Lutherische Pfarrkirche St. Marien (Marburg)

Kirchengebäude in Marburg
(Weitergeleitet von St. Marien (Marburg))

Die Lutherische Pfarrkirche, auch St.-Marien-Kirche oder Stadtpfarrkirche[1] genannt, ist eine evangelische Kirche im Zentrum der Stadt Marburg. Sie versorgt die Lutherische Pfarrkirchengemeinde St. Marien Marburg/Lahn mit ihrem Einzugsgebiet in der südlichen Oberstadt und den angrenzenden Gebieten. Außerdem ist sie Dekanatskirche des evangelischen Kirchenkreises Marburg.

Die Pfarrkirche vom Schloss aus
Rechts die Pfarrkirche – dahinter das Schloss
Langhaus von Westen
Chor von Westen
Langhaus von Osten

Geschichte

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Ursprünglich waren die beiden Marburger Kirchen St. Maria und St. Kilian Filialkirchen der Martinskirche in Oberweimar. Aus dem Jahr 1222 stammt die erste urkundliche Nennung der Marienkirche als ecclesia maior in Marburg.[2] Am 6. April 1227 wurden ihr die selbständigen Pfarrrechte durch Landgraf Ludwig IV. verliehen. Die Marienkirche bestand dabei aus einem romanischen Vorgängerbau, an den um 1288 der gotische Chor angebaut wurde. Dieser war in etwa so groß wie die romanische Kirche. 1297 wurde der Chor geweiht. Zwischen 1318 und 1390–95 wurde das gotische Langhaus an der Stelle des Vorgängerbaus unter dem Baumeister Tyle von Frankenberg errichtet.[3] Mitte des 15. Jahrhunderts wurde mit dem Bau des Kirchturms und der Turmhalle an der Westseite des Langhauses begonnen. 1473 erhielt der Turm die noch heute erhaltene hölzerne Turmspitze, die auffällig schief ist und ein markantes Wahrzeichen der Marburger Altstadt darstellt.[4]

Unter Philipp I. wurde in der Landgrafschaft Hessen die lutherische Reformation eingeführt. 1567 wurde das Territorium unter Philipps vier Söhnen aufgeteilt. Hessen-Kassel ging ab 1592 unter Landgraf Moritz zum reformierten Bekenntnis über. Durch Aussterben der Linie Hessen-Marburg kam Marburg mit seinem Umland 1605 zu Hessen-Kassel. Moritz führte die Universität vom lutherischen zum reformierten Bekenntnis (siehe Konfessionsverhältnisse in der Landgrafschaft Hessen-Kassel); um die Universitätskirche sammelte sich die reformierte Universitäts- und Stadtgemeinde. Die Stadtpfarrkirche St. Marien und die Mehrheit der Bevölkerung blieben jedoch lutherisch.[5] Das jahrhundertelange Nebeneinander der beiden protestantischen Konfessionen in Marburg erklärt den Zusatz lutherisch im Namen der Kirche.

Architektur

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Die Kirche steht auf einem terrassenförmig angelegten Plateau am Schlossberg zwischen Ritterstraße und Rübenstein, gestützt durch große Mauern. Es ist eine im gotischen Stil erbaute Kirche, bestehend aus Chor und dreischiffigem Hallenlanghaus. Während der Außenbau durch eine glatte, strebepfeilerlose Wand auffällt, stehen im Inneren keilförmige Strebepfeiler, die das vierteilige Kreuzrippengewölbe tragen. Zwischen den Strebepfeilern sind hohe zweibahnige Fenster angeordnet. Der aus dem 15. Jahrhundert stammende Turm sollte eigentlich einen Turmhelm in Steinbau erhalten, es blieb aber bei einem hölzernen Provisorium. Da sich das Holz des Turms durch anhaltende Sonneneinstrahlung verzogen hat, ist der Turmhelm schief und gehört zu den Wahrzeichen der Stadt. In der Glockenstube hängen vier Glocken.

