Kategorie Diskussion:Ethnische Minderheit in Italien
Welches sind die ethnischen Minderheiten in Italien?
BearbeitenPolitische Definition
BearbeitenDie italienische Verfassung kennt keine ethnischen Minderheiten. Art. 6 lautet: Die Republik schützt mit besonderen Bestimmungen die sprachlichen Minderheiten. (deutsche Übersetzung der Verfassung auf der offiziellen Webseite des Staatspräsidenten). Trotzdem verfügt das Innenministerium über eine Zentraldirektion für Bürgerrechte, Staatsbürgerschaft und Minderheiten([1]), ohne hier die Beschränkung auf Sprachen weiterzuführen. Folgende Zitate sind übersetzt aus offizielle Webseite der italienischen Regierung zum Thema Minderheiten
- Gemeinschaft italienischer Staatsbürger mit besonderen ethnischen, sprachlichen oder religiösen Merkmalen und den Vorschriften zum Schutz ihrer Eigenart.
- Die allgemein anerkannte Definition definiert eine "historische Minderheit" als eine Gruppe italienischer Bürger, die ihren Sitz in einem bestimmten Gebiet haben und zahlenmäßig kleiner sind als der Rest der Bevölkerung, deren Mitglieder ethnische, religiöse oder sprachliche Merkmale aufweisen, die sich von denen der übrigen Bevölkerung unterscheiden.
- Die Gesetzgebung sieht nämlich vor, dass der Staat die Sprache und Kultur der albanischen, katalanischen, germanischen, griechischen, slowenischen und kroatischen Bevölkerung sowie derjenigen, die Französisch, Französisch-Provenzalisch, Friaulisch, Ladinisch, Okzitanisch und Sardisch sprechen, schützt.
- In Friaul-Julisch Venetien hat die besondere sprachliche Autonomie die Identifizierung des Friauls als Minderheitensprache begünstigt; der Rechtsrahmen wurde durch das Gesetz Nr. 38 vom 23. Februar 2001 über "Regeln zum Schutz der slowenischen Minderheit in der Region Friaul-Julisch-Julisch Venetien" vervollständigt.
- Neben den sprachlichen Minderheiten können wir auch andere Gemeinschaften identifizieren, die kein bestimmtes Bezugsgebiet haben. In Italien sind die häufigsten nomadischen Gruppen die "Roma", die hauptsächlich in Mittelitalien und Süditalien vertreten sind, die "Sinti", die hauptsächlich in Norditalien leben, und die auf Sizilien lebenden Caminanti. Der Nomadismus, obwohl er ein grundlegender Aspekt der Identität der Roma und Sinti ist, ist in der Tat kein eigenartiges Merkmal mehr dieser Bevölkerungsgruppen, die längst einen sitzenden Charakter angenommen haben. Die Bewegungen einiger Gruppen sind hauptsächlich auf wirtschaftliche und soziale Gründe zurückzuführen.
