Clavier ist im 17. und frühen 18. Jahrhundert die Bezeichnung für die Klaviatur eines Tasteninstuments. Schon im späten 17. Jahrhundert wurde der Begriff daneben auch auf Tasteninstrumente selbst ausgeweitet, schließlich zur Unterscheidung der besaiteten Tasteninstrumente von der Orgel verwendet. In diesem Sinn wird das Wort heute wieder in der Historischen Aufführungspraxis und in der Musikwissenschaft verwendet.

Das französische Wort „Clavier“ ist vom lateinischen „clavis“ (eigentlich „Schlüssel“, „Holzstück“, „Kolben“[1], bei den lateinisch schreibenden Musiktheoretikern seit dem 13. Jahrhundert „Taste“[2]) abgeleitet. Die während der Barockzeit im deutschsprachigen Raum verbreitete Schreibung „Clavir“ lässt vermuten, dass schon in dieser Zeit die deutsche Ausprache verbreitet war.

Im 19. Jahrhundert war „Clavier“ eine andere Schreibung für „Klavier“.

Der vorliegende Artikel befasst sich mit der Begriffsentwicklung und den damit verbundenen Instrumentenklassifizierungs- und Besetzungsfragen. Über die Geschichte und Struktur der einzelnen Instrumente selbst vgl. die entsprechenden Artikel, v.a. Orgel, Cembalo, Clavichord, Tangentenflügel und Hammerklavier.

„Clavier“ in der Barockzeit

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1645 schreibt Johann Erasmus Kindermann in seiner Harmonia Organica, einer Sammlung von Orgelkompositionen, „Choral im Discant mitt 2 Clavirn à 3“[3], was bedeutet, daß in dem dreistimmigen Stück („à 3“) der in der Oberstimme liegende Choral auf dem einen Manual, die beiden freien Unterstimmen auf dem anderen und somit anders registriert zu spielen sind. Dies ist die ursprüngliche Verwendung des Wortes im Sinn von „Klaviatur“ oder „Manual“, die bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts neben den neuen Wortbedeutungen auftritt.

1691 steht bei Andreas Werckmeister der ursprüngliche Wortgebrauch („Eine Orgel und andere clavirte Instrumenta müssen in der Stimmung gute Temperaturen haben.“)[4] neben dem neuen. Im Titel des Buches bedeutet „Clavier“ die Gesamtheit der Tasteninstrumente:

„Musicalische Temperatur, Oder deutlicher und warer Mathematischer Unterricht / Wie man durch Anweisung des MONOCHORDI Ein Clavier / sonderlich die Orgel-Wercke / Positive, Regale, Spinetten / und dergleichen wol temperirt stimmen könne […][5]

 
Titelblatt des dritten Teils von Bachs Clavier Übung (1739)

In diesem Sinn verwendet Johann Sebastian Bach das Wort im Titel seiner Clavier Übung. Der zweite Teil (Concerto nach italenischem Gusto und Ouverture nach Französischer Art) ist laut Titel „vor ein Clavicymbel mit zweyen Manualen“ geschrieben (ähnlich der vierte Teil mit den Goldbergvariationen“); der dritte dagegen „vor die Orgel“.

Daneben tritt aber der Gebrauch des Wortes als Bezeichnung aller besaiteten Tasteninstrumente im Gegensatz zur Orgel. Carl Philipp Emanuel Bach schrieb im Subskriptionsaufruf zur Kunst der Fuge:

„Es ist aber dennoch alles zu gleicher Zeit zum Gebrauch des Claviers und der Orgel ausdrücklich eingerichtet.“

Unter die Bezeichnung „Clavier“ fallen hier insbesondere:

Die Unterscheidung zwischen beiden Wortbedeutungen von „alle Tasteninstrumente“ und „besaitete Tasteninstrumente“ ist offenbar pragmatisch und wenig konsequent. Der Titel des ersten Teils von Johann Ludwig Krebs' Clavier-Ubung (Nürnberg o.J., etwa 1744-55) mischt beides:

„Erste Lieferung der Clavier-Ubung, bestehend in verschiedenen Vorspielen und Verändrungen einiger Kirchen Gesänge, welche so wohl auf der Orgel als auch dem Clavier können tractirt werden […][6]

Es geht also aus der Bezeichnung „Clavier“ nicht hervor, ob die Orgel mit eingeschlossen sein sollte oder nicht. Bei Bachs Wohltemperirtem Clavier kann man aus der Gattung – Präludien und Fugen – auf die Möglichkeit einer Besetzung mit Orgel schließen; während Christoph Graupners „Monatliche Clavir Früchte“ (1722)[7], zwölf Cembalosuiten, die die zwölf Monatsnamen als Titel tragen, als Sammlungen von Tanzsätzen die Orgel eher ausschließen. Auch die zeitgenössischen Leser konnten nicht voraussehen, dass Carl Philipp Emanuel Bach im ersten Teil seines Versuchs über die wahre Art das Clavier zu spielen (1753) sich zwar ausführlich über die Unterschiede von Clavichord und Cembalo auslassen[8], die Orgel aber nicht einmal erwähnen würde.

