Juan Gerardi

römisch-katholischer Bischof in Guatemala

Juan José Gerardi Conedera (* 27. Dezember 1922 in Guatemala (Stadt); † 26. April 1998 ebenda) war ein guatemaltekischer römisch-katholischer Bischof, der sich in seinem Land für die Aufarbeitung der während des Bürgerkrieges begangenen Verbrechen einsetzte und von Mitgliedern der guatemaltekischen Streitkräfte ermordet wurde.

Bischof Juan Gerardi (1996)

Leben Bearbeiten

Werdegang Bearbeiten

Juan Gerardi, dessen Vorfahren aus Italien stammen, besuchte das Priesterseminar seiner Heimatstadt Guatemala. Mit Hilfe eines Stipendiums konnte er in New Orleans in den Vereinigten Staaten Theologie studieren. Am 21. Dezember 1946 wurde er zum Priester geweiht und war anschließend in verschiedenen Landgemeinden Guatemalas wie Mataquescuintla, San Pedro Sacatepéquez und Palencia, aber auch in der Hauptstadt als Seelsorger tätig.

Wirken als Bischof Bearbeiten

Am 9. Mai 1967 wurde er zum Bischof von Verapaz ernannt und trat sein Amt am 11. August desselben Jahres an. Er engagierte sich stark in der pastoralen Arbeit in den Gemeinden der indigenen Bevölkerung (pastoral indígena). Während der 1970er Jahre, in der Zeit des guatemaltekischen Bürgerkrieges, setzte er sich für die offizielle Anerkennung der indigenen Landessprachen in Guatemala ein und konnte die Zulassung zweier Radiosender erwirken, die in Maya-Sprachen sendeten. Im Jahr 1974 wurde er zum Bischof von Santa Cruz del Quiché ernannt, blieb aber auch weiterhin Apostolischer Administrator des Bistums Verapaz.

In seinen Bistümern setzte er sich für die Umsetzung der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils und der 2. Generalversammlung der Bischofskonferenzen von Lateinamerika und der Karibik (CELAM) von 1968 in Medellín ein. Wie schon vor seiner Bischofsernennung war er häufig mit Menschenrechtsfragen befasst und wurde in seinem Land zum führenden Akteur bei der Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen.

Von 1980 und 1983 kam es im Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen der Armee und verschiedenen Guerillagruppen in El Quiché zusehends zu Gewalteskalationen. Hunderte katholischer Katecheten sowie die meist aus dem Volk der Maya stammenden Vorstände der christlichen Gemeinden wurden ermordet. Gerardi appellierte wiederholt an die militärischen Befehlshaber, Exzesse und Misshandlungen zu unterbinden und ihre Soldaten zu disziplinieren.

Im Jahr 1980 hatte Gerardi den Vorsitz in der Bischofskonferenz Guatemalas inne. Er sprach offen die Ereignisse des 31. Januar 1980 an, als durch ein Feuer in der spanischen Botschaft 39 Menschen ihr Leben verloren. Die Brandstifter wurde vielfach in Regierungskreisen vermutet. Im selben Jahr nahm er an einer im Vatikan stattfindenden Bischofssynode teil. Nach deren Abschluss wurde ihm die Wiedereinreise in sein Heimatland widerrechtlich verweigert. Er reiste zunächst in das benachbarte El Salvador, wo ihm jedoch kein Asylrecht gewährt wurde. Bis zum Sturz des guatemaltekischen Militärherrschers Fernando Romeo Lucas García im Jahr 1982 hielt er sich schließlich in Costa Rica und Mexiko auf. Nach dem zweijährigen Exil entschloss er sich, das Amt des Bischofs von Santa Cruz del Quiché aufzugeben, und kehrte nicht wieder in seine Diözese zurück.

Am 28. August 1984 wurde er von Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof im Erzbistum von Guatemala und Titularbischof von Guardialfiera ernannt.

Nationale Versöhnungskommission Bearbeiten

Im Jahr 1988 entsandte die Bischofskonferenz Gerardi und Rodolfo Quezada Toruño in die Nationale Versöhnungskommission. Es folgte die Einrichtung eines Menschenrechtsbüros des Erzbistums (Oficina de Derechos Humanos del Arzobispado, ODHA), das bis heute Opfer von Menschenrechtsverletzungen unterstützt. In diesem Zusammenhang wurde auch ein Projekt zur „Wiedererlangung der historischen Erinnerung“ (Recuperación de la Memoria Histórica, REMHI) ins Leben gerufen, das die Aufarbeitung der Ereignisse des Bürgerkriegs ermöglichen sollte. Gerardi leitete die Arbeit dieser Kommission vier Jahre lang als Direktor.

