Chemical Reaction Network Theory

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Chemical Reaction Network Theory (CRNT) untersucht das qualitative Verhalten der steady state Konzentrationen eines chemischen Reaktionsnetzwerkes ohne Verwendung der kinetischen Parameter. Sie definiert eine allgemeine Beziehung zwischen der Netzwerkstruktur und der Menge der Fixpunkte des entsprechenden Systems an gewöhnlichen Differenzialgleichungen. Für eine Unterklasse an chemischen Systemen ist dieser Ansatz in der Lage, die Existenz von multiplen Steady states algebraisch vorherzusagen oder auszuschließen, und kommt demnach ohne die Verwendung numerischer Verfahren aus.

Das System gewöhnlicher Differenzialgleichungen, das einem chemischen Reaktionsnetzwerk entspricht, besteht aus Polynomen mit im Prinzip beliebigem Grad. Demzufolge kann eine analytische Untersuchung der Fixpunkte eines solchen Problems im Allgemeinen nicht mit linearer Algebra erfolgen. Zusätzlich ergibt sich die Schwierigkeit, dass jeder Reaktion, die dem Massenwirkungsgesetz folgt, ein kinetischer Parameter zugeordnet ist, der oft nicht oder nicht genau bekannt ist. Zur numerischen Lösung des Differenzialgleichungssystems ist aber die Kenntnis der kinetischen Parameter notwendig. Als Folge dessen existieren im schlechtesten Fall zwei Mengen an Unbekannten: (i) die kinetischen Parameter und (ii) die Konzentrationen der einzelnen Spezies an einem Fixpunkt. Selbst bei Kenntnis der kinetischen Parameter und der numerischen Ermittlung eines Fixpunktes ist es nicht klar, ob multiple Fixpunkte existieren; d. h. ob bei einer anderen Wahl der Startkonzentrationen (die im gleichen linearen Unterraum wie die Vorherigen liegen, siehe stöchiometrischer Unterraum und stöchiometrische Kompatibilitätsklasse) ein anderer Fixpunkt existiert. CRNT kann diese Frage durch die Berechnung eines Index, der sogenannten Defizienz (siehe weiter unten), für eine Teilmenge der chemischen Reaktionsnetzwerke ohne Kenntnis der kinetischen Parameter oder der Konzentrationen beantworten. In O-Notation erfolgt die Berechnung der Defizienz in wenn die Erstellung des chemischen Reaktionsnetzwerks in erfolgt.

Geschichte

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Erste Grundlagen der CRNT wurden von Horn und Jackson[1] entwickelt und von Martin Feinberg und Mitarbeitern ausgearbeitet und weiterentwickelt.[2][3][4]

Grundlagen

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Die CRNT beschreibt chemische Reaktionsnetzwerke, die dem Massenwirkungsgesetz zugrunde liegen. In diesem Absatz wird der Begriff „Reaktionsnetzwerk“ als ein Satz an Reaktionen aufgefasst, wie man ihn in einem Lehrbuch der Biochemie finden kann (z. B. alle Reaktionen der Glykolyse). Im Absatz Klassische CRNT wird der Begriff im Sinne der CRNT exakt definiert.

Reversible Reaktionen, das heißt Reaktionen, die in Vorwärts- und Rückwärtsrichtung ablaufen können, müssen hierbei in zwei irreversible Reaktionen aufgesplittet werden: eine irreversible Reaktion für jede Richtung. Demzufolge beschreibt CRNT nur Reaktionsnetzwerke, welche aus irreversiblen Reaktionen bestehen. Ein solches Netzwerk wird in vier Mengen aufgeteilt:

  • 1. Die Menge der Spezies  :
Die Menge der Spezies besteht aus den einzelnen Substraten und Produkten der Reaktionen des Reaktionsnetzwerkes.
  • 2. Die Menge der Komplexe  :
Diese Menge wird aus der Gesamtheit der Spezies, welche von einer Reaktion konsumiert oder produziert werden, gebildet. Bei den Elementen aus   handelt es sich um Multimengen. Das heißt,   besteht aus der Gesamtheit der Mengen der Spezies links und rechts von den Reaktionspfeilen.
  • 3. Die Menge der Reaktionen  :
Diese Menge besteht aus allen Reaktionen des betrachteten chemischen Reaktionsnetzwerkes.
Diese Menge besteht aus den Ratenkonstanten aller Reaktionen des betrachteten chemischen Reaktionsnetzwerkes.

