Diese Seite behandelt die faltbaren Brillen (Nietbrille, Gelenkbrille, Scherenbrille) von der Entstehung der Brille um 1285 bis zum Beginn des 19. Jh.

Der „Brillenapostel“ von Conrad von Soest (1403)
um 1538, Der Dichter Vergil, von Ludger tom Ring d. Ä. (1496–1547)
1490 Florenz, Altarbild mit Nietbrille

Die Nietbrille (auch Nagelbrille) ist erstmals Mitte des 14. Jh. in einem Bild dargestellt. Historiker datieren die Erfindung der Nietbrille etwas früher auf die Zeit zwischen 1285 und 1289. Diese ersten Brillen entstanden durch Handwerker oder Mönche in Italien. Es war die erste Sehhilfe mit zwei Gläsern, für das rechte und linke Auge und hatte in dieser Form über 150 Jahre Bestand. Die Nietbrille war aus zwei gestielten Eingläsern zusammengesetzt und durch einen Niet, mit Scharnierfunktion, am Ende der kurzen Stiele verbunden[1].

Die Nietbrille wurde mit der Hand vor die Augen gehalten. Je nach Schwergängigkeit des Scharnieres konnte man sie auch auf die Nase geklemmt tragen. Die Nietbrillen waren aus Holz (Funde ausschließlich in Deutschland), Tierknochen (Funde in: Schweden, Italien, Niederland, Belgien und besonders viele in Großbritannien) und Horn (3 Funde, Herkunft unklar). Aufgrund diverser erhaltener Schriftstücke, aus der Zeit der Nietbrillen, gab es aber auch solche aus Metall (Kupfer, Silber, vergoldet). Die Stiele kamen in gerader oder gebogener Form vor. Die Linsen waren Bi-Konvex Gläser (Plus-Linsen), aus leicht grünlichem Waldglas oder mehr oder weniger hellem, meist unreinen rosa bis bräunlichem Bergkristall (Beryll) und wurden vor allem zum Lesen in der Nähe benutzt. Verwendet und auch gefertigt wurden sie wohl in ganz Europa in der Zeit vom 13. bis 15. Jahrhundert. Der direkte Nachfolger war die Bügelbrille im 15. Jahrhundert.

Liste mit Erwähnungen und Darstellungen von Nietbrillen Bearbeiten

Auswahl. Viele der bildlichen Darstellungen, vor allem die biblischen, sind vorgreifende Anachronismen.

  • um 1285, Erwähnung in einer Predigt von Bruder Giordano da Rivalto (auch genannt Jordan of Pisa), 1305 in Florenz, von einer Brillenerfindung 20 Jahre zuvor durch einen ihm Bekannten.1
  • 1289, Sandra di Popozo schrieb in dem Florentiner Manuskript „Traite de con uite de la famille“ von seinen vom Alter geschwächten Augen und dem Vorteil, dass vor Kurzem die Brille erfunden wurde.2
  • um 1290, In der "Chronica antiqua" des Klosters St. Caterina in Pisa (geschrieben im 14. Jh.) wird der italienische Dominikanermönch Alessandro della Spina (✝︎1313) unter anderem als Brillen Erbauer postum verehrt. Er soll zwei kleine Lupen in einen Holzrahmen gesteckt und so eine tragbare Brille entworfen haben, die er nicht nur für sich, sondern auch anderen (Mönchen) zugänglich gemacht hat. Es wird allerdings auch erwähnt, dass er die Idee bei einem anderen, nicht namentlich genannten, Mönch zuvor gesehen hatte.3
  • vor 1350, Freiburger Kloster Funde, Holz-Nietbrillen von wahrscheinlich 1278 bis ~1350.[2]
  • um 1340, älteste vollständig erhaltene Brille. Nonnenkloster zu Wienhausen bei Celle. Nietbrillen Funde aus Holz, zwei komplette und div. Bruchstücke, die auf vor Mitte des 14. Jh. datiert werden.[3]
  • 1352, 1. bekannte Darstellung einer Brille. Fresko mit Nietbrille[4] und Einglas, Treviso, Kardinal Hugo von Provence (gest. 1263).
  • um 1380, In einer noch handgeschriebenen Bibel ist im Buch Lukas eine Nietbrille zu entdecken. Sie ist Teil eines Initial, einem großen grafisch ausgeschmückten „D“ eines Satzanfanges, lange Stiele mit gerader Form.[5]
  • 1403, 1. Darstellung nördlich der Alpen. Altarbild, Apostel, Conrad von Soest, Bad Wildungen [siehe Titelbild].
  • 1425, 1. bekannte Darstellung einer Brille auf Glas. Glasfenster zeigt den Apostel Petrus mit Nietbrille, Ulmer Münster.[6]
  • 1440, Nietbrille aus Rinderlangknochen, ohne Gläser, Fund in London (Trig Lane). Aufgrund dem Fundort lässt sich die Brille sehr genau auf die Zeit 1440 und wenige Jahre danach einordnen.
  • 1466 Petrus mit Nietbrille, Predella der Jakobskirche in Rothenburg ob der Tauber, gerade Form.[7]
  • um 1475, Florentiner Kupferstich mit Nietbrillendarstellung „Das Martyrium des Simon von Trient“, bogenförmige Form.
  • 1475, 1. gedruckte Darstellung einer Brille in einer Enzyklopädie „Rudimentum Novitiorum“, Lübeck. Das Bild zeigt einen Mönch mit Nietbrille (nur halb zu erkennen).[8]
  • 1493, 1. gedruckte Darstellung einer kompletten Nietbrille in einem Buch, Schedelsche Weltchronik, Nürnberg. Nietbrille bogenförmige Form.[9]
  • 1497, Hieronymus Brunschwig „Buch der Cirurgia“. Abbildung, lange Stiele mit gerader Form.[10]

zu 1, 2, 3, Leider ist nicht sicher, wie diese als Brille bezeichneten frühen Sehhilfen aus der Region Florenz / Pisa tatsächlich aussahen. Die Nietbrillenform ist allerdings am wahrscheinlichsten, da andere Brillenformen erst rund 150 Jahre später auftauchen.