Am 24. April 1998 stellte das Projekt die Ergebnisse seiner Arbeit vor und präsentierte den Bericht Guatemala: Nunca más („Nie wieder“).[1][2] In diesem Bericht sind die Aussagen tausender Zeugen und Opfer der Unterdrückungen und Gewalttaten während des Bürgerkrieges aufgezeichnet; die meisten Verbrechen werden darin der Armee und Regierungsmitarbeitern zugeschrieben.

Die historische Aufarbeitung, mit der Gerardi und seine Mitarbeiter in der REMHI-Kommission begonnen hatten, bildete die Grundlage für die darauf aufbauende Arbeit der von den Vereinten Nationen geförderten Wahrheitskommission (Historical Clarification Commission, CEH), die im Rahmen des 1996 beginnenden Friedensprozesses ihre Arbeit aufnahm.

Dass die kirchliche Erinnerungskommission die guatemaltekischen Streitkräfte für die Mehrzahl der Toten während des Bürgerkrieges verantwortlich machte, nahmen Repräsentanten des Militärs und der mit ihm eng verbundenen staatlichen Organe und privaten Interessengruppen Bischof Gerardi persönlich übel. Die Einseitigkeit, die man der REMHI von staatlicher Seite vorwarf, wurde dabei auf den Einfluss seiner angeblich „kommunistischen“ politischen Einstellung zurückgeführt. Die unter der Kontrolle der UNO eingerichtete Wahrheitskommission kam bei ihrer Arbeit allerdings zu sehr ähnlichen Ergebnissen.

Ermordung Bearbeiten

Zwei Tage nach der Vorstellung des REMHI-Berichtes wurde Bischof Gerardi am 26. April 1998 in der Garage seines Hauses in Guatemala-Stadt erschlagen.[3] Die Mörder benutzten eine Betonplatte, mit der sie seinen Kopf zerquetschten. Durch die Verletzungen war er derart entstellt, dass sein Gesicht nicht mehr erkennbar war und der Leichnam nur anhand des Bischofsrings identifiziert werden konnte.

Der Tod des Bischofs ist nach Einschätzung von Giancarlo Collet als direkte Folge seines Einsatzes „als Anwalt der Rechte der Armen“ zu erklären.

Am 8. Juni 2001 wurden drei ArmeeoffiziereOberst Byron Disrael Lima Estrada, Hauptmann Byron Lima Oliva (Vater und Sohn) und José Obdulio Villanueva – als Täter zu jeweils 30-jährigen Haftstrafen verurteilt. Oberst Lima Estrada war in der sogenannten School of the Americas von amerikanischen Armee- und Geheimdienstoffizieren ausgebildet worden.[4] Der Priester Mario Orantes wurde vom Gericht als Komplize zu einer 20-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Prozess war ein Präzedenzfall, insoweit zum ersten Mal Militärangehörige von einem ordentlichen Strafgericht abgeurteilt wurden. Sie gingen in Berufung, und im März 2005 wurde durch das Appellationsgericht das Strafmaß für Vater und Sohn Lima auf 20 Jahre herabgesetzt, die Strafe von Orantes blieb unverändert. Villanueva war vor der Verkündung des Berufungsurteils im Gefängnis ermordet worden. Vom Verfassungsgericht Guatemalas wurden die Herabsetzung der Strafen im April 2007 bestätigt. Im Juli 2016 wurde auch Lima Oliva im Gefängnis ermordet.

Obwohl die Autoren Maite Rico und Bertrand De La Grange in ihrem Buch ¿Quién mató al Obispo? („Wer ermordete den Bischof?“) behauptet haben, das Gerichtsverfahren sei stärker von politischen Motiven als durch das Ziel, die Wahrheit über die Ermordung des Bischofs herauszufinden, bestimmt gewesen, blieb das Gericht bei seinem Standpunkt, zur Ermittlung der ganzen Wahrheit sei eine Untersuchung der gesamten Befehlskette notwendig gewesen.

Auszeichnungen Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

Quellen Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. REMHI Zusammenfassung des Berichts des interdiözesanen Projekts: Wiedergewinnung der historischen Erinnerung (Memento vom 10. November 2009 im Internet Archive), chiapas.indymedia.org, abgerufen 31. März 2014 (deutsch; spanisch).
  2. REMHI: Recovery of the Historic Memory (Memento vom 16. Mai 2008 im Internet Archive) bei der Foundation for Human Rights in Guatemala auf fhrg.org, abgerufen 20. November 2008 (englisch).
  3. Francisco Goldman: The Art of Political Murder: Who killed Bishop Gerardi? Rezension zu Peter Stanfords Buch, in: The Independent, 16. März 2008, abgerufen 20. November 2008 (englisch).
  4. George Monbiot: “Backyard terrorism”. Guardian, abgerufen am 15. Dezember 2011 (englisch).
  5. Tod eines Bischofs in: FAZ vom 27. Juni 2011, Seite 30.

Weblinks Bearbeiten