Bemerkung zur Notation: Es existieren zwei äquivalente Darstellungen eines Komplexes:[4] (i) als Element der Menge   wie oben definiert; und (ii) als Vektor aus   Sei   die Funktion, die den stöchiometrischen Koeffizienten von Spezies   in Komplex   zurückliefert, d. h.   wenn   und   andernfalls. Der Index   in   ist dann als Funktion zu verstehen, die den Eintrag von Spezies   in Vektor   liefert, also

 

Hierfür wird natürliche eine festgelegte Ordnung (z. B. lexikographische Ordnung) der Spezies im Vektor   vorausgesetzt.

Beispiel 1

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Das chemische Reaktionsnetzwerk, bestehend aus der einzigen Reaktion   mit Ratenkonstante   besitzt:

  • die Spezies  
  • die Komplexe …
    • … als Menge:   (hierbei sind die Komplexe   und   äquivalent (andere Notation));
    • … als Vektoren:   (mit lexikographischer Ordnung der Spezies);
  • die Reaktionen  
  • die Ratenkonstanten  

Die wichtigste Menge ist hierbei   Zwei Komplexe, die zur gleichen Reaktion gehören, können nun z. B. wie folgt beschrieben werden:   mit  

Klassische CRNT

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Siehe auch[1][2][3].[4] Seien   die Menge aller reellen Zahlen größer Null und   die Menge aller reellen Zahlen größer oder gleich Null.

Definitionen

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Positiver Steady state

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Sei   der Vektor der Konzentrationen des chemischen Reaktionsnetzwerkes (Massenwirkungsgesetz). Das System ist in einem positiven Steady state wenn   und  .

Reaktionsnetzwerk

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Ein Reaktionsnetzwerk ist ein Tripel   mit   als Menge der Spezies; mit   als Menge der Komplexe; mit   als Menge der Reaktionen.

Für Beispiel 1 gilt dann  

Chemisches Reaktionsnetzwerk

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Ein chemisches Reaktionsnetzwerk   ist ein Reaktionsnetzwerk, welches mit einer Kinetik ausgestattet ist. D.h. mit jeder Reaktion des Reaktionsnetzwerks ist eine positive Ratenkonstante assoziiert.

Für Beispiel 1 gilt dann  

Ein Komplex   ist direkt verlinkt mit  , wobei  , auch geschrieben  , wenn entweder   oder  . D.h. zwei Komplexe sind direkt verlinkt, wenn eine Reaktion in   existiert, welche diese verbindet.

Linkageklasse

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Seien  . Komplex   ist verlinkt mit Komplex  , gekennzeichnet durch  , wenn entweder   oder es existieren   so dass  . Die Äquivalenzrelation   induziert eine Partition von   in Äquivalenzklassen, welche als Linkageklassen bezeichnet werden.

Beispiel 2
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Gegeben sei das Reaktionsnetzwerk   mit

 

 
Der Graph, welcher das Reaktionsnetzwerk aus Beispiel 2 repräsentiert. Die Linkageklassen bestehen aus den zusammenhängenden Komponenten des Graphen (l = 2). Die Knoten des Graphen sind äquivalent zu den Komplexen (n = 5). Die starken Linkageklassen werden durch die Knoten in den eingerahmten Teilgraphen markiert. Die terminalen starken Linkageklassen sind durch Knoten mit doppeltem Rahmen markiert.