 
Anfang der 4. Variation aus Bachs Canonischen Veränderungen BWV 769. Die beiden mit der linken Hand („sinistra“) zu spielenden Stimmen sind im Alt- und Bassschlüssel auf das zweite und vierte System notiert; das Pedal steht im dritten System.

„à 2 Clav.“

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Unklar bleibt die genaue sprachliche Auflösung der in den Clavierwerken Johann Sebastian Bachs mehrfach auftretenden Abkürzung „à 2 Clav.“. In jedem Fall ist die Aufteilung einer Komposition auf zwei Manuale gemeint in der Nachfolge der französischen Bezeichnung „à deux claviers“. Bezeichnungen wie „à 1 ôvero 2 Clav.“ (Variation 5 der Goldbergvariationen) und „Variatio 4. à 2. Clav. et Pedal. per augmentation.[em] in Canone all' ottava.“ („Variation 4 für 2 Manuale und Pedal als Oktavkanon in der Vergrößerung“) aus den Canonischen Veränderungen über […] Vom Himmel hoch […] (BWV 769, 1747/48) sind aber immer auf italienisch oder in einer zeittypischen Sprachmischung aus Italienisch und Lateinisch abgefasst (das „à“ mit accent grave ist ein im deutschsprachigen Barock üblicher Orthographiefehler für das italienische „a“); ein entsprechendes Wort existiert jedoch weder im Italienischen noch im Lateinischen. Der Herausgeber der Kunst der Fuge in der Neuen Bach-Ausgabe, Klaus Hofmann, schlägt daher die Auflösung „a 2 [due] Clavicembali“ („für zwei Cembali“) vor[9]; jedoch ist der sogenannte Contrapunctus 13 der Kunst der Fuge nur ausnahmsweise für zwei Cembali, die übrigen so bezeichneten Kompositionen dagegen für ein ein einziges Tasteninstrument mit zwei Manualen bestimmt.

Das „Cembalo“

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Mit dem Vordringen italienischen Einflusses im österreichischen Raum während des 18. Jahrhunderts wird in den nun konsequent italienischsprachigen Werktiteln die Bezeichnung „Cembalo“ anstelle von „Clavier“ üblich. Wolfgang Amadeus Mozart nennt im Autograph seiner C-dur-Sonate für Klavier vierhändig KV 521 (1787) die beiden Spieler „Cembalo primo“ und „Cembalo secondo“, obwohl die Komposition schon wegen ihrer vielfältigen dynamischen Bezeichnungen nur für das Fortepiano bestimmt sein kann[10]. Joseph Haydns Claviersonaten waren im österreichisch-ungarischen Raum in hunderten von Abschriften verbreitet; insoweit diese überhaupt ein Instrument spezifizieren, fordern sie in ihren italienischen oder (selten) französischen Titeln ausnahmslos ein „Cembalo“, „Clavicembalo“ oder „Clavecin“; eine Praxis, der auch Haydn in seinem eigenhändigen Werkverzeichnis und wenigen erhaltenen Autographen folgt[11]. Die ab den 1770er Jahren erscheinenden Druckausgaben der Sonaten beginnen mit Differenzierungen wie Sei Sonate Per il Clavicembalo, o Forte Piano [...][12] („Sechs Sonaten für das Cembalo oder den Hammerflügel“). Erstmals im Autograph seiner Es-dur-Sonate Hob. XVI: 49 von 1790 schreibt Haydn explizit Sonata per il Forte-piano[13].

Im deutschsprachigen Alltag behielt jedoch das „Clavier“ seine Bedeutung. Seine Sonate KV 570 (1789) nennt Mozart in seinem eigenhändigen Werkverzeichnis „Eine Sonate auf klavier allein“[14] – das hier singulär auftretende „k“ ist möglicherweise ein bei Mozart nicht überraschender Rechtschreiblapsus – und in einem Brief vom 14. November 1777 aus Mannheim an seine Mutter schreibt er über Christian Cannabichs Tochter Rose:

„[...] wenn ich ietz ihr förmlicher meister wär, so sperrte ich ihr alle Musikalien ein, deckete ihr das Clavier mit einem schnupftuch zu, und liesse ihr so lang mit der rechten und lincken hand, anfangs ganz langsam, lauter Pasagen, Triller, Mordanten Ecetra : exercieren, bis die hand völlig eingericht wäre, denn hernach getrauete ich mir eine rechte Clavieristin aus ihr zu machen.[15]

Entwicklung seit 1800

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Mit dem allmählichen Verschwinden von Cembalo, Clavichord und Tangentenflügel im späten 18. Jahrhundert schränkte sich folgerichtig die Bedeutung des Wortes immer weiter ein; „Clavier“ und das weiterhin verwendete „Clavir“ wurden synomym mit „Hammerklavier“, „Fortepiano“ oder „Pianoforte“. Konrad Dudens Vollständiges Orthographisches Wörterbuch von 1880[16] schreibt die Schreibung „Klavier“ vor, die sich im 20. Jahrhundert als die zunächst einzige durchsetzte.

