Mykenische Religion

Wikimedia-Liste

Die Religion der mykenischen Kultur des griechischen Festlandes der späten Bronzezeit ist sowohl durch archäologische Funden als auch durch Schriftquellen bekannt. Sie ist ein Spiegelbild irdischer Verhältnisse und ähnelt insofern der späteren griechischen Religion der klassischen Antike. Ihr Jenseitsbezug ist jedoch unklar.

Mykenische Heiligtümer

Bearbeiten

Die Heiligtümer der Mykener lagen sowohl innerhalb der Paläste und Städte als auch, wenn auch seltener, in eigenen Gebäuden im Freien.[1] Damit waren vermutlich viele Menschen von der offiziellen Kultausübung ausgeschlossen.

In Mykene lag das Heiligtum innerhalb der Befestigungsmauern. Es bestand aus fünf mit Fresken verzierten Gebäudekomplexen.[1] Die Fresken befanden sich teilweise zwischen dem sog. Haus von Tsountas und dem Südwestgebäude,[1] im Südwestgebäude selbst[2] oder auch im Raum der Fresken.[3] Im Heiligtum standen ein großer Opferherd und eine Terrakotta-Badewanne, die vielleicht für Baderituale genutzt wurde.[3] Auch fand sich eine Bank mit Kulthörnern.[3] Zahlreiche männliche und weibliche Terrakotta-Figurinen mit individuellen Zügen, die im Kultzentrum im Raum der Sockel und im Raum der Götzen gefunden wurden, stellten wohl die verehrten Gottheiten dar.[4] v. Das Heiligtum in Tiryns bestand aus mehreren frei stehenden Gebäuden, die überwiegend Figuren von Göttinnen enthielten, aber auch einen abgebrochenen tönernen Phallus und bewaffnete Götterfiguren orientalischen Ursprungs („smiting gods“).[5]

Das Heiligtum in Ayios Konstantinos auf der Halbinsel Methana diente der Verehrung eines männlichen Gottes. Es bestand aus drei Kammern und beinhaltete Dreifüße, Gefäße für Trankopfer (Rhyta (Einzahl Rhyton)), Kylikes (Einzahl Kylix), einen Becher und eine Schöpfkelle, verschiedenste Tonfiguren, eine gestufte Steinbank, eine Plattform und einen Opferherd.[5]

Das Heiligtum von Phylakopi auf der Insel Melos diente der Verehrung von Gottheiten beiderlei Geschlechts. Es gliederte sich in ein Ost- und ein Westheiligtum. Vor dem Eingang des Westschreins stand ein heiliger Stein. Die Altäre der Gottheiten waren wahrscheinlich nach Geschlecht der jeweiligen Gottheit getrennt. Es fanden sich wieder zahlreiche Terrakotta- und Tonfiguren, darunter die „Lady of Philakopi“.[5]

Das Heiligtum von Aya Irini auf der Insel Kea enthielt hingegen zahlreiche fast lebensgroße Terrakotta-Figurinen weiblicher Gottheiten.[6]

Mykenische Kultpraktiken

Bearbeiten
 
Freskodarstellung einer Göttin oder Priesterin aus Mykene

Opfergaben wurden von den Eliten des Palastes auch an weit entfernten Orten und nicht nur im eigenen Palast dargebracht, so z. B. auch in Amnisos und nicht nur in Knossos.[7] Als Opfergaben kamen Goldgefäße, Wolle, Gerste, Feigen, Mehl, Wein, Olivenöl, parfümiertes Öl, Honig,[7] kleine Dosen und Büchsen, Rosensträuße und Tonfigurinen in Frage.[8] Als Opfertiere wurden Kühe, Schweine, Ziegen, Schafe und wilde Eber genutzt.[8] Auch Menschenopfer könnten existiert haben.[9] Auf Fresken werden die Opferrituale meist von Frauen ausgeführt, aber auch der König (wanax) übernahm eine wichtige Rolle.[7] Es können auch rituelle Bankette ausgerichtet worden sein.[9]

Mykenische Begräbnisriten

Bearbeiten

Die Mykener bestatteten ihre fürstlichen Toten in aufwendig erbauten großen Tholosgräbern mit zahlreichen Grabbeigaben aus Gold und Bernstein, aber auch mit persönlichen Besitztümern der Toten, symbolischen Tonfiguren und selbst mit geopferten Hunden und Pferden, teilweise wohl auch mit geopferten Dienern. Dies lässt auf einen Glauben an ein Leben nach dem Tode schließen.[10]