Die Linkageklassen bestehen dann aus   und  . Eine intuitive Methode die Linkageklassen zu bestimmen besteht darin, die Menge der Reaktionen als Graph aufzuzeichnen, wobei Reaktionen an den Enden "zusammengebaut" werden, wo sie gleiche Komplexe aufweisen (siehe Abbildung).

Starke Linkageklasse

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Seien  . Komplex   reagiert ultimativ zu Komplex  , geschrieben  , wenn entweder   oder es existieren   so dass  . Komplex   ist stark verlinkt mit  , geschrieben  , wenn   und  . Die Äquivalenzrelation   induziert eine Partition von   in Äquivalenzklassen, welche als starke Linkageklassen bezeichnet werden.

Die starken Linkageklassen von Beispiel 2 sind gegeben durch  ,  ,   und  . Die starken Linkageklassen lassen sich wieder leicht bestimmen, wenn das Reaktionsnetzwerk als Graph repräsentiert wird. Es gilt dann für jedes Paar   an Knoten einer starken Linkageklasse, dass ein gerichteter Pfad von   zu   und zurück existiert. Im unteren Graph sind die starken Linkageklassen durch Rahmen markiert (siehe Abbildung).

Terminale starke Linkageklasse

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Eine terminale starke Linkageklasse ist eine starke Linkageklasse, in welcher kein Komplex zu einem Komplex einer anderen starken Linkageklasse reagiert.

Die terminalen starken Linkageklassen von Beispiel 2 sind gegeben durch   und  . Wenn man das Reaktionsnetzwerk wieder als Graph auffasst, dann ist eine terminale starke Linkageklasse eine Linkageklasse, aus welcher kein Reaktionspfeil auf eine andere starke Linkageklasse zeigt. Im unteren Graph sind die starken Linkageklassen durch doppelte Rahmen markiert (siehe Abbildung).

Die folgende Definition und die daraus abgeleiteten Aussagen gelten nur für Reaktionsnetzwerke, welche exakt eine terminale starke Linkageklasse pro Linkageklasse enthalten.[4]

Defizienz

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Die Defizienz eines Reaktionsnetzwerks (abgekürzt mit  ) ist definiert durch

 

wobei   für die Anzahl der Komplexe,   für die Anzahl der Linkageklassen und   für den Rang der stöchiometrischen Matrix   des gegebenen Reaktionsnetzwerkes steht.

Die stöchiometrische Matrix   von Beispiel 2 ist gegeben durch

 

Demzufolge ergibt sich  . Die Defizienz von Beispiel 2 ist dann  .

Schwache Reversibilität

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Ein Reaktionsnetzwerk heißt schwach reversibel wenn jede Linkageklasse aus einer terminalen starken Linkageklasse besteht.

Bei Beispiel 2 handelt es sich um kein schwach reversibles Reaktionsnetzwerk.

Stöchiometrischer Unterraum

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Der stöchiometrische Unterraum (abgekürzt mit  ) eines Reaktionsnetzwerkes   ist die lineare Hülle seiner Reaktionsvektoren. D.h.,

 

Da die Menge der Reaktionsvektoren identisch zu den Spalten der stöchiometrischen Matrix   sind, ist der stöchiometrische Unterraum äquivalent zum Spaltenraum von  .

Stöchiometrische Kompatibilitätsklasse

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Zwei Vektoren   sind stöchiometrisch kompatibel, wenn  . Stöchiometrische Kompatibilität ist eine Äquivalenzrelation, welche   in Äquivalenzklassen, die stöchiometrischen Kompatibilitätsklassen, aufteilt.

Demzufolge muss die Trajektorie der zeitlichen Entwicklung der Konzentrationen immer in der gleichen stöchiometrischen Kompatibilitätsklasse liegen wie die Konzentrationen zum Zeitpunkt t = 0.

Theoreme

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Deficiency-Zero Theorem

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Sei   ein Reaktionsnetzwerk mit Defizienz Null.

