Der Begriff Safe Space (deutsch „Sicherer Raum“) bezieht sich auf Orte, die für Personen aus marginalisierten Gruppen geschaffen wurden, um ihnen zu ermöglichen, sich über ihre Erfahrungen mit der Marginalisierung auszutauschen. Im Safe Space werden sie nicht mit den sie betreffenden allgemein vorherrschenden negativen Reaktionen konfrontiert. Die Maßnahme ist Teil eines Empowerment-Prozesses. Bisher wurden Safe Spaces vor allem auf Universitätsgeländen und vereinzelt auch in Unternehmen eingerichtet. Der Begriff wird auch verwendet, um deutlich zu machen, dass eine Lehrkraft, Bildungseinrichtung oder andere Organisation Gewalt, Belästigung oder Hassreden nicht toleriert, wodurch ein sicherer Ort für Frauen und Minderheiten geschaffen werden soll. Das Konzept Safe Space wurde als Einschränkung der Meinungsfreiheit kritisiert.

Geschichte

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Das Konzept entstand in den USA in der Frauen- und in der Bürgerrechtsbewegung und geht auf die Erfahrungen in den Schwulen- und Lesbenbars Mitte der 60er Jahre zurück. Ein Safe Space war ein Raum, in dem sich Schwule und Lesben gemeinsam, auch draußen, sicher aufhalten konnte, allerdings nicht geschützt vor polizeilicher Verfolgung (siehe Stonewall). Die Schwulen- und Lesbenbars waren weder „sicher“ im Sinne von risikofrei noch „sicher“ im Sinne von reserviert. Stattdessen war ein Safe Space ein Ort, an dem Menschen praktischen Widerstand gegen politische und soziale Repression entwickeln konnten. Laut Moira Kenney wurde der Begriff Safe Space erstmals in den 1960er und 1970er Jahren konsequent in der Frauenbewegung verwendet. Eine Form dieser Safe Spaces waren die Consciousness Raising-Gruppen. Die Versuche, für Lesben und Schwule Safe Spaces zu schaffen, waren lange zentral für die Schwulen- und Lesbenbewegung.[1][2]

In den folgenden Jahren wurde das Konzept eines psychischen Safe Space in den USA in den Bildungssystemen vermehrt aufgegriffen. Mitte der 1990er Jahre wurde der Anspruch, Klassenzimmer zu Safe Spaces zu machen, bereits regelmäßig formuliert, ohne dass das Konzept genauer definiert wurde.[3] Noch 2010 bemängelte Betty Barrett, dass das Thema „Sicherheit“ die Diskussionen über das Lehren und Lernen in einer Vielzahl von Fachbereichen allgemein durchdrang, aber eine kritische Auseinandersetzung mit der Definition von Sicherheit im Klassenzimmer und den Auswirkungen der Konstruktion des Klassenzimmers als Safe Space auf das Lehren und Lernen im wissenschaftlichen Diskurs weitgehend fehlte.[4]

Schließlich wurde das Konzept auch von Menschen, die an umweltbedingten Krankheiten leiden, verwendet, um für sie sichere Umgebungen zu definieren, die frei von bestimmten Chemikalien sind. Sogar sogenannte „Prepper“, also Personen, die sich mittels individueller Maßnahmen auf jedwede Art von Katastrophe vorbereiten, haben den Begriff übernommen, wenn sie sichere Räume in ihren Kellern oder Hinterhofbunkern zum Schutz ihrer Familien im Fall eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs einrichten.[5]

Definition und Eigenschaften

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Ein umgekehrtes rosa Dreieck, umgeben von einem grünen Kreis, wird als Symbol für die Allianz mit Lesben und Schwulen sowie für Räume, die frei von Homophobie sind, verwendet.[5]

Ein Safe Space kann als ein Umfeld beschrieben werden, in dem sich alle wohl damit fühlen, sich auszudrücken und sich voll und ganz zu beteiligen, ohne Angriffe, Spott oder die Verleugnung ihrer Erfahrungen befürchten zu müssen.[6] Als Teil einer Klasse ist es ein Raum, in dem sich eine Person vor psychischen oder emotionalen Verletzungen geschützt fühlt. Ein Safe Space bezieht sich allerdings nicht unbedingt auf eine Umgebung ohne Unbehagen, Auseinandersetzung oder auch Schmerz. „Sicher“ ist nicht mit „komfortabel“ gleichzusetzen.[7]

