Das KZ Neckargartach, auch SS-Arbeitslager Steinbock genannt, war ein Konzentrationslager der Schutzstaffel (SS) in Neckargartach, einem nördlichen Ortsteil von Heilbronn. Das Lager war von Anfang September 1944 bis zum 1. April 1945 in Betrieb.[1] Es zählte zu den zahlreichen Außenlagern des KZ Natzweiler-Struthof.

Das ehemalige Massengrab in der Nähe des Lagers wurde im Jahr 1946 zum KZ-Friedhof Neckargartach umgestaltet. Vom eigentlichen Konzentrationslager ist seit 1986, als die letzte der ehemaligen Häftlingsbaracken abgerissen wurde, nichts mehr erhalten.

Das Lager

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Lage und Aufbau

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Das „SS-Arbeitslager Steinbock“ befand sich wenige hundert Meter nördlich der damaligen Wohngebäude von Neckargartach an der östlichen Seite der Böllinger Straße. Südöstlich benachbart lag der bis heute erhaltene Sportplatz.[2] Das ehemalige Lagergelände ist heute Teil eines Gewerbegebiets im Bereich Böllinger Straße/Mosbacher Straße.[3]

Das eingezäunte Lagergelände hatte die Form eines Rechtecks mit einem angesetzten Dreieck am nordwestlichen Ende. Es war mehr als 150 Meter lang und weniger als 100 Meter breit. An jeder der vier Ecken stand ein Wachturm.[2]

Das Lager war für 800 Häftlinge konzipiert, die in fünf bis sieben Baracken untergebracht werden sollten. Die Baracken waren etwa 20 Meter lang und 10 Meter breit. Hinzu kamen diverse Nebengebäude.[1] Auf dem Plan des Architekten vom Juni 1944 sind elf Baracken innerhalb des umzäunten Lagers eingezeichnet, darunter eine 40 Meter lange „Wirtschaftsbaracke“. In der Umgebung standen weitere Baracken.[2]

Häftlinge

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Das KZ-Außenlager Neckargartach gehörte zu den Lagern, in die die Häftlinge des KZ Natzweiler und seiner in den besetzten Gebieten Frankreichs liegenden Außenlager ab September 1944 verlegt wurden, als die alliierten Truppen sich den Lagern in Frankreich näherten. Anfang September trafen die ersten 600 Häftlinge aus dem Außenlager Markirch ein. Weitere Häftlinge kamen aus dem Außenlager Longwy-Thil zunächst ins KZ Kochendorf und von dort nach Neckargartach. Bis Ende September 1944 stieg die Belegung auf knapp 1100 Häftlinge an. Danach nahm sie wieder ab. Im November waren es noch knapp 1000 Häftlinge.[1]

Die Häftlinge waren größtenteils Ausländer. Die meisten stammten aus den Ländern Polen, Sowjetunion, Jugoslawien, Italien und Frankreich. Einige Häftlinge waren Reichsdeutsche.[1]

Tätigkeiten der Häftlinge

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Die Häftlinge wurden unter der Leitung der Organisation Todt (OT) und des Tiefbauunternehmens Berger in zwei Stollen des Salzbergwerks Neckargartach eingesetzt. Sie sollten die Untertage-Verlagerung von Produktionsstätten für Rüstungsgüter im Rahmen des geheimen Projekts „Steinbock“ vorbereiten. Dazu bauten sie die bestehenden Stollen aus und gruben einen neuen Schrägstollen als Zugang vom Stiftsberg. Ursprünglich sollte die Erla Maschinenwerk GmbH aus Leipzig hier Jagdflugzeuge produzieren, im September 1944 wurde der Standort jedoch dem Konzern I.G. Farben überlassen.[1]

Neben der Arbeit im Verlagerungsprojekt Steinbock mussten die Häftlinge an der Wimpfener Straße noch einen Luftschutzstollen für OT-Angehörige und Zivilpersonen ausbauen. Sie selbst durften diese Schutzräume generell nicht benutzen. Nach dem schweren Luftangriff auf Heilbronn am 4. Dezember 1944 wurden die Arbeiten in den Salzstollen bis Ende Januar 1945 unterbrochen. Die Häftlinge mussten nun Opfer bergen und die verschüttete Innenstadt von Heilbronn aufräumen.[4] Geplant war, die Häftlinge nach dem Stollenausbau in der Produktion von Rüstungsgütern einzusetzen, doch dazu kam es nicht mehr.[1]

Todesfälle

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Die Arbeit geschah unter schlimmsten Lebens- und Arbeitsbedingungen, wodurch zahlreiche Häftlinge umkamen. Zunächst gab es nur vereinzelte Todesfälle. Im Winter 1944/45 starben geschätzt etwa 300 Häftlinge an Erschöpfung, Hunger, Misshandlung und Krankheiten wie Typhus.[1]

