Deutsche Morgenländische Gesellschaft
Die Deutsche Morgenländische Gesellschaft (DMG) ist die älteste wissenschaftliche Vereinigung deutscher Orientalisten. Sie wurde am 2. Oktober 1845 in Darmstadt gegründet; ihr heutiger Sitz ist in Halle (Saale). Im Unterschied zur archäologischen Deutschen Orient-Gesellschaft befassen sich ihre Mitglieder vorwiegend mit Sprachen und Kulturen des Morgenlandes und mit Teilen Asiens, Ozeaniens und Afrikas.
GeschichteBearbeiten
Der Arabist und Orientalist an der Universität Leipzig, Heinrich Leberecht Fleischer (1801–1888), gilt als der wesentliche Gründervater der DMG. Von 1886 bis 1902 war der bedeutende Indologe und Begründer der modernen Prakrit-Forschung Richard Pischel, Professor an der Universität Halle, Sekretär der DMG.
Die bis heute maßgebliche wissenschaftliche Transkriptionsmethode der arabischen in die lateinische Schrift (DMG-Umschrift) im Kontext arabischer, persischer und türkischer Texte wurden 1936 auf dem Internationalen Orientalistenkongress in Rom angenommen. Darüber hinaus existiert heute der darauf basierende DIN-Standard 31635. Im Falle des osmanischen Türkisch hat sich in der Orientalistik die der DMG-Transliteration ähnelnde Transliteration der İslâm Ansiklopedisi von 1940 durchgesetzt.
Eine bisweilen behauptete „Auflösung“ der DMG während der Nachkriegszeit und eine anschließende „Wiederbegründung“ 1948 gab es nicht. Die Zeitschrift der DMG existierte ununterbrochen fort. Die DMG nannte auf der ersten Mitgliederversammlung nach dem Krieg im Juni 1948 nur ihre wissenschaftliche Tätigkeit „unterbrochen“, Scheel und Hartmann hätten jedoch den äußeren Betrieb aufrechterhalten.[2] Der Sitz wurde nach Mainz verlegt.
Seit dem 28. September 2006 hat die DMG ihren Sitz in Halle (Saale), zuvor in Leipzig. Ihre Mitglieder-Versammlungen hält die DMG unter anderem auf dem Deutschen Orientalistentag wie 2010 in Marburg oder 2017 in Jena.
ForschungBearbeiten
ForschungseinrichtungenBearbeiten
Das 1960 eröffnete Nepal-Forschungszentrum (internat. Nepal Research Centre NRC) in Kathmandu/Nepal war bis 1974 unter der Bezeichnung Forschungsunternehmen Nepal-Himalaya bekannt.
Das 1961 gegründete Orient-Institut in Beirut/Libanon befindet sich seit 2002 in Trägerschaft der Max Weber Stiftung. Es besitzt Außenstellen in Kairo (seit 2010) und in Istanbul (seit 1987). Letztere ist seit 2009 ein unabhängiges Institut.
Die Bibliothek der DMG befindet sich in der Villa Kaehne in Halle (Saale). Ihre Bestände (etwa 64.000 Titel) können über die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt recherchiert werden.
Herbert Plaeschke mit Handschriften (1968)
PublikationenBearbeiten
- seit 1847: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. (ZDMG). Harrassowitz, Wiesbaden, ISSN 0341-0137, Digitalisate der Bände 1 (1847) bis 163 (2013); Digitalisate einiger Vollbände bei archive.org.
- seit 1857: Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes. (AKM). Harrassowitz, Wiesbaden, ISSN 0567-4980.
- seit 1964: Beiruter Texte und Studien. (BTS). Ergon, Würzburg, ISSN 0067-4931.
Gemeinschaftliche ProjekteBearbeiten
- Katalogisierung der Orientalischen Handschriften in Deutschland (KOHD)
- Verzeichnis der Orientalischen Handschriften in Deutschland (VOHD)
Geförderte ProjekteBearbeiten
- Die Vergleichungs-Tabellen der Muhammedanischen und Christlichen Zeitrechnung, hrsg. von Ferdinand Wüstenfeld, 1854
- Wörterbuch der Klassischen Arabischen Sprache (WKAS)
Deutscher OrientalistentagBearbeiten
Seit 1921 richtet die DMG in Abständen von drei bis fünf Jahren den Deutschen Orientalistentag (DOT) aus, einen Kongress deutscher und ausländischer Orientalisten. Bis 2017 fanden 33 Orientalistentage statt, die letzten in Bamberg (2001), Halle (Saale) (2004), Freiburg im Breisgau (2007), Marburg (2010), Münster (2013) und Jena (2017). Der 34. Deutsche Orientalistentag ist für 2021 in Berlin geplant.[3]
Innerhalb des DOT wurde im Jahre 1929 von Anton Baumstark die Sektion Christlicher Orient gegründet.