  • (i) Wenn das Netzwerk nicht schwach reversibel ist, dann nimmt das entsprechende System an gewöhnlichen Differenzialgleichungen weder einen positiven Steady state noch einen periodischen Orbit in   an (unabhängig von der Wahl der kinetischen Ratenkonstanten).
  • (ii) Wenn das Netzwerk schwach reversibel ist, dann hat das entsprechende System aus gewöhnlichen Differenzialgleichungen für eine beliebige Wahl der kinetischen Ratenkonstanten folgende Eigenschaften: Jede positive stöchiometrische Kompatibilitätsklasse enthält genau einen positiven Steady state; dieser positive Steady state ist asymptotisch stabil; und es existieren keine nichttrivialen periodischen Orbits in  .

Siehe[2] oder[3] für einen Beweis.

Deficiency-One Theorem

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Sei   ein Reaktionsnetzwerk mit Defizienz  . Und seien   mit   die Defizienzen der Linkageklassen. Weiterhin sei vorausgesetzt:

  • (i)   mit  ;
  • (ii)  ;
  • (iii) jede Linkageklasse enthält nur eine terminale starke Linkageklasse.

Wenn die entsprechenden gewöhnlichen Differenzialgleichungen für eine Wahl der kinetischen Ratenkonstanten einen positiven Steady state annehmen, dann existiert genau ein positiver Steady state in jeder stöchiometrischen Kompatibilitätsklasse. Wenn das Netzwerk schwach reversibel ist, dann nehmen die entsprechenden gewöhnlichen Differenzialgleichungen einen positiven Steady state für jede Wahl der kinetischen Ratenkonstanten an.

Siehe[2] oder[3] für einen Beweis.

Beziehung zu den Differenzialgleichungen

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Das System an gewöhnlichen Differenzialgleichungen eines chemischen Reaktionsnetzwerkes sei gegeben durch die Funktion  . Die Funktion   eines jeden chemischen Reaktionsnetzwerkes kann nun in vier unabhängige Abbildungen, eine nicht lineare und drei lineare Abbildungen, zerlegt werden[4][5][6]

 

welche im Folgenden definiert werden.

Definitionen

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Basisvektoren des Komplexraums

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Wenn  , dann sei

 

Die Basisvektoren des Komplexraums   sind dann gegeben durch die Menge  .

Die Menge der Basisvektoren, repräsentiert als Matrix und eine entsprechende Sortierung der Vektoren vorausgesetzt, ist die Einheitsmatrix  .

Die nichtlineare Abbildung ψ

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Sei   ein chemisches Reaktionsnetzwerk. Die nicht lineare Abbildung   ist gegeben durch

 

mit

 

Matrix Ik

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wird noch ergänzt

Matrix Ia

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Sei   ein chemisches Reaktionsnetzwerk. Die lineare Abbildung   ist gegeben durch

 

mit  .

Matrix Y

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Sei   ein chemisches Reaktionsnetzwerk. Die lineare Abbildung   ist definiert durch   mit  .

Es gilt hierbei   und   so dass   auch vereinfacht geschrieben werden kann als   (siehe auch stöchiometrische Matrix).

Beispiel

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Das System an gewöhnlichen Differenzialgleichungen von Beispiel 2 ist gegeben durch

 


Einzelnachweise

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  1. a b F. Horn and R. Jackson: General mass action kinetics. Arch Rational Mech Anal 1972.
  2. a b c d M. Feinberg: Lectures on chemical reaction networks. 1979.
  3. a b c d M. Feinberg: The existence and uniqueness of steady states for a class of chemical reaction networks. Arch Rational Mech Anal 1995.
  4. a b c d e J. Gunawardena: Chemical reaction network theory for in-silico biologists. 2003.
  5. K. Gatermann, M. Eiswirth and A. Sensse: Toric ideals and graph theory to analyze Hopf bifurcations in mass action systems. Journal of Symbolic Computation 2005.
  6. C. Conradi, D. Flockerzi, J. Raisch and J. Stelling: Subnetwork analysis reveals dynamic features of complex (bio)chemical networks. Proc Natl Acad Sci U S A 2007.