Die Praxis des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, einerseits Kompositionen für die verschiedenen besaiteten Tasteninstrumente des 17. und 18. Jahrhunderts einseitig dem modernen Klavier zuzuordnen, andererseits Trennlinien zwischen „Orgelmusik“ und „Klaviermusik“ dort zu ziehen, wo sie vom Komponisten nicht gewollt sind, ist in der Musikwissenschaft des 20. Jahrhunderts und in der Historischen Aufführungspraxis zunehmend kritisiert worden. Aus der historiographischen Beschäftigung mit originalen Aufführungsmöglichkeiten entstand das Bedürfnis nach einer biegsameren Terminologie. Willi Apel, der 1962 in seinem Lehrbuch der Notationskunde die Bezeichnungen „Klaviersystem“, „Klaviertabulatur“, „Orgeltabulatur“ mischt, merkt an: „Da es im Deutschen kein brauchbares Äquivalent für das englische keyboard gibt, ist man zu Kompromißlösungen gezwungen“[17]. In den darauffolgenden Jahren bürgerte sich die Schreibung „Clavier“ ein, die – pragmatisch und unscharf wie im 17. und 18. Jahrhundert und daher tatsächlich historisch – im musikwissenschaftlichen Gebrauch mal die Gesamtheit aller Tasteninstrumente der Alten Musik, mal die besaiteten Tasteninstrumente im Gegensatz zur Orgel bezeichnet. Die Aussprache ist deutsch und unterscheidet sich daher nicht von „Klavier“. In Vorträgen oder Gesprächen werden Zusätze benutzt wie „Clavier mit C“, oder die Besonderheit der Orthographie wird „durch ein bedeutungsvolles Heben der Augenbrauen“ angezeigt[18].

Nachweise

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  1. Diese letzten beiden Bedeutungen finden sich nicht Wörterbüchern des Klassischen Latein, vgl. z.B. den Artikel „Clavis“ in: Karl Ernst Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Hannover (Hahnsche Buchhandlung) 1913/1918 (Reprint Darmstadt 1998); sie sind hier gegeben nach: Fritz Reckow, Artikel Clavis (1972) in: Handwörterbuch der musikalichen Terminologie (Loseblattsammlung) Franz Steiner Verlag, Wiesbaden/Stuttgart 1972 ff. Vgl. die Inhaltsangabe dieses Artikels.
  2. vgl. Reckow, Inhaltsangabe zu Clavis
  3. Secundus versus des Magnificat Octavi Toni. Nach der Neuausgabe von Albert Kreuser, abrufbar im International Music Score Library Poject
  4. Andreas Werckmeister: Musicalische Temperatur (1691) S. 92 [1]
  5. Titelblatt
  6. Teil 1, 2, 3 im International Music Score Library Project.
  7. Graupners Monatliche Clavir Früchte: Noten und Audiodateien im International Music Score Library Project
  8. Einleitung zum 1. Teil, § 11–13; S. 8–10 der 1. Auflage
  9. Band VIII/2.1-2
  10. Vgl. das Faksimile in: Neue Mozart-Ausgabe, Serie IX, Werkgruppe 24, Abteilung 2 Werke für Klavier zu 4 Händen (1955), vorgelegt von Wolfgang Rehm; dort S. X, und den dazugehörigen Kritischen Bericht S. 151
  11. Vgl. dazu die Quellen- und Katalogangaben in: Joseph Haydn, Sämtliche Klaviersonaten. Kritische Anmerkungen, herausgegeben von Christa Landon. Wien 1982 (Wiener Urtext Edition)
  12. Sonaten Hob. XVI: 20, 35-39; zit. nach Landon S. 42
  13. zit. nach Landon S. 91
  14. zit. nach: Neue Mozart-Ausgabe, Serie IX, Werkgruppe 25 Klaviersonaten Band 2 (1986), vorgelegt von Wolfgang Plath und Wolfgang Rehm; S. XVIII
  15. Brief vom 14. November 1777, in : Mozart, Birefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, hg. Wilhelm A. Bauer und Otto Erich Deutsch. Kassel etc. 1962/63
  16. Konrad Duden, Vollständiges Orthographisches Wörterbuch. Leipzig (Verlag des Bibliographischen Instituts) 1880 (Reprint Mannheim 1980); S. 32 und 89
  17. Willi Apel, Die Notation der polyphonen Musik. 900–1600. Leipzig (VEB Breitkopf & Härtel Musikverlag) 1962; S. 25 (Fußnote)
  18. mündliche Auskunft eines Fachmanns