Bilder und sonstige Darstellungen von Nietbrillen Bearbeiten

Lochbrille Bearbeiten

Womöglich die älteste Darstellung einer Lochbrille (Sehen nur mit den der optischen Achse nahen Brennpunktstrahlen). Auf einem Altarbild Mariä Himmelfahrt (Spanien), ist eine Nietbrille mit je einem Loch in zwei undurchsichtigen Scheiben zu sehen. Hier dürfte es sich um eine Lochbrille handeln, mit der vor allem stark kurzsichtige Personen ein Stück weit besser sehen können. Einzige Möglichkeit für Myope, bevor man um 1500 das konkave Brillenglas erfunden hatte. Die gleiche Funktion könnten die „Zierlöcher“ im Stiel diverser Nietbrillen gehabt haben.

Gelenkbrille (auch Scharnierbrille) Bearbeiten

Nachdem die Nietbrille bereits durch diverse Varianten der starren Klemmbrille (Bügelbrille, Schlitzbrille, Klemm-, Klamm-, Federparille) ersetzt war, kam Mitte des 16. Jh. eine verbesserte und elegantere Version der Nietbrille erneut in Mode, die bis ins 18. Jh. benutzt wurde. In der Regel war die Gelenkbrille (auch Scharnierbrille genannt) aus Metall, oft auch mit zusätzlicher Vergoldung oder in Silber gefertigt. Oft auch mit Hornrändern, die durch einen Klappmechanismus aus Metall verbunden waren.

Von Vorteil war wohl, bei einer gewissen Eitelkeit der Benutzer, das kurzfristige Hindurchsehen und anschließendes Zusammenklappen zum Verbergen. Nachfolger dieser Brillenart war, neben der Scherenbrille, das Lorgnon mit kurzem seitlichem Stiel.

Scherenbrille Bearbeiten

Obwohl es bereits verschiedene Arten von Nasenklemmern und auch die Ohrenbrille mit festem Sitz am Kopf gab, kam mit der Scherenbrille (auch Gabelbrille genannt) ab Mitte des 18. Jh. eine neue Brillenform zum manuellen Vorhalten in Mode. Scherenbrille bezeichnete alle Brillen, bei denen die Stiele der gefassten Gläser die Nase umgreifen, nach unten konvergieren und sich unter der Nase zu einem Griff vereinigen. Die Scherenbrille hielt man, im Gegensatz zur Nietbrille, dementsprechend von unten vor die Augen. Eine beliebte Variante der Scherenbrille hatte ein integriertes Etui als Haltegriff. Vorgänger war, genau genommen, die aus dem 14. Jh. bekannte Nietbrille. Anfang des 19. Jh. kam mit dem Lorgnon bereits ein Nachfolger.

Scherenbrillen wurden erstmals um 1750 in Deutschland hergestellt. Der deutsche Optikus Samuel Gottlieb Hoffmann (1726–1801) aus Leipzig bewarb und verkaufte diverse Scherenbrillengestelle. Im Jahr 1780 beantragte und erhielt der englische Optiker George Adams aus London ein Patent für eine Scherenbrille. Scherenbrillen waren allerdings weniger in Deutschland oder England gefragt, sondern erfreuten sich vor allem in Frankreich an größerer Beliebtheit. Scherenbrillen waren, auf Grund vieler erhaltener Exemplare, weit verbreitet, aber von ihren damaligen Nutzern, sicher aus Eitelkeit, eher im Verborgenen genutzt. Überliefert ist, dass Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland und auch Jérôme Bonaparte Scherenbrillen besaßen.

Scherenbrillen nennt man

  • in England: „scissors glasses“ = Scheren-Brille
  • in Frankreich: „Binocles-Ciseaux“ = Scheren-Brille, auch als „besicles clouantes“ (Nietbrille) bezeichnet
  • in Katalonien (Spanien): „Ulleres de tisora“ = Scheren-Brille
  • in den Niederlanden: „schaarbrillen“ = Scheren-Brille

Siehe auch Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. R. Greeff, Die historische Entwicklung der Brille, 1913
  2. Mittelalterliche Nietbrillen aus Freiburg PDF
  3. älteste vollständig erhaltene Brille
  4. 1. bekannte Darstellung einer Brille
  5. Bibliothèque nationale de France, Paris
  6. Apostel mit Augenleiden
  7. Altar von Friedrich Herlin, Rothenburg
  8. Aus Enzyklopädie Rudimentum Novitiorum
  9. Holzschnitt Druck, Schedelsche Weltchronik
  10. Hantwirckung der Wund Artzney