Ein SS-Rottenführer hatte die Sterbefälle im Lager dem Standesamt in Heilbronn anzuzeigen. Er machte meist Sammelmeldungen über sechs oder sieben Todesfälle. Insgesamt wurden dem Standesamt in Heilbronn 191 verstorbene Häftlinge gemeldet: 67 Polen, 48 Italiener, 35 Russen, 27 Jugoslawen, 3 Franzosen, 3 Lothringer und 8 Reichsdeutsche. Als Todesursachen wurden hauptsächlich Entkräftung, Lungenentzündung und Typhus angegeben, aber auch ein bei einem Fluchtversuch erschossener Häftling wurde gemeldet.[5]

31 Häftlinge wurden im Krematorium auf dem Heilbronner Hauptfriedhof eingeäschert. Zwei Tote wurden auf dem Sontheimer Judenfriedhof beigesetzt und später auf den Südfriedhof Sontheim umgebettet.[5] Als die Zahl der Todesfälle im Winter stark anstieg, verscharrte man die Leichen in einem Massengrab, das in der Nähe des Lagers angelegt wurde. Das Massengrab befand sich südlich des Lagers auf der anderen, westlichen Seite der Böllinger Straße.[6] Wie viele Tote in dem Massengrab bestattet wurden, ist nicht mehr genau feststellbar.[1]

Räumung des Lagers

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Als die US-amerikanischen Truppen sich näherten, ließ die SS das Lager räumen. Die Häftlinge, die Wachmannschaft und die Lagerdokumente sollten ins KZ Dachau gebracht werden. Zuerst wurden etwa 300 kranke Häftlinge am 31. März 1945 mit einem Zug abtransportiert, der am 9. April Dachau erreichte. Mindestens 50 der kranken Häftlinge starben während des Transports.[1]

Am 1. April 1945, es war der Ostersonntag, wurden die restlichen etwa 500 Häftlinge auf einen Todesmarsch nach Dachau geschickt. Damit war das Lager aufgelöst. Sie gingen in Gruppen von etwa 100 Häftlingen, bewacht von SS-Leuten und Hunden. Die ausgezehrten Häftlinge hatten einen 350 Kilometer langen Fußmarsch zu bewältigen. Außerdem mussten sie Pferdewagen ziehen, auf denen die Feldküche, das Gepäck und das Lagerarchiv mitgeführt wurden. Später wurden auch einige Häftlinge, die nicht mehr gehen konnten, auf die Pferdewagen geladen. Einige Häftlinge konnten fliehen, mindestens fünf wurden auf dem Marsch getötet.[1]

KZ-Friedhof

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Mahnmal im KZ-Friedhof Neckargartach

Der Ort des Massengrabs wurde nach dem Kriegsende von engagierten Neckargartacher Bürgern als Ehrenfriedhof gestaltet. Zwei Gedenktafeln am Eingang und ein Mahnmal, das aus Trümmern der am 2. April 1945 gesprengten Neckargartacher Neckarbrücke errichtet wurde, erinnern an die verstorbenen KZ-Häftlinge.[7]

Literatur

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  • Wilhelm Steinhilber: Die Heilbronner Ehren- und Sonderfriedhöfe. In: Schwaben und Franken. Heimatgeschichtliche Beilage der Heilbronner Stimme, 6. Jahrgang, Nr. 11, 26. November 1960, S. 1–2.
  • Heinz Risel: KZ in Heilbronn. Das SS-Arbeitslager Steinbock in Neckargartach. Augenzeugenberichte – Dokumente – Tatsachen mit Material über Kochendorf und Bad Rappenau. Selbstverlag, Nordheim 1987, ISBN 3-9801585-0-0.
  • Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933–1945. Studienkreis Deutscher Widerstand. Bd. 5/1, Baden-Württemberg I, Regierungsbezirke Karlsruhe und Stuttgart. VAS, Frankfurt 1991, ISBN 3-88864-032-6.
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Einzelnachweise

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  1. a b c d e f g h i j KZ Neckargartach stadtarchiv.heilbronn.de
  2. a b c KZ Neckargartach stadtarchiv.heilbronn.de, siehe oberes Bild: Lagerplan vom Juni 1944. Auf dem Plan ist Norden rechts. Die Böllinger Straße verläuft vom linken zum oberen Bildrand. In der oberen Bildhälfte das Lager. Links unten ein Teil des Sportplatzes. Ein Ausschnitt aus dem Plan ist hier verfügbar (drittes Bild).
  3. Ansicht des Geländes bei Google Maps. Rechts unten der Sportplatz. Nordwestlich benachbart war das Lager an der Böllinger Straße.
  4. Barfuss ins Salzbergwerk (Memento vom 19. Juli 2011 im Internet Archive) mahnung-gegen-rechts.de
  5. a b Wilhelm Steinhilber: Auch diese Toten mahnen: KZ-Lager und Ehrenfriedhof in Neckargartach, in: Heilbronner Stimme, 31. Oktober 1960, S. 3 (Digitalisat bei archivsuche.heilbronn.de).
  6. Am Ort des Massengrabs wurde später der KZ-Friedhof angelegt. Zur Lage siehe KZ-Friedhof Neckargartach.
  7. KZ Neckargartach stadtarchiv.heilbronn.de, Abschnitt KZ-Friedhof.

Koordinaten: 49° 10′ 30″ N, 9° 11′ 54″ O