Forschungspreis der Deutschen Morgenländischen GesellschaftBearbeiten
Seit 1998 vergibt die Deutsche Morgenländische Gesellschaft in regelmäßigen Abständen anlässlich des Deutschen Orientalistentags den Forschungspreis der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Der Preis wird für hervorragende Forschungsarbeiten des wissenschaftlichen Nachwuchses auf einem kulturwissenschaftlich ausgerichteten, von der DMG vertretenen Forschungsgebiet der Orientalistik vergeben und ist aktuell mit 5000 Euro dotiert.
Die bisherigen Preisträger sind:
- 1998: Hans Harder und Claudia Preckel
- 2001: Michael Friedrich
- 2004: Denis Engelleder
- 2007: Sascha Ebeling und Florian Remien
- 2010: Jens Scheiner
- 2013: Volker Olles
- 2017: Christoffer Theis
Bekannte MitgliederBearbeiten
- Lazarus Adler (1810–1886)
- Friedrich August Arnold (1812–1869)
- Johannes Benzing (1913–2001)
- Carl Brockelmann (1886–1956)
- Hermann Brockhaus (1806–1877)
- Falk Cohn (1833–1901)
- Gustav Droysen (1838–1908)
- Ludwig Duncker (1810–1875)
- Heinrich Ewald (1803–1875)
- Heinrich Leberecht Fleischer (1801–1888)
- Ulrike Freitag (* 1962)
- Johann Fück (1894–1974)
- Hans Conon von der Gabelentz (1807–1874)
- August Gladisch (1804–1879)
- Ernst Hammerschmidt (1928–1993)
- Richard Hartmann (Orientalist) (1881–1965) (vom 28. September 1940 „bis nach Kriegsende“ amtierte er als [Zweiter] Vorsitzender der DMG. Ob 1. oder 2. Vorsitzender, bleibt unklar, da in der ZDMG unterschiedlich dargestellt; die „Ehrung“ 1950 nennt ihn Vorsitzenden [von 1940 bis 1948], der Nachruf und der Bericht der MV 1940 nennen ihn jedoch „Zweiten Vorsitzenden“)
- Jakob Hausheer (1865–1943)
- Herrmann Jungraithmayr (* 1931), Afrikanist, 1. Vorsitzender der DMG von 1990 bis 1999
- Ludolf Krehl (1825–1901)
- John Loewenthal (1885–1930)
- Christoph Marcinkowski (* 1964)
- Angelika Neuwirth (* 1943) Direktorin des Orient-Instituts der DMG in Beirut und Istanbul von 1994 bis 1999
- Justus Olshausen (1800–1882)
- Johannes Pinckert (1879–1956)
- Richard Pischel (1849–1908)
- Anja Pistor-Hatam (* 1962)
- August Friedrich Pott (1802–1887)
- Franz Praetorius (1847–1927)
- Eduard Reuss (Theologe) (1804–1891)
- Emil Rödiger (1801–1874)
- Hans Robert Roemer (1915–1997)
- Friedrich Rosen (1856–1935)
- Martin Schede (1883–1947), Präsident der DMG seit 1939
- Helmuth Scheel (1895–1967) (Lehrstuhl für Islamische Philologie und Islamkunde in Mainz ab 1946, 1. Direktor eines „Seminars für Orientkunde“ bis zur Emeritierung 1963. Sein Seminar schreibt so zweideutig wie nur möglich: „Als Scheel 1946 den Lehrstuhl in Mainz einnahm, konnte er bereits auf ein bewegtes Leben als Soldat, Diplomat und Dozent zurückblicken.