Die Brevirostres sind ein Großtaxon der Krokodil-Kronengruppe (Crocodylia), in dem die Echten Krokodile (Crocodylidae) sowie die Alligatoren (Alligatoridae) als Schwestergruppe der Gaviale (Gavialidae) vereint sind. Die Ergebnisse von Verwandtschaftsanalysen auf Grundlage molekularer Daten stützen die Existenz einer solchen Gruppenkonstellation jedoch nicht.

Brevirostres
Systematik
Reihe: Landwirbeltiere (Tetrapoda)
Amnioten (Amniota)
Sauropsida
Archosauria
Ordnung: Krokodile (Crocodylia)
Brevirostres
Wissenschaftlicher Name
Brevirostres
Zittel, 1890
Familien

Etymologie Bearbeiten

Der Name „Brevirostres“ leitet sich von den lateinischen Wörtern brevis (‚kurz‘) und rostrum (‚Schnabel‘, ‚Schnauze‘) ab und bedeutet damit so viel wie „Kurzschnauzenkrokodile“. Er wurde vom deutschen Paläontologen Karl Alfred von Zittel in einem Band seines Kompendiums Handbuch der Palaeontologie aus dem Jahr 1890 geprägt.[1]

Taxonomische Geschichte und Definition Bearbeiten

Unter dem Namen „Brevirostres“ wurden seinerzeit in Zittels phenetisch ausgerichteter Systematik verschiedene rezente und fossile Gruppen relativ kurz- und breitschnäuziger crocodylomorpher Archosaurier subsumiert. So umfasste die Gruppe neben Crocodyliden und Alligatoriden auch die Atoposauriden und die Goniopholiden aus dem Jura und der Kreide, die heute als eher entfernte Verwandte der modernen Krokodile gelten. Die Brevirostres wurden den „Longirostres“ gegenübergestellt, in denen verschiedene Gruppen lang- und schmalschnäuziger crocodylomorpher Archosaurier aus dem Mesozoikum, u. a. die Metriorhynchiden, mit den Gavialiden vereint waren.[1]

Das Taxon Brevirostres erfuhr nachfolgend nur geringe Rezeption und geriet weitgehend in Vergessenheit. Erst 1997 wurde es im Rahmen einer kladistischen Analyse der Verwandtschaftsbeziehungen fossiler und rezenter Krokodile „wiederbelebt“ als Bezeichnung für eine Klade, die die Crocodyliden und Alligatoriden zusammen mit ihren nächsten ausgestorbenen Verwandten unter Ausschluss der Gavialiden umfasst.[2] Die exakte, kladistisch-knotenbasierte Neudefinition des Taxons lautet: „Letzter gemeinsamer Vorfahr der Crocodylidae und Alligatoridae und alle dessen Nachfahren“.[3]

Merkmale Bearbeiten

Namensgebendes Merkmal der Brevirostres ist ihre relativ kurze und breite Schnauze. Krokodile mit einer solchen Schnauzenform werden allgemein, unabhängig von ihrer Taxonomie, als brevirostrin bezeichnet. Paradebeispiel für brevirostrine Krokodile sind die Echten Alligatoren (Alligatorinae). Jedoch schließen die Brevirostres auch Vertreter mit weniger breiten und kurzen (mesorostrinen), sogar mit relativ langen und schmalen (stenorostrinen) Schnauzen mit ein. Tatsächlich sind für die Zugehörigkeit eines Krokodiltaxons zu den Brevirostres nach moderner Definition nicht zwingend die Ausbildung der Schnauzenpartie, sondern andere, weniger augenfällige Merkmale der Anatomie bzw. des Knochenbaus (Osteologie) entscheidend. Zu diesen relativ speziellen Alleinstellungsmerkmalen (Apomorphien) gehört u. a., dass das proximale Ende der Crista deltopectoralis, eines knöchernen Auswuchses des Humerus, der als Ansatzregion für die Brust- und Schultermuskulatur dient, abrupt vom proximalen Ende des Knochens aufragt und konkav geformt ist und dass der hintere Rand des Suborbitalfensters, der großen Öffnung im Boden der Augenhöhle, eine Einkerbung besitzt.[3]