Die vielleicht bekannteste Visualisierung eines Safe Space ist das Bild eines rosa Dreiecks, das von einem grünen Kreis umgeben ist. Das Anbringen dieses Symbols in Klassenzimmern, Büros und Gemeindezentren soll ein Indikator dafür sein, dass sich Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transgender, Queers und Intersexuelle an diesem Ort sicher fühlen können.[5]

Stengel, Weems 2010[8]

Barrett 2010[4]

Safe Spaces können durch physische Orte verwirklicht werden, die als solche gekennzeichnet sind, insbesondere in einem akademischen Umfeld (Klassenzimmer, Universitätscampus). Es können auch virtuelle Orte wie bestimmte Diskussionsforen sein.

In Bezug auf die Verwendung des Konzepts Safe Space in Bildungseinrichtungen wurde schon früh kritisiert, dass eine Auffassung von Safe Space als Vermeidung von Stress für die Schülerinnen und Schüler dem Unterricht jeglichen Antrieb für kritische Reflektion rauben würde. Während sicher gestellt werden müsse, dass im Unterricht alle Fragen stellen oder (falsche) Antworten geben könnten, ohne dafür ausgelacht oder verhöhnt zu werden, könnte es nicht darum gehen, das Erkennen der eigenen Ignoranz zu vermeiden. Es sei eine Sache zu sagen, dass die Schülerinnen und Schüler nicht wegen einer persönlichen Vorliebe herabgesetzt oder wegen einer unpopulären Meinung schikaniert werden dürften. Doch das könnte nicht bedeuten, dass die Schülerinnen und Schüler niemals gefragt werden dürften, warum ihre Vorlieben und Meinungen sich von denen der anderen unterscheiden würden.[3]

Judith Shulevitz, eine Reporterin der New York Times, unterschied 2015 zwischen Treffen, bei denen ein Safe Space gemeinsam einvernehmlich vereinbart wird, und dem Versuch, ganze Schlafsäle oder Studierendenzeitungen in Safe Spaces zu verwandeln. Wie Shulevitz betonte, ergibt sich letzteres logisch aus den einvernehmlichen Vereinbarungen: „Wenn Sie bestimmte Räume als sicher kennzeichnen, schlagen Sie vor, dass andere gefährlich sind. Daraus folgt, dass sie sicherer gemacht werden sollten.“ Der gleiche Artikel nannte das Beispiel eines Safe Space an der Brown University, der geschaffen wurde, als die Libertäre Wendy McElroy, die den Begriff „Vergewaltigungskultur“ vielfach kritisiert hatte, dort eine Rede hielt. Der Safe Space sollte Menschen, die die Ausagen der Rednerin „beunruhigend“ finden könnten, einen Ort der Erholung bieten.[9]

Im gleichen Jahr prangerte der Journalist Conor Friedersdorf den Missbrauch des Konzepts Safe Space an, um die Berichterstattung der Presse über Studierendenproteste zu blockieren. Im Namen des Safe Space würde der Safe Space von anderen beeinträchtigt. Journalisten würden eingeschüchtert undd physisch angegriffen und nach der entsprechenden Gegenreaktion würde behauptet, dass dieses den Safe Space gefährde. Friedersdorf beschrieb dies als „Doublethink“.[10]

2016 kritisierte der britische Schauspieler und Schriftsteller Stephen Fry das Konzept des Safe Space, da damit Studierende infantilisiert würden und die Redefreiheit untergraben würde.[11] Frank Furedi von der Los Angeles Times und Candace Russell von HuffPost haben betont, dass Safe Spaces zu Echokammern beitragen, in denen sich Menschen von Ideen isolieren, die ihre eigenen Vorstellungen in Frage stellen.[12][13] Emily Deruy berichtete im Atlantic, dass Safe Spaces von einigen mit der Wiedereinführung der Segregation (Rassentrennung) verglichen wurde.[14]

Etliche Wissenschaftler verteidigen allerdings die Praktiken des Safe Space. So hat Chris Waugh argumentiert, dass Safe Spaces die Redefreiheit nicht beeinträchtigen, sondern eine Gegenöffentlichkeit der Untergeordneten darstellen würde. Damit meinte er alternative diskursive Bereiche, in denen schutzbedürftige Gruppen ihre Erfahrungen mit der dominanten Öffentlichkeit neu konfigurieren und gestalten könnten. Ziel sei letztendlich besser gerüstet in die Öffentlichkeit zurückzukehren, die eigene Unterdrückung zu bekämpfen.[15]

