Liese und Miese (auch: Die Liese und die Miese) ist der Titel einer Reihe von Kurzfilmen und Postkarten im Dritten Reich.

Hintergrund Bearbeiten

Liese und Miese war das weibliche Gegenstück[1] zu der Filmreihe Tran und Helle, die in den Jahren 1939 und 1940 das Publikum auf kriegsgerechtes Verhalten einstimmen sollte.

Diese im Auftrag des Propagandaministeriums produzierten Kurzfilme, die ebenfalls im Beiprogramm vor jedem Hauptfilm gezeigt wurden, sollten der Bevölkerung die Kriegsangst nehmen und sie zu steter Wachsamkeit anhalten. Ihr Regisseur war Eugen York, die Texte schrieb der spätere Berliner Theaterkritiker Friedrich Luft. Darin stand der linientreuen „Liese“, die von der als Schnellrednerin bekannt gewordenen Gisela Schlüter[2] gespielt wurde, als „Miese“[3] Brigitte Mira gegenüber, die als junge Schauspielerin von York entdeckt und für die Rolle besetzt worden war. Die machte alles, was die Volksgenossen nicht machen sollten, z. B. ‚meckern‘, Lebensmittel hamstern, Feindsender abhören oder ohne Furcht vor Spionen arglos drauflos schwatzen.

Der erste Film mit dem Titel Eisenbahnverkehr zu Weihnachten erschien Mitte Dezember 1943 und lief vor der Deutschen Wochenschau:

„Aehnlich wie seinerzeit die Figuren Tran und Helle als Typen des ewig nörgelnden einerseits und positiv eingestellten Menschen unserer Zeit andererseits im alltäglichen Leben beobachtet wurden, so treten hier erstmalig zwei weibliche Figuren, Liese und Miese in Erscheinung. Liese ist das aufrechte, kluge, gerade und bejahende Mädchen der Gegenwart, die um die Schicksalsbedeutung des Ringens weiß; Miese ist die Karikatur der hysterischen, nörgelnden, meckernden Klatschbase, die nur an sich denkt und deren Verstand nicht weiterreicht als ihre Kulpnase. Liese ist mit der schönen Offenheit im Gesicht, die das Mädchen unserer Zeit kennzeichnet, Gerhild Weber. Brigitte Mira, die wir das erstemal im Film sehen […] spielt mit opfervoller Selbstüberwindung weiblicher Eitelkeit die mordshäßliche Miese. Es ist ohne Zweifel, daß die beiden weiblichen Figuren bald ebenso volkstümlich sein werden, wie es damals die beiden männlichen gewesen sind.“

Artikel im Kleinen Volksblatt vom 14. Dezember 1943[4]

Die Serie wurde bereits nach zehn Folgen[5] wieder eingestellt. Sie verfehlte ihren Zweck, denn die Zuschauer im Kino sympathisierten viel mehr mit der auch äußerlich als Negativfigur konzipierten Miese als mit der blonden, adretten und stramm auf Parteilinie argumentierenden Liese.

„Die Miese sollte natürlich negativ wirken, hässlich aussehen, ungepflegt herumlaufen, eine richtige Schreckschraube wurde da gesucht.“ So erinnerte sich Brigitte Mira später, „Als Goebbels die ersten Kurzfilme sah und von den Reaktionen des Publikums hörte, das ausgerechnet die Miese sofort ins Herz geschlossen hatte, wurde die Serie unverzüglich abgesetzt.“[6]

Weiterhin wirksam war das gegensätzliche Figurenpaar dagegen auf Bildpostkarten des Karikaturisten Hans Zoozmann,[7] der es in kritischen Situationen abbildete, wobei ein Verschen die Zeichnung ‚volkserzieherisch‘ erläuterte.[8] So gab es z. B. eine Karte „Medizinflasche“ über die Krankheit der ‚Meckerer‘,[9] über den Neid auf ein gepflegtes Äußeres,[10] über das schädliche Verbreiten von Gerüchten[11] und über die Gefahren des Schleichhandels.[12] Die kolorierten Karten erschienen im Verlag von Erich Gutjahr, Berlin NW 40, Lehrter Str. 40.

Nachwirken Bearbeiten

„Liese und Miese“ sind in den Erinnerungen der Kriegsgeneration noch heute lebendig, wie die Aussagen in den Büchern von Rainer Horbelt / Sonja Spindler und von Birthe Kundrus belegen.

Der Jurist Thomas Dieterich beschreibt in seinem Buch „Ein Richterleben“ den Auftritt des Paares im fünften Kriegsjahr.[13] Eine ganze Szene mit den beiden ruft Elisabeth Schulz-Semrau in ihrem Report einer Kindheit im ostpreußischen Königsberg ins Gedächtnis zurück.[14] Und auch Joachim Berke sieht in seinem ‚autobiographischen Zeitzeugnis‘ Heimreise in die schlesische Grafschaft Glatz im Geiste neben den Plakaten mit dem „Pst! Feind hört mit!“-Schattenmann[15] und dem „Kohlenklau“ auch „Liese und Miese“, die für ihn Optimismus und Pessimismus verkörperten.[16]