“[4] Scheel war 1939 bis 1952 durchgehend Herausgeber der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (ZDMG) gewesen. Was man in Mainz mit „bewegt“ umschrieb: Scheel war als Nationalsozialist Amtsrat im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung des Bernhard Rust und Geschäftsführer der DMG gewesen, der in Mainz nahezu die gleichen wissenschaftlichen Positionen bekleidete wie zuvor in NS-Berlin.[5] Hrsg. von: Beiträge zur Arabistik, Semitistik und Islamwissenschaft, zusammen mit Richart Harmann (DNB verschrieben aus Richard Hartmann, siehe „Bekannte Mitglieder“). Harrasowitz, Leipzig 1944, Reihe: Deutsche Orientforschung)
- Friedrich Schrader (1865–1922), 1889 Promotion bei Pischel, 1889–1891 Tätigkeit als Bibliothekar der DMG in Halle, 1891–1895 Dozent am Robert College in Bebek bei Konstantinopel, 1895–1907 wechselnde Tätigkeiten als Philologe, Schriftsteller, Übersetzer aus dem Türkischen, 1907–1908 Professor an der Russischen Handelsschule in Baku, 1908–1918 Gründer und stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung Osmanischer Lloyd, 1917–1918 Leiter des ersten flächendeckenden Denkmalschutzprojekts in Istanbul, 1918–1922 Journalist und Schriftsteller in Berlin. Unter dem Pseudonym Ischtiraki („der Sozialist“) scharfer Kritiker der deutschen Unterstützung von Militarismus und ethnischem Nationalismus im Osmanischen Reich in sozialdemokratischen Publikationen wie Vorwärts und Die Neue Zeit
- Bertold Spuler (1911–1990)
- Hans Stumme (1864–1936)
- Friedrich Wachtsmuth (1883–1975)
- Ernst Windisch (1844–1918)
DMG-UmschriftBearbeiten
Die heute im deutschsprachigen Raum gebräuchliche wissenschaftliche Umschrift der DMG hat ihren Ursprung im Jahr 1935. Damals legte die Transkriptionskommission der DMG, bestehend aus Carl Brockelmann, August Fischer, Wilhelm Heffening und Franz Taeschner, einen Transliterationsleitfaden für die „Hauptliteratursprachen der islamischen Welt“ auf dem 19. Internationalen Orientalistenkongress in Rom vor.[6] Die DMG-Umschrift unterscheidet sich von anderen Umschriftvarianten dadurch, dass sie als Transliteration schriftbasiert und eindeutig rückübertragbar ist.
arab. | ﺍ (alif) | ﺏ | – | ﺕ | ﺙ | ﺝ | – | ﺡ | ﺥ | ﺩ | ﺫ | ﺭ | ﺯ | – | ﺱ | ﺵ | ﺹ | ﺽ | ﻁ | ﻅ | ﻉ | ﻍ | ﻑ | ﻕ | ﻙ | – | ﻝ | ﻡ | ﻥ | ه | ﻭ | ﻱ / ى | ــَـ | ــِـ | ــُـ | ـءـ | ٱ |
pers. | ﺍ (alef) | پ | چ | ژ | ک | گ | ه | ى | |||||||||||||||||||||||||||||
lat. (arab.) | Hamzaträger (ʾ) / ā | b | – | t | ṯ | ǧ | – | ḥ | ḫ | d | ḏ | r | z | – | s | š | ṣ | ḍ | ṭ | ẓ | ʿ | ġ | f | q | k | – | l | m | n | h | w / ū | y / ī | a | i | u | -ʾ- | -'- (Waṣla) |
lat. (pers.) | Hamzeträger (ʾ) / ā | p | s̱ | č | ẕ | ž | ż | g | w / ū (ō) | y / ī (ē) | e (i) | o (u) | -'- (Waṣle) |
Die in Klammern gesetzten Vokale (im Persischen) weisen auf die im Ostpersischen (Darī, Tadschikisch und Indo-Persisch) übliche Aussprache hin. (Weitere Informationen siehe DIN 31635.)
LiteraturBearbeiten
- Verhandlungen der ersten Versammlung deutscher und ausländischer Orientalisten in Dresden. Leipzig 1845.