Popkultur

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„Safe Space“, eine Folge der Zeichentrickserie South Park aus dem Jahr 2015, parodierte das Konzept der Safe Spaces.[16]

Literatur

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Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. a b Moira Kenney: Mapping gay L.A. The intersection of place and politics. Temple University Press, Philadelphia 2001, ISBN 1-56639-883-5 (google.de).
  2. Malcolm Harris: What’s a ‘safe space’? A look at the phrase's 50-year history. In: Splinter. 11. November 2015, abgerufen am 15. März 2020 (amerikanisches Englisch).
  3. a b Robert Boostrom: 'Safe spaces': Reflections on an educational metaphor. In: Journal of Curriculum Studies. Band 30, Nr. 4, Juli 1998, ISSN 0022-0272, S. 397–408, doi:10.1080/002202798183549.
  4. a b Betty J. Barrett: Is "Safety" Dangerous? A Critical Examination of the Classroom as Safe Space. In: The Canadian Journal for the Scholarship of Teaching and Learning. Band 1, Nr. 1, 21. Juni 2010, ISSN 1918-2902, doi:10.5206/cjsotl-rcacea.2010.1.9.
  5. a b c The Roestone Collective: Safe Space: Towards a Reconceptualization: Safe Space: Towards a Reconceptualization. In: Antipode. Band 46, Nr. 5, November 2014, S. 1346–1365, 1346-1347, doi:10.1111/anti.12089.
  6. Brian Arao, Kristi Clemens: From safe saces to Brave spaces. A new way to frame dialogue around diversity and social justice. In: Lisa M. Landreman (Hrsg.): The art of effective facilitation. Reflections from social justice educators. Stylus Publishing, Sterling, Virginia 2013, ISBN 978-1-4619-5189-6, S. 135–150, 138.
  7. Lynn C. Holley, Sue Steiner: Safe Space. Student perspectives on classroom environment. In: Journal of Social Work Education. Band 41, Nr. 1, 2005, ISSN 1043-7797, S. 49–64, 50, JSTOR:23044032.
  8. Barbara S. Stengel, Lisa Weems: Questioning Safe Space: An Introduction. In: Studies in Philosophy and Education. Band 29, Nr. 6, November 2010, ISSN 0039-3746, S. 505–507, doi:10.1007/s11217-010-9205-8.
  9. Judith Shulevitz: Opinion | In College and Hiding From Scary Ideas. In: The New York Times. 21. März 2015, ISSN 0362-4331 (nytimes.com [abgerufen am 15. März 2020]).
  10. Conor Friedersdorf: How Campus Activists Are Weaponizing 'Safe Space'. In: The Atlantic. 10. November 2015, abgerufen am 15. März 2020 (amerikanisches Englisch).
  11. George Bowden: Stephen Fry Speaks About Erosion Of 'Free Speech' On. In: Huffington Post. 11. April 2016, abgerufen am 15. März 2020.
  12. Candice Russell: Safe Spaces and Echo Chambers, How Progressive Movements Stagnate Themselves. In: HuffPost. 13. April 2015, abgerufen am 16. März 2020 (englisch).
  13. Frank Furedi: Op-Ed: Campuses are breaking apart into ‘safe spaces’. In: Los Angeles Times. 5. Januar 2017, abgerufen am 16. März 2020 (amerikanisches Englisch).
  14. Emily DeRuy: There's a Fine Line Between 'Safe Spaces' and Segregation. In: The Atlantic. 17. August 2016, abgerufen am 16. März 2020 (amerikanisches Englisch).
  15. Chris Waugh: In Defence of Safe Spaces: Subaltern Counterpublics and Vulnerable Politics in the Neoliberal University. In: Time and Space in the Neoliberal University. Springer International Publishing, Cham 2019, ISBN 978-3-03015245-1, S. 143–168, doi:10.1007/978-3-030-15246-8_7.
  16. The cake metaphor comes back on another solid episode of South Park. In: AV Club. 22. Oktober 2015, abgerufen am 16. März 2020 (amerikanisches Englisch).

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