Vietnamesische Literatur ist von vietnamesisch Sprechenden mündlich überlieferte (văn học miệng, Volksliteratur) und schriftgebundene Literatur (văn học bác học, Gelehrtenliteratur). Die Werke wurden – abhängig von den jeweils herrschenden Machtverhältnissen – in unterschiedlichen Sprachen verfasst.
Vietnam war über einen langen Zeitraum seiner Geschichte stark beeinflusst von China; dadurch sind viele der geschriebenen Werke aus dieser Zeit in klassischem Chinesisch überliefert. Die Entwicklung von chữ Nôm während des 10. Jahrhunderts erlaubte es Schriftstellern unter Verwendung modifizierter chinesischer Schriftzeichen in Vietnamesisch zu dichten. Obwohl es im Vergleich zu Chinesisch als minderwertiger angesehen wurde, gewann chữ nôm nach und nach an Ansehen. Es gedieh im 18. Jahrhundert, als viele wichtige vietnamesische Schriftsteller und Dichter ihre Werke verfassten und es für kurze Zeit die offizielle Schriftsprache wurde.
Im 17. Jahrhundert wurde ein vietnamesisches Alphabet, die Quốc-Ngữ-Schrift, entwickelt. Diese konnte sich jedoch lange Zeit nicht durchsetzen. Erst ab der Mitte des 20. Jahrhunderts sind alle vietnamesischen literarischen Werke in quốc ngữ verfasst.
Formen
BearbeitenVolkstümliche Literatur
BearbeitenVietnamesische Volksliteratur ist eine Vermengung von vielerlei Formen. Es ist nicht nur eine mündliche Tradition, sondern ein Mix dreierlei Medien: verborgen (ausschließlich in der Erinnerung der volkstümlichen Autoren behalten), festgehalten (geschrieben) und gezeigt (veröffentlicht). Volkstümliche Literatur gibt es gewöhnlich in vielen Versionen, mündlich überliefert und mit unbekannten Autoren. Zu ihr gehören Mythen, Geschichten über übernatürliche Dinge, Helden und Götter, Legenden, Fabeln, Rätsel, Märchen und Sagen.
Sie reflektieren die Ansichten, Sitten und Bräuche der Menschen des Altertums. Es handelt sich um Schöpfungsgeschichten, Geschichten über ihre Ursprünge (Lạc Long Quân, Âu Cơ) und über kulturelle Helden (Sơn Tinh – Thủy Tinh).[1]
Gelehrtenliteratur
BearbeitenDiese Form der Literatur erhielt ihren Namen vor allem, weil sie vornehmlich von gebildeten, d. h. lese- und schriftkundigen Kreisen getragen wurde. Dabei handelt es sich ausnahmslos um die herrschende Feudalklasse Vietnams.
Ca dao
BearbeitenCa dao sind die volkstümlichen Weisen und Gedichte der einfachen Leute.[2]
Epochen
BearbeitenEpoche des klassischen Chinesisch
BearbeitenViele offizielle Dokumente der Geschichte Vietnams wurden in klassischem Chinesisch geschrieben. Dies waren offizielle Ankündigungen vietnamesischer Könige, königliche Geschichte, Unabhängigkeitserklärungen von China und Gedichte.
Die Chinesische Schrift ist modernen Vietnamesisch-Sprechenden heute nicht nur fremd, diese Werke sind aufgrund der chinesischen Syntax und teilweise wegen des Vokabulars oft unverständlich, selbst wenn sie im Nachhinein ins moderne quốc ngữ übersetzt wurden. Erst die Übersetzung in das Vietnamesische erbrachte Verstehbarkeit für den vietnamesischen Leser.
Literatur in Chữ Nôm
BearbeitenEinige hochgeschätzte Werke der vietnamesischen Literatur wurden in chữ Nôm verfasst, so z. B. Truyện Kiều von Nguyễn Du, Đoàn Thị Điểms chữ Nôm Übersetzung des Gedichtes Chinh Phụ Ngâm Khúc aus dem klassischen Chinesisch, verfasst von ihrem Freund Đặng Trần Côn und Gedichte der namhaften Dichterin Hồ Xuân Hương.
