Gerhard Lauter

deutscher Verwaltungsjurist; beteiligt an der Ausarbeitung der neuen DDR-Reiseregelung vom 9. November 1989

Gerhard Lauter (* 9. April 1950 in Dresden[1]; † 19. September 2022 in Leipzig[2]) war ein Offizier der Volkspolizei und seit dem 1. Juli 1989 bis zur Wiedervereinigung Hauptabteilungsleiter für Pass- und Meldewesen im Ministerium des Innern der DDR. In dieser Funktion trug er zum Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 bei.

Ausbildung und Karriere

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Gerhard Lauter, der Sohn des SED-Funktionärs Hans Lauter, studierte Jura an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Er war in den Jahren nach 1976 Kriminalist und für den Aufbau der 9. Volkspolizei-Kompanie (Anti-Terror-Einheit) in der Deutschen Volkspolizei (DVP) zuständig. Später war er Persönlicher Referent des 1. Stellvertreters des Ministers des Inneren der DDR und Fahndungschef der DVP. 1985 wurde er Untersuchungschef der Kriminalpolizei der DDR. Zum 1. Juli 1989 übernahm er als Nachfolger von Günther Fischer[3] die Position des Leiters der Hauptabteilung Pass- und Meldewesen im Innenministerium der DDR.[4] Sein letzter Dienstgrad war Oberst der VP.

Reiseregelung vom 9. November 1989

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Am 8. November 1989 erhielt Lauter den Befehl von Innenminister Friedrich Dickel, einen Beschluss zur Veränderung der Situation der ständigen Ausreise von DDR-Bürgern nach der BRD über die CSSR auszuarbeiten. Die Regelung sollte an sich ausschließlich das endgültige Verlassen der DDR („ständige Ausreise“) regeln. In Vorabgesprächen mit seinen Mitarbeitern kam Lauter zu der Auffassung, dass es widersinnig sei, eine Regelung allein für die „ständige Ausreise“ zu verfassen, während demjenigen, der in der DDR bleiben möchte, Besuchsreisen verwehrt blieben.[5]

Um die Verordnung gemeinsam mit Lauter zu verfassen, trafen am Morgen des 9. November Gotthard Hubrich (Leiter der Hauptabteilung Innere Angelegenheiten) sowie die beiden Stasi-Männer Hans-Joachim Krüger und Udo Lemme in Lauters Dienstzimmer ein.[6] Auf Lauters Vorschlag[7] hin fügten sie mitten in die Regelung der „ständigen Ausreise“ den Absatz ein, der später Grundlage für den Mauerfall sein würde:

„Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Versagungsgründe werden nur in besonderen Ausnahmefällen angewandt.“

Das erarbeitete Papier wurde an zwei Stellen weitergereicht: an das Zentralkomitee der SED und – über das Ministerium des Inneren – an den Ministerrat der DDR. Es bestand aus drei Dokumenten: einer Presseerklärung, einer politischen Entscheidung und aus einem Entwurf einer Verordnung des Ministerrates der DDR.[8] Nach eigenen Aussagen hoffte er, dass die Tragweite dem SED-Politbüro nicht klar werden würde. Er sah dies als einzige Möglichkeit, die DDR noch zu stabilisieren. Dem von Lauter vorgeschlagenen Beschluss sollten nach Genehmigung des SED-Politbüros per Umlaufverfahren alle 44 Minister der DDR bis 19 Uhr desselben Tages zustimmen. Bis zur Übergabe an Günter Schabowski war weder die Einspruchsfrist abgelaufen noch hatten alle Mitglieder des Ministerrats zugestimmt. Eine in der Presseerklärung enthaltene Sperrfrist bis 4 Uhr morgens des folgenden Tages befand sich als einziger Satz auf der zweiten Seite der Presseerklärung. Am 9. November 1989 verlas der neu installierte Medienbeauftragte Schabowski bei einer Pressekonferenz gegen 18:54 Uhr den ihm zuvor von Egon Krenz ohne Erläuterung übergebenen Beschluss, ohne vom Sperrvermerk Kenntnis genommen zu haben.[9] Lauter selbst erfuhr nach einem Theaterbesuch gegen 22:00 Uhr durch seinen Sohn von der Panne der frühen Veröffentlichung, woraufhin er umgehend in das Innenministerium fuhr und dort die Nacht über Krisenmanagement betrieb.

