Die Komplementaritätsbedingung, auch komplementärer Schlupf genannt (englisch complementary Slackness), ist eine Aussage der mathematischen Optimierung, die eine Verbindung zwischen den Optimalpunkten zweier Optimierungsprobleme knüpft, die zueinander dual bezüglich der Lagrange-Dualität sind. Die Komplementaritätsbedingung ist ein notwendiges Optimalitätskriterium und findet Anwendung bei Innere-Punkte-Verfahren und den Karush-Kuhn-Tucker-Bedingungen.

Allgemeiner Fall

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Problemstellung

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Gegeben seien zwei Optimierungsprobleme wie in der nachfolgenden Tabelle:

Primales Problem Duales Problem
   

Dabei ist

 

die duale Funktion und  

Die Komplementaritätsbedingung lautet nun

 

für zulässige  . Eine alternative Formulierung in Vektorschreibweise mit   und   ist

 .

Ist der  -te Lagrange-Multiplikator (die  -te Ungleichungsrestriktion) ungleich Null, so muss die  -te Ungleichungsrestriktion (der  -te Lagrange-Multiplikator) folglich gleich Null sein:

 .

Es muss also stets mindestens einer der beiden Faktoren null sein. Dies folgt daraus, dass   und   gilt, da beide dual bzw. primal zulässig sind.

Gültigkeit

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Gilt die starke Dualität (d. h. sind der Optimalwert des primalen und des dualen Problems gleich), wird der Optimalwert in   und   angenommen und ist er endlich, so gilt die Komplementaritätsbedingung.

Alternativ findet sich auch im Rahmen der KKT-Bedingungen die Formulierung, dass wenn   optimal für das primale Problem ist,   endlich ist und gewisse Regularitätsbedingungen (auch constraint qualifications genannt) gelten, so existieren  , so dass für   die Komplementaritätsbedingung gilt. Die Regularitätsbedingungen garantieren die starke Dualität (meist nur im Punkt  ) und ermöglichen damit die Ergänzung der primalen Optimallösung um die duale Optimallösung.

Für lineare Programme

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Problemstellung

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Handelt es sich bei den Optimierungsproblemen um lineare Programme, so nehmen das primale und das duale Problem eine besondere Form an und der komplementäre Schlupf vereinfacht sich.

Primales Problem Duales Problem
   

Dabei ist   und  .

Bezeichne   die i-te Komponente des Vektors  . Dann lautet die Komplementaritätsbedingung für zulässige  

 .

Damit folgt

 .

Ist das duale Problem mit einer Schlupfvariable   formuliert, lauten die Nebenbedingungen also

 

so lautet die Komplementaritätsbedingung

 

und

 .

Dies erklärt die Namensgebung als komplementärer Schlupf: Entweder die Schlupfvariable ist null oder die primale Variable ist null.

Gültigkeit

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Die Formulierung der Komplementaritätsbedingung basiert auf der Tatsache, dass für lineare Programme starke Dualität gilt und der Optimalwert endlich ist, genau dann, wenn sowohl das primale als auch das duale Problem einen zulässigen Punkt besitzen.

Die Formulierung lautet also, dass falls das primale und das duale Problem zulässige Lösungen besitzen, zulässige Lösungen   (bzw. je nach Formulierung  ) existieren, die die Komplementaritätsbedingung erfüllen. Die   sind dann Optimallösungen des primalen und dualen Problems.

Umgekehrt erfüllt jedes endliche primal-duale Optimalpaar   die Komplementaritätsbedingung.

Beispiel

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Wir betrachten das primale lineare Programm

 

und das zugehörige duale Programm

 

Beide Probleme besitzen einen zulässigen Punkt, somit gilt starke Dualität. Der optimale duale Zielfunktionswert ist  . Aus der starken Dualität folgert man wegen  , dass   ist. Der komplementäre Schlupf liefert nun

 

und damit  . Somit liefert hier der komplementäre Schlupf den vollständigen primalen Optimalpunkt. Umgekehrt kann man auch bei gegebenen primalen und dualen Punkten überprüfen, ob diese Optimalpunkte sind: Wenn sie optimal sind, müssen sie den komplementären Schlupf erfüllen.

Herleitung

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Sei   primal optimal und   dual optimal. Dann ist   und  , da die Optimalpunkte zulässig sind. Somit ist  . Wegen der starken Dualität ist

 

Die erste geschweifte Klammer folgt aus der oben gezeigten Identität, die zweite aus der Tatsache, dass  , da   zulässig ist. Ist nun   endlich, so gilt in der Ungleichung Gleichheit und es folgt

 ,

was die Behauptung impliziert, da jeder der Summanden kleinergleich null ist.

Verallgemeinerungen

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Der komplementäre Schlupf lässt sich auch allgemeiner formulieren für Abbildungen zwischen vollständigen reellen Vektorräumen, die mit Skalarprodukt versehen sind und auf denen eine verallgemeinerte Ungleichung   bzw. ein Ordnungskegel definiert ist. Die Funktionen   bilden in den Vektorraum   versehen mit dem Skalarprodukt   ab, ebenso bilden die Funktionen   in den Vektorraum   versehen mit dem Skalarprodukt   ab. Das primale und duale Problem lauten dann

Primales Problem Duales Problem
   .

Dabei ist

 

die duale Funktion und   der duale Kegel zu  .

Gilt starke Dualität und sind die Punkte   sowie   optimal und ist der Zielfunktionswert endlich, so gilt

 .

Daraus folgt

 

Die Herleitung für diesen allgemeinen Fall ist größtenteils analog zur obigen Vorgehensweise unter Ausnutzung der Tatsache, dass wenn   ist, folgt, dass  .

Formuliert man das Problem mit Ordnungskegeln, sind also die Ungleichungsrestriktionen von der Form   bzw.  , so gilt genauso wie oben

 .

Die Aussage

 

gilt aber nur, wenn der Kegel   ein nichtleeres Inneres hat. Analog gilt

 

nur, wenn das Innere von   nicht leer ist.

Literatur

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  • Boyd, Stephen; Vandenberghe, Lieven (2004). Convex Optimization. Cambridge University Press. ISBN 978-0-521-83378-3. (online)
  • C. Geiger, C. Kanzow: Theorie und Numerik restringierter Optimierungsaufgaben. Springer, 2002. ISBN 3-540-42790-2.