Agrinierit ist ein sehr selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der „Oxide und Hydroxide“ mit der idealisierten chemischen Zusammensetzung K2Ca[(UO2)3O3(OH)2]2·5H2O[3] und ist damit chemisch gesehen ein Kalium-Calcium-Uranyl mit zusätzlichen Hydroxidionen.

Agrinierit
Orangefarbener Agrinierit-Kristallrasen aus der Uranmine Margnac bei Compreignac, Haute-Vienne, Limousin, Frankreich (Sichtfeld 6 mm)
Allgemeines und Klassifikation
IMA-Nummer

1971-046[1]

IMA-Symbol

Agn[2]

Chemische Formel
  • K2Ca[(UO2)3O3(OH)2]2·5H2O[3]
  • (K2,Ca,Sr)[(UO2)3|O3|(OH)2]·3H2O[4]
Mineralklasse
(und ggf. Abteilung)
Oxide und Hydroxide
System-Nummer nach
Strunz (8. Aufl.)
Lapis-Systematik
(nach Strunz und Weiß)
Strunz (9. Aufl.)
Dana

IV/H.02
IV/H.02-010

4.GB.05
05.05.01.01
Kristallographische Daten
Kristallsystem orthorhombisch
Kristallklasse; Symbol orthorhombisch-dipyramidal; 2/m2/m2/m[5]
Raumgruppe Cmmm (Nr. 65)Vorlage:Raumgruppe/65
Gitterparameter a = 14,04 Å; b = 24,07 Å; c = 14,13 Å[4]
Formeleinheiten Z = 16[4]
Zwillingsbildung pseudohexagonale Rotationszwillinge nach {110}[6]
Physikalische Eigenschaften
Mohshärte nicht definiert
Dichte (g/cm3) gemessen: 5,7; berechnet: [5,55][6]
Spaltbarkeit gut nach {001}[6]
Farbe orange
Strichfarbe Bitte ergänzen!
Transparenz durchsichtig bis durchscheinend
Glanz Harzglanz, Fettglanz[5]
Kristalloptik
Brechungsindizes nα = nicht definiert[6]
nβ = 2,01[6]
nγ = 2,06[6]
Optischer Charakter zweiachsig negativ
Achsenwinkel 2V = 55°[6]

Agrinierit kristallisiert im orthorhombischen Kristallsystem und entwickelt meist tafelige, senkrecht zur c-Achse abgeflachte sowie durch Zwillingsbildung pseudohexagonale Kristalle. Die Oberflächen der durchsichtigen bis durchscheinenden und orangefarbenen Kristalle weisen einen harz- bis fettähnlichen Glanz auf.

Etymologie und Geschichte Bearbeiten

Erstmals entdeckt wurde Agrinierit zusammen mit Rameauit im Uranbergwerk von Margnac („Mine de Margnac“) in der französischen Gemeinde Compreignac. Die Erstbeschreibung erfolgte 1972 durch F. Cesbron, W. L. Brown, P. Bariand und J. Geffroy, die das Mineral nach Henri Agrinier (1928–1971) benannten. Als Ingenieur im Mineralogischen Labor der französischen Atomenergiekommission in Paris trug er zur Identifizierung der meisten uranhaltigen Minerale bei.

Das Typmaterial des Minerals wird an der Universität Pierre und Marie Curie, an der Mines ParisTech (École des mines de Paris) in Paris, Frankreich sowie im National Museum of Natural History in Washington, D.C., USA (Katalog-Nr. 137454) aufbewahrt.[6]

Klassifikation Bearbeiten

In der veralteten, aber teilweise noch gebräuchlichen 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Agrinierit zur Mineralklasse der „Oxide und Hydroxide“ und dort zur Abteilung der „Uranyl([UO2]2+)-Hydroxide und -Hydrate“, wo er zusammen mit Rameauit die unbenannte Gruppe IV/H.02 bildete.

Die seit 2001 gültige und von der International Mineralogical Association (IMA) verwendete 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Agrinierit in die Klasse in die Abteilung der „Uranyl-Hydroxide“ ein. Diese ist allerdings weiter unterteilt nach der möglichen Anwesenheit zusätzlicher Kationen und der Struktur der Uranylkomplexe, so dass das Mineral entsprechend seiner Zusammensetzung und seinem Aufbau in der Unterabteilung „Mit zusätzlichen Kationen (K, Ca, Ba, Pb usw.); mit vorwiegend UO2(O,OH)5 pentagonalen Polyedern“ zu finden ist, wo es zusammen mit Compreignacit und Rameauit die „Compreignacitgruppe“ mit der System-Nr. 4.GB.05 bildet.

Auch die vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Agrinierit in die Klasse der „Oxide und Hydroxide“ und dort in die Abteilung der „Uran- und thoriumhaltige Oxide“ ein. Hier ist er als einziges Mitglied in der unbenannten Gruppe 05.05.01 innerhalb der Unterabteilung „Uran- und thoriumhaltige Oxide, die Alkali- und Erdalkalimetall-Elemente enthalten (wasserhaltig)“ zu finden.

