Bezirksrat (Großherzogtum Hessen)

im Großherzogtum Hessen die Vertretung der Untertanen zunächst auf der Ebene der Regierungsbezirke, ab 1853 auf der Ebene der Kreise

Der Bezirksrat war im Großherzogtum Hessen die Vertretung der Untertanen zunächst auf der Ebene der Regierungsbezirke, ab 1853 auf der Ebene der Kreise.

Die Revolution von 1848 im Großherzogtum Hessen führte auch zu einer Verwaltungsreform, weil die bis dahin bestehenden mittleren Verwaltungsebenen, Kreis und Provinz, von den Bürgern in erster Linie als Instrumente staatlicher Unterdrückung wahrgenommen wurden.[1] Ersetzt wurden sie durch zehn Regierungsbezirke (ab 1850: elf[Anm. 1]). Diese wiesen zwei grundsätzliche Unterschiede zu den bis dahin bestehenden Kreisen und Provinzen auf:

  • Die Verwaltungsspitze war ein Gremium, die „Regierungskommission“, kein einzelner Beamter mehr, und
  • der Verwaltungsspitze wurde eine Vertretung der Bürger an die Seite gestellt, der Bezirksrat.[2]

Zustandekommen

Bearbeiten

Die Mitglieder der Bezirksräte wurden in allgemeiner, gleicher und freier Wahl[Anm. 2] für sechs Jahre bestimmt.[3] Es war ein Ehrenamt, ohne Bezahlung oder auch nur Erstattung der Auslagen[4], was den Kreis derjenigen, die eine solche Wahl annehmen konnten, beschränkte. Die meisten Bezirksräte hatten 12 Mitglieder, nur die des Regierungsbezirks Darmstadt (15) und des Regierungsbezirks Mainz (24) waren aufgrund der Einwohnerzahl größer.[5] Alle zwei Jahre stand ein Drittel der Sitze zur Neuwahl an.[6] Die Regierungskommission berief den Bezirksrat mindestens einmal im Jahr zusammen, in der Regel in der dritten Novemberwoche.[7] Die Versammlung war öffentlich[8] und wählte einen Vorsitzenden.[9] Mindestens ein Mitglied der Regierungskommission musste anwesend sein und auf Fragen Auskunft geben.[10] Mitarbeiter der Regierungskommission erstellten auch den Entwurf für das Protokoll.[11]

Kompetenzen

Bearbeiten

Der Bezirksrat konnte in einigen Angelegenheiten Entscheidungen treffen, in anderen war er nur beratend tätig und hatte nur das Recht, angehört zu werden[12]:

Entscheidungen zu
  • finanziellen Streitigkeiten zwischen Regierung und Gemeinden,
  • finanziellen Streitigkeiten zwischen Gemeinden und
  • Bürgeraufnahmen, die von den Gemeinden abgelehnt worden waren.
Anhörung bei
  • Streitigkeiten über Gemarkungsverhältnisse,
  • Erhebung indirekter Gemeindeabgaben,
  • Auflösung, Neubildung oder Vereinigung von Gemeinden,
  • Einrichtung von Bezirksanstalten und
  • Beschwerden und Gutachten über die öffentlichen Interessen des Bezirks.

Nach dem Sieg der Reaktion wurden die Regierungsbezirke 1852 – und mit ihnen die Bezirksräte – wieder abgeschafft, die vorrevolutionäre Struktur mit Provinzen und Kreisen wieder hergestellt.[13] Allerdings wurden 1853 nun Bezirksräte auf Kreisebene eingerichtet[14], deren Zustandekommen und beschnittenen Kompetenzen aber den reaktionären Verhältnissen angepasst war.