Mykenische Gottheiten

Bearbeiten

Die anthropomorphen mykenischen Gottheiten sind das Abbild einer Adelsgesellschaft. Hinzu kommen personifizierte Naturmächte und Tiergestalten. Die Formen ihrer ikonographischen Darstellung sind vielfältig. So gibt es Terrakotta-Figurinen von auf Thronen sitzenden Göttinnen. Mykenische Fresken zeigen eine kriegerische Göttin mit Eberzahnhelm und Greif auf dem Arm.[11] Eine Elfenbeinschnitzerei zeigt zwei Göttinnen mit einem Kind.[12] Ein mykenisches Fresko zeigt entweder eselsköpfige Dämonen[11] oder Kultfunktionäre in Eselsmasken.

Zahlreiche mykenische Gottheiten sind aus Linear-B-Texten bekannt (siehe Tabelle). Viele der mykenischen Gottheiten sind auch aus klassischen griechischen Kultur bekannt (z. B. Artemis, Hera, Hermes). Es gibt aber auch textlich erwähnte Gottheiten, die in späterer Zeit unbekannt waren (z. B. Drimios, Mnasa, Poseidaeia).

Mykenischer Name Gottheit Schreibung Linear B Überlieferungsort Aufgaben, Bedeutung des Namens Entsprechung in der klassischen griechischen Mythologie
*Apeljōn / *Huperjōn [a/u?]-pe-ro2-ne Dat. Knossos Apollon[13] oder Hyperion
Arēs a-re Dat. Knossos Ares[14]
Artemis
Artimis
a-te-mi-to Gen.,
a-ti-mi-te Dat.
Pylos Artemis[14]
Athānās Potnia a-ta-na po-ti-ni-ja Dat. Knossos „Herrin von Athen“[15] Athene[16]
*Daidalos da-da-re-jo-de Allativ (Schreinname) Knossos nachgewiesen im Schreinnamen Daidaleion[14] Daidalos
Diwia di-u-ja, di-wi-ja Gen., Dat. Pylos weibliches Gegenstück zu Zeus[17] Dia, Beiname mehrerer Göttinnen
Diwonūsos di-wo-nu-so-jo Gen.,
di-wo-nu-so Dat.
Chania, Pylos Dionysos[16]
Domspotās (?) do-po-ta Dat. Pylos „Herr des Hauses“
Drīmios di-ri-mi-jo Dat. Pylos Sohn von Zeus[18] evtl. Beiname von Ares.
*Dzēus di-wo Gen.,
di-wo Dat.
Chania, Knossos, Pylos Zeus[16]
Eleuthia e-re-u-ti-ja Dat. Knossos Geburt[16] Eileithyia[16]
Enesidāhōn e-ne-si-da-o-ne Dat. Knossos Ennosidas (Poseidon)
Enūwalios e-nu-wa-ri-jo Dat. Knossos Krieg Enyalios, (Sohn des Ares)[16]
Gwowia qo-wi-ja Dat. Pylos „Kuh“
Erīnnūs e-ri-nu, e-ri-nu-we Dat. Knossos Erinys, Beiname der Aphrodite und Demeter
*Hāphaistos a-pa-i-ti-jo (theophorer Männername)[19] Knossos Hephaistos[16]
Hērā e-ra Dat. Pylos Hera[16]
Hermahās e-ma-a-o2 Gen.,
e-ma2 Dat.
Knossos, Pylos, Theben Hermes[16]
Hikkwō (Dual) i-ku-wo-i-pi Dat.Dual Knossos „die beiden Stuten“ Demeter und Kore?
Iphemedehia i-pe-me-de-ja Dat. Pylos Iphimedeia[16]
Komāwenteia ko-ma-we-te-ja Dat. Pylos, Theben „Langhaarige“
Kwhērasia qe-ra-si-ja Dat. Knossos
Mallinēus (?) ma-ri-ne-wo Gen.
ma-ri-ne-we Dat.
Knossos, Theben hat e mit Wolle (gr. mallós) zu tun
Mnāsā ma-na-sa Dat. Pylos
Mātēr Thehiā ma-te-re te-i-ja Dat. Pylos „Göttliche Mutter“
Paiāwōn pa-ja-wo-ne Dat. Knossos „Retter“; Heilkunst[7] Paieon (Apollon)[16]
Pāntes Thehoi pa-si-te-o-i Dat.Plural Knossos „Alle Gottheiten“, Götterkollektiv
Pereswā (?) pe-re-82 Dat. Pylos
Posidāhehia po-si-da-e-ja Dat. Pylos Paredros von Poseidon[20]
Poseidāhōn po-se-da-o Nom.,
po-se-da-o-no Gen.,
po-se-da-o-ne Dat.
Knossos, Pylos „Gewässerherr“; Hauptgott in Pylos Poseidon[14]
Potnia po-ti-ni-ja Gen., Dat. Knossos, Mykene,
Pylos, Theben
„Herrin“; Hauptgöttin in Pylos; bezeichnet möglicherweise unterschiedliche Göttinnen[21]
Potnia Aswia po-ti-ni-ja a-si-wi-ja Dat. Pylos „Herrin von Aswia“ (= Kleinasien?)
Potnia Daburinthohio da-pu2-ri-to-jo po-ti-ni-ja Dat. Knossos „Herrin des Labyrinths“ Ariadne ?[14]
Potnia Hikkweia [po]-ti-ni-ja i-qe-ja Dat. Pylos „Pferdeherrin“
Sītōn Potnia si-to-po-ti-ni-ja Dat. Mykene „Kornherrin“ Demeter[14]
Trīshērōs ti-ri-se-ro-e Dat. Pylos „Dreiheld“ evtl. Ahnengottheit