Systematik Bearbeiten

Das Taxon Brevirostres nach moderner, kladistischer Definition umfasst den Großteil der Krokodil-Kronengruppe (Crocodylia), d. h. den Großteil jener Gruppe, die auf den gemeinsamen Vorfahren aller rezenten Krokodile zurückgeht. Schwestergruppe der Brevirostres sind die Gaviale mit ihrem ausgesprochen lang- und schmalschnäuzigen (longirostrinen) rezenten Vertreter, dem Gangesgavial (Gavialis gangeticus).

Die Brevirostres fußen ausschließlich auf morphologischen (anatomischen, osteologischen) Merkmalen und obwohl der Sundagavial Tomistoma schlegelii eine longirostrine Art ist, steht er aufgrund der übrigen morphologischen Merkmale innerhalb der Echten Krokodile (Crocodylidae) und ist damit ein Vertreter der Brevirostres. Das untenstehende, vereinfachte Kladogramm (nach Brochu, 1997, 1999, 2003)[2][3][4] zeigt diese Verwandtschaftshypothese:

  Krokodile (Crocodylia)  
  Brevirostres  
  Echte Krokodile (Crocodylidae)  

 Crocodylinae 


   

 Tomistominae  (einzige rezente Art: Sundagavial, Tomistoma schlegelii)



   

 Alligatoren (Alligatoridae) 



   

 Gaviale (Gavialidae) (einzige rezente Art: Gangesgavial, Gavialis gangeticus)



Vorlage:Klade/Wartung/Style

Die enge Verwandtschaft des Sundagavials mit den Echten Krokodilen und den Alligatoren war bereits vor der Neudefinition der Brevirostres eine weit verbreitete Ansicht. Ein Teil der Forschergemeinde favorisiert jedoch seit langem eine enge Verwandtschaft des Sundagavials mit dem Gangesgavial und damit eine Zuordnung in die Familie Gavialidae.[5] Mit dem Aufkommen molekulargenetischer Methoden zur Bestimmung der Verwandtschafts­verhältnisse in den 1980er Jahren verdichteten sich die Indizien, die letztgenannte Hypothese stützen.[6][7][8] Mittlerweile gilt ein Schwestergruppenverhältnis von Gangesgavial und Sundagavial innerhalb der rezenten Krokodile als relativ gesichert.[9][10][11][12][13] Zudem legen die molekularen Daten nahe, dass die Gaviale nicht die Schwestergruppe einer gemeinsamen Klade aus Crocodyliden und Alligatoriden sind, sondern die Gavialiden mit den Crocodyliden näher verwandt sind als mit den Alligatoriden.[13]

Die Konsequenz des letztgenannten Aspektes dieser im untenstehenden Kladogramm (nach Oaks, 2011)[13] dargestellten Hypothese wäre, dass die Brevirostres nach der Definition des Taxons ein jüngeres Synonym der Crocodylia sind[3] und damit keine Bedeutung für die Systematik der Krokodile mehr hätten.

  Krokodile (Crocodylia)  


 Echte Krokodile (Crocodylidae) 


  Gaviale (Gavialidae)  

 Tomistominae  (einzige rezente Art: Sundagavial, Tomistoma schlegelii)


   

 Gavialinae (einzige rezente Art: Gangesgavial, Gavialis gangeticus)




   

 Alligatoren (Alligatoridae) 



