Tilly Fleischmann

deutschstämmige irische Pianistin, Organistin, Musikpädagogin und Autorin

Tilly Fleischmann (* 2. April 1882[1] als Mathilda Swertz in Cork, Irland; † 17. Oktober 1967 ebenda) war eine deutschstämmige irische Pianistin, Organistin, Musikpädagogin und Autorin.

Tilly Fleischmann-Swertz

Leben Bearbeiten

Tilly Fleischmann war das zweite von neun Kindern des Ehepaares Hans Conrad Swertz aus Kamperbruch (heute zu Kamp-Lintfort), und Walburga, geb. Rössler aus Dachau. Ihr Vater war Organist und Chordirektor an der römisch-katholischen Cathedral of St. Mary and St. Anne in Cork. Sie besuchte das von Ursulinen geleitete St. Angela’s College in Cork. An der Orgel wurde sie von ihrem Vater ausgebildet, am Klavier von Lehrern der Cork Municipal School of Music, der städtischen Musikschule.

Von ihrem Vater unterstützt, nahm sie im September 1901 das Studium an der Königlichen Akademie der Tonkunst in München auf, die seit 1890 auch Frauen Zugang gewährte. Sie studierte Orgel bei Josef Becht (1858–1926) und Klavier bei Bernhard Stavenhagen (1862–1914), dem letzten Schüler von Franz Liszt. Als Stavenhagen 1904 die Akademie verließ, setzte sie ihr Studium bei dem Liszt-Schüler Berthold Kellermann (1853–1926) fort.[2] Im Juni 1905 bestand sie ihre Abschlussprüfungen mit Bestnoten. Seit ihrem zweiten Semester hatte sie an allen öffentlichen Akademiekonzerten mitauftreten dürfen; in ihrem letzten Semester spielte sie das Schumann Klavierkonzert Op. 54 mit dem Akademieorchester unter der Leitung von Felix Mottl.[3]

Im September 1905 heiratete sie Aloys Fleischmann aus Dachau, auch er Absolvent der Königlichen Akademie der Tonkunst, Kompositionsschüler von Joseph Rheinberger, danach Organist und Chorleiter an der Pfarrkirche seiner Heimatstadt. Zusammen mit ihm übersiedelte sie im Sommer 1906 nach Cork, wo Aloys Fleischmann die Nachfolge ihres Vaters antrat.[4]

 
Aloys Fleischmann Cork 1907

Das Paar hatte ursprünglich geplant, nur so lange in Irland zu bleiben, als sich Tillys Geschwister noch in der Ausbildung befanden. 1909 reiste Tilly Fleischmann für mehrere Monate nach München, um Konzerte zu geben und Kontakte zu pflegen. Während dieses Aufenthalts kam ihr Sohn Aloys zur Welt, der ihr einziges Kind blieb. Im Juli 1910 kehrte sie mit ihm nach Cork zurück. Dort lebte sich die Familie ein: Tilly unterrichtete und gab Klavierabende, ihr Mann veranstaltete Chorkonzerte und komponierte sakrale und säkulare Chormusik sowie Lieder, es entstanden Freundschaften mit Kunstinteressierten.[5]

 
Aloys und Tilly Fleischmann mit Sohn Aloys, Cork 1913

Bis nach dem Ersten Weltkrieg war Irland noch Teil des Vereinigten Königreichs. Doch war im Zusammenhang mit dem Streben der Iren nach nationaler Unabhängigkeits seit den 1890er Jahren eine Bewegung zur Wiederbelebung der gälischen Kultur entstanden, das Gaelic Revival. Die Fleischmanns waren mit Musikern, Künstlern und Schriftstellern befreundet, die sich für die Irische Sprache und das vorkoloniale Kulturerbe Irlands einsetzten, unter ihnen Terence MacSwiney, der wenig später am Kampf gegen die britische Herrschaft teilnahm. Ab Januar 1916 wurde Aloys Fleischmann als ziviler Kriegsgefangener interniert, zunächst in Irland, danach auf der Insel Man, von wo er 1919 nach Deutschland deportiert wurde. Bis zu seiner Rückkehr im Jahre 1920 versah Tilly seinen Dienst als Organistin und Chorleiterin.[6] Ihre eigene Lehrtätigkeit übte sie weiterhin aus, allerdings ging die Schülerzahl wegen der anti-deutschen Stimmung bei Teilen der Bevölkerung stark zurück.[7]