Zusammensetzung

Bearbeiten

Von den insgesamt 15 Mitgliedern jedes Bezirksrates wurden 12 in indirekter Wahl durch Bevollmächtigte der Gemeindevorstände bestimmt und die übrigen drei Mitglieder von den 24 Höchstbesteuerten des Kreises gewählt.[15] Für letztere galt noch mal intern ein Zensuswahlrecht: Die vier Höchstbesteuerten, die folgenden acht und dann alle übrigen Höchstbesteuerten wählten je ein Mitglied in die Versammlung.[16]

Voraussetzungen für die Wählbarkeit waren, dass derjenige älter als 30 Jahre sein musste, das aktive Wahlrecht besaß und nicht als Beamter der Verwaltung tätig war.[17]

Die Amtszeit betrug neun Jahre. Alle drei Jahre wurde ein Drittel der Mandatsträger neu gewählt.[18] Das Ministerium des Innern konnte den Bezirksrat aber auch komplett auflösen, der dann innerhalb von drei Monaten neu gewählt werden musste.[19]

Kompetenzen

Bearbeiten

Den Bezirksräten zugewiesen waren

Entscheidungen
  • Finanzielle Streitigkeiten zwischen Regierung und Gemeinden.[20]
  • Finanzielle Streitigkeiten von Gemeinden untereinander bei Ausgaben im öffentlichen Interesse.[21]
Anhörung zu
  • Gegenständen, die eine oder mehrere Gemeinden oder den ganzen Bezirk betrafen.[22]

Gegen die Entscheidungen des Bezirksrates konnte vor dem Administrativjustizhof geklagt werden, diesem übergeordnet war wiederum der Staatsrat des Großherzogtums Hessen.[23]

Verfahren

Bearbeiten

Der Bezirksrat trat auf Einberufung des Kreisrates mindestens einmal im Jahr zusammen, in der Regel in der dritten Novemberwoche. Bei Bedarf waren weitere Sitzungen möglich. Sie fanden im jeweiligen Hauptort des Kreises statt. Das Sitzungslokal musste die Gemeinde stellen.[24] Die Sitzungen waren öffentlich.[25]

Der Vorsitzende der Versammlung wurde seitens der Regierung ernannt.[26] Mindestens ein Mitglied der Regierungskommission musste anwesend sein und auf Fragen Auskunft geben.[27]

Wissenswert

Bearbeiten

Die Bezirksräte auf Kreisebene gelten funktional als Vorläufer der Kreistage.[28]

Literatur

Bearbeiten
  • Klaus Dietrich Hoffmann: Die Geschichte der Provinz und des Regierungsbezirks Hessen. Rheinhessische Druckwerkstätte, Alzey 1985. ISBN 3-87854-047-7

Anmerkungen

Bearbeiten
  1. 1850 wurde der Regierungsbezirk Worms vom Regierungsbezirk Mainz abgetrennt.
  2. Selbstverständlich waren damit nur die erwachsenen, männlichen Staatsbürger gemeint, ein Frauenwahlrecht bestand nicht.