Ausstattung

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Blick auf den Orgelprospekt

Die ursprünglich von Johann Nikolaus Schäfer um 1722 erbaute Orgel wurde 1876 aus dem Chor in den Westteil verlegt.[6] 1969–1989 wurde sie von Karl Schuke hinter historischem Prospekt neu gebaut. Im Jahr 2015 wurde sie durch die Firma Freiburger Orgelbau Hartwig und Tilmann Späth grundlegend renoviert. Sie besitzt drei Manuale mit selbstständigem Pedal sowie 56 Register.[7]

I Positiv C–g3
1. Gedackt 8′
2. Quintade 8′
3. Principal 4′
4. Koppelflöte 4′
5. Rohrquinte 223
6. Oktave 2′
7. Gedackt 2′
8. Sesquialter II 135
9. Quinte 113
10. Sifflöte 1′
11. Scharff IV-V 1′
12. Vox humana 8′
13. Krummhorn 8′
Tremulant
II Hauptwerk C–g3
14. Bordun 16′
15. Quintade 16′
16. Prinzipal 8′
17. Spielflöte 8′
18. Rohrflöte 8′
19. Oktave 4′
20. Nachthorn 4′
21. Nasat 223
22. Oktave 2′
23. Waldflöte 2′
24. Mixtur V–VI 113
25. Scharff III–IV 12
26. Fagott 16′
27. Trompete 8′
Tremulant
III Schwellwerk C–g3
28. Rohrflöte 16′
29. Holzprinzipal 8′
30. Schwegel 8′
31. Spitzgedackt 8′
32. Prinzipal 4′
33. Flute douce 4′
34. Quintflöte 223
35. Oktave 2′
36. Nachthorn 2′
37. Terz 135
38. Quinte 113
39. Septime 117[8]
40. Mixtur V 2′
41. Dulcian 16′
42. Trompete 8′
43. Oboe 8′
Tremulant
Pedalwerk C–f1
44. Prinzipal 16′
45. Subbass 16′
46. Quinte 1023
47. Oktave 8′
48. Gedackt 8′
49. Oktave 4′
50. Rohrpommer 4′
51. Bauernflöte 2′
52. Rauschpfeife IV 513
53. Mixtur V 2′
54. Posaune 16′
55. Trompete 8′
56. Clairon 4′
Tremulant
  • Koppeln: I/II, III/II, I/P, II/P, III/P

In der Glockenstube hängen vier Glocken mit den Schlagtönen d1, g1, b1 und d2 (g-Moll-Akkord). Die b1-Glocke wurde 1362 von einem unbekannten Meister gegossen und ist das älteste Instrument im Geläut. Im Jahre 1669 goss Johannes Schirnbein in Marburg die große Glocke. Diese wurde während des Zweiten Weltkrieges durch den Kirchturm hinabgelassen und auf den Glockenfriedhof nach Hamburg-Veddel verschafft, um dort für die Rüstungsindustrie eingeschmolzen zu werden. Nachdem sie diesem Schicksal entgangen war, wurde die Glocke an ihren Ursprungsort zurückgeführt. Seitdem ist sie an ihrem unteren Rand beschädigt, was aber ihren Klang nicht beeinträchtigt hat. Die beiden übrigen Glocken ergänzte die Glocken- und Kunstgießerei Rincker aus Sinn in den Jahren 1925 (zweitgrößte Glocke) und 1951 (kleine Glocke).[9]

Landgrafengräber

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Grabmal Ludwig IV.

An der Nordwand des Chores befindet sich rechts das Grabmal von Landgraf Ludwig IV. und seiner Gemahlin Hedwig von Württemberg, begonnen 1590, bestehend aus einem Sandsteinsockel mit Marmorsäulen und Plastiken aus Alabaster. Es ist durch eine mausoleumsartige Tiefe und triptychonartige Segmentierung ausgezeichnet. Horizontal ist das Grabmal oberhalb des mit Löwen verzierten Sarkophag-Sockels dreigeteilt: das große erste Geschoss mit zwei überlebensgroßen stehenden Figuren des Landgrafen und seiner Gemahlin und einer Gedenktafel, das zweite Geschoss mit Reliefs sowie die Giebel mit freistehenden allegorischen Figuren.[10] Links davon ist das Grabmal von Landgraf Ludwig V. und seiner Gemahlin, das nach dem Vorbild des vorigen gestaltet ist.[11] Geschaffen wurden die Grabmäler rechts von Gerhard Wolff aus Mainz (1590–1593) und links von Adam und Philipp Franck aus Gießen (1627–31).[12]