Literatur Bearbeiten

  • Hans Peter Althaus: Chuzpe, Schmus & Tacheles: Jiddische Wortgeschichten. 3. Auflage. Verlag C. H. Beck, 2015, ISBN 978-3-406-68563-7, Anmm. 124–130 u. 170.
  • Ludolf Herbst: Der Totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft: Die Kriegswirtschaft im Spannungsfeld von Politik, Ideologie und Propaganda 1939–1945. (= Studien zur Zeitgeschichte. Band 21). Deutsche Verlags-Anstalt, 1982, ISBN 3-421-06119-X, S. 248.
  • Rainer Horbelt, Sonja Spindler (Hrsg.): Wie wir hamsterten, hungerten und überlebten: zehn Frauen erzählen. Erlebnisse und Dokumente. Verlag Eichborn, 1983, ISBN 3-8218-1021-1, S. 78.
  • Rainer Horbelt, Sonja Spindler (Hrsg.): „Oma, erzähl mal was vom Krieg“: zehn Frauen erinnern sich. Erlebnisse und Dokumente. Verlag Rowohlt, 1986, ISBN 3-499-18328-5, S. 86 f., 90.
  • Ulrich Keuler: Häberle und Pfleiderer: zur Geschichte, Machart und Funktion einer populären Unterhaltungsreihe. (= Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen, Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft. Band 78). Verlag Tübinger Vereinigung für Volkskunde, 1992, ISBN 3-925340-77-7.
  • Petra Kohse: Gleiche Stelle, gleiche Welle. Friedrich Luft und seine Zeit. Aufbau Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-351-02482-7.
  • Reinhard Krause: Mosern fürs Reich. In: taz. 27. Januar 2001. (taz.de)
  • Birthe Kundrus: Kriegerfrauen. Familienpolitik und Geschlechterverhältnisse im Ersten und Zweiten Weltkrieg. (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte. Band 32). Verlag Christians, 1995, ISBN 3-7672-1246-3, S. 515.
  • Brigitte Mira: Kleine Frau – was nun? Ullstein-Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-548-22437-7.
  • Felix Moeller: Der Filmminister. Goebbels und der Film im „Dritten Reich“. Verlag Henschel, Berlin 1998, ISBN 3-351-02482-7.
  • Susann Moser-Ehinger, Hansueli W. Moser-Ehinger: Bhaltis: Wenn die Sonne tief steht, werfen sogar wir lange Schatten. Verlag BoD – Books on Demand, 2014, ISBN 978-3-7322-0347-5, S. 51.

Weblinks Bearbeiten

  • Die Liese und die Miese – Auf dem Land als unzufriedene Evakuierte. Kurzfilm, anzusehen auf (youtube.com)
  • Die Liese und die Miese – Auf dem Lande im Bundesarchiv (Nr. BSP 19606-1).

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. vgl. Keuler S. 58.
  2. Jedoch nicht immer: Die Deutsche Wochenschau Nr. 703 vom Oktober 1944 begann mit einem „Vorfilm mit Liese und Miese sowie einem Fronturlauber in einer gespielten Szene“, in der es um das Schreiben von Briefen an die Frontsoldaten geht: „Sorgen und Pessimismus sollen in Briefen an die Front außen vor bleiben. Miese wird gespielt von Brigitte Miera [sic]“, vgl. filmarchives-online.eu ; darin spielte Gerhild Weber die Liese.
  3. vom Adjektiv ‚mies‘ schlecht, wertlos, elend, übel, entlehnt über das Rotwelsche aus dem Westjiddischen מיאוס (YIVO: mies) hässlich, ekelerregend, abscheulich, vgl. wiktionary.org.
  4. Dr. Hans Lehmann: Zwei neue Typen im Film. In: Das kleine Volksblatt, 14. Dezember 1943, S. 5 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/dkv
  5. So Ramon Schack bei Historische Dokumente: Vorsicht, Feind hört mit! Miese und Liese (Juli 28, 2008), Weblog ramon-schack.de
  6. Zit. nach Krause, taz vom 27. Januar 2001.
  7. vgl. dhm.de
  8. vgl. zu Horbelt-Spindler, „Oma, erzähl mal was vom Krieg“, S. 86 : „Das Duo Miese und Liese erreichte seine Popularität auch durch Karikaturenserien und Gedichte, die gleichzeitig zu den Filmen […] erschienen“
  9. Die Liese und die Miese, Medizinflasche - Nr. 713, ansichtskarten-center.de (aufgerufen 8.09.19) ; zum Begriff ‚Meckerer‘ vgl. Art. „Miesmacher-Aktion“ bei wiki.org
  10. Die Liese und die Miese Nr. 714, ebay.de (abgerufen am 8. September 2019)
  11. Die Liese und die Miese Nr. 715, ebay.de (abgerufen am 8. September 2019)
  12. Die Liese und die Miese Nr. 716, ansichtskarten-center.de (aufgerufen am 8. September 2019)
  13. Thomas Dieterich: Ein Richterleben im Arbeits- und Verfassungsrecht. BWV Verlag, 2016, ISBN 978-3-8305-3672-7, S. 7 : „Als schließlich im fünften Kriegsjahr der Alltag der Menschen nur noch mit unzähligen Mühen und Hindernissen zu bewältigen war, sollten zwei Hausfrauentypen bildhaft vorführen, wie sich musterhafte Volksgenossen zu benehmen haben: die Liese und die Miese. Die Liese war eine fröhliche Blondine, die nirgends Probleme sah, während die Miese eine etwas ältere magere Frau mit dunklen Haaren darstellte, die sich pausenlos beschwerte.“
  14. Suche nach Karalautschi. Verlag Edition digital, 2014, ISBN 978-3-86394-711-8, hier: „Eventuell aber spielen sie auch schon die Liese und die Miese, Lehrstücke ihrer Tage, die von Kino, Rundfunk und Plakaten auf sie kommen. Frau Liese, blond mit Knoten, appetitlich sauber anzusehen, voll optimistischer Fröhlichkeit. Frau Miese, saure unzufriedene Miene, geflicktes Kleid, Kopftuch.“
  15. Beispiel bei dhm.de
  16. Heimreise in die schlesische Grafschaft Glatz. Books on Demand, 2008, ISBN 978-3-940016-99-7, S. 130.