Ohne den von Lauter initiierten ergänzenden Absatz in der Verordnung wäre der Fall der Berliner Mauer in der damaligen Form am 9. November 1989 nicht zu Stande gekommen.

Nach der Wende

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Auf dem außerordentlichen Parteitag der SED im Dezember 1989 wurde Lauter in die Schiedskommission der SED gewählt.[10] Später war er Vorsitzender der Schiedskommission der PDS.[11]

Beruflich war Lauter nach der Wiedervereinigung bei mehreren Wirtschaftsunternehmen beschäftigt, als Berater einer Fluggesellschaft tätig und betrieb bis 2012[12] gemeinsam mit seiner Frau die Anwaltskanzlei Lauter & Lauter in Leipzig, spezialisiert auf Arbeitsrecht und Sozialrecht. Er war Mitglied der Partei Die Linke in Leipzig und dort im Stadtvorstand tätig.[13]

Publikationen

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  • Chefermittler: Der oberste Fahnder der K in der DDR berichtet, 1. Auflage. Das Neue Berlin, Berlin 2012. ISBN 978-3-360-01826-7.

Literatur

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  • Hans-Hermann Hertle: Chronik des Mauerfalls. Die dramatischen Ereignisse um den 9. November 1989, 11. Auflage. Ch. Links, Berlin 2009. ISBN 978-3-86153-541-6.
  • Hans-Hermann Hertle: Der Fall der Mauer. Die unbeabsichtigte Selbstauflösung des SED-Staates, 2. Auflage. Westdeutscher Verlag, Opladen 1999. ISBN 3-531-32927-8.
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Einzelnachweise

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  1. Kurzvorstellung (Memento vom 9. November 2014 im Internet Archive) Gerhard Lauters beim Eulenspiegel-Verlag.
  2. Frank Schumann: Der undankbare 4. Platz, In: Neues Deutschland, 26. September 2022, abgerufen am 27. September 2022.
  3. Andreas Herbst (Hrsg.), Winfried Ranke, Jürgen Winkler: So funktionierte die DDR. Band 1: Lexikon der Organisationen und Institutionen, Abteilungsgewerkschaftsleitung, Liga für Völkerfreundschaften (= rororo-Handbuch. Bd. 6348). Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1994, ISBN 3-499-16348-9, S. 223.
  4. Leipzig: Der Fall der Mauer. Unfall oder Kalkül? (Memento vom 25. Februar 2016 im Internet Archive) Vita von Gerhard Lauter
  5. Der Spiegel, Ausgabe 45, 2. November 2009: Die Nacht der Wildschweine (Autor: Cordt Schnibben), Seite 57.
  6. Ein Satz, der Geschichte schreiben wird Spiegel Online vom 9. November 2004
  7. Mitteldeutscher Rundfunk: Der "Grenzfall" und seine Verursacher. 5. Mai 2009.
  8. Interview: Tina von Löhneysen mit Gerhard Lauter im ARD-Morgenmagazin am 9. November 2009 um 8:42 Uhr (Video 00:14:46)
  9. Es war das Volk Spiegel Online vom 22. Oktober 1990
  10. Neues Deutschland vom 11. Dezember 1989
  11. Detlef Nakath, Gerd-Rüdiger Stephan (Hrsg.): Ausschluss. Das Politbüro vor dem Parteigericht. Die Verfahren 1989/1990 in Protokollen und Dokumente. Karl Dietz Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-320-02365-2, S. 528.
  12. Stefan Locke: „Und im Übrigen: Die Grenze ist auf“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 9. November 2013, abgerufen am 9. November 2014.
  13. Die Linke: Stadtverband und Leipzig (Memento des Originals vom 24. September 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.die-linke-in-leipzig.de