Vorlage:Klade/Wartung/Style

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b Karl Alfred von Zittel: Handbuch der Palaeontologie. I. Abtheilung: Palaeozoologie, III. Band: Vertebrata (Pisces, Amphibia, Reptilia, Aves), Verlag von R. Oldenbourg, München und Leipzig 1890, doi:10.5962/bhl.title.61419, S. 633 ff.
  2. a b Christopher A. Brochu: A review of “Leidyosuchus” (Crocodyliformes, Eusuchia) from the Cretaceous through Eocene of North America. Journal of Vertebrate Paleontology. Bd. 17, Nr. 4, 1997, S. 679–697, doi:10.1080/02724634.1997.10011017 (alternativ: JSTOR:4523857)
  3. a b c d Christopher A. Brochu: Phylogenetics, Taxonomy, and Historical Biogeography of Alligatoroidea. Society of Vertebrate Paleontology Memoir. Bd. 6 (Journal of Vertebrate Paleontology, Bd. 19, Supplementum Nr. 2), 1999, S. 9–100, doi:10.1080/02724634.1999.10011201
  4. Christopher A. Brochu: Phylogenetic Approaches Toward Crocodylian History. Annual Review of Earth and Planetary Sciences. Bd. 31, 2003, S. 357–397, doi:10.1146/annurev.earth.31.100901.141308
  5. Für einen Kurzüberblick dazu siehe Ralph E. Molnar: Biogeography and Phylogeny of the Crocodylia. In: C. G. Glasby, G. J. B. Ross, P. L. Beesley (Hrsg.): Fauna of Australia. Volume 2A: Amphibia and Reptilia. AGPS Canberra, 1993, PDF
  6. Llewellyn D. Densmore III, Robert D. Owen: Molecular Systematics of the Order Crocodilia. American Zoologist. Bd. 29, Nr. 3, 1989, S. 831–841, doi:10.1093/icb/29.3.831
  7. John Gatesy, George D. Amato: Sequence Similarity of 12S Ribosomal Segment of Mitochondrial DNAs of Gharial and False Gharial. Copeia. Jhrg. 1992, Nr. 1, 1992, S. 241–243, doi:10.2307/1446560
  8. R. K. Aggarwal, K. C. Majumdar, J. W. Lang, L. Singh: Generic affinities among crocodilians as revealed by DNA fingerprinting with a Bkm-derived probe. PNAS. Bd. 91, Nr. 22, 1994, S. 10601–10605, PMC 45069 (freier Volltext)
  9. John Harshman, Christopher J. Huddleston, Jonathan P. Bollback, Thomas J. Parsons, Michael J. Braun: True and false gharials: a nuclear gene phylogeny of crocodylia. Systematic Biology. Bd. 52, Nr. 3, 2003, S. 386–402, doi:10.1080/10635150390197028
  10. Axel Janke, Anette Gullberg, Sandrine Hughes, Ramesh K. Aggarwal, Ulfur Arnason: Mitogenomic Analyses Place the Gharial (Gavialis gangeticus) on the Crocodile Tree and Provide Pre-K/T Divergence Times for Most Crocodilians. Journal of Molecular Evolution. Bd. 61, Nr. 5, 2005, S. 620–626, doi:10.1007/s00239-004-0336-9 (freier Volltext: Researchgate)
  11. Ray E. Willis, L. Rex McAliley, Erika D. Neeley, Llewellyn D. Densmore III: Evidence for placing the false gharial (Tomistoma schlegelii) into the family Gavialidae: Inferences from nuclear gene sequences. Molecular Phylogenetics and Evolution. Bd. 43, Nr. 3, 2007, S. 787–794, doi:10.1016/j.ympev.2007.02.005
  12. Ray E. Willis: Transthyretin Gene (TTR) Intron One Elucidates Crocodylian Relationships. Molecular Phylogenetics and Evolution. Bd. 53, Nr. 3, 2009, S. 1049–1054, PMC 2787865 (freier Volltext)
  13. a b c Jamie R. Oaks: A time-calibrated species tree of Crocodylia reveals a recent radiation of the true crocodiles. Evolution. Bd. 65, Nr. 11, 2011, S. 3285–3297, doi:10.1111/j.1558-5646.2011.01373.x