Werke in Chữ nôm können in die moderne quốc-ngữ-Schrift übersetzt werden und ohne weiteres von modernen Vietnamesisch-Sprechenden verstanden werden. Allerdings wurde chữ Nôm nie genormt, und es gibt Unklarheiten darüber, welche Wortbedeutung in einem Werk die gemeinte ist. Daraus ergaben sich viele Variationen bei Übersetzungen von Texten aus dem chữ Nôm ins quốc ngữ.
Quốc ngữ
BearbeitenQuốc ngữ wurde nach seiner Entstehung im 17. Jahrhundert außerhalb der in Vietnam missionarisch tätigen Gruppierungen kaum benutzt.
Während der frühen Jahre des 20. Jahrhunderts erschienen viele Zeitschriften auf quốc ngữ und deren Beliebtheit half, quốc ngữ zu popularisieren. Während manche quốc ngữ als Erbe und äußeren Einfluss der Franzosen ablehnten, nahmen es andere als bequemes Mittel an, um die Literatur zu fördern. Nach der Unabhängigkeitserklärung von Frankreich 1945 unterstützte Ho Chi Minhs provisorische Việt Minh Regierung die weiter wachsende Literatur in quốc ngữ. Dies führte zu einem sprunghaften Anstieg der Alphabetisierungsrate.[Anm. 1]
Lange Zeit gab es viele Unterschiede in der Orthographie und keinen Konsens, wie man bestimmte Wörter zu schreiben hatte. Die Problematik besteht bis heute fort.
Genres
BearbeitenDie vietnamesische Literatur kennt bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts primär zwei Genre: die Versliteratur (Vận văn) und sogenannte Parallelliteratur (Biên văn), die aus dem Chinesischen übernommen wurde. Prosa, wie sie in Europa bspw. in der Form von Erzählungen bekannt ist, entstand erst in den 1920er-Jahren.
Siehe auch
BearbeitenLiteratur
BearbeitenPrimärliteratur
Bearbeiten- Eduard Claudius: Als die Fische die Sterne schluckten. Märchen und Legenden aus Vietnam, Laos und Kambodscha. Halle 1976.
- Hans Nevermann: Die Reiskugel. Vietnamesische Märchen, Sagen und Fabeln. Eisenach 1952.
- Aljonna und Klaus Möckel: Erkundungen. 16 vietnamesische Erzähler. Berlin 1977.
- Pham Duy Kiêm: Vietnamesische Märchen. Frankfurt, Hamburg 1968.
Quellen
Bearbeiten- Autorenkollektiv: BI Lexikon Ostasiatische Literaturen. Hrsg.: Jürgen Berndt. 2. Auflage. VEB Bibliographisches Institut Leipzig, Leipzig 1987, ISBN 3-323-00128-1, S. 107–117.
- Georges Cordier: Littérature annamite. Extraits des poètes et des prosateurs. Hanoi 1914, S. 1–6 (online [abgerufen am 17. März 2012]).
- Georges Cordier: Etude sur la littérature annamite. Première partie: Considérations génerales. Saigon 1933, S. 999–1000 (online [abgerufen am 17. März 2012]).
- Georges Cordier: Etude sur la littérature annamite. Deuxième partie: Le théàtre. Hanoi 1934, S. 643–644 (online [abgerufen am 17. März 2012]).
Weblinks
BearbeitenAnmerkungen
Bearbeiten- ↑ Bis 1945 waren noch ca. 90 % der Bevölkerung Analphabeten
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Die Legende von Sơn Tinh und Thủy Tinh. Auf Deutsch bei kicherbox.de
- ↑ Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 10. April 2010 Seite Z3 letzter Absatz