Von 1906 bis in die 1950er Jahre gab Tilly Fleischmann regelmäßig Klavier-, Kammermusik- und Liederabende in Cork sowie mehrfach in Dublin. Zu ihrem Repertoire gehörten neben Werken von Liszt auch Werke von Chopin, Delius, Vaughan Williams, Skrjabin, Debussy und Arnold Bax, letzterer ein enger Freund der Familie.[8] Auf Einladung der University Art Society von Cork musizierte sie 1932 und 1939 mit dem Kutcher Quartett, 1934 begleitete sie die Liedersängerin Elisabeth Schumann, ab 1926 war sie oft im irischen Rundfunk zu hören, 1929 war sie die erste irische Pianistin, die von der BBC gesendet wurde. Nach dem Tode ihres Mannes (1964) spielte sie nicht mehr öffentlich.[9]

 
Tilly Fleischmann mit den Komponisten Arnold Bax und E.J. Moeran in Kinsale, Cork 1937

Tilly Fleischmann war über 60 Jahre als Klavierpädagogin tätig. Ihre Schüler stammten aus allen gesellschaftlichen Schichten. Von 1919 bis 1937 war sie Leiterin der Klavierabteilung der Cork School of Music. Danach gründete sie eine eigene Klavierschule. Als Musikpädagogin gab sie die Liszt’sche Tradition des Klavierspiels und der Interpretation klassisch-romantischer Klavierwerke an ihre Schüler weiter.[10]

 
Tilly Fleischmann, Cork 1929

Die Liszt’sche Tradition ist Thema ihres Buches Tradition and Craft in Piano Playing. Die Anregung dazu stammte vom irischen Komponisten Herbert Hughes, das Werk ist Arnold Bax gewidmet. Die Arbeit daran dauerte etwa ein Jahrzehnt und war 1952 abgeschlossen. Da zu ihren Lebzeiten kein Verleger dafür gewonnen werden konnte, erschien es stark gekürzt auf Subskriptionsbasis erstmals 1986 unter dem Titel Aspects of the Liszt Tradition.[11] Das vollständige Buch wurde unter Mitwirkung des Komponisten John Buckley 2014 in Dublin veröffentlicht, die ca. 300 Musikbeispiele spielte Gabriela Mayer ein. Auf Initiative von Josef Focht wurden Text und Videoaufnahmen in die Virtuelle Fachbibliothek Musikwissenschaft der Bayerischen Staatsbibliothek aufgenommen.[12] Tilly Fleischmann war korrespondierendes Mitglied der britischen Liszt Gesellschaft; ihre Reminiszenzen über Arnold Bax, 1955 verfasst, wurden im Juni 2000 veröffentlicht.

Nach dem Tode ihres Mannes archivierte Tilly Fleischmann dessen Nachlass. Zusammen mit ihren Familiendokumenten und Schriften entstand eine Dokumentation der Tätigkeit und des Einflusses dieser deutschstämmigen Einwandererfamilie in Irland. Sie starb 85-jährig, berufstätig bis zum letzten Tag.[13]

Berufliche Tätigkeit Bearbeiten

  • 1905–1906 Privater Klavierunterricht in München and Dachau
  • 1906–1919 Privater Klavierunterricht in Cork
  • 1916–1920 Stellvertretende Domorganistin und -chorleiterin
  • 1919–1937 Professor für Klavier an der Cork Municipal School of Music
  • 1937–1967 Tilly Fleischmann School of Piano Playing

Künstlerische Tätigkeit Bearbeiten

  • 1903–1905 Teilnahme an Konzerte der Akademie der Tonkunst in München
  • 1904–1905 Aufführungen in Dachau mit ihrem Mann, Aloys Fleischmann
  • 1906–1950 Aufführungen in Cork and Dublin
  • 1927–1947 Radiosendungen: Klaviermusik