Wandmalerei

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In der Pfarrkirche befindet sich eine originale Wandmalerei, die eine bekleidete, bärtige Gestalt darstellt, die am Kreuz hängt. Dabei soll es sich nicht um Jesus handeln, sondern um die heilige Kümmernis.[13] Der Legende nach war sie die schöne, christliche Tochter eines heidnischen, portugiesischen Königs, der sie kreuzigte, nachdem ihr Gott bzw. Maria einen Bart wachsen ließ, um sie vor einer Hochzeit zu schützen.

Literatur

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  • Marienkirche Marburg. Hessische Heimat, Sonderheft, Organ des Heimatbundes für Kurhessen, Waldeck und Nordhessen, sowie des hessischen Museumsverbandes, 19. Jahrgang 1969, Heft 4, Oberhessische Presse, Marburg 1969.
  • Erhart Dettmering (Hrsg.), Rudolf Grenz (Hrsg.): Marburger Geschichte: Rückblick auf die Stadtgeschichte in Einzelbeiträgen. Im Auftrag des Magistrats der Universitätsstadt Marburg, Marburg 1980, ISBN 978-3-9800490-0-9.
  • Hans-Joachim Kunst (Hrsg.), Eckart Glockzin (Hrsg.): Kirche zwischen Schloß und Markt. Die Lutherische Pfarrkirche St. Marien zu Marburg. Im Auftr. des Kirchenvorstandes, Evang. Pfarramt, Marburg 1997, ISBN 978-3-00-001590-8.
  • G. Ulrich Großmann: Die Pfarrkirche St. Marien in Marburg. Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage. Dt. Kunstverlag, München/Berlin 1999 (= DKV-Kunstführer Nr. 304/9).
  • Matthias Müller: Die Marburger Pfarrkirche St. Marien, eine Stadtkirche und ihre Architektur als Ort politischer Auseinandersetzungen. Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur. Bd. 34. Rathaus-Verlag, Marburg 1993.
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Commons: Lutherische Pfarrkirche Marburg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Internetseite der Kirchengemeinde, abgerufen am 7. April 2012
  2. Reinhardsbrunner Chronik zitiert nach Matthias Müller. Die Marburger Pfarrkirche St. Marien. S. 1
  3. Matthias Müller. Die Marburger Pfarrkirche St. Marien. S. 63 f.
  4. Matthias Müller, ebd. S. 111 ff.
  5. universitaetskirche.de
  6. Hans-Joachim. Kunst (Hrsg.). Kirche zwischen Schloss und Markt: die Lutherische Pfarrkirche St. Marien zu Marburg. Marburg: 1997. S. 178 f.
  7. Informationen zur Renovierung (Memento des Originals vom 8. Dezember 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.freiburgerorgelbau.de auf der Webseite der Orgelbauwerkstatt
  8. Die Septime aus der ursprünglichen Schukeschen Disposition war zwischendurch in eine Flöte 1′ umgewandelt worden. Bei der Renovierung durch die Firma Späth wurde sie wiederhergestellt.
  9. Videoaufnahme des Vollgeläutes (YouTube, 00′30″)
  10. Hans Lorenz: Das Grabmal Ludwig Testators In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 1. Bd., 1924, S. 104–140.
  11. Hans Lorenz: Das Grabmal Ludwigs V. und der Hochaltar In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 1. Bd., 1924, S. 141–194.
  12. G. Ulrich Großmann. Marburg: Stadtführer. Petersberg: Imhof, 2015
  13. Kümmernis (Memento vom 14. April 2009 im Internet Archive)

Koordinaten: 50° 48′ 32,25″ N, 8° 46′ 5,32″ O