Chemismus Bearbeiten

Die chemische Analyse des gefundenen Materials ergab eine durchschnittliche Zusammensetzung von 2,05 % SrO, 3,35 % K2O, 2,20 % CaO, 85,15 % UO3 und 7,45 % H2O, was der idealisierten Oxidformel 2(K2,Ca,Sr)O·6UO3·8H2O entspricht.[7]

Gemäß der Kristallchemischen Strukturformel nach Strunz wird die Zusammensetzung mit (K2,Ca,Sr)[(UO2)3|O3|(OH)2]·3H2O angegeben.[4] Die in den runden Klammern angegebenen Elemente Kalium, Calcium und Strontium können sich dabei in der Formel jeweils gegenseitig vertreten (Substitution, Diadochie), stehen jedoch immer im selben Mengenverhältnis zu den anderen Bestandteilen des Minerals.

Nach einer Neuanalyse der Struktur durch Christopher L. Cahill, Peter C. Burns wurde die empirische chemische Zusammensetzung mit K2(Ca0,65Sr0,35)[(UO2)3O3(OH)2]2·5H2O[8] redefiniert und die idealisierte Formel mit K2Ca[(UO2)3O3(OH)2]2·5H2O[3] angegeben.

Kristallstruktur Bearbeiten

Agrinierit kristallisiert orthorhombisch in der Raumgruppe Cmmm (Raumgruppen-Nr. 65)Vorlage:Raumgruppe/65 mit den Gitterparametern a = 14,04 Å; b = 24,07 Å; c = 14,13 Å sowie 16 Formeleinheiten pro Elementarzelle.[4]

Eigenschaften Bearbeiten

Das Mineral ist durch seinen Urangehalt von bis zu 71,48 % sehr stark radioaktiv. Unter Berücksichtigung der Mengenanteile der radioaktiven Elemente in der idealisierten Summenformel sowie der Folgezerfälle der natürlichen Zerfallsreihen wird für das Mineral eine spezifische Aktivität von etwa 127,958 kBq/g[5] angegeben (zum Vergleich: natürliches Kalium 0,0312 kBq/g). Der zitierte Wert kann je nach Mineralgehalt und Zusammensetzung der Stufen deutlich abweichen, auch sind selektive An- oder Abreicherungen der radioaktiven Zerfallsprodukte möglich und ändern die Aktivität.

Bildung und Fundorte Bearbeiten

 
Strahlend gelbe Agrinierit-Kristalle

Agrinierit bildet sich in der Oxidationszone von Uran-Lagerstätten und wird dabei unter anderem von Uranophan und Gummit begleitet.

Außer seiner Typlokalität, der Urangrube von Margnac in Frankreich, sind bisher keine weiteren Fundorte für Agrinierit bekannt (Stand 2018).[9]

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • F. Cesbron, W. L. Brown, P. Bariand, J. Geffroy: Rameauite and Agrinierite, two new hydrated complex uranyl oxides from Margnac, France. In: Mineralogical Magazine. Band 38, Nr. 299, 1972, S. 781–789, doi:10.1180/minmag.1972.038.299.01 (minersoc.org [PDF; 451 kB; abgerufen am 5. April 2018]).
  • Michael Fleischer: New Mineral Names. In: American Mineralogist. Band 58, Nr. 7–8, 1973, S. 805–807 (minsocam.org [PDF; 281 kB; abgerufen am 5. April 2018]).
  • Christopher L. Cahill, Peter C. Burns: The structure of agrinierite: a Sr-containing uranyl oxide hydrate mineral. In: American Mineralogist. Band 85, 2000, S. 1294–1297 (rruff.info [PDF; 135 kB; abgerufen am 5. April 2018]).

Weblinks Bearbeiten

Commons: Agrinierite – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Malcolm Back, Cristian Biagioni, William D. Birch, Michel Blondieau, Hans-Peter Boja und andere: The New IMA List of Minerals – A Work in Progress – Updated: January 2023. (PDF; 3,7 MB) In: cnmnc.main.jp. IMA/CNMNC, Marco Pasero, Januar 2023, abgerufen am 26. Januar 2023 (englisch).
  2. Laurence N. Warr: IMA–CNMNC approved mineral symbols. In: Mineralogical Magazine. Band 85, 2021, S. 291–320, doi:10.1180/mgm.2021.43 (englisch, cambridge.org [PDF; 320 kB; abgerufen am 5. Januar 2023]).
  3. a b c IMA/CNMNC List of Mineral Names; November 2017 (PDF 1,67 MB)
  4. a b c d Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 250.
  5. a b c Webmineral – Agrinierite (englisch)
  6. a b c d e f g h Agrinierite. In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001 (handbookofmineralogy.org [PDF; 69 kB; abgerufen am 1. April 2018]).
  7. F. Cesbron, W. L. Brown, P. Bariand, J. Geffroy: Rameauite and Agrinierite, two new hydrated complex uranyl oxides from Margnac, France. In: Mineralogical Magazine. Band 38, Nr. 299, 1972, S. 785, doi:10.1180/minmag.1972.038.299.01 (minersoc.org [PDF; 451 kB; abgerufen am 5. April 2018]).
  8. Christopher L. Cahill, Peter C. Burns: The structure of agrinierite: a Sr-containing uranyl oxide hydrate mineral. In: American Mineralogist. Band 85, 2000, S. 1294–1297 (rruff.info [PDF; 135 kB; abgerufen am 5. April 2018]).
  9. Fundortliste für Agrinierit beim Mineralienatlas und bei Mindat