euro.

Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Sandra Meireis: Die Urbane Praxis. In: ZUsammenKUNFT Berlin eG (Hrsg.): Über Urbane Praxis. ZK/U Press, Berlin 2021, ISBN 978-3-945659-25-0, S. 5–16.
  2. Kerstin Bergendal, atelier d’architecture autogérée, Ute Burkhardt-Bodenwinkler, Martin Fritz, Josef Lueger, Claudia Nutz, Ursula Maria Probst, Erich Streichsbier, Martina Taig, Andrea Holzmann, Peter Arlt, Barbara Cole, Barbara Holub, Karin Reisinger, Elke Krasny: Exploring the New Role of the Urban Practitioner. In: Christine Hohenbüchler, Barbara Holub (Hrsg.): Planning Unplanned? Towards a new Function of Art in Society. Verlag für moderne Kunst, Vfmk Verlag für Moderne Kunst GmbH, Wien 2015, ISBN 978-3-86984-063-5.
  3. Barbara Holub: Planning Unplanned – Einführung. In: Christine Hohenbüchler, Barbara Holub (Hrsg.): Planning Unplanned? Towards a new Function of Art in Society. Verlag für moderne Kunst, Vfmk Verlag für Moderne Kunst GmbH, Wien 2015, ISBN 978-3-86984-063-5, S. 14.
  4. Jochen Becker, Anna Schäffler, Simon Sheikh (Hrsg.): Glossar Urbane Praxis (Auf dem Weg zu einem Manifest) / Glossary of Urban Praxis (Towards a Manifesto). nGbK, Berlin 2021, ISBN 978-3-938515-93-8, S. 5.
  5. Henri Lefebvre: Die Revolution der Städte. CEP Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2014, ISBN 978-3-86393-057-8, S. 242.
  6. Barbara Holub, Christine Hohenbüchler (Hrsg.): Planning Unplanned? Towards a new Function of Art in Society. Verlag für Moderne Kunst GmbH, Wien 2015, ISBN 978-3-86984-063-5.
  7. Daniel Neugebauer: Stellungnahme: Urbane Praxis – Rat für die Künste. In: rat-fuer-die-kuenste.de. 18. Mai 2020, abgerufen am 23. März 2023.
  8. Christopher Dell: Improvisation braucht Methode. Sieben Takes. In: ARCH+. 167 Off-Architektur 2, Oktober 2003, S. 4 (archplus.net).
  9. Verein Urbane Praxis. In: urbanepraxis.berlin. 1. März 2023, abgerufen am 23. März 2023.
  10. Berliner Projektfonds Urbane Praxis - Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung. In: stiftung-kulturelle-weiterbildung-kulturberatung.berlin. 18. Juli 2022, abgerufen am 23. März 2023.