Ehrungen Bearbeiten

  • Im Mai 1963 gründete Gerald Y. Goldberg eine Konzertreihe „Lunchtime Concerts“ in der Crawford School of Art, die er Aloys und Tilly Fleischmann widmete.[14]
  • 1977 wurde anlässlich des 10. Todestags von Fleischmann beim Feis Maitiú Corcaigh (Cork Music and Drama Festival) ein „Tilly Fleischmann Recital Prize“ von ihren Schülern gestiftet. Die Teilnehmer müssen unter anderem ein Klavierwerk von Franz Liszt als Teil ihres Konzertprogramms aufführen.[15]
  • Anfang 1978, als Teil des 100. Jubiläums der Cork Municipal School of Music, wurde von der Direktorin, Bridget Doolan, eine Klavierabendreihe zum Andenken an Tilly Fleischmann eingerichtet.
  • Tilly Fleischmann und ihr Mann wurden 2010, das Jahr, in dem der hundertste Geburtstag ihres Sohnes in Irland gefeiert wurde, mitgeehrt. Die Feierlichkeiten fanden unter der Schirmherrschaft des Stadtrats von Cork (Cork City Council) statt; das Gedenkjahr wurde von der Präsidenten von Irland, Mary McAleese eröffnet. 145 Organisationen nahmen daran teil. Das Leben und Wirken von Aloys Senior und Tilly Fleischmann wurden in drei Ausstellungen dargestellt: in Cork City Central Library, Cork Public Museum, und im Bezirksmuseum Bezirksmuseum Dachau.[16]

Veröffentlichungen Bearbeiten

  • „Liszt’s Ancestry“, Liszt Society Newsletter 1967, Sep., London
  • „Liszt and Stavenhagen in London 1886“, Liszt Society Newsletter 1967, Sep., London
  • „Album d’un voyageur and Années de pèlerinage“ Liszt Society Newsletter 1967, Sep., London
  • Aspects of the Liszt Tradition, hg. Michael O’Neill, Cork 1986; Aylesbury: Roberton Publications and Theodore Presser Co., Pennsylvania 1991; ISBN 0-9513720-2-5
  • „Some Reminiscences of Arnold Bax“, The British Music Society Newsletter No. 86, Herausgeber: Rob Barnett, Juni 2000; danach auf der Sir Arnold Bax Webseite veröffentlicht: http://www.musicweb-international.com/bax/Tilly.htm
  • Tradition and Craft in Piano-Playing, hg. Ruth Fleischmann, John Buckley, Einführung Patrick Zuk, DVD-Einspielung Gabriela Mayer, Carysfort Press, Dublin Mai 2014; ISBN 978-1-909325-52-4
  • Tradition and Craft in Piano-Playing, hg. Ruth Fleischmann, John Buckley, Vorwort von Josef Focht, Einführung Patrick Zuk, DVD-Einspielung Gabriela Mayer, Digitale Edition, Bayerische Staatsbibliothek, München Sept. 2014, [1]

Literatur Bearbeiten

 
Aloys and Tilly Fleischmann, Cork c. 1960
  • „In Grateful Appreciation“, The Cork Examiner, 21. Mai 1963: Gerald Y. Goldberg’s Lunchtime Concerts in the Crawford School of Art sind Aloys und Tilly Fleischmann gewidmet
  • „Tilly Fleischmann“, The Cork Examiner, 18 Okt 1967 (Nachruf)
  • Neeson, Geraldine, „Meeting the Fleischmanns“, The Cork Examiner 29. März 1977
  • Acton, Charles: „Irish Pianists“, in: Irish Arts Review, 1988, S. 116 ff.
  • O’Dea, Jane W., „Turning the Soul: A personal memoir of a great piano teacher“, in: The Spirit of Teaching Excellence, hg. David Jones, Calgary, Alberta, 1995
  • O’Dea, Jane W., Virtue or Virtuosity? Explorations in the Ethics of Musical Performance, Westport CT/London, 2000 (Vgl. Kapitel 2)
  • Neeson, Geraldine, In My Mind’s Eye, Dublin 2001, S. 54 ff.
  • Barra, Séamas de: „Arnold Bax, the Fleischmanns and Cork“, in: Journal of Music in Ireland, 5/1 2005
  • Cunningham, Joseph and Fleischmann, Ruth, „Dachau und Cork: ‚Drei Musikergenerationen verbinden beide Städte“, in: Amperland, Heft 41, Dachau 2005
  • Barra, Séamas de: Aloys Fleischmann, Field Day Publications, Dublin 2006, ISBN 0-946755-32-9
  • Cunningham, Joseph, Fleischmann, Ruth, de Barra, Séamas: Aloys Fleischmann (1880–1964) Immigrant Musician in Ireland, Cork University Press 2010, ISBN 978-1-85918-462-2
  • Zuk, Patrick, Fleischmann, Ruth, Barra, Séamas de: The Fleischmanns: A Companion to the Fleischmann Centenary Celebration, Cork City Libraries 2010, ISBN 978-0-9549847-5-5
  • Bezirksmuseum Dachau, Aloys Georg Fleischmann: Von Bayern nach Irland – Ein Musikerleben zwischen Inspiration und Sehnsucht, Begleitband zur Ausstellung im Bezirksmuseum Dachau, Dachau 2010, ISBN 978-3-930941-70-4
  • Motherway, Nicholas, „Tilly Fleischmann – Renowned Cork Musician and Teacher“ in: Africa – St Patrick’s Missions, Kiltegan, July 2011
  • O’Conor, John, „Tilly Fleischmann – Tradition and Craft in Piano-Playing“ in: The Irish Times, 5. Juli 2014, S. 12
  • Séamas de Barra, „Tilly Fleischmann – Tradition and Craft in Piano-Playing“ in: Sound Post, Autumn 2014, S. 8
  • Michael Rathke, „Tradition and Craft in Piano-Playing by Tilly Fleischmann“ in: American Music Teacher, October/November 2014, S. 50 ff.

