Iudex war seit dem altrömischen Recht die Bezeichnung für den streitentscheidenden Richter im zivilen Prozessverfahren (apud iudicem). Eingesetzt wurde er vom Magistraten, regelmäßig dem Prätor, der im davorliegenden außergerichtlichen Verfahrensabschnitt (in iure) die Rechtslage überprüft, geklärt und die Prozessformel festgelegt hatte. Im Anschluss oblag dem Iudex die Aufgabe, die im Edikt des Prätors abstrakt gehaltene Prozessformel nebst Beweisprogramm auf die Tatsachen des streitgegenständlichen Lebenssachverhalts anzuwenden und im Rahmen des vorgegebenen Spielraums eine Entscheidung zu treffen.[1]

In formaler Hinsicht war der Iudex Privatmann, der nach Ableistung eines Eides erst mit dem Richteramt betraut wurde. In den frühen und späteren Gerichtsverfahren der Republik wurde der Iudex noch von den Parteien ausgewählt oder er wurde aus einer amtlichen Liste heraus bestimmt, welche anfänglich Senatoren, später auch Ritter als Geschworene auswies. Mit der Einführung des Kognitionsverfahren in der Kaiserzeit wurde der Iudex formal dann zum Amtsträger aufgewertet.

Die Abgrenzung der Kompetenzen des Iudex zum Prätor war nicht immer präzise möglich. Schwierigkeiten konnten resultieren, wenn sich rechtliche und tatsächliche Fragen nicht zweifelsfrei einer der beiden Sphären zuordnen ließen.[2] In diesem Grenzbereich waren Fragen zu den konkreten Parteienvereinbarungen (quod actum est) zu stellen. Aber auch in den Fällen, in denen die Formel sich begrifflich mit Prozessbeginn als dehnbar erwies, sodass sie auslegungsbedürftig wurde (formulae in ius conceptae),[3] wurde (insbesondere bei Mehrpersonenverhältnissen[4]) in Einzelfällen das Abgrenzungsgebot durchbrochen und der Iudex entschied die sich nach ius civile stellende Rechtsfrage (quaestio iuris) selbst.[5] Üblicherweise aber seien die Richter Angehörige höherer Gesellschaftsschichten gewesen, weshalb regelmäßig eigene Rechtskenntnisse vorausgesetzt werden konnten oder ein consilium juristischer Berater zur Seite stand.[6]

Insgesamt wird heute nicht mehr davon ausgegangen, dass der Iudex allein für die Tatsachenfeststellung und die Tatsachenentscheidung (Urteil) zuständig war.[7] Dass davon auszugehen ist, dass auch laienhafte Entscheidungen die Rechtswirklichkeit und die Entwicklung des Rechts beeinflussten, kann zur Erklärung beitragen, weshalb in den Quellen für unterschiedliche Klagearten auch unterschiedliche Lösungen für gleichartige Fragen belegt sind.[8]

Literatur

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Anmerkungen

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  1. Ulrike Babusiaux: Id quod actum est. München 2006. S. 1–7 und 84–89.
  2. Philipp Schmieder: Der praetor, der iudex und die Solidarobligationen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung), Band 140, Heft 1, 2023. S. 281–297 (281 f.).
  3. Mit dem Beginn der Einflussnahme der stoischen Philosophie auf die römischen Rechtsgeschäfte, wurden zunehmend Nebenabreden in die Vereinbarungen aufgenommen, die Abänderungen auch im Rahmen von Treu und Glauben (ex fide bona) zuließen.
  4. Vgl. zu diesem konkreten Problem: Papinian 11 resp., in Digesten 45, 2, 11.; für verbale Solidarobligation mit certa res, siehe auch: Gaius, Institutiones 4, 41, 50.
  5. Max Kaser, Karl Hackl: Das Römische Zivilprozessrecht, 2. Auflage München 1996. § 47 I. Fn. 6.
  6. Max Kaser, Karl Hackl: Das Römische Zivilprozessrecht, 2. Auflage München 1996. § 26 I. 2–6.
  7. Philipp Schmieder: Der praetor, der iudex und die Solidarobligationen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung), Band 140, Heft 1, 2023. S. 281–297 (297).
  8. Philipp Schmieder: Der praetor, der iudex und die Solidarobligationen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung), Band 140, Heft 1, 2023. S. 281–297 (294).