- Die Deutsche Morgenländische Gesellschaft 1845–1895: ein Ueberblick. Gegeben von den Geschäftsführern …, Brockhaus, Leipzig 1895, Digitalisate: Internet Archive = Stanford Univ., Palo Alto, CA (USA) in der Google-Buchsuche (Letzteres nur via US-Proxy einsehbar)
- Ekkehard Ellinger: Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945. Thèses Band 4. Edingen-Neckarhausen 2006, ISBN 3-932662-11-3
- Johann Fück: Die Arabischen Studien in Europa bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts. Leipzig 1955.
- Sabine Mangold: Eine „weltbürgerliche Wissenschaft“ – Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert. Stuttgart 2004
- Holger Preissler: Die Anfänge der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Band 145, Heft 2, Hubert, Göttingen 1995, S. 241–327
- Die Deutsche Morgenländische Gesellschaft, seit 1845 der Erforschung der Sprachen und Kulturen des Orients, Asiens und Afrikas und dem Verstehen des Fremden verpflichtet. Hrsg. vom Vorstand der DMG, 2. Auflage, Frankfurt 1998
- Deutsche Orientalisten und die Öffentlichkeit um die Mitte des 19. Jahrhunderts. In: Stefan Wild und Hartmut Schild (Hrsg.): Akten des 27. Orientalistentages (Bonn 28. 9.–2.10 1998). Würzburg 2001
- Burchard Brentjes: Die „Arbeitsgemeinschaft Turkestan“ im Rahmen der DMG. In ders.: 60 Jahre „Nationale Sowjetrepubliken“ in Mittelasien im Spiegel der Wissenschaften. Halle 1985, Seite 151–172. Diese AG betrieb im Auftrag der SS die Ausbildung von muslimischen sowjetischen Kriegsgefangenen zu Feld-Mullahs (Geistlichen) für die zahlreichen kleinen SS- und Wehrmachtsverbände dieser Art, in Zusammenarbeit mit Bertold Spuler.
- Mirjam Thulin: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. In: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK). Band 6: Ta–Z. Metzler, Stuttgart/Weimar 2015, ISBN 978-3-476-02506-7, S. 516–520.
WeblinksBearbeiten
- DMG – offizielle Homepage der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft Halle/Saale
- ZDMG Zeitschrift der DMG Online (seit 1847), Überblick, interne Weiterleitung zu allen Seiten, zahlreiche Such- und Blätter-Funktionen
- Wikisource: Zeitschrift der Deutschen morgenländischen Gesellschaft – Quellen und Volltexte
- Von der DMG gegr. Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland: Orient-Institute Beirut und Istanbul
- DMG-Eintrag im Scholarly Societies Project (engl.)
- Die Transliteration der arabischen Schrift (PDF; 1,3 MB) in ihrer Anwendung auf die Hauptliteratursprachen der islamischen Welt : Denkschrift dem 19. internationalen Orientalistenkongreß in Rom / vorgelegt von der Transkriptionskommission der DMG, Brockhaus, Leipzig 1935
- Die DMG gründet im Januar 1944 eine „Arbeitsgemeinschaft Turkestan“, Sitze in Berlin und Dresden, zwecks Koordinierung von muslimischen Ostlegionen in Wehrmacht und SS
EinzelnachweiseBearbeiten
- ↑ Stefan Krmnicek, Marius Gaidys: Gelehrtenbilder. Altertumswissenschaftler auf Medaillen des 19. Jahrhunderts. Begleitband zur online-Ausstellung im Digitalen Münzkabinett des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Tübingen (= Von Krösus bis zu König Wilhelm. Neue Serie, Band 3). Universitätsbibliothek Tübingen, Tübingen 2020, S. 35–37 (online).
- ↑ http://menadoc.bibliothek.uni-halle.de/dmg/periodical/pageview/77378
- ↑ Deutsche Orientalistentage. In: Homepage der DMG. Abgerufen am 11. November 2019.
- ↑ Archivlink (Memento vom 5. November 2016 im Internet Archive)
- ↑ Thomas Schmidinger: Zur Islamisierung des Antisemitismus, Seite 7
- ↑ Carl Brockelmann, August Fischer, Wilhelm Heffening und Franz Taeschner: Die Transliteration der arabischen Schrift in ihrer Anwendung auf die Hauptliteratursprachen der islamischen Welt. Hrsg.: Transkriptionskommission der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Kommissionsverlag Franz Steiner GmbH, Wiesbaden 1969 (dmg-web.de [PDF]).