Weblinks Bearbeiten

  • Über Tilly Fleischmann:

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Laut Geburtsurkunde. Fälschlich wird auch 1879 und 1883 angegeben. (Siehe unter Personendaten GND und LCCN).
  2. Berthold Kellermann: Erinnerungen. Ein Künstlerleben, hg. Sebastian Hausmann und Hellmut Kellermann, Eugen Rentsch Verlag, Erlenbach, Zürich und Leipzig 1932.
  3. Patrick Zuk: „An Irish Treatise on the Lisztian Tradition of Pianism“, Introduction to: Tilly Fleischmann: Tradition and Craft in Piano-Playing, Carysfort Press, Dublin 2014, S. xvii
  4. Ruth Fleischmann, „Aloys Georg Fleischmann (1880–1964): Lebensgeschichte eines bayerischen Musikers in Irland“ in: Aloys Georg Fleischmann: Von Bayern nach Irland – Ein Musikerleben zwischen Inspiration und Sehnsucht, Bezirksmuseum Dachau, Dachau 2010, S. 66 ff.
  5. Patrick Zuk: „Tilly Fleischmann“, in: The Fleischmanns: A Remarkable Cork Family – A Companion to the Fleischmann Centenary Celebration, Cork City Libraries 2010, S. 10–12
  6. Séamas de Barra: Aloys Fleischmann, Field Day Publications, Dublin 2006, S. 8–10
  7. Máire MacSwiney Brugha: History’s Daughter – A Memoir from the only child of Terence MacSwiney, O’Brien Press, Dublin 2006, S. 80
  8. Tilly Fleischmann: Some Reminiscences of Arnold Bax (1955), abgerufen am 11. Januar 2014.
  9. Aloys Fleischmann, „Music in Cork“, in: Aloys Fleischmann, Ed., Music in Ireland, A Symposium, Cork University Press, Cork, Oxford 1952, p. 272 Fleischmann Webseite bei Cork City Libraries.
  10. Joseph P. Cunningham, Ruth Fleischmann, Séamas de Barra: Aloys Fleischmann (1880–1964) Immigrant Musician in Ireland, Cork University Press 2010, S. 168–79; 215–219
  11. Herausgeber war ihr Schüler Michael O’Neill, vgl. „Editor’s Preface“, in: Tilly Fleischmann, Aspects of the Liszt Tradition, Adare Press, Cork 1986.
  12. Virtuelle Fachbibliothek Musikwissenschaft: Tilly Fleischmann: Tradition and Craft in Piano-Playing. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 15. Januar 2015; abgerufen am 15. Januar 2015.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.vifamusik.de Das Typoskript des Buches kann von der City Library Cork heruntergeladen werden, siehe unter Weblinks.
  13. Esther Greene, „The Death of Tilly Fleischmann“ in: Ruth Fleischmann Ed., Aloys Fleischmann (1910–92), A Life for Music in Ireland Remembered by Contemporaries, Mercier Press, Cork 2000, S. 41f.
  14. Cork Examiner 21 May 1963
  15. https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=241510539340479&id=118540614970806
  16. Aloys Fleischmann 13 April 1910–21 July 1992: Celebrating the Man and his Music – Programme of Events, Cork City Council 2010