Qualitatives Wachstum ist als systemwissenschaftliche Ergänzung des mathematischen Wachstumsbegriffes die innere Verbesserung eines Systems durch Umbau und „Verfeinerung“ der Strukturen sowie Ausdifferenzierung neuer Funktionen und Möglichkeiten in Subsystemen. Statt einer mengenmäßigen Vergrößerung kommt es zu einer Vergrößerung der Vielfalt. Dies geschieht vor allem im Rahmen evolutionärer Entwicklungen, wenn ein quantitatives Wachstum an seine Grenzen stößt.[1]

Der Begriff wird heute fast ausschließlich im Zusammenhang mit Wirtschaftswachstum verwendet und umschreibt hier eine Entwicklungsrichtung, die auf eine Verbesserung der Qualität der erzeugten Waren und Dienstleistungen und eine Erhöhung der Lebensqualität gerichtet ist.[2]

Der Gegenbegriff ist das Quantitative Wirtschaftswachstum, also die Erhöhung der Menge der erzeugten Waren und Dienstleistungen. Während Mengen einfach ermittelt werden können, ist die Frage, was Qualität in diesem Kontext bedeutet, nur über die Messung nicht-monetärer Indikatoren möglich. Welche hierzu genutzt werden sollen, ist Teil der Diskussion.

Dem Begriff des qualitativen Wirtschaftswachstums liegt die Annahme zugrunde, dass durch wachsendes Können und in Innovationen[3] umgesetztes Wissen der Weltbevölkerung die Qualität von Produkten und Dienstleistungen steige. Langlebige, gut gewartete und energiesparende Geräte und Anlagen seien der Schlüssel zu weniger Rohstoffverbrauch und geringeren Emissionen. Das heute übliche Massengeschäft mit kurzlebigen Billigprodukten werde deshalb wieder durch langlebige Qualitätsware mit garantiertem Service abgelöst werden müssen. Das produzierende Gewerbe könne also durch Qualitätsverbesserung die Wertschöpfung bei sinkenden Stoffumsätzen steigern. Sollte dieser notwendige Strukturwandel Arbeitskraft freisetzen, bestehe schier unendlicher Bedarf für soziale, pädagogische und kulturelle Dienstleistung an einer mehrheitlich armen und von Wissensquellen ausgeschlossenen Weltbevölkerung.

Als ökonomische Strategie und politisches Programm reagiert qualitatives Wachstum auf die insbesondere von Ökologen geäußerte Wachstumskritik, grenzt sich aber von radikaleren Forderungen der wachstumskritischen Bewegung nach Wachstumsrücknahme ab.

Gleichsam wird der Begriff Grünes Wachstum teilweise synonym verwendet. Dies ist jedoch irreführend, da grünes Wachstum lediglich eine ökologische Verbesserung der Produktion im Hinblick auf eine nachhaltige Sicherung der quantitativen wirtschaftspolitischen Wachstumsziele verfolgt.

Messung des qualitativen Wachstums

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Den mit dem qualitativen Wirtschaftswachstum erreichten Zuwachs an Lebensqualität in einer Volkswirtschaft wird je nach Modell mit verschiedenen Indikatoren gemessen. Die OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) hat acht Hauptziele als Ansatzpunkte eines Indikatorsystems festgelegt:

  • Gesundheit
  • Lernen und Ausbildung
  • Qualität des Arbeitslebens
  • Freizeit und Zeiteinteilung
  • wirtschaftliche Situation und Kaufkraft
  • physische Umwelt
  • persönliche Sicherheit
  • soziale Beteiligungschancen

Es werden in diesem Modell Verhältniszahlen zur Berechnung verwendet.

Kritik am Konzept

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Wachstumskritiker halten Qualitatives Wachstum für ebenso paradox wie utopisch und lehnen es ab.[4] Stattdessen fordern sie die Überwindung des Wachstumszwangs. Beispielsweise argumentiert Niko Paech, dass „eine Fülle von Rebound-Effekten alle Einsparungen zunichte“ mache[5] und eine reale Nachhaltigkeitsperspektive nur in einer „Postwachstumsökonomie“ denkbar sei.[6] Innerhalb der wachstumskritischen Bewegung ist die Ablehnung von qualitativem Wachstum weitgehender Konsens.[7]

Qualitatives Wachstum von Unternehmen

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Der Begriff des qualitativen Wachstums wird nicht nur im gesamtwirtschaftlichen Kontext verwendet, sondern auch im Bereich der Unternehmensführung. Er beschreibt dabei einen Entwicklungsprozess, durch den ein Unternehmen ein höheres Niveau an Leistungsqualität und Nachhaltigkeit erreicht. Voraussetzung dafür ist eine Weiterentwicklung von Führungsqualität, Arbeitsqualität und Prozessqualität im Unternehmen sowie ein qualitätsorientiertes Partnermanagement entlang der Wertschöpfungskette.[8]

Siehe auch

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Literatur

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Einzelnachweise

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  1. Reinhard Wagner: Vermittlung systemwissenschaftlicher Grundkonzepte. Diplomarbeit, Karl-Franzens-Universität Graz, Berlin 2002, PDF abgerufen am 25. September 2023. S. 49, 60, 117.
  2. Heiko Schuh: Entscheidungsorientierte Umsetzung einer nachhaltigeren Entwicklung. Dissertation, Universität Dresden 2001, ISBN 3-89825-295-7, PDF abgerufen am 1. Oktober 2023, S. 18–19.
  3. Charles I. Jones: Introduction to Economic Growth, 2002, ISBN 0-393-97745-5, S. 12. Grafik „World per capita GDP and growth rates“, Jones verwertet hier Daten von Robert E. Lucas jr. (1998) und Angus Maddison (1995).
  4. Ernst Schmitter: Wachstumsverweigerung: Immer mehr Menschen sagen nein zum Wachstumszwang – auch zum „Green New Deal“. (PDF) In: Der Rabe Ralf. Dezember 2009, S. 8–9, abgerufen am 18. August 2016.
  5. Niko Paech: Wachstum light? Qualitatives Wachstum ist eine Utopie. In: Wissenschaft & Umwelt INTERDISZIPLINÄR, 13/2009, S. 85.
  6. Niko Paech: Die Postwachstumsökonomie - ein Vademecum. In: Zeitschrift für Sozialökonomie 46 / 160–161, S. 28–31.
  7. Dennis Eversberg und Matthias Schmelzer: Über die Selbstproblematisierung zur Kapitalismuskritik: Vier Thesen zur entstehenden Degrowth-Bewegung, Forschungsjournal Soziale Bewegungen, Heft 1/2016, Verlag De Gruyter, Berlin.
  8. Sternad Dietmar, Mödritscher Gernot: Qualitatives Wachstum: Der Weg zu nachhaltigem Unternehmenserfolg. Springer Gabler, Wiesbaden 2018, ISBN 978-3-658-18879-5.