Siehe auch

Bearbeiten
  • Minoische Religion zur altägäischen Religion des bronzezeitlichen Kreta, welche auch unter mykenischer Herrschaft fortlebte und in kretischen Linear B-Texten ihren Niederschlag fand.

Literatur

Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. a b c Louise Schofield: Mykene, Geschichte und Mythos. Mainz 2009, S. 146 f.
  2. Louise Schofield: Mykene, Geschichte und Mythos. Mainz 2009, S. 152.
  3. a b c Louise Schofield: Mykene, Geschichte und Mythos. Mainz 2009, S. 150.
  4. Louise Schofield: Mykene, Geschichte und Mythos. Mainz 2009, S. 151 f.
  5. a b c Louise Schofield: Mykene, Geschichte und Mythos. Mainz 2009, S. 157 f.
  6. Louise Schofield: Mykene, Geschichte und Mythos. Mainz 2009, S. 158 f.
  7. a b c d Louise Schofield: Mykene, Geschichte und Mythos. Mainz 2009, S. 161 f.
  8. a b Louise Schofield: Mykene, Geschichte und Mythos. Mainz 2009, S. 162.
  9. a b Louise Schofield: Mykene, Geschichte und Mythos. Mainz 2009, S. 163.
  10. Louise Schofield: Mykene, Geschichte und Mythos. Mainz 2009, S. 164–169.
  11. a b Louise Schofield: Mykene, Geschichte und Mythos. Mainz 2009, S. 155.
  12. Louise Schofield: Mykene, Geschichte und Mythos. Mainz 2009, S. 134.
  13. Ivo Haynal: Die griechisch-anatolischen Sprachkontakte zur Bronzezeit – Sprachbund oder loser Sprachkontakt?. Universität Innsbruck, S. 3.
  14. a b c d e f Jaquetta Hawkes: Geburt der Götter – An den Quellen griechischer Kultur. Bern 1972, S. 226.
  15. José Luis García Ramón: Mycenaean Omomastics. In: Yves Duhoux, Anna Morpurgo Davies: A Companion to Linear B: Mycenaean Greek Texts and their World. Volume 2, Louvain-la-Neuve-Warpole 2011, S. 235.
  16. a b c d e f g h i j k Louise Schofield: Mykene, Geschichte und Mythos. Mainz 2009, S. 160.
  17. Thomas G. Palaima: Sacrificial Feasting in the Linear B Documents. Hesperia 73, 2004, S. 219.
  18. José Luis García Ramón: Mycenaean Omomastics. In: Yves Duhoux, Anna Morpurgo Davies: A Companion to Linear B: Mycenaean Greek Texts and their World. Volume 2, Louvain-la-Neuve-Warpole 2011, S. 230.
  19. José Luis García Ramón: Mycenaean Omomastics. In: Yves Duhoux, Anna Morpurgo Davies: A Companion to Linear B: Mycenaean Greek Texts and their World. Volume 2, Louvain-la-Neuve-Warpole 2011, S. 231.
  20. Angelos Chaniotis: Das antike Kreta. München 2004, S. 41.
  21. Louise Schofield: Mykene, Geschichte und Mythos. Mainz 2009, S. 159.