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Hoffmann, S. 41.
  2. Art. 14–25 Gesetz, die Organisation des dem Ministerium des Innern untergeordneten Verwaltungs-Behörden betreffend vom 31. Juli 1848. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 38 vom 3. August 1848, S. 217–225 (222–225).
  3. Art. 21 Gesetz, die Organisation des dem Ministerium des Innern untergeordneten Verwaltungs-Behörden betreffend vom 31. Juli 1848. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 38 vom 3. August 1848, S. 217–225 (224).
  4. Art. 15 Gesetz, die Organisation des dem Ministerium des Innern untergeordneten Verwaltungs-Behörden betreffend vom 31. Juli 1848. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 38 vom 3. August 1848, S. 217–225 (222).
  5. Art. 24 Abs. 1 Gesetz, die Organisation des dem Ministerium des Innern untergeordneten Verwaltungs-Behörden betreffend vom 31. Juli 1848. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 38 vom 3. August 1848, S. 217–225 (224).
  6. Art. 24 Abs. 1 Gesetz, die Organisation des dem Ministerium des Innern untergeordneten Verwaltungs-Behörden betreffend vom 31. Juli 1848. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 38 vom 3. August 1848, S. 217–225 (224).
  7. Art. 14, 17 Gesetz, die Organisation des dem Ministerium des Innern untergeordneten Verwaltungs-Behörden betreffend vom 31. Juli 1848. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 38 vom 3. August 1848, S. 217–225 (222f).
  8. Art. 18 Abs. 5 Gesetz, die Organisation des dem Ministerium des Innern untergeordneten Verwaltungs-Behörden betreffend vom 31. Juli 1848. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 38 vom 3. August 1848, S. 217–225 (223).
  9. Art. 18 Abs. 1 Gesetz, die Organisation des dem Ministerium des Innern untergeordneten Verwaltungs-Behörden betreffend vom 31. Juli 1848. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 38 vom 3. August 1848, S. 217–225 (223).
  10. Art. 18 Abs. 2 Gesetz, die Organisation des dem Ministerium des Innern untergeordneten Verwaltungs-Behörden betreffend vom 31. Juli 1848. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 38 vom 3. August 1848, S. 217–225 (223).
  11. Art. 19 Gesetz, die Organisation des dem Ministerium des Innern untergeordneten Verwaltungs-Behörden betreffend vom 31. Juli 1848. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 38 vom 3. August 1848, S. 217–225 (223).
  12. Art. 16 Gesetz, die Organisation des dem Ministerium des Innern untergeordneten Verwaltungs-Behörden betreffend vom 31. Juli 1848. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 38 vom 3. August 1848, S. 217–225 (222f).
  13. Gesetz, die Organisation der dem Ministerium des Inneren untergeordneten Verwaltungsbehörden betreffend vom 28. April 1852. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 27 vom 3. Mai 1852, S. 201; Edikt, die Organisation der dem Ministerium des Inneren untergeordneten Verwaltungsbehörden betreffend vom 12. Mai 1852. . In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 30 vom 20. Mai 1852, S. 221–223.
  14. Gesetz, die Einrichtung der Bezirksräthe betreffend vom 10. Februar 1853. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 6 vom 24. Februar 1853, S. 37–44.
  15. Art. 2 Gesetz, die Einrichtung der Bezirksräthe betreffend vom 10. Februar 1853. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 6 vom 24. Februar 1853, S. 37–44 (37).
  16. Art. 10 Gesetz, die Einrichtung der Bezirksräthe betreffend vom 10. Februar 1853. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 6 vom 24. Februar 1853, S. 37–44 (38).
  17. Art. 6 Gesetz, die Einrichtung der Bezirksräthe betreffend vom 10. Februar 1853. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 6 vom 24. Februar 1853, S. 37–44 (38).
  18. Art. 4 Gesetz, die Einrichtung der Bezirksräthe betreffend vom 10. Februar 1853. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 6 vom 24. Februar 1853, S. 37–44 (38).
  19. Art. 5 Gesetz, die Einrichtung der Bezirksräthe betreffend vom 10. Februar 1853. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 6 vom 24. Februar 1853, S. 37–44 (38).
  20. Art. 18 Gesetz, die Einrichtung der Bezirksräthe betreffend vom 10. Februar 1853. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 6 vom 24. Februar 1853, S. 37–44 (40).
  21. Art. 19 Gesetz, die Einrichtung der Bezirksräthe betreffend vom 10. Februar 1853. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 6 vom 24. Februar 1853, S. 37–44 (40f).
  22. Art. 21 Gesetz, die Einrichtung der Bezirksräthe betreffend vom 10. Februar 1853. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 6 vom 24. Februar 1853, S. 37–44 (41).
  23. Vgl.: Art. 23 Gesetz, die Einrichtung der Bezirksräthe betreffend vom 10. Februar 1853. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 6 vom 24. Februar 1853, S. 37–44 (41).
  24. Art. 25 Gesetz, die Einrichtung der Bezirksräthe betreffend vom 10. Februar 1853. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 6 vom 24. Februar 1853, S. 37–44 (42).
  25. Art. 29 Abs. 1 Gesetz, die Einrichtung der Bezirksräthe betreffend vom 10. Februar 1853. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 6 vom 24. Februar 1853, S. 37–44 (43).
  26. Art. 27 Abs. 1 Gesetz, die Einrichtung der Bezirksräthe betreffend vom 10. Februar 1853. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 6 vom 24. Februar 1853, S. 37–44 (42).
  27. Art. 27 Abs. 2 Gesetz, die Einrichtung der Bezirksräthe betreffend vom 10. Februar 1853. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 6 vom 24. Februar 1853, S. 37–44 (42).
  28. Hoffmann, S. 41.