Es ist bemerkenswert, dass auf dieser höchsten Ebene der permanent mit der Thematik betrauten Staatsstelle die ethnischen Minderheiten parallel zu den sprachlichen und religiösen genannt und durch den Terminus oder abgegrenzt werden. Weiter weist auch die Benennung der Roma, der Sinti und der Caminanti daraufhin, dass sich diese Stelle der Problematik der thematischen Abgrenzungen bewusst ist und wohl (neben den autonomen Provinzregierungen wie Südtirol, die einen eigenen Zugang zur europäischen Ebene haben) die erste Verknüpfungsebene zu den Minderheitenschutz-Organen der EU und des Europarats ist. Aus dem Bekenntnis (s.o.) Sprache und Kultur der zwölf aufgezählten geschützten Sprachminderheiten zu schützen lässt sich ableiten, dass der italienische Staat diese zwölf Gruppen als sprachlich-ethnische Minderheiten anerkennt und schützt. Italien hat das Europäische Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten am 01/02/1995 unterzeichnet und am 03/11/1997 vorbehaltlos ratifiziert. Es ist somit seit dem 01/03/1998 in Rechtskraft ([2] ). Auch nicht über die Sprache determinierte Minderheiten haben also in Italien das Recht, sich per Selbstdeklaration an den Staat zu wenden und sich unter den Schutz des Rahmenübereinkommens zu stellen (im Gegensatz zu Deutschland, das per Deklaration die geschützten Minderheiten abschliessend aufzählt und im Gegensatz zur Schweiz, die eine einschränkende Erklärung abgab). Das Ministerkomitee rügte in seiner Resolution vom 3.7.2002 Italien dafür, dass der italienische Staat in seinem Rapport zur Umsetzung der im Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätze die Roma "vergessen" habe ([3]). Im zweiten Rapport bessert der italienische Staat nach und benennt seither auch die Problematik der Roma, Sinti und Caminanti([4]). Ich finde jedoch keine weiteren Ausführungen über andere als die zwölf anerkannten Sprachminderheiten und die Gruppen der Roma, Sinti und Caminanti. Zusammenfassend ergibt sich, dass es politisch in Italien total 15 ethnische Minderheitengruppen gibt. Fäberer (Diskussion) 13:49, 17. Nov. 2018 (CET)
- Danke für diese Grundlagen :) -- Chiananda (Disk | Edits | Portal:Ethnologie) 16:58, 17. Nov. 2018 (CET)
ethnologische Überlegungen
BearbeitenSeit der Bildung des italienischen Nationalstaats strebt(e) Italien eine kulturelle und ethnische Hegemonie an, geprägt durch die Ideologie der Irredentisten und parallel zum französischen Konzept des Einheitsstaats. Bis heute spiegelt sich deren Weltbild insofern in der italienischen Gesellschaft, als die "Italianisierung", insbesondere unter Mussolini, durch gezielte Förderung des Zuzugs italienischsprachiger Bürger in anderssprachige Gebiete vorangetrieben wurde und sich auf die heutige Demografie dieser Gebiete auswirkt. Für das nationalistische Konstrukt bildete die Sprachenfrage den Dreh- und Angelpunkt der Identifikation und der Ethnogenese. Andere kulturelle oder soziologische Konstrukte, Aspekte und Modelle wurden darunter subsumiert und weitgehend unausgesprochen als sich durch die Sprachenfrage selbst erledigende Nebenaspekte verstanden. Gerade darin, dass der italienische Staat bis heute in seiner Verfassung nur linguistische Minderheiten anerkennt, drückt sich die mehrheitsgesellschaftliche Ignoranz gegenüber kulturellen Leistungen und ethnologischen Eigenheiten von Minderheiten aus. Neben dem linguistischen Ansatz gibt es aber diverse andere kulturanthropologische Diskurse, aus denen auch in Italien ethnische Minderheiten extrapoliert werden können. Zu nennen sind insbesondere Mobilitätskriterien. Im eurozentristischen Weltbild finden diese (nicht nur in Italien) weitgehend nicht statt, die italienische Gesellschaft betrachtet sich als genuin italienischsprachig und sesshaft. Bei der ethnischen Minderheit der Caminanti ist dagegen ein Nomadismusmodell bereits Teil des Gruppennamens. Roma und Sinti betrachten sich selbst unterschiedlich stark als historisch nomadische Kultur oder als bis heute durch den Nomadismus geprägte Volksgruppen. Der Staat billigt ihnen neuerdings (siehe unter 1.1 Politische Dimension) ein Mobilitätskonzept zu, was sich darin zeigt, dass er die Roma und Sinti mit den Caminanti zusammen abhandelt und Aspekte wie Kultur und Bildung lediglich als "Kollateralschäden" betrachtet, die mit der Eliminierung des Nomadismus sich selbst lösen würden. Da gerade im minderheitenreichen Nordwesten Italiens Transhumanz bis heute betrieben wird, wäre zu prüfen, wie weit diese spezielle Nomadismusform mit einzelnen ethnischen Minderheiten korreliert. Auch wirtschaftliche und handwerkliche Alleinstellungsmerkmale können für ethnische Minderheiten identitätsstiftend und deshalb neben sprachlichen Aspekten relevant für die Deskription einer Minderheit sein. Weitere kulturelle Merkmale wie Musik, Tanz, Gesellschaftsspiele, Sport und andere können von grosser Wichtigkeit für die ethnologische Selbstwahrnehmung sein. Beispielhaft nenne ich hier die Volksmusik der Jenischen, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Grundlage war für das, was heute in Graubünden als "Bündner Ländler" ([5] ) verstanden wird.
Zusammenfassendes Plädoyer: Für die Relevanz eines Gruppenlemmas als Teil der Kategorie:Ethnische Minderheit in Italien ist die offizielle Kategorisierung des Staates / der Politik ein zwar wichtiges aber nicht einziges Kriterium. Durch ethnologische Forschung und Publikation können ohne weiteres andere Minderheiten Kategorienrelevanz erhalten. Fäberer (Diskussion) 20:43, 17. Nov. 2018 (CET)
- Danke auch hierfür… mir scheint das alles ausreichend zu sein für einen schönen neuen Artikel "Minderheiten in Italien" ;) Demgegenüber bleibt Kategorisierung immer eine willkürliche Einteilung. Gruß -- Chiananda (Disk | Edits | Portal:Ethnologie) 17:52, 18. Nov. 2018 (CET)
- Danke für die Blumen. Aber nein: dieser Teil sind Hypothesen, die als Artikel wohl den Einwurf TF provozieren würden. Die Arbeit, daraus einen validen Artikel zu bauen und dazu zitierfähige Quellen zu suchen, ist mir zu gross. Erstens bin ich kein Ethnologe und wüsste daher nicht, wo ich die passenden Quellen finde und zweitens ist mein Italienisch dermassen grottenschlecht, dass ich auf deutschsprachige Quellen angewiesen wäre. Schade. Grüsse sendet Fäberer (Diskussion) 18:32, 18. Nov. 2018 (CET)
Ab- und Eingrenzung: relevante ethnische Gruppen / WP-Artikel
BearbeitenWohl klar und unstrittig ist, dass auch in Italien (wie in Deutschland oder der Schweiz) neuere Zuzügergruppen (noch) nicht als ethnische Minderheiten verstanden werden, zumindest solange, als sie nicht über den Sprachgebrauch hinaus öffentlich wahrnehmbar eigenständige Kulturelemente leben und solche Bräuche mit den Umgebungskulturen teilen, sodass sie von der Bevölkerung als Teil der (Regional-)Kultur und -Bräuche wahrgenommen werden und/oder z.B. auch von kulturellen Institutionen gefördert, von Tourismusorganisationen beworben werden.
Solange keine aussagekräftige Artikel über die ethnische Gruppe selbst (zB. Deutschsprachige in Südtirol) bestehen, kann meiner Ansicht nach behelfsmässig auch ein Artikel über die entsprechende Sprachgruppe o.ä. als lemmarelevant in dieser Kategorie verwendet werden. Wichtig scheint mir, dass sämtliche vom italienischen Staat offiziell anerkannten Sprachminderheiten in dieser Kategorien-Tabelle erscheinen. Gruppen wie die Caminanti, Sinti und Roma, die einen neo-offiziellen Status im italienischen Staat haben, gehören m.E. ebenfalls dazu. Es gibt aber darüber hinaus auch (nahezu) ausgestorbene ethnische Gruppen, die (mangels politischer Einflussnahme) im Staatskanon nicht erscheinen. Beispiel dafür sind die Brigasque, siehe auch den deutschsprachigen Artikel [6] und den italienischsprachigen WP-Eintrag [7]. Diese sind m.E. ebenfalls lemmarelevant, da sie zum Verständnis der ethnologischen-gesellschaftlichen Geschichte und Gegenwart Italiens beitragen. Fäberer (Diskussion) 14:28